Lindemann | Kann Töten erlaubt sein? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Lindemann Kann Töten erlaubt sein?

Ein Soldat auf der Suche nach Antworten
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0418-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Soldat auf der Suche nach Antworten

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0418-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten.' Dieser Satz von Angela Merkel zum Tod Osama bin Ladens provozierte einen Aufschrei in Deutschland. Die gezielte Tötung eines Menschen mit staatlicher Legitimation löst Unbehagen aus. Doch was ist, wenn man dadurch ein Menschenleben retten kann? Der ehemalige Nachrichtenoffizier Marc Lindemann geht der Frage nach, unter welchen Umständen die Tötung eines Menschen von Staats wegen gerechtfertigt sein kann. In anderen Ländern, etwa den USA, werden Drohnen eingesetzt, um Menschen zu töten, ohne die eigenen Streitkräfte in Gefahr zu bringen. Diese Automatisierung des Krieges sorgt dafür, dass die Einsätze für Soldaten abstrakt werden: Ein Pilot sitzt in den USA am Bildschirm und steuert eine Drohne in Afghanistan. Marc Lindemann versucht eine genaue Abwägung der moralischen und ethischen Dimension dieser komplexen Thematik. Ein kluges Buch über eine schwierige Frage.

Marc Lindemann, *1977, ist Politologe und war 2005 und 2009 als Nachrichtenoffizier für die Bundeswehr in Afghanistan. 2010 erschien sein Buch »Unter Beschuss - Warum Deutschland in Afghanistan scheitert«, mit dem er es auf Anhieb in die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Heute arbeitet Marc Lindemann als Journalist und Medienberater in Berlin.
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Gezielte Tötungen im Krieg
gegen den Terror

Tod eines Internet-Islamisten

Als sich der kleine Konvoi am Morgen des 30. September 2011 auf den Weg nach Südosten machte, war das Schicksal seiner Insassen bereits besiegelt. Eigentlich war es das schon, als die kleine Gruppe aus der Tür des Hauses in der nordjemenitischen Provinz al-Dschauf trat. Denn der ummauerte Gebäudekomplex in dem Örtchen Khasfah wurde bereits seit Monaten durch amerikanische Satelliten und Aufklärungsflugzeuge überwacht. Die Treffen im Hof, die Fahrzeugbewegungen, wer kam und wer ging: Alles wurde genau beobachtet und akribisch ausgewertet. Die Bewohner des Gebäudes bekamen von alldem nichts mit. Wie auch? Die Späher flogen außerhalb jedweder Sicht- und Hörweite. Zwar wussten die Überwachten sehr genau, dass man hinter ihnen her war, und sie kannten auch den Grund dafür, doch vermittelte ihnen die Abgeschiedenheit dieser Region mit der Zeit ein leidliches Gefühl der Sicherheit. Denn da oben, unweit der saudischen Grenze, war Stammesgebiet, ihr Gebiet.

Die Landschaft ist der Orient eines Karl May: idyllisch und unerschlossen, warm und gleichzeitig wehrhaft. Windschiefe Lehmhäuser mit weißgekalkten Fensterumrandungen schmiegen sich an steil aufragende Felswände, die nach Südwesten hin zu stattlichen Gebirgszügen werden. Dazwischen die grobsteinigen Geröllmäander, jene berühmten Wadis, die höchstens einmal im Jahr Wasser führen und in der trockenen Zeit die fehlenden Straßen ersetzen. Fremde haben keine Chance, unentdeckt zu bleiben. Wenn sich etwas bewegt, wird das sofort bemerkt und gemeldet. Selbst die autoritäre Zentralregierung aus Sanaa kann sich in diesem Teil des Landes nur mit Hilfe ihres Militärs durchsetzen. Die ganze Region wird durch ein komplexes Gerüst aus Abhängigkeiten und Loyalität zusammengehalten, das jeden mit jedem verbindet. So entsteht ein soziales Gefüge, das in anderen Teilen der Welt seit Jahrhunderten der Vergangenheit angehört. In sich ist dieses System stimmig und konsequent, für die Gemeinschaft vielleicht sogar die einzige Möglichkeit zu überleben, doch bei genauerem Hinsehen offenbart es seinen archaischen Charakter und seine innewohnende Brutalität. Denn zugleich ist es ein gut kombiniertes Wehrsystem: Feinde werden auf Abstand gehalten, Gästen hingegen bietet es Versorgung und Schutz.

Ein solcher Gast, ein im US-Bundesstaat New Mexico geborener Mann mit arabischen Wurzeln, der bereits seit vielen Jahren jene Obhut der Clans und Stämme genoss, trat am Morgen des 30. September vor die Tür des überwachten Gebäudes. Sein Name: Anwar al-Awlaki, ein Führungsmitglied al-Qaidas, auch bekannt als »bin Laden des Internets«.

Seit Monaten hatte er das Haus nicht verlassen – aus gutem Grund. Der Vierzigjährige war bereits im Mai desselben Jahres auf eine Weise gewarnt worden, die er unmöglich missverstehen konnte: dem Versuch, ihn mit einer Drohne zu töten. Damals verfehlte die Rakete nur knapp ihr Ziel und schlug auf der Ladefläche seines Pick-ups ein; im brennenden Fahrzeug konnte er gerade noch entkommen. Er kannte also sein Risiko und handelte deshalb meist sehr vorsichtig. Warum er an jenem Tag dennoch ins Freie trat, bleibt unklar. Ein Clantreffen ist denkbar, möglicherweise eine Zusammenkunft zur Planung neuer Projekte und Strategien, vielleicht aber auch nur eine Hochzeitseinladung bei Verwandten oder noch schlichter: einfach einmal das Haus verlassen, um den mild-warmen Septembertag in den Gebirgsausläufern an der alten Weihrauchstraße zu genießen. Wer sich über Monate verstecken muss, wird schließlich auch als bekennender Asket auf eine harte Prüfung gestellt – das Risiko zu relativieren wäre daher nur allzu menschlich.

Am anderen Ende des Globus, im Örtchen Langley bei Washington, löste Awlakis Schritt nach draußen hektische Betriebsamkeit aus. Trotz nachtschlafender Stunde eilten immer mehr Personen in die zuständige Operationszentrale im Hauptquartier des CIA. Der fensterlose Raum im Herzstück des größten und mächtigsten amerikanischen Geheimdienstes, vollgestopft mit Monitoren und modernster Kommunikationstechnik, verwandelte sich innerhalb von Sekunden vom eintönigen Beobachtungsstand zur hektischen Kommandozentrale. Die Befehle waren zwar schon lange erteilt und abgesegnet, die Abläufe bekannt und trainiert, aber dennoch war die Anspannung in jener Nacht mit Händen zu greifen. Was nun in Bewegung kam, war keine Routineoperation mehr, es war der letzte Akt einer fast zweijährigen Jagd, die sich ihrem Ende näherte.

Als sich die Fahrzeuge mit Awlaki und seiner Entourage an Bord in Bewegung setzten, blieben ihm seine Verfolger per Satellitenüberwachung dicht auf den Fersen. Über staubige Straßen und ausgetrocknete Wadis fuhren die Pick-ups in Richtung Schabwah, der Stammprovinz des Verfolgten. In Langley wurde währenddessen rasch der nächste Schritt angeordnet: Zwei mit Hellfire-Raketen bewaffnete Drohnen des Typs Predator, die sich bereits im Luftraum befanden, wurden an die fahrenden Autos herangeführt und ergänzten von nun an die Überwachung aus dem All. Zusätzlich näherten sich auch Kampfjets als Reserve, um das gewünschte Ziel keinesfalls zu verfehlen.

Die Bilder, welche die unbemannten Flugzeuge auf die Monitore der Piloten brachten, waren glasklar. Das Multispektral-Zielsystem, das im vorderen Rumpfteil der Drohne eingebaut ist, kombiniert eine hochauflösende Tageslichtkamera mit einem Infrarotsensor, einem Röntgenbildverstärker und einer Laserbeleuchtung. Dunkelste Nacht, morgendlicher Nebel oder das grüne Dach eines Palmenhains – nichts böte dem Konvoi Awlakis Schutz vor den Augen seiner Verfolger. Selbst die Nummernschilder der Autos würden die Optiken der Drohnen noch aus mehreren Kilometern Höhe erkennbar machen. Doch darum ging es zu dieser Stunde schon längst nicht mehr.

Ein vager Augenzeuge, ein angeblicher Bekannter eines Clanchefs aus der Region, wird später berichten, dass er Awlaki und seine Begleiter noch beim Picknick in der Wüste beobachtet habe. Sie seien gerade beim Essen gewesen, als sie plötzlich das helle Brummen der Drohnen am Himmel über sich bemerkt hätten. Sofort seien sie zu ihren Autos gestürmt und geflohen.

In der Operationszentrale der CIA wechselten sich da nur noch Statusmeldungen und Befehle ab. Die Analysten standen im Hintergrund, nun waren die Techniker dran. Die Piloten begannen damit, die beiden Drohnen in ihre letzte Position zu lenken – Maximalhöhe, um unentdeckt zu bleiben, war jetzt nicht mehr nötig. Als die beiden »Raubvögel« ihre optimale Kampfentfernung erreicht hatten, markierte ein Waffensystemoffizier das Fahrzeug Awlakis mit dem Laserzielgerät und gab auf Befehl des Operationsleiters um 9.55 Uhr Ortszeit per Knopfdruck die erste Rakete des unbemannten Fliegers frei. Zwei Sekunden später starben Anwar al-Awlaki und drei seiner Begleiter, darunter ein Terrorverdächtiger namens Samir Khan, im Feuerball ihres zerberstenden Autos. Um ganz sicherzugehen, wurden zwei weitere Raketen abgefeuert.

Die Drohnenpiloten von Langley ließen ihre beiden Predators noch einige Male über das zerstörte Fahrzeug kreisen. Doch die »Wirkaufklärung«, das sogenannte »Battle Damage Assessment«, war eindeutig: In dem rauchenden Wrack konnte niemand überlebt haben. Später zogen Dörfler aus den umliegenden Weilern die Leichname der Getöteten aus dem zerschossenen Auto und begruben sie noch am selben Tag nach islamischem Brauch. Im CIA-Hauptquartier in Virginia war da bereits der Schichtwechsel in der Operationszentrale erfolgt: Das Team, das die Operation geleitet und durchgeführt hatte, war nach Hause gefahren. Eine lange Nacht und eine fast zweijährige Jagd waren damit zu Ende gegangen. Zwei Welten gingen wieder auf Abstand.

In der Sprache der Geheimdienste war Anwar al-Awlaki so etwas wie der Leiter der »Abteilung für aktive Maßnahmen« von al-Qaida: ein eloquenter Propagandist und geschickter Verführer. In ausgewählten Fällen kümmerte er sich sogar persönlich um seine Anhänger und verleitete sie zum Morden. Auf YouTube und Facebook betrieb er eine ganze Reihe von islamistischen Propagandaseiten mit selbstgedrehten Filmen, in denen er Muslime, vor allem in den Vereinigten Staaten, an ihre heilige Pflicht erinnerte: Ungläubige zu töten, wo immer sie welche träfen.1 Die Bedrohung, die dabei von Awlaki ausging, waren keine Bomben oder Sprengstoffgürtel, sondern seine Sprache. Da er in den USA aufgewachsen war und deren Bildungseinrichtungen genossen hatte, wusste er genau, wie er zu argumentieren und zu reden hatte, um Unzufriedene und Fehlgeleitete anzustacheln. Er erreichte seine willigen Helfer über das Internet. Mit Hilfe der Spaß- und Werbeportale gelang ihm unter anderem die Rekrutierung des Attentäters von Fort Hood, des US-Majors Nidal Malik Hasan. Der Truppenpsychologe mit palästinensischen Wurzeln erschoss in einem Amoklauf im November 2009 dreizehn Soldaten auf dem texanischen Stützpunkt, wofür ihm die Todesstrafe droht. Auch die geistige Leitung des sogenannten »Unterhosen-Bombers«, Omar Faruk Abdulmutallab, der am ersten Weihnachtstag desselben Jahres ein vollbesetztes Linienflugzeug in Detroit sprengen wollte, und die des verhinderten Times-Square-Bombers Faisal Shahzad vom Mai 2010 gingen auf Awlakis Konto.

Der US-Jemenit Awlaki war zweifelsfrei einer der führenden Köpfe der auf der Arabischen Halbinsel aktiven al-Qaida (AQAP).2 Er verleitete Glaubensbrüder zum Morden und erklärte dies zur religiösen Pflicht, die jeder Muslim erfüllen müsse. Er tat dies in der typischen Terminologie der Dschihadisten, an die...


Lindemann, Marc
Marc Lindemann, *1977, ist Politologe und war 2005 und 2009 als Nachrichtenoffizier für die Bundeswehr in Afghanistan. 2010 erschien sein Buch 'Unter Beschuss – Warum Deutschland in Afghanistan scheitert', mit dem er es auf Anhieb in die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Heute arbeitet Marc Lindemann als Journalist und Medienberater in Berlin.

Marc Lindemann, geboren 1977, ist Politologe und war 2005 und 2009 als Nachrichtenoffizier für die Bundeswehr in Afghanistan. 2010 erschien sein Buch "Unter Beschuss - Warum Deutschland in Afghanistan scheitert", mit dem er es auf Anhieb in die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Heute arbeitet Marc Lindemann als Journalist und Medienberater in Wien.



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