E-Book, Deutsch, Band 3, 522 Seiten
Reihe: Ein Fall für Pater Jeremy
Lessmann Der Sündenhof
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-306-7
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman | Ein Fall für Pater Jeremy 3 - Fesselnde historische Spannung für Fans von Ellis Peters
E-Book, Deutsch, Band 3, 522 Seiten
Reihe: Ein Fall für Pater Jeremy
ISBN: 978-3-98952-306-7
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sandra Lessmann, geboren 1969, lebte nach ihrem Schulabschluss fünf Jahre in London. Zurück in Deutschland studierte sie in Düsseldorf Geschichte, Anglistik, Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaften. Anschließend arbeitete sie am Institut für Geschichte der Medizin; ein Thema, dass sie ebenso wie ihre Englandliebe in ihre historischen Romane einfließen ließ. Die Website der Autorin: www.sandra-lessmann.de Bei dotbooks veröffentlichte Sandra Lessmann ihre historischen Romane »Die Spionin der Krone« und »Die Kurtisane des Teufels« sowie ihre historische Krimireihe rund um »Pater Jeremy«.
Autoren/Hrsg.
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Erstes Kapitel
Februar 1667
Er war allein. Die nächtliche Stille, die ihn umgab, wurde nur vom Knistern des Feuers im Kamin durchbrochen. Seit Stunden schon stand er am Fenster und sah auf die Themse hinaus, die sich träge durch die schlafende Stadt wand. Die Dunkelheit hüllte alles so vollkommen ein, dass man den Fluss hinter den Glasscheiben, auf denen sich die tanzenden Flammen spiegelten, kaum mehr erahnen konnte. Doch er war ohnehin blind für seine Umgebung. Vor seinem inneren Auge stand das Objekt seiner Sehnsucht, der Stachel im Fleisch des Liebenden: La Belle Stewart. Er sah ihr Gesicht mit den edlen Zügen, ihr vollkommenes Profil, das bald als Britannia die Rückseite der neuen Münzen schmücken würde. Nur sie war dessen würdig, die keusche, betörend schöne Jungfrau, mit einer Haut wie Milch und Honig, einem Körper voller Grazie ... und einem Herzen aus Eis!
Er seufzte tief, und seine Züge verhärteten sich. Es war ein markantes dunkles Gesicht mit schwarzen Augen unter schweren Lidern, einer kräftigen Nase und einem starken Kinn. Dunkle Brauen beschatteten die Augen, und ein schmaler Oberlippenbart verlieh den groben Zügen eine gewisse Eleganz. Die schwarzen Locken einer Perücke umrahmten das Gesicht, in das Schmerz und Enttäuschung tiefere Linien gegraben hatten. So mancher Betrachter hätte es als hässlich bezeichnet.
Im Geiste liebkosten seine Hände den schlanken Frauenkörper, der für ihn unerreichbar blieb. Er hatte sie mit Geschenken und Aufmerksamkeiten überhäuft, ihr alles angeboten, alles – nur nicht die Ehe. Nun ahnte er, dass er sie verlieren würde. Es brach ihm das Herz. Zuweilen hasste er sie sogar.
Das leichte Kratzen von Fingernägeln an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. »Jetzt nicht!«, rief er gereizt.
Die Tür öffnete sich, und der Kammerdiener William Chiffinch trat, den Befehl seines Herrn missachtend, ein.
»Verzeiht, Euer Majestät, aber es ist etwas Schreckliches geschehen!«
»Was ist so wichtig, dass du mich zu dieser Stunde noch stören musst?«
»Ein Mord, Euer Majestät! Man hat im Palast eine Leiche gefunden.«
Der Tote war mit einem eilig herbeigeholten Bettlaken zugedeckt worden. König Charles II. gab Chiffinch ein Zeichen, das Laken anzuheben. Wortlos betrachtete er den übel zugerichteten Leichnam, dann nickte er und wandte sich ab.
»Wer hat ihn gefunden?«
Sein Bruder James, Herzog von York, antwortete mit gepresster Stimme: »Eine der Wachen. Er kam sofort zu mir.« »Hat sonst noch jemand den Toten gesehen?« »Nicht, dass ich wüsste.«
»Er kann hier nicht liegenbleiben. Bringt ihn in einen unbenutzten Raum und bewacht die Tür«, befahl Charles dem Gardisten, der die Leiche gefunden hatte. »Niemand darf erfahren, dass es im Palast einen Mord gegeben hat. Die Königin und die Hofdamen würden sich nur ängstigen.«
»Gleichwohl muss der Mörder überführt werden«, mahnte James.
Sein Bruder nickte zustimmend. »Ich werde die Ermittlungen jemandem überlassen, der absolut vertrauenswürdig ist.« »Wem?«
»Sir Orlando Trelawney.«
James hatte keine Einwände.
Der König blickte ihn eindringlich an. »Geh zu Bett! Ich kümmere mich um alles.«
Charles wartete, bis sich sein Bruder entfernt hatte. Dann wandte er sich an seinen Kammerdiener, der zusammen mit dem Gardisten den Leichnam in das Laken wickelte.
»Chiffinch, für dich habe ich eine besondere Aufgabe.«
Der Geruch der eben gelöschten Kerze hing noch in der Luft. Sir Orlando Trelawney, Richter des Königlichen Gerichtshofs, schmiegte seine Wange an die duftende Haut seiner Frau Jane und lauschte ihren gleichmäßigen Atemzügen. Nach dem Nachtmahl hatte sie sich nicht recht wohl gefühlt, doch nun schlief sie so ruhig, als gäbe es keine Sorgen auf der Welt. Darum beneidete er sie. Je weiter die Zeit fortschritt, desto schwieriger wurde es für ihn, einzuschlafen. Zuweilen lag er noch lange wach, so wie an diesem Abend, und betrachtete ihr schmales Gesicht, das so zerbrechlich wirkte und so gar nicht zu den schwellenden Brüsten und dem prallen Leib passen mochte. Seit dem Moment, da sie ihm gestanden hatte, dass sie schwanger war, lebte er in der ständigen Furcht, dass ihr oder dem Kind etwas zustoßen könnte. Seine erste Gemahlin war nach einer Fehlgeburt gestorben, und er gab sich die alleinige Schuld daran. Sein sehnlicher Wunsch, Kinder zu haben, hatte seine arme Beth frühzeitig ins Grab gebracht. Er wollte auf keinen Fall erleben, dass es Jane ebenso erging. Ängstlich beobachtete er sie, ob sie wohlauf war, fragte sie immerzu nach ihrem Befinden und umsorgte sie wie eine Glucke ihr Küken. Einmal die Woche schickte er nach seinem Freund Dr. Fauconer, damit er Jane untersuchte und Sir Orlando bestätigte, dass alles in Ordnung war. Dann erst gelang es dem Richter, ein wenig gelöster zu schlafen, denn er hatte uneingeschränktes Vertrauen in die Fähigkeiten des Arztes. Immerhin hatte dieser ihn einst von einer schweren Krankheit geheilt, als er von anderen Ärzten bereits verloren gegeben worden war. Wenn jemand sein Kind gesund auf die Welt bringen konnte, dann Dr. Fauconer! Sir Orlando verband eine außergewöhnliche Freundschaft mit diesem Mann, der nicht nur Arzt und Gelehrter, sondern auch katholischer Priester und Jesuit war. Da im protestantischen England die Ausübung des römischen Glaubens verboten war, arbeiteten die Priester, denen dem Gesetz nach die Todesstrafe drohte, unter falschem Namen im Verborgenen und hielten die heilige Messe für ihre Gläubigen in Privathäusern ab. So war auch Fauconer nicht der richtige Name seines Freundes. Manchmal erschien es dem Richter seltsam, dass er nicht wusste, wie der Mensch, dem er am meisten vertraute, in Wirklichkeit hieß, doch es war ihm nie wichtig gewesen.
Der langersehnte Schlaf begann Sir Orlando Trelawney endlich einzuhüllen, als ein Geräusch ihn hochfahren ließ. Jemand hämmerte unten an das Hauptportal. Sofort war der Richter hellwach. Wenn jemand zu dieser späten Stunde Einlass begehrte, musste es sich um etwas Wichtiges handeln. Vorsichtig erhob er sich aus dem Bett, bemüht, seine Gemahlin nicht zu wecken, doch da öffnete Jane auch schon die Augen.
»Wohin geht Ihr?«, fragte sie verschlafen.
»Da ist jemand an der Tür. Ich muss nachsehen, was er will.« Er verzichtete darauf, die Kerze anzuzünden, und tastete im Dunkeln nach seinem Schlafrock. In diesem Moment wurde an der Tür zum Gemach gekratzt, und der Kammerdiener des Richters sah herein.
»Was gibt es, Malory?«
»Ein Bote des Königs ist gekommen, Mylord. Seine Majestät wünscht Euch zu sprechen.«
»Gut, sag ihm, ich bin gleich da. Und dann hilf mir beim Ankleiden.«
Der Diener nickte und verschwand.
»Was mag der König um diese Zeit von Euch wollen?«, fragte Jane verwundert.
»Ich hoffe, es handelt sich nicht um eine Staatskrise.«
»Ob die Holländer gelandet sind?«
Sir Orlando setzte sich auf die Bettkante und nahm die Hand seiner Frau, um sie zu beruhigen. »Selbst wenn es so wäre, bräuchtet Ihr keine Angst zu haben, meine Liebste.«
»Wann wird der König diesen unseligen Krieg endlich beenden? Wie sollen wir uns auf Dauer zweier so mächtiger Gegner wie Frankreich und Holland erwehren?«
»Macht Euch darüber keine Gedanken. Ihr dürft Euch in Eurem Zustand nicht aufregen. Überlasst die Sorge über den Krieg den Staatsdienern.«
Sir Orlando streichelte zärtlich ihre Wange. »Ich weiß nicht, wie lange ich wegbleiben muss. Ich werde nach Dr. Fauconer schicken, damit Ihr nicht allein bleibt.«
Sie lächelte, was er in der Dunkelheit nur erahnen konnte. »Glaubt mir, es geht mir gut. Ein paar Wochen wird es noch dauern, bis meine Zeit kommt.«
Er erhob sich vom Bett. »Ich bestehe darauf, meine Liebe. Vor ein paar Stunden habt Ihr noch über Unwohlsein geklagt. Und ich habe keine Ahnung, welchen Auftrag Seine Majestät für mich hat. Vielleicht zieht sich die Angelegenheit bis in den morgigen Tag hinein. Versteht doch, ich fühle mich einfach wohler, wenn ich Euch in guten Händen weiß.«
Sie hütete sich davor, ihm zu widersprechen, denn sie kannte seine Ängste. Als Malory erschien, zog sich der Richter mit dem Kammerdiener in den Ankleideraum nebenan zurück.
Wenig später rumpelte Sir Orlando Trelawneys Kutsche den Strand entlang, die Verbindungsstraße zwischen London und Westminster, vorbei an den Palästen des Adels aus dem vergangenen Jahrhundert, deren Gärten sich bis ans Ufer der Themse zogen. Nicht alle Hausbesitzer kamen ihrer Bürgerpflicht nach und hängten von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang eine Lampe über ihre Tür, und so war es nach Einbruch der Dunkelheit in den Straßen von London recht düster. Die Kutsche des Richters war mit zwei Laternen ausgestattet, und in mondlosen Nächten wie dieser ging gewöhnlich ein Lakai mit einer Fackel voraus, um dem Gefährt den Weg zu leuchten. Diese Aufgabe hatte an diesem Abend jedoch der voranreitende Gardist übernommen. Bei Charing Cross bogen sie in Richtung des White- hall-Palastes ab. Kurz darauf lenkte der Soldat sein Pferd durch das Palast-Tor in den Großen Hof und zügelte es vor dem Küchentrakt. Sir Orlando stieg aus seiner Kutsche und folgte ihm durch eine kleine Pforte ins Innere eines Gewirrs von Korridoren, Treppen und Zimmerfluchten, aus dem der alte Palast bestand. Über die Jahrhunderte hatte man immer neue Trakte an die bestehenden Gebäude angebaut, so dass Whitehall mehr und mehr einem verschachtelten Irrgarten glich. Trelawney wusste bald nicht mehr, wo sie sich befanden, und atmete auf, als der Gardist endlich vor einer Tür stehenblieb und mit der Hand darauf wies. Sir Orlando kratzte am Rahmen und trat ein, als eine Stimme ihn...




