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Leuschner / Knüsel | Ein Leben, drei Welten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 544 Seiten

Leuschner / Knüsel Ein Leben, drei Welten

Dagyab Rinpoche aus Tibet
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-83625-1
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Dagyab Rinpoche aus Tibet

E-Book, Deutsch, 544 Seiten

ISBN: 978-3-451-83625-1
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In Tibet als uneheliches Kind einer Magd geboren, aufgefunden als Wiedergeburt eines der ranghöchsten geistlichen Oberhäupter des Landes, aus der Familie gerissen und einer strengen Ausbildung unterworfen - so vollzieht sich die Kindheit Dagyab Kyabgön Rinpoches. 1959, nach dem Einmarsch Chinas, flieht er im Gefolge des Dalai Lama nach Indien. Im Hinterzimmer einer Gaststätte, mit dem Dalai Lama in dessen Residenz Tee trinkend, so verbringt er die ersten Jahre in seinem »zweiten Leben«. Sein »drittes Leben« findet im Westen statt. 1966 beginnt er in Deutschland seine Tätigkeit als Tibetologe an der Universität Bonn. Als buddhistischer Lehrer wird er weltweit wirken. In dieser Biografie erzählen Sabine Leuschner und Annette Knüsel Dagyab Rinpoches außergewöhnliches Leben.  Mit bislang unveröffentlichten historischen Fotografien.

Sabine Leuschner ist seit 1984 Schülerin von Dagyab Rinpoche und Mitarbeiterin in seinen Zentren.
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Weitere Infos & Material


Buddhas können und werden überall präsent sein.

Sie können sich absichtlich, für unseren Bedarf, verkörpern.[1]

TIBET


1935 bis 1959


1. Das Kind


Der Osten Tibets liegt auf durchschnittlich viertausend Metern Höhe, oberhalb der Baumgrenze. Jahrtausendelang zog etwa die Hälfte der Bevölkerung als Nomaden mit ihren Viehherden durch die weitläufigen Wiesen der Hochebenen. Die anderen lebten zumeist als Bauern und Handwerker in kleinen Dörfern aus massiven Steinhäusern an tieferliegenden Berghängen und in den Tälern. Im östlichsten Teil Khams*, der bis 1959 an die chinesische Provinz Sichuan grenzte und ihr danach einverleibt wurde, liegt Minyak*, eine fruchtbare Gegend am Fuße des heiligen Bergs Minya Konka (7556 m).

Dort, im Sommerzelt einer Bauernfamilie, inmitten der Viehherde auf dem Berg, war am 27. Juli 1940 ein ganz besonderer Junge geboren worden, der einmal viele Namen tragen wird: Tsering Wangden, Ngawang Losang Tenzin Chökyi Gyaltsen, Lama* Loden Sherab, Kyabgön* von Dagyab, Nomonhan* Hothogthu* Tulku* – einer der höchsten Würdenträger Tibets. Die Wege seines Lebens werden ihn durch die ganze Welt führen, und er wird auf dem Rücken eines Yaks genauso selbstverständlich sitzen wie hinter dem Steuer eines Autos, auf hohen Thronen* ebenso wie auf dem Bürostuhl vor dem Laptop. Ob in Brokatgewändern oder Jeans, Mönchsrobe oder Anzug, ob im Hochhaus in einer Metropole oder in einem traditionellen Stoffzelt, er wird immer authentisch sein, dabei ebenso bodenständig wie wandelbar. Durch sein Wissen und seine innere Qualität wird er zu einem hochgeachteten buddhistischen Lehrer heranreifen. Er wird mit der gleichen Gelassenheit in Palästen, Zelten und kleinen, feuchten Kammern leben. Erfahrene Lehrer Tibets sagen über ihn, sein Geist sei so weit wie der Himmel, grenzenlos.

Mitte der 1930er Jahre war das Leben der Landbevölkerung in Minyak zwar einfach und arbeitsreich, gleichzeitig aber geruhsam und zumeist von innerer Zufriedenheit, die in einer tiefen Religiosität wurzelte, geprägt. Die Menschen pflegten einen wohlwollenden, gelassenen Umgang miteinander. Bauern trotzten der kargen Landschaft das Nötige zum Leben ab, Handwerker stellten aus Leder, Holz und Wolle die einfachen Gegenstände des alltäglichen Bedarfs her. Bei fahrenden Händlern konnte man die eigenen Erzeugnisse gegen Güter wie Tee, Salz und Eisenwaren eintauschen. In einer Welt ohne Motoren erfüllten Tiere die Transport- und Arbeitsfunktionen. Die Bevölkerung ging mit den knappen Ressourcen sorgsam um und verwertete alles, was die Natur und ihre Herden gaben. Aufgrund dieses Wirtschaftens im Einklang mit der Natur hatte es in Tibet nie eine Hungersnot gegeben.

Die Nomadentochter


Die Mutter des Jungen stammte aus dem Nomadengebiet Nangkor, aus der Familie Sumdo. Ihr Name Sönam Lhamo bedeutet „verdienstvolle Göttin“. Zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern lebte sie in einem der typischen weitläufigen Zelte, deren hölzerne Gestänge binnen weniger Stunden zusammengefügt und mit den schweren, aus den langen Deckhaaren des Schwarzviehs* dicht gewebten Stoffbahnen zu einer wetterfesten Behausung gemacht werden konnten. Von oben betrachtet wirkten die Zelte der verschiedenen Familien wie kleine, schwarze Würfel, die zufällig in die Landschaft gestreut waren. Jedes Zelt stand für sich, umringt von einer Herde, bestehend aus Yak, Dri, Dzo und Dzomo, dazu vielleicht einige Ziegen und Schafe und ein paar mächtige Hunde, vor denen alle Respekt hatten. Tagsüber blieben sie angekettet, nachts liefen sie frei herum, um Fremde abzuhalten.

In der Mitte des Zelts gab es eine Öffnung, durch die Dämpfe und Rauch des darunter stehenden steinernen Herdes abziehen konnten. Um ihn herum spielte sich das Familienleben ab. Hinter dem Herd befand sich der Altar, rechts und links davon schliefen Sönam Lhamo, ihre Eltern und Geschwister, am äußeren Rand wurden die bescheidenen Besitztümer, Kleidung und Töpfe, gelagert. An den Außenwänden zu beiden Seiten des Eingangs durften einige kleinere Tiere liegen: Zicklein, Lämmer, Kälber und kleine Hunde.

An der rechteckigen Kochstelle hatte Sönam Lhamo die Aufgabe, das Feuer zu erhalten, indem sie getrockneten Viehdung* nachlegte, um den kräftigen tibetischen Tee zu kochen, der den ganzen Tag über verfügbar war und, mit Butter, Salz und Milch versetzt, viel Energie für die Arbeit in der dünnen Höhenluft lieferte. Oft genug zog der Rauch des Feuers nicht durch die Öffnung ab, sodass die Luft im Zelt stickig und beißend war. Dafür war es warm, selbst wenn die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt fielen. Wenn es draußen zu kalt oder zu nass war, versammelte sich die Familie im Zelt. Rechts und links des Ofens lagen Decken und Teppiche aus, auf denen man sich niederließ. Abends richtete sich jeder seinen Platz zum Schlafen. Die Kleider ließ man an oder verwendete sie zum Zudecken, nicht nur im Winter. Wenn es sehr kalt war, ließ man auch einige größere Tiere als lebende Heizung im Zelt schlafen.

Wie alle Nomadenfamilien lebten auch die Sumdos mit und von ihren Tieren, die umfassend verwertet wurden. Die kräftigen Hochlandrinder machten den Wohlstand der Familie aus und dienten auch als Reit- und Transporttiere. Die Dris und Dzomos gaben Milch, aus denen Sönam Lhamo und ihre Schwestern Butter und Käse machten. Das feinere Unterfell der Tiere wurde ausgekämmt, die Wolle zu Garnen und Filz weiterverarbeitet. Sönam Lhamo hatte gelernt, aus dem handgesponnenen Garn Stoffe zu weben. Aus der Haut gerbte man Leder für Schuhe, Sättel und Taschen unterschiedlicher Größe, aus den Knochen wurde Suppe gekocht oder Ritualgegenstände wie etwa Perlen für Gebetsketten geschnitzt, das Fleisch wurde durch Lufttrocknung haltbar gemacht. Was über den Eigenbedarf hinausging, verkaufte der Vater auf den Märkten im Tal. Im Gegenzug brachte er von dort alle Waren mit, die sie nicht selbst herstellen konnten, wie Tee, Salz und Gerste, Messingtöpfe und Waffen. Manchmal reichte es auch für Türkise und andere Schmuckstücke.

Sönam Lhamos Familie war früher recht wohlhabend gewesen, dank ihrer großen Herde hatte sie ein gutes Auskommen gehabt. Doch durch räuberische Banden hatten sie viel Vieh verloren und mühten sich seitdem, über die Runden zu kommen. Ähnlich erging es vielen Nomadenfamilien in der Region. Als die chinesischen Kuomintang*-Truppen 1929 durch den äußersten Osten Tibets gezogen waren, hatten viele einen beträchtlichen Teil ihres Schwarzviehs verloren, und die kleineren Tierbestände konnten nicht mehr den ganzen Clan ernähren.

Daher war Sönam Lhamo, die jüngste der sieben Kinder, nicht die einzige Nomadentochter, die sich nach einer Arbeit umgesehen hatte, um ein Zubrot zu verdienen. Als eines Tages eine wohlhabende Geschäftsfrau durch das Grenzgebiet reiste, hörte sie von der tüchtigen Nomadentochter, die in allen Haushaltsdingen sehr geschickt war, und bot ihr eine Stellung an. Die Siebzehnjährige verabschiedete sich binnen kurzem von ihrer Familie und schloss sich einer kleinen Handelskarawane an, die über die steile Passstraße hinunter ins enge Tal nach Dartsedo zog.

Dartsedo (chin. Kangding)* liegt auf etwa zweitausendsechshundert Metern Höhe, am Zusammenfluss der Flüsse Dar und Tse, in einem tiefen Kessel zwischen den Bergen. Zu bestimmten Tageszeiten befinden sich die Häuser vollständig im Schatten, vor allem im Winter, wenn die Sonne tief steht. Die Bevölkerung der belebten Handelsstadt zwischen Sichuan und Kham bestand etwa je zur Hälfte aus Chinesen und Tibetern. Auf dem Markt wurden Naturalien und Handwerkskunst aus Tibet gegen Waren aus China und noch ferneren Ländern gehandelt.

In der Grenzstadt angekommen, ging Sönam Lhamo mit staunenden Augen durch die Straßen. Eine Stadt wie diese hatte sie noch nie gesehen: Häuser aus Lehm und Holz reihten sich dicht an dicht aneinander. Die Straßen zwischen ihnen erschienen ihr eng, sie waren ohne Bewuchs, glatte Flächen festgetretenen Lehms. Bisher war sie gewohnt, immer weit blicken zu können. In einem Nomadenzelt war es ziemlich dunkel, doch draußen lockte die weite Landschaft. Wie es wohl war, in einem Stadthaus zu wohnen?

Die junge Frau sah eine lange Teekarawane durch die Straße ziehen. Sie sah die elendig und abgemagert aussehenden Träger mit ihren schweren Lasten auf dem Rücken und erinnerte sich daran, was man sich unter den Nomaden erzählte: Reiche Chinesen würden bis zu hundert Kinder von armen Familien kaufen und sie wie Sklaven behandeln, schlimmer als Tiere. Diese Menschen hatten nicht einmal Schuhe und trugen die dreifache Last von Packeseln auf ihrem Rücken. Jeder hatte einen Stock dabei und ein Tuch umgebunden, in dem etwas Maisbrot steckte, ihr einziger Proviant. Um sich kurz Erleichterung zu verschaffen konnten sie den Stock unter ihr Teeziegelpaket stellen. Die Nomadentochter fand es entsetzlich, wie schlecht diese Träger behandelt wurden.

Wie auch andere Handelswaren wurde Tee meist von Maultieren durchs Land getragen. Tee stellte in ganz Tibet ein wichtiges Zahlungsmittel dar. Die getrockneten Blätter wurden zu Teeziegeln gepresst. Dadurch waren sie haltbar und leicht zu transportieren. Zwölf Teeziegel, in groben Stoff oder nasses Leder geschnürt, ergaben wiederum zusammen einen Teekoffer, achtzig mal achtzig mal zwanzig Zentimeter groß und etwa dreißig Kilogramm schwer. Am Ende eines...


Knüsel, Annette
Annette Knüsel ist seit 2001 Schülerin von Dagyab Rinpoche. Von 2006 bis 2009 war sie Gründungsmanagerin des Tibethaus Deutschland.

Leuschner, Sabine
Sabine Leuschner ist seit 1984 Schülerin von Dagyab Rinpoche und Mitarbeiterin in seinen Zentren.

Sabine Leuschner ist seit 1984 Schülerin von Dagyab Rinpoche und Mitarbeiterin in seinen Zentren.
Annette Knüsel ist seit 2001 Schülerin von Dagyab Rinpoche. Von 2006 bis 2009 war sie Gründungsmanagerin des Tibethaus Deutschland.



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