E-Book, Deutsch, 196 Seiten, Format (B × H): 148 mm x 210 mm
Lin-Klitzing / Di Fuccia / Gaube Bildungsgerechitgkeit und Gymnasium
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7815-5594-5
Verlag: Verlag Julius Klinkhardt GmbH & Co. KG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 196 Seiten, Format (B × H): 148 mm x 210 mm
Reihe: Gymnasium – Bildung – Gesellschaft
ISBN: 978-3-7815-5594-5
Verlag: Verlag Julius Klinkhardt GmbH & Co. KG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
„Bildungsgerechtigkeit – eine Illusion?“ So betitelt Helmut Fend die Nachbetrachtung seiner LifE-Studie im vorliegenden
Band; „Chancengerechtigkeit in der Bildung: Was ist wünschenswert? Was ist möglich?“ fragt der Österreicher Hans Pechar. Und Axel Bernd Kunze pointiert „Bildungsgerechtigkeit als Beteiligungsgerechtigkeit“. Neben diesen
grundlegenden Positionsbestimmungen und empirischen Analysen wird im vorliegenden Band vor allem die Frage „Wie ,bildungsgerecht’ ist das Gymnasium?“ aus der Sicht der Philosophie, Erziehungswissenschaft, Hochschulforschung, pädagogischen Psychologie, Soziologie und Schulpraxis diskutiert. Die Herausforderung ist und bleibt dringlich.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Susanne Lin-KlitzingDavid Di FucciaThomas Gaube(Hrsg.)Bildungsgerechtigkeitund Gymnasium;1
2;Titelei;2
3;Impressum;5
4;Inhaltsverzeichnis;6
5;Susanne Lin-Klitzing, David Di Fuccia, Thomas Gaube: Vorwort der Herausgeberin und der Herausgeber;8
6;Einführung;10
7;Susanne Lin-Klitzing: Bildungsgerechtigkeit als Herausforderung. Eine Einführung;12
7.1;Bildungsgerechtigkeit und Gymnasium;12
7.2;Bildungsgerechtigkeit – was ist das?;13
7.3;Bildungsgerechtigkeit – eine Illusion?;16
7.4;Bildungsgerechtigkeit und Migration;18
7.5;Fazit;20
8;Bildungsgerechtigkeit und Gymnasium;22
9;Jürgen Rekus: Der Beitrag des Gymnasiums zur Bildungsgerechtigkeit;24
9.1;1 Einleitung;24
9.2;2 Was ist Bildungsgerechtigkeit?;24
9.3;3 Bildungsgerechtigkeit als „Right to Education“ und „Educational Equity“;25
9.4;4 Rolle und Funktion des Gymnasiums;27
9.5;5 Fazit;29
9.6;Literatur;30
10;Werner Wiater: Schülerinnen und Schüler auf die Wissensgesellschaft vorbereiten: Bildungsgerechtigkeit in der Schule 4.0;31
10.1;1 Einführung;31
10.2;2 Wissensgesellschaft, nicht Wissenschaftsgesellschaft;31
10.3;3 Globalisierung als Kennzeichen der Wissensgesellschaft;33
10.4;4 Digitalisierung als Kennzeichen der Wissensgesellschaft;34
10.5;5 Erwartungen an die Kompetenzen der Arbeitskräfte in der Wissensgesellschaft;34
10.6;6 Bildungsgerechtigkeit in Zeiten der Wissensgesellschaft;36
10.7;Literatur;39
10.8;Internetquellen;40
11;Bildungsgerechtigkeit – was ist das?;42
12;Stefan Gosepath: Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit aus philosophischer Sicht;44
12.1;1 Einleitung;44
12.2;2 Erziehung oder Sozialisation der Jugend als eine Sphäre der Gerechtigkeit;45
12.3;3 Drei Ebenen der Erziehung;47
12.4;4 Welche Art von Chancengleichheit?;52
12.5;5 Fazit;58
12.6;Literatur;58
13;Axel Bernd Kunze: Bildungsgerechtigkeit als Beteiligungsgerechtigkeit;59
13.1;1 Einleitung;59
13.2;2 Inwiefern ist Bildung ein sozialethisches Thema?;60
13.3;3 Wie kann Bildungsgerechtigkeit als Beteiligungsgerechtigkeit verstanden werden?;61
13.4;4 Was umfasst ein Menschenrecht auf Bildung?;63
13.5;5 An welchen Konfliktpunkten trennen sich bildungsethische Entwürfe?;66
13.6;6 Inwiefern verfehlt eine überschießende Interpretation der Menschenrechte ihr Ziel?;70
13.7;7 Ausblick;76
13.8;Literatur;77
14;Hans Pechar: Chancengerechtigkeit in der Bildung;79
14.1;1 Einleitung;79
14.2;2 Chancengerechtigkeit – zur Problematisierung meritokratischer Verteilungsgerechtigkeit;82
14.3;3 Kritische Diskussion des Matthäus-Effekts;84
14.4;4 Drei Strategien zur Reduktion von Ungleichheit;87
14.5;5 Fazit;90
14.6;Literatur;90
15;Bildungsgerechtigkeit – eine Illusion?;92
16;Helmut Fend: Bildungsgerechtigkeit – eine Illusion? Eine Nachbetrachtung zur LifE-Studie;94
16.1;1 Einleitung;94
16.2;2 Befunde der LifE-Studie zur Bildungsgerechtigkeit;95
16.3;3 Nachbetrachtungen;107
17;Steffen Schindler und Pia König: Mehr Abiturienten – weniger Bildungsungleichheit?;113
17.1;1 Einleitung;113
17.2;2 Ungleichheit beim Erreichen des Abiturs oder der Studienberechtigung;114
17.3;3 Soziale Ungleichheit unter den Abiturientinnen und Abiturienten;122
17.4;4 Fazit;125
17.5;Literatur;128
17.6;Datenquelle;128
18;Bildungsgerechtigkeit und Migration;130
19;Janna Teltemann: Migration und Bildungsgerechtigkeit – Konsequenzen für die Gesellschaft;132
19.1;1 Einleitung;132
19.2;2 Determinanten des Bildungserfolgs von Migrantinnen und Migranten;134
19.3;3 Bisherige Befunde zum Zusammenhang von Bildungssystemen und Ungleichheit;140
19.4;4 Quasi-längsschnittliche Analysen mit Querschnittsdaten;141
19.5;5 Daten und Modellierung;144
19.6;6 Ergebnisse;147
19.7;7 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen;151
19.8;Literatur;152
19.9;Anhang;156
20;Hartmut Esser: Der Beitrag der Schule zur Integration von Migrantenkindern: Schwierigkeiten, Chancen und die Bedeutung der Gymnasien;164
20.1;1 Einleitung;164
20.2;2 Ethnische Differenzen;165
20.3;3 Effekte der Differenzierung;170
20.4;4 Der Übergang auf das Gymnasium;173
20.5;5 Fazit;180
20.6;Literatur;181
21;Fazit;184
22;Heinz-Peter Meidinger: Bildungsgerechtigkeit – Anmerkungen zu einem „fuzzy concept“;186
22.1;1 Einleitung;186
22.2;2 Was ist Bildungsungerechtigkeit?;186
22.3;3 Folgerungen für die Eingriffstiefe von Politik;187
22.4;4 Der „Schwarze Peter“ wurde von der Bildungspolitik bereitwillig aufgenommen;188
22.5;5 Mit mehr Kitaplätzen zu mehr Bildungsgerechtigkeit?;189
22.6;6 Grundsätzliche Besonderheiten von Gerechtigkeitsvorstellungen im Bildungsbereich;191
22.7;7 Abitur für alle als Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit?;192
22.8;8 Einfluss genetischer Faktoren als bildungspolitisches Tabuthema;193
22.9;9 Mit mehr individueller Förderung zu mehr Bildungsgerechtigkeit?;194
22.10;10 Ungleiche Bildungschancen und Schulstrukturen;194
22.11;Literatur;195
23;Autorenspiegel;196
24;Rückumschlag;198
Jürgen Rekus
Der Beitrag des Gymnasiums zur Bildungsgerechtigkeit (S. 23-24)
1 Einleitung
Regelmäßig werden Autofahrerinnen und Autofahrer von der Reifenindustrie daran erinnert, witterungsgerechte Reifen an ihre Fahrzeuge zu montieren. Besonders im Herbst wird auf die gesetzliche Regelung aufmerksam gemacht, dass eine wintergerechte Bereifung Vorschrift sei. Gemeint ist, dass die Reifen, mit denen man herumfährt, den anstehenden Witterungsbedingungen „gerecht“ werden sollen. Anders formuliert: Die Reifen sollen den Anforderungen, die im Winter an sie gestellt werden, entsprechen. Es geht mit anderen Worten um eine Passung von Reifen und Witterung im Hinblick auf die Erreichung bestimmter Fahrziele. Die Passung lässt sich empirisch leicht feststellen. Durch verschiedene Prüfungen lässt sich ermitteln, ob die Reifen tatsächlich witterungsgerecht für das Fahrzeug sind. 2 Was ist Bildungsgerechtigkeit?
Der Leser dürfte bereits ahnen, dass mit dieser Einleitung eine Analogie zur Schule angebahnt wird. In der Tat ist es so, dass die jeweils besuchte Schulform den Bildungsanforderungen der Schülerinnen und Schüler gerecht werden soll. Auch hier geht es um eine Passung von Bildungsangebot und Bildungsmöglichkeit im Hinblick auf die Erreichung von Bildungszielen. Auch diese Passung ist empirisch leicht feststellbar. Durch Prüfungen lässt sich ziemlich gut ermitteln, ob die Schulform tatsächlich bildungsgerecht für das Schulkind ist.
Den Ausdruck „Witterungsgerechtigkeit“ hat zwar noch niemand mit größerer Wirkmächtigkeit geprägt, aber grammatisch wäre er eine richtige Wortbildung. Aus dem Verb „gerecht werden“ im Sinne von „entsprechen“ lässt sich das Substantiv „Gerechtigkeit“ im Sinne von „Entsprechung“ bilden. Man kann dieses Wortspiel mit vielen Nomen unternehmen und erhält viele lustige Wortschöpfungen: Geschmacksgerechtigkeit von Kaffee, Klimagerechtigkeit von Outdoorjacken, Transportgerechtigkeit der Deutschen Bahn, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei all diesen Gerechtigkeiten kommt freilich kein vernünftiger Mensch auf die Idee, den Begriff „Gerechtigkeit“ als ethische Kategorie aufzufassen. Bei dem Ausdruck „Bildungsgerechtigkeit“ liegen die Verhältnisse streng genommen genauso, aber hier ist dann Schluss mit lustig. Ob eine Schulform den Bildungsmöglichkeiten und -ansprüchen von Schülerinnen und Schülern gerecht wird, d.h. ihnen entsprechen kann, hat zwar auch wenig mit dem rechtsphilosophischen Begriff der Gerechtigkeit zu tun. Aber der bildungspolitische Diskurs läuft erstaunlicherweise mit großer Erregung anders.
Unter Berufung auf die Menschenrechtserklärungen der Vereinten Nationen werden im Zeichen der Bildungsgerechtigkeit die gegenwärtigen Schulreformen durchgeführt. Dabei wird die eigentlich naheliegende Differenzierung nach Leistung als „Selektion“ bezeichnet und als höchste Form schulischer Ungerechtigkeit gebrandmarkt. Schülerinnen und Schüler sollen unter dem Diktat der Bildungsgerechtigkeit stattdessen länger gemeinsam lernen. Offenbar haben US-amerikanische High-School-Konzepte, aber auch die ehemalige Polytechnische Oberschule der DDR Modellcharakter für neue deutsche Gemeinschaftsschulkonzepte. Dabei soll das Gymnasium nicht mehr wie bisher eine parallele Schulform ab Klasse 5 sein, sondern sich allenfalls als Ergänzung nach Klasse 10 verstehen, die allen offensteht.
Ist es das, was die Vereinten Nationen anmahnen? Wird so die vermeintliche Forderung nach Bildungsgerechtigkeit eingelöst? Werden reduktionistische Schulreformen mit Zielvorgaben eingefordert, die jeder erreichen kann? Werden tatsächlich eine Nivellierung der Ansprüche und konsequente Zusammenfassung der verschiedenen Schularten und -formen zu einer Schule für alle propagiert? Gilt die Parole: Länger gemeinsam zum kleinsten gemeinsamen Nenner?