E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Lewis Pardon, ich bin Christ
23. 1. Auflage unter dem neuen Fontis-Label 2016
ISBN: 978-3-03848-778-4
Verlag: Fontis
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Neu übersetzt zum 50. Todestag von C. S. Lewis
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-03848-778-4
Verlag: Fontis
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Dieser Longseller ist seit der deutschen Herausgabe vor 40 Jahren zu einem Klassiker zum Thema „Argumente für den Glauben“ geworden. Höchst logisch und mit kraftvoller Bildhaftigkeit begegnet der „Narnia“-Erfinder Lewis dem Vorurteil, man müsse den Verstand über Bord werfen, um heute noch Christ zu sein.
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1. Das Gesetz der menschlichen Natur
Jeder hat schon einmal Leute miteinander streiten hören. Manchmal hört sich das ulkig an, manchmal auch nur unangenehm. Aber egal, wie es sich anhört: Ich glaube, wir können etwas sehr Wichtiges lernen, wenn wir genau hinhören, was da so alles gesagt wird. Da hört man Sätze wie diese: «Wie würde dir das gefallen, wenn jemand so mit dir umgehen würde?» – «Das ist mein Platz, ich war zuerst hier.» – «Lass ihn doch in Ruhe, er hat dir doch überhaupt nichts getan.» – «Wie kommen Sie dazu, sich so einfach vorzudrängeln?» – «Gib mir was von deiner Apfelsine ab, ich habe dir ja auch von meiner abgegeben.» – «Komm schon, du hast es versprochen.» Solche Sachen sagen die Leute jeden Tag, egal, ob es gebildete oder ungebildete Leute und ob es Kinder oder Erwachsene sind.
Was ich an all diesen Bemerkungen interessant finde, ist, dass derjenige, der so etwas sagt, damit nicht bloß ausdrückt, dass das Verhalten der anderen Person ihm nicht gefällt. Sondern er beruft sich auf irgendeinen Verhaltensmaßstab und geht davon aus, dass dieser auch der anderen Person bekannt ist. Und die Antwort des anderen darauf lautet nur in den seltensten Fällen: «Steck dir deinen Maßstab sonst wohin.» Stattdessen versucht er fast immer, plausibel zu machen, dass sein Verhalten in Wirklichkeit gar nicht gegen den Maßstab verstoße, oder wenn doch, dass es irgendeine besondere Entschuldigung dafür gebe. Er zieht irgendeinen besonderen Grund herbei, warum in diesem speziellen Fall die Person, die zuerst auf dem Platz saß, ihn nicht behalten sollte. Oder er sagt, die Situation sei ja eine ganz andere gewesen, als er ein Stück von der Apfelsine abbekam. Oder es sei irgendetwas dazwischengekommen, weshalb er nun sein Versprechen nicht mehr halten müsse.
Es sieht also ganz danach aus, dass beide Seiten eine Art Gesetz oder irgendwelche Regeln über Fairness und Anstand oder eine Moralvorstellung im Kopf haben, wie auch immer man es nennen will, über die sie sich im Grunde einig sind. Und das sind sie auch. Wäre das nicht der Fall, so könnten sie natürlich miteinander kämpfen wie Tiere, aber sie könnten nicht im menschlichen Sinne des Wortes miteinander streiten. Streiten heißt, dass man dem anderen zu beweisen versucht, dass er im Unrecht ist. Und das wäre ja ein ziemlich sinnloses Unterfangen, wenn nicht eine gewisse Einigkeit darüber bestünde, was eigentlich Recht und was Unrecht ist. Es hätte ja auch keinen Sinn, einem Fußballer zu sagen, dass er ein Foul begangen hat, wenn man sich nicht über die Spielregeln beim Fußball grundsätzlich einig wäre.
Dieses Gesetz oder diese Regeln über Recht und Unrecht nannte man früher das Naturrecht. Das ist nicht zu verwechseln mit den «Naturgesetzen» wie der Schwerkraft oder der Vererbung oder den Gesetzen der Chemie. Die alten Denker hingegen meinten, wenn sie das Gesetz von Recht und Unrecht «Naturrecht» nannten, im Grunde das Gesetz der menschlichen Natur. Ebenso wie alle physikalischen Körper dem Gesetz der Schwerkraft und alle Organismen den biologischen Gesetzen unterliegen, so der Gedanke, unterlag auch das Geschöpf namens Mensch seinem Gesetz – nur mit einem großen Unterschied: Ein Körper konnte sich nicht aussuchen, ob er dem Gesetz der Schwerkraft gehorchte oder nicht. Ein Mensch hingegen konnte wählen, ob er dem Gesetz der menschlichen Natur gehorsam oder ungehorsam war.
Wir können das noch anders ausdrücken. Jeder Mensch unterliegt in jedem Augenblick mehreren verschiedenen Arten von Gesetzen, aber nur bei einem einzigen davon hat er die Freiheit, ihm ungehorsam zu sein. Als physikalischer Körper unterliegt er der Schwerkraft, gegen die er sich nicht wehren kann. Lässt man ihn mitten in der Luft los, so kann er sich genauso wenig wie ein Stein aussuchen, ob er fallen will oder nicht. Als Organismus unterliegt er verschiedenen biologischen Gesetzen, gegen die er ebenso wenig ausrichten kann wie ein Tier. Das heißt, den Gesetzen, die er mit anderen Dingen gemeinsam hat, kann er nicht ungehorsam sein. Das Gesetz jedoch, das allein seine menschliche Natur betrifft und das er nicht mit Tieren oder Pflanzen oder unbelebten Dingen gemein hat, ist das einzige, dem er ungehorsam sein kann, wenn er will.
Dieses Gesetz wurde Naturrecht genannt, weil die Leute meinten, jeder Mensch kenne es von Natur aus und müsse es nicht erst beigebracht bekommen. Damit meinten sie natürlich nicht, dass man nicht hier und da einen seltsamen Kauz finden könne, der es nicht kennt. Schließlich stößt man ja auch gelegentlich auf Leute, die farbenblind sind oder kein Ohr für Melodien haben. Aber auf die Menschheit als Ganzes gesehen, war man der Meinung, eine gewisse Vorstellung von anständigem Verhalten müsse für alle offensichtlich sein. Und ich glaube, damit hatte man recht. Wäre das nicht so, dann wären all die Dinge, die wir über den Krieg gesagt haben, nichts als Unsinn. Was hätte es für einen Sinn, zu sagen, dass der Feind im Unrecht war, wenn das Recht nicht etwas wirklich Vorhandenes wäre, was die Nazis im Grunde genauso gut kannten wie wir und woran sie sich hätten halten müssen? Hätten sie keine Ahnung gehabt, was wir mit Recht meinen, dann hätten wir wohl immer noch gegen sie kämpfen müssen, aber wir hätten ihnen dafür genauso wenig einen Vorwurf machen können wie für ihre Haarfarbe.
Ich weiß, manche Leute sagen, die Vorstellung eines Naturrechts oder eines von allen Menschen anerkannten anständigen Verhaltens sei nicht schlüssig, weil es in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedliche ethische Vorstellungen gegeben habe.
Aber das stimmt nicht. Es gab zwar durchaus ethische Unterschiede, aber von einer völligen Verschiedenartigkeit kann keine Rede sein. Wenn jemand sich die Mühe machen will, die Sittenlehren, sagen wir, der alten Ägypter, Babylonier, Hindus, Chinesen, Griechen und Römer miteinander zu vergleichen, dann wird er staunen, wie ähnlich sie einander und unserer eigenen Sittenlehre sind. Einige Belege dafür habe ich im Anhang eines anderen Buches namens zusammengetragen. Für unsere augenblickliche Fragestellung brauche ich meine Leser jedoch nur zu bitten, einmal zu überlegen, was eine völlig andersartige Sittenlehre bedeuten würde.
Stellen Sie sich ein Land vor, in dem man Bewunderung dafür erntet, dass man im Kampf die Flucht ergreift, oder in dem man stolz darauf ist, gerade die Leute, die einen besonders freundlich behandeln, aufs Kreuz zu legen. Genauso gut könnte man versuchen, sich ein Land vorzustellen, in dem zwei und zwei fünf ergibt. Es hat zwar immer unterschiedliche Auffassungen darüber gegeben, welchen Menschen gegenüber man sich selbstlos verhalten sollte – ob nur gegenüber den eigenen Angehörigen, gegenüber den eigenen Landsleuten oder gegenüber allen. Aber man war sich immer einig, dass man nicht immer nur auf den eigenen Vorteil aus sein sollte. Selbstsucht wurde noch nie bewundert. Es gab unterschiedliche Meinungen darüber, ob ein Mann eine Frau haben darf oder vier. Aber es herrschte immer Einigkeit darüber, dass er nicht einfach jede Frau haben kann, die ihm gefällt.
Das Bemerkenswerteste aber ist Folgendes. Immer wenn Sie jemanden treffen, der behauptet, er glaube nicht daran, dass es Recht und Unrecht wirklich gibt, werden Sie feststellen, dass derselbe Mensch das im nächsten Atemzug zurücknimmt. Vielleicht bricht er ein Versprechen, das er Ihnen gegeben hat, aber wenn Sie versuchen, ein Versprechen ihm gegenüber zu brechen, wird er sich im Nu beklagen: «Das ist nicht fair!» Eine Nation kann sagen, Verträge seien ohne Belang; doch im nächsten Moment wird sie sich verplappern und sagen, der Vertrag, den sie zu brechen gedenkt, sei ohnehin ungerecht. Aber wenn Verträge ohne Belang sind und es so etwas wie Recht und Unrecht in Wirklichkeit gar nicht gibt – mit anderen Worten, wenn ein Naturrecht nicht existiert –, wo liegt dann der Unterschied zwischen einem gerechten und einem ungerechten Vertrag? Haben sie damit nicht die Katze aus dem Sack gelassen und bewiesen, dass sie das Naturrecht im Grunde genauso gut kennen wie alle anderen?
Wie es scheint, müssen wir uns also der Tatsache stellen, dass es Recht und Unrecht wirklich gibt. Es kann zwar vorkommen, dass Leute sich in ihrem Urteil darüber irren, wie es ja auch vorkommt, dass Leute Rechenfehler machen. Aber Recht und Unrecht sind genauso wenig eine Frage des Geschmacks oder der Meinung wie das Einmaleins.
Wenn wir uns darüber nun einig sind, komme ich zu meinem nächsten Punkt, nämlich dem folgenden: Niemand von uns hält das Naturrecht wirklich ein. Sollte es unter Ihnen Ausnahmen geben, so bitte ich um Entschuldigung. Wen das betrifft, der sollte lieber ein anderes Buch lesen, denn nichts von dem, was ich hier sagen werde, ist für ihn von Belang.
Und nun zu den gewöhnlichen Sterblichen, die verblieben sind: Ich hoffe, Sie verstehen das, was ich jetzt sagen werde, nicht falsch. Ich will Ihnen keine Predigt halten und mich schon gar nicht als etwas Besseres hinstellen als andere Leute. Ich möchte nur auf eine Tatsache aufmerksam machen, nämlich die Tatsache, dass wir selbst es in diesem Jahr, in diesem Monat oder höchstwahrscheinlich an diesem Tag schon versäumt haben, das Verhalten zu praktizieren, das wir von anderen Leuten erwarten.
Natürlich haben wir vermutlich alle möglichen Entschuldigungen. Als Sie neulich so ungerecht zu den Kindern waren, da waren Sie einfach übermüdet. Und diese etwas zwielichtige Geldangelegenheit – die, die Sie schon fast vergessen haben – spielte sich ab, als Sie gerade ziemlich in der Klemme saßen. Und Ihr Versprechen gegenüber dem alten Soundso, das Sie nie eingelöst haben – nun, Sie...




