E-Book, Deutsch, Band 1, 283 Seiten
Leskovar Salzberggöttin
2023
ISBN: 978-3-8392-7620-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman aus der Hallstattzeit
E-Book, Deutsch, Band 1, 283 Seiten
Reihe: Renis, Tochter der Bergherrin
ISBN: 978-3-8392-7620-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Salzberggöttin bestimmt das Leben der Bergleute im Hochtal über dem See. Bergherrin Sina, ihr Mann Hiram und ihre Tochter Renis verwalten das Salz und kümmern sich um das Gleichgewicht mit der Göttin. Die Gemeinschaft bereitet sich auf das jährliche Bergfest vor und Renis freut sich über die Ankunft ihres Bruders Tolan, der in Begleitung eines Fremden von einer Reise aus dem Süden zurückkehrt. Doch während Renis dem Fremden näherkommt, schmiedet Tolan gefährliche Pläne. Da geschieht auf dem Fest ein folgenschweres Unglück.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2. Kapitel
Keuchend und verschwitzt blieben sie stehen. Sie waren auf den Steilhang oberhalb des Dorfes gelaufen, ohne auf dem schmalen Weg innezuhalten. Arnu schnappte nach Luft. »Solche Berge kennst du nicht aus deiner Heimat«, zog Renis ihn auf. Arnu packte sie am Arm und drehte sie lachend herum. »Sei nicht so frech!« Ihr Gesicht war plötzlich dicht vor seinem, und für einen Moment war ihm, als würde sie etwas sagen oder tun wollen, doch dann schüttelte sie seinen Arm ab und lief weiter. Einige Zeit folgte er ihr schweigend und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Da hörte er ein Geräusch, einen eigenartig hohen Ton. Er blieb stehen. »Was passiert dort oben?«, fragte er. Auch Renis war stehen geblieben und lauschte. Wieder war der feine Ton zu hören. »Die Totenflöte«, flüsterte Renis. »Komm!« Sie nahm Arnus Hand und zog ihn hinter sich her den schmalen Weg am Hang entlang, der zu dem Ort führte, an dem die Bewohner des Tals seit jeher ihre Toten begruben. Renis hatte ihm am ersten Tag nach seiner Ankunft davon erzählt, aber Arnu hatte bisher keinen Fuß dorthin gesetzt. Bald erreichten sie die ersten Gräber, auf denen Gestrüpp und niedrige Bäumchen wuchsen. Je weiter sie gingen, desto niedriger wurde der Bewuchs auf den Gräbern. Die Verstorbenen, die hier lagen, waren noch nicht lange tot. Arnu wurde seltsam zumute. In seiner Heimat waren Riten notwendig, bevor die Totenbezirke vor den Stadtmauern betreten werden durften. Hier lief man offenbar zwischen seinen Ahnen herum, wie es einem passte. Erst jetzt fragte er sich, wer wohl gestorben sein mochte. Plötzlich standen sie vor einer Gruppe von Frauen und Männern, die sich am Ende des Pfades versammelt hatte. Die Leute bildeten einen Halbkreis um ein frisch ausgehobenes, flaches Grab. Erde und Steine waren daneben aufgehäuft. Es muss schwer sein, in dieser steinigen Erde zu graben, dachte Arnu. Im Grab war deutlich die Form eines Körpers auszumachen, fest in eine bunt karierte Decke gewickelt. Irgendetwas Glänzendes lag auf dem Stoff, das Arnu nicht erkennen konnte. Bei den Füßen des Leichnams stand eine flache Schale. Darin befanden sich ein Brotfladen und ein paar kleine Äpfel. Ganz vorne am Grab sah er einige alte Frauen. Manche hatte Arnu schon oft in der Halle getroffen. Andere waren ihm von seinen Besuchen mit Renis bekannt. Die Frauen hatten sich sichtlich Mühe gegeben, sich rot zu kleiden. Einige trugen ein rotes Tuch um die Schultern, doch die meisten waren von Kopf bis Fuß rot angezogen. Alle hatten die Augen geschlossen und stießen kurze, schrille Schreie aus. Dazu ertönte die eigenartige Flöte. Am Rand der Versammlung stand ein großer Mann, der laut mit ein paar ineinandergehängten Ringen schepperte. Arnu widerstand mit Mühe dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten. Er spürte, wie er Gänsehaut bekam, und bedeutete Renis, dass er gehen wollte. Aber sie schüttelte den Kopf. »Sag mir wenigstens, wer gestorben ist«, forderte Arnu sie auf. Er musste laut sprechen und war froh, trotzdem von niemandem außer Renis beachtet zu werden. »Es ist Fulla«, antwortete Renis. »Sie war sehr alt und hat ihr Haus lange nicht mehr verlassen. Du hast sie nie getroffen.« Jetzt hielt der Mann statt der Ringe eine Trommel in der Hand und schlug sie, als wäre er besessen. Die rot gekleideten Frauen hörten auf zu schreien. Die Trommel verstummte. Mit einem Mal war es völlig still. Der Mann legte die Trommel auf den Boden. »Es ist Zeit, eine der Unseren der Erde zurückzugeben«, rief er. »Wir müssen darum bitten, dass sie angenommen wird von unserer Mutter!« Alle fingen zu singen an. Arnu war erstaunt, weil Renis nicht in den Gesang einstimmte. Stattdessen war nun sie es, die gehen wollte und sich abwandte. »Warum singst du nicht mit?«, fragte er, als sie einige Schritte gegangen waren. »Es ist nicht mehr üblich«, sagte sie, »und ich kenne das Lied nicht gut.« Er wollte nachhaken, was sie damit meinte, doch sie hob den Arm und winkte einer Gestalt, die weiter vorne zwischen den alten Gräbern stand. »Schau, da ist Hiram!« Ihr Vater winkte zurück und wartete, bis sie bei ihm waren. »Du warst bei Fullas Begräbnis?«, fragte Hiram erstaunt. Renis schüttelte den Kopf. »Wir waren zufällig in der Nähe. Ich wollte Arnu zeigen, was sie machen. Das ist einfacher, als es ihm zu erklären. Er will alles genau wissen.« Hiram lächelte Arnu zu. »Das ist gut. Er will uns verstehen. Das ist immer ein guter Anfang für lange Freundschaften.« Arnu verneigte sich vor Hiram. Er hatte tatsächlich immer noch Fragen. »War Fulla keine von euren Leuten?« »Doch, sie stammt aus einer der ältesten Familien hier«, sagte Hiram. »Aber die alten Familien verbrennen ihre Toten nicht, so wie wir das tun, das ist alles.« Renis verzog den Mund. »Das stimmt nicht ganz. Sie glauben auch, dass die Göttin sie nicht sicher geleitet, wenn sie ihr keine Gaben mitbringen. Wir wissen, dass das nicht stimmt.« »Wissen wir das wirklich?«, fragte Hiram und lächelte seine Tochter an. »Vater!«, rief Renis entrüstet. »Du hast ja recht, Kind. Aber sei nicht so streng.« Er hob die Hand zum Abschied und ging davon. Arnu sah ihm nach. »Dein Vater ist sehr freundlich.« Renis nickte. »Und er nimmt sich immer Zeit. Obwohl er viel zu tun hat. Vor allem jetzt vor dem Bergfest.« »Ich weiß. Tolan hat mir nicht viel über euch erzählt, aber vom Bergfest hat er unentwegt gesprochen. Er hat mich ohne jede Rücksicht über diese Berge getrieben, damit wir rechtzeitig hier sind.« »Und weil ihr viel zu früh hier wart, darfst du jetzt bei den Vorbereitungen helfen.« »Unter der Gastfreundschaft, von der dein Bruder immer gesprochen hat, habe ich mir etwas anderes vorgestellt.« Arnu schmunzelte. »Ich werde meinem Onkel sagen, dass du es nicht erwarten kannst, dich nützlich zu machen!« * Bereits am Tag seiner Ankunft war Arnu die riesige Holzkonstruktion ganz oben im Tal aufgefallen. Sie war vor langer Zeit zu einem einzigen Zweck errichtet worden: um das Bergfest abzuhalten. Sie wurde nur an diesen wenigen Tagen in ihrem eigentlichen Sinn benutzt. Die übrige Zeit diente sie als Lagerplatz, um Tiere anzubinden, oder im Sommer als Schlafplatz für Gäste, wenn es in den Häusern nicht genug Platz gab. Von unten sah sie ein wenig bedrohlich aus. Die eingezäunte Plattform stand ganz nah am hoch aufragenden Berg. Arnu hatte das Gefühl, nur einen Schritt machen zu müssen, um seinen Gipfel zu erreichen. Er drehte sich um. Wie jedes Mal stockte ihm der Atem. Der Anblick war überwältigend. Unter ihm lag das schmale Hochtal, auf beiden Seiten gesäumt von steilen Felswänden. Ganz unten war ein Zipfel des Sees zu erkennen, ein dunkler Fleck vor dem Hintergrund der Berge gegenüber. Die wahre Größe des Sees war von hier aus nicht zu erahnen. Weit unten zog ein Raubvogel seine Kreise. Arnu schloss die Augen und stellte sich vor, an seiner Stelle zu sein, über den See zu fliegen, den Wind unter den Flügeln zu fühlen, völlig frei. »Beeil dich, Fremder, das hier muss vor Einbruch der Nacht fertig werden, sonst bekommt meine Schwester Sina schlechte Laune.« Enuti kommandierte ihn gerne herum. Arnu nahm es gut gelaunt hin, vor allem, weil er jederzeit alles stehen und liegen lassen und sein Gastrecht beanspruchen konnte. Niemand würde ihm das übel nehmen. Alle anderen Leute behandelten ihn respektvoll und waren dankbar für seine Hilfe. Er würde sie ihnen nicht verweigern wegen eines einzelnen Griesgrams. Deshalb griff er, ohne zu antworten oder Enuti anzusehen, nach seiner Schaufel und versuchte weiter, die Holzbretter, auf denen er stand, vom Schmutz des letzten Jahres zu befreien. Alles musste sauber gemacht und ausgebessert werden. Die Plattform und der niedrige Zaun, der sie umgab, mussten in einwandfreiem Zustand sein. Hier würden die Wettkämpfe stattfinden. Enuti hatte Arnu mehr als einmal eingeschärft, aufmerksam alles zu entfernen, an dem die Wettkämpfer sich verletzen konnten. Er selbst war immer wieder für längere Zeit verschwunden und hatte, wenn er hier war, Anweisungen erteilt, ohne selbst anzupacken. Jetzt, am Ende des fünften Tages, waren sie fast fertig. Morgen würden die Kinder kommen, um den Zaun mit Blumen zu schmücken. Dann würde der Festplatz bereit sein. Arnu teilte die Vorfreude mit den Leuten. Er war neugierig auf das Fest. Tolans Beschreibungen von früheren Bergfesten hatten sich auf die Wettkämpfe beschränkt, aber das war es nicht allein, was Arnu interessierte. Er hatte Renis in den letzten Tagen nicht oft genug gesehen, um sie fragen zu können, und alle anderen waren zu beschäftigt. Also wartete er ab und zähmte seine Neugierde. Die Sonne war schon untergegangen, als sie die Werkzeuge in einer der kleinen Hütten, die rund um den Festplatz standen, verstauten. Alle lachten und waren guter Laune. Seit Tagen war keiner von ihnen im Berg gewesen, denn diese Arbeit musste ruhen, wenn die Zeit des Bergfestes gekommen war. Sie hatten alle schwer geschuftet, aber mit der Sonne über ihren Köpfen und der frischen, warmen Luft in der Nase war das eine schöne Abwechslung gewesen. So heilig ihnen das Salz und die Arbeit im Berg auch waren, eine Zeit lang nicht unter Tage arbeiten zu müssen, schien den meisten Männern und Frauen höchst willkommen. Jetzt war es Zeit für ein Feuer, Essen und Bier, um den Abschluss der Vorbereitungen zu feiern. Arnu war bereits am Abend des ersten Tages, an dem er mitgearbeitet hatte, dazu eingeladen...