Sechs Stunden für die Rettung der Welt
E-Book, Deutsch, 236 Seiten
ISBN: 978-3-17-042509-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Unveröffentlichte Funde aus Familienarchiven werfen ein neues Licht auf sein Familienleben. Hans-Erhard Lessing beschreibt die Lebensgeschichte des Jagdfreunds und Musterlandwirts und die wichtigsten Stationen der Firmen- und Technikgeschichte.
Boschs Manifest "Die Verhütung künftiger Krisen in der Weltwirtschaft" von 1932 enthält seine zentralen Grundsätze und Visionen für die Zukunft. Er bezeichnete es als seine bedeutungsvollste Publikation. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schlug er eine Arbeitszeitverkürzung auf sechs Stunden täglich vor. Der Text wird von Harald Hagemann volkswirtschaftlich eingeordnet.
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Vom Brauereigasthof »Zur Krone« nach Ulm
Albeck 1861
175 Kilometer südwestlich der alten Handelsstadt Nürnberg und zwölf Kilometer vor der Donaustadt Ulm liegt an der alten Handelsstraße zwischen beiden Städten am Rande des Städtchens Albeck das heute noch bewirtschaftete »Gasthaus zur Krone«. Die Lage des Braugasthofes war günstig, denn in Richtung Ulm war eine Anhöhe zu überwinden, weshalb die Fuhrleute ihre Pferde lieber hier ausspannten und in den Stall brachten, damit sie am nächsten Morgen ausgeruht und mit vorgespannten Pferden der »Krone« den Weg nach Ulm bewältigen konnten. Natürlich gehörte auch Landwirtschaft dazu mit 200 Morgen Acker und 50 Morgen Wald, 25 Stück Vieh und sechs bis acht Pferden, die auch zum Vorspannen gebraucht wurden. Außerdem wurde Bier gebraut und bis nach Ulm gefahren. Abb. 1:Das »Gasthaus zur Krone«, Geburtshaus von Robert Bosch in Albeck, 1931 Im Gasthaus wurde Robert Bosch am 23. September 1861 geboren und auf die Vornamen August Robert evangelisch getauft. Er war das vorletzte Kind der Kronenwirtsleute, deren Ältester zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet war und mit eigenen Kindern im ererbten Gasthof der Mutter im Nachbarort Jungingen wohnte. Das Gasthaus war seit dem Hungerjahr 1816/17, der globalen Klimakatastrophe nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora, für seine soziale Einstellung bekannt. Damals gab es eine Mittagsmahlzeit für die hungernden Ärmsten (Fischer-Bosch 1961). Zur gleichen Zeit hatte in Mannheim der studierte Forstbeamte Karl Drais versucht, die von Futterknappheit bedrohten Pferde durch das Zweirad zu ersetzen, und damit früh den modernen Individualverkehr angestoßen, der Robert Bosch groß machen sollte (Lessing 2003). Vater Servatius Bosch (1816–1880) war als Einzelkind und Halbwaise auf dem Bauernhof aufgewachsen. Robert Bosch erinnert sich: »In religiöser Hinsicht wurden wir sehr freisinnig erzogen. Wir wurden aber nicht in bestimmter Richtung beeinflusst, sondern man überließ es uns, uns eine Meinung zu bilden. Mein Vater war Freimaurer und überzeugter Demokrat. Als solcher war er ein Gegner Bismarcks und des Preußentums.« (Bosch 1921,3) Die absolute Rechtlichkeit des Vaters hatte diesem schon vor Jahren eine Dauerfehde mit dem Amtmann von Albeck eingebracht. Als er erfuhr, dass in einem anderen Wirtshaus einzig ein armer Besenbinder wegen Überschreitung der Polizeistunde eingesperrt worden war, ging er zur Frau des Büttels, verlangte die Schlüssel zum Gefängnis und befreite den Besenbinder. Dafür wurde er zu acht Wochen im württembergischen Gefängnis Hohenasperg verurteilt. Diese Niederlage wird ihn später in seinem Entschluss bestärkt haben, seinen Besitz zu verkaufen und die anders nicht aufkündbare Dorfgemeinschaft mit dem auf Lebenszeit gewählten Schultheißen zu verlassen. Abb. 2:Der Vater: Servatius Bosch und die Mutter, Margarethe Bosch, undatiert Die Mutter, Marie Margarethe, geborene Dölle (1818–1898), war als Einzelkind mit 14 Jahren vaterlos geworden, im Gasthaus »Zum Adler« im Nachbarort Jungingen aufgewachsen und früh auf sich allein gestellt. Mit neun Kindern und drei Kindstoden hatte sie zwölf Geburten zu überstehen. »Wir Kinder hingen an den Eltern, die uns Verständnis entgegenbrachten, obwohl in unserer Familie Zärtlichkeit nie zur Schau getragen wurde. Vater und Mutter waren auch in der Öffentlichkeit angesehen. Die Mutter war im Geschäft [...] außerordentlich tüchtig und tätig. [...] In meinem elterlichen Hause konnte man eine ganze und große Bauernhochzeit von Zinn speisen lassen. [...] Meine Mutter stand zu jeder Zeit in der Nacht auf, um den Fuhrleuten zu kochen, wenn sie spät noch kamen.« (Bosch 1921, 2) – oder um dem hustenden Robert mitten in der Nacht Malzbonbons zu machen. Hier zeigt sich der Ursprung des Geschäftssinns von Robert Bosch. Diese alltäglichen Dienstleistungen als Geschäftsvorgänge, dieses »Ich gebe, damit du gibst« bekommen nur Kaufmannskinder durch ständige Anschauung im Elternhaus eingeprägt und haben darin einen entscheidenden Vorteil gegenüber z. B. Beamtenkindern oder reinen Bauernkindern. In der Wirtsstube oder beim Ausfahren der Bierfässer mit dem Vater dürfte Bosch den Tausch von Ware gegen Geld täglich miterlebt haben. Auf der anderen Seite ist angesichts der oft beängstigenden Arbeitsbelastung – Fuhrleute auch nachts bekochen, Bauernhochzeiten ausrichten, Bier brauen und ausfahren, dazu noch die Landwirtschaft betreiben – die spätere Entscheidung der Wirtsleute gegen die weitere Plackerei und für den Verkauf des Anwesens verständlich. Abb. 3:Familie Bosch bei Roberts Einschulung Die Stellung als Nachkömmling in der Familie prädestiniert nicht gerade zur Entwicklung von Führungsqualitäten. Allzu oft steht man am Ende der Befehlskette von den Eltern über die Geschwister. Es gibt niemanden mehr, an den man Befehle weitergeben kann. Im Berufsleben wird man Schwierigkeiten haben, sich abzugrenzen und zu delegieren. Insofern war es ein Glücksfall, dass Robert mit der Geburt von Maria, dem neunten und letzten Kind, vier Jahre jünger, aus dieser Rolle befreit wurde. Nun gab es jemanden, den man anleiten konnte und damit die Last der elterlichen und der noch weitaus unsanfteren geschwisterlichen Zwänge relativieren konnte: Maria war – so gesehen – Roberts erster Lehrling, und als die Zeit reif war, fand der Jungunternehmer doch noch den Marschallstab im Tornister, wie die Napoleon-Metapher gemeinhin lautet. Als Spätgeborener war Robert nach heutigen Erkenntnissen der Familiendynamik zum Rebellen in der Familie und zum Erneuerer in der Gesellschaft prädestiniert. Beispiele aus der Wissenschaft sind Charles Darwin oder Kopernikus. Erstgeborene oder ältere Geschwister neigen dazu, sich mit den Eltern zu verbrüdern, indem sie sich beispielsweise als Ersatzeltern für die Jüngeren anbieten (Sulloway 1999). So könnte es auch in der »Krone« gewesen sein, als die älteren Brüder Karl und Albert die Ulmer Realschule besuchten und als Musterschüler glänzten. Aber es gab noch genügend weitere heimliche Erzieher: die Großmutter und die älteren Schwestern. Eine Begebenheit, an die sich Bosch bis ins hohe Alter erinnerte, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation aller Nachkömmlinge. Robert war beim Spielen in den Brunnentrog im Hof gefallen und behauptete nach seiner Befreiung, er sei hineingestoßen worden. Es scheint, als hätten die Eltern und die älteren Geschwister ihre rhetorische Überlegenheit hemmungslos eingesetzt, um ihn der Lüge zu überführen. Zur Strafe musste er den ganzen Tag im Bett bleiben (Heuss 1946). Ohnehin ist es die Grunderfahrung jedes Nachkömmlings, dass Eltern und ältere Geschwister sich über seinen Kopf hinweg blitzschnell mit Blicken, Gesten und Codewörtern verständigen und nicht die Geduld haben, dies dem Jüngsten noch einmal ausführlich zu erklären – schlechte Voraussetzungen für seine spätere Verhandlungskunst. Er spürt zwar vage, dass etwas nicht zu seinen Gunsten läuft, kann sich aber noch nicht richtig wehren. Die Folge ist ein enormes Verlangen nach verlässlichen Spielregeln, die nicht ständig mutwillig zum eigenen Nachteil geändert werden, und nach Bezugspersonen, denen man vertrauen kann. Robert Bosch wendete dies ins Positive und formulierte fünfzig Jahre später sein Geschäftsprinzip in der Werkszeitung so: »Lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir stets höher als ein vorübergehender Gewinn«. Und was Boschs spätere Verhandlungskunst betrifft, so gibt es die Bemerkung, er sei nicht in der Lage gewesen, zwei Tage hintereinander Verhandlungen zu führen (Pierenkemper 1987). Als Mitglied des Eisenbahnkomitees für die geplante Strecke Ulm–Aalen mit Anschluss nach Nürnberg erfuhr Servatius Bosch frühzeitig, dass der Ort Albeck nicht an der neuen Bahnstrecke liegen würde. Die Folgen für die Gastwirtschaft waren absehbar – keine Fuhrleute mehr – und für die reine Landwirtschaft gab es keinen Nachfolger, nachdem der zweitälteste Sohn Jakob 1864 an Lungenentzündung gestorben war. Alle Töchter wollten Städter heiraten, die jüngeren Söhne andere Berufe ergreifen. So entschlossen sich die Eltern, Hof und Gastwirtschaft zu verkaufen und 1869 als Rentiers in die nahe gelegene Stadt Ulm zu ziehen. Robert wurde noch ein Jahr in die Zwergschule in Albeck geschickt, dann sollte er gleich die Realschule in Ulm besuchen. Nach dem Verkauf des Anwesens und der Versteigerung des...