E-Book, Deutsch, Band 1, 224 Seiten
Reihe: Gialli
Liegener Unten auf dem Haus
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-347-28774-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 224 Seiten
Reihe: Gialli
ISBN: 978-3-347-28774-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
B-P Liegener Arzt und Anglist, Philogoge und Philanthrop, vor allem aber glücklichster Ehemann der ihm bekannten Welt. Geboren, aufgewachsen und meistens wohnhaft in der Stadt des Bären. Ja, in Berlin. Sprache und Sprachen sind für ihn eine ewig sprudelnde Quelle staunender Entdeckungen. In seinen Büchern versucht er, ein kleines Stück seiner Begeisterung weiterzugeben.
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1. Kapitel
Der Tatort
Ja, sie erinnerte sich gut an den König. Nicht mehr an die erste Begegnung, damals irgendwann Anfang der Achtziger, als sie endlich in die Mordkommission versetzt worden war.
Er musste wohl nett zu ihr gewesen sein, das war er immer gegenüber jungen Frauen. Nein, das war ungerecht! Er war immer nett zu allen Kollegen, insbesondere zu den neuen.
Er hatte ihr mit ein paar einleitenden Worten ihren Arbeitsplatz gezeigt, sie hatte sich mit den Akten vertraut gemacht und sich ins `Paperwork´ gestürzt. Kriminalhauptkommissar König hatte eine Vorliebe für Fremdwörter. Nicht nur Anglizismen, sondern Abtrünnige aus allen möglichen Sprachen, die es sich bei uns bequem gemacht hatten, durchsetzten seine Sprache.
Ach ja – es sah so aus, als hätte auch sie sich über die Jahre seine verschrobene Sprechweise zu eigen gemacht. Zumindest in Gedanken redete sie jetzt gerade wie er. Das hätte ihm Freude gemacht. Sie musste lächeln.
Vor allem deshalb konnte sie sich an die erste Begegnung nicht erinnern, weil sie ihr bedeutungslos erschienen war. Er selbst war ihr bedeutungslos erschienen. Uninteressant und uninteressiert, ein Sesselpupser, der ganz offenbar keine rechte Freude bei seiner Arbeit empfand.
Tatsächlich war das Beantworten von Nachfragen zu alten gelösten und ungelösten Fällen nicht sonderlich aufregend, das Schreiben von Berichten war auch nicht gerade das, was man sich unter spannender Polizeiarbeit vorstellte. Immerhin war es für sie als Anfängerin nicht ganz falsch, den Ermittlungsverlauf und die Aufklärung so manchen Mordes nachzuvollziehen. Wie ein Krimi las sich das allerdings nicht.
Aber dann kam ihr erster gemeinsamer Fall. Wenn sie spontan auch nicht hätte sagen können, in welchem Jahr das gewesen war, so konnte sie sich ansonsten doch an jedes Detail dieses Spätsommertages genau erinnern. Es war, als sei es gerade gestern – nun, vielleicht auch eher vorgestern gewesen:
Der Radiowecker zeigte genau halb fünf, als das Telefon viel zu früh seine Funktion übernahm.
»Benson«, raunte sie mürrisch in die Sprechmuschel. Warum hatte sie das blöde Gerät bloß neben ihrem Bett stehen wie diese übereifrigen Inspektoren, Kommissare und Detektive in den Krimiserien? Sonst hätte sie es vielleicht überhören können, möglicherweise auch einfach ignorieren. Es war noch so furchtbar früh. Zu spät!
»Stehen sie auf, Benson und ziehen sich an! Ich hole Sie in einer Viertelstunde ab. Wir haben einen Fall!« Das war nicht die Stimme des angeödeten Kommissar König, die sie in den letzten Wochen kennengelernt hatte. Das war Energie, das war Schwung und Dynamik, das war, ja, ganz klar: Das war der König!
Sie fuhr sich mit der Hand über ihr Gesicht und versuchte wenigstens einen Teil seines durch das Telefon geschwappten Elans zu nutzen, um ihren halbwachen Körper aus dem Bett zu bekommen. Nur kurz drehte sie die Dusche auf kalt, womit es ihr gelang den größten Teil des Schlafes aus ihren Gliedern zu spülen.
Die Zweifel, ob sie den richtigen Beruf gewählt hatte, blieben allerdings, bis sie mit nur noch leicht feuchten Haaren auf dem Beifahrersitz von Königs rentnerfarbigem Golf saß. Eine Kurzhaarfrisur hatte Vorteile, wenn man keine Zeit zum Föhnen hatte.
Seine strahlend braunen Augen sprühten, sein Kinn hatte plötzlich einen fast kantigen Ausdruck. Und hatte der Meckischnitt seines kurzen schwarzen Haares gestern beinahe noch dazu verleitet ihm über den Kopf zu wuscheln, so machte es jetzt den Eindruck, als würde dieselbe Geste einem unweigerlich einen elektrischen Schlag versetzen.
»Benson, es geht los! Kennen Sie sich mit Studentenverbindungen aus?«
»Studentenverbindungen? Gibt es so was überhaupt noch?«
»Gut, dann ist es für uns beide etwas Neues«, grinste König, während er aus der Hubertusallee in die holprige Seitenstraße einbog, in der sich durch Blaulicht unübersehbar markiert der Tatort befand.
Untersberg war eine vornehme Wohngegend, in der es keine ärmlichen Hütten gab. Aber dieses Haus wirkte wie der Hahn im Hühnerhaufen, wie ein Diamant unter Halbedelsteinen. Ein wirkliches Juwel, eine herrschaftliche Villa, gebaut aus dunkelgelben Ziegeln. Zierliche Erker und Türmchen lockerten die Fassade auf, in Blei gefasste Butzenscheiben verliehen den Fenstern des Hochparterres einen elegant-nostalgischen Anstrich und eine geschwungene Freitreppe führte hinauf zu einer von Pilastern eingerahmten massiven Eichenholztür. Portal war ein Begriff, der ihr passend erschien. Daneben prangte ein Wappen mit Helm und wallendem Federbausch darauf, darüber eine Fahnenstange mit schlaff herabhängendem Banner. Ein kleines Schloss.
Am Kopf der Treppe erwartete sie ein uniformierter Beamter.
»Guten Morgen, Herr Kommissar! Sie werden es nicht glauben, aber wir haben eine Leiche im Keller.«
Er schien König zu kennen, denn dies traf genau seine Ader für etwas schrulligen Humor. Dass er ihr keinerlei Beachtung zukommen ließ, ärgerte sie schon ein bisschen. Umso mehr freute sie sich über die gutgelaunte Antwort des Kommissars:
»Werner, Werner! So früh am Morgen schon so voller Esprit und so arm an Galanterie. Darf ich Ihnen Frau Benson vorstellen, meine neue Mitarbeiterin?«
»Oh, Verzeihung! Weber, Polizeiobermeister Werner Weber.« Da es noch nicht so recht hell war, konnte man das leichte Erröten eher hören als sehen. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Herzlich willkommen im Team, äh, will sagen…« Was er sagen wollte, schien er nicht zu wissen, denn er drehte sich um, öffnete die schwere Holztür und ließ sie ein in ein großzügiges Foyer.
Zwei Kleiderständer, zwei Reihen Garderobenhaken. Platz für viele Mäntel. Durch die weißen Felder der Buntglasfenster blitzte permanent das Blaulicht des Streifenwagens seine Unruhe in die behäbige Atmosphäre. In die hintere Ecke der geräumigen Vorhalle mündete ein schlecht beleuchteter Flur. Eine Treppe, deren dunklem Holz man das Knarren von Jahrhunderten oder wenigstens Jahrzehnten förmlich anzusehen glaubte, führte nach oben, eine steinerne nach unten ins Souterrain. Der strapazierfähige dunkelgrüne Teppich, der auf den Stufen beider Treppen verlegt war, glich dem des Flures und des Vorraumes, in dem sie jetzt standen, und verlieh dem Ensemble den Anstrich eines herrschaftlichen Palastes.
»Am besten, Sie kommen mit nach unten und sehen es sich selber an. Es ist etwas, nun, etwas ungewöhnlich. Wenn man bei Mord überhaupt jemals von gewöhnlich reden kann.«
»Nein«, antworte König, »gewöhnlich kann man bei einem Mord nicht von gewöhnlich reden.«
Sie sah von Weber zu ihrem Vorgesetzten. Der grinste breit, legte ihnen beiden eine Hand auf die Schulter und gemeinsam begaben sie sich hinab in die Tiefen des Verbindungshauses. Eine derart vertrauliche Geste war sie nicht von ihm gewohnt, aber es ging etwas Väterliches davon aus, etwas Gemeinschaft Schaffendes und etwas Beruhigendes. Erst später wurde ihr klar, wie gut es ihr tat, ihrer ersten Leiche nicht allein begegnen zu müssen.
Weber hatte Recht gehabt: Alles war etwas ungewöhnlich. Oder wenigstens fast alles.
Am Fuß der Treppe meinte sie zunächst, in einen englischen Pub geraten zu sein: Ein polierter Tresen mit lackiertem Holzaufbau, an dem oben die Gläser hingen, bestimmte das Bild. Davor ein paar Barhocker, an der Wand zwei Spiegel mit aufgedruckter Bierreklame, ein gerahmtes Schwarzweißfoto des Hauses, das sie gerade betreten hatten, dessen Gelbstich sein würdevolles Alter beweisen wollte und wieder das Wappen, das sie an der Eingangstür gesehen hatte. In seiner Mitte prangte ein Zeichen aus verschlungenen Buchstaben mit einem Ausrufezeichen dahinter.
Zwei unauffällige Türen mit eindeutigen Piktogrammen ließen keinen Zweifel an der Funktion der dahinter liegenden Räume. Eine eher schwere Holztür mit eingelassener Rauchglasscheibe trug in gusseisernen Frakturbuchstaben die Aufschrift `Chargenzimmer´.
Das alles konnte man vielleicht noch als gut ausgestatteten Partykeller durchgehen lassen. Der eigentliche Tatort lag aber hinter einer zurzeit offenstehenden breiten Schiebetür: Der riesige holzgetäfelte Raum, der als Kulisse jedem Mantel- und Degenfilm Ehre gemacht hätte, eigentlich eher ein Saal als ein Raum, roch nach verschüttetem Bier und kaltem Rauch. Ein paar leere und halbleere Biergläser auf der langen uförmigen Tafel, Flecken und Brandlöcher auf und in der weißen Papierdecke, übervolle Aschenbecher und niedergebrannte Kerzen in silbernen Ständern zeugten davon, dass hier ein echtes Saufgelage in zumindest anfangs stilvollem Ambiente stattgefunden haben musste. Und mitten in diesem Saal lag, beleuchtet durch das Schummerlicht eines Dutzends heruntergedimmter gelblicher Wandlampen, ausgestreckt ein Mann in...




