Leroy | Der Block | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Leroy Der Block

Kriminalroman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96054-038-0
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-96054-038-0
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Deutscher Krimipreis 2018 (3. Platz International)

Blutige Aufstände in den französischen Vorstädten, die Zahl der Toten steigt unaufhörlich. Die Partei der äußersten Rechten – der Patriotische Block – steht kurz vor dem Einzug in die Regierung. In dieser Nacht kann das Schicksal Frankreichs kippen, und sie ist für drei Menschen der Höhepunkt einer 25-jährigen Geschichte aus Gewalt, Geheimnissen und Manipulation.
Agnès führt als Parteivorsitzende die Verhandlungen. Ihr Ehemann Antoine wartet in seiner luxuriösen Pariser Wohnung auf das Ergebnis, Stanko, der Chef des paramilitärischen Ordnerdienstes der Partei, versteckt sich in einem schäbigen Hotelzimmer. Antoine ist morgen vielleicht Staatssekretär – Stanko jedenfalls soll morgen tot sein.
Ein Vierteljahrhundert lang waren die beiden wie Brüder. Ein Vierteljahrhundert lang waren sie bei allen Aktionen dabei, die den Patriotischen Block an die Macht gebracht haben. Ein Vierteljahrhundert lang sind sie vor nichts zurückgeschreckt. Sie haben dieses Leben geliebt, und sie bereuen nichts.
Jérôme Leroy legt mit Der Block eine atemberaubende Milieustudie vor; eine Innenansicht der Strömungen, die sich in der extremen Rechten verbünden. Ein hochaktueller und literarischer Thriller aus einem Milieu, das unter Hochdruck steht – nicht nur in Frankreich.

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1
Letztlich bist du also wegen der Möse einer Frau Faschist geworden. Du musst über diesen Satz einen Moment lang lächeln, und er ist sicher das Einzige, über das du dich heute amüsieren wirst. Das klingt fast schon wie eine Grabinschrift: Antoine Maynard, wegen der Möse einer Frau Faschist geworden. Dann lächelst du nicht mehr. Du weißt, dass genau in diesem Moment, irgendwo in der Stadt, ein paar Männer deinen Freund umbringen wollen. Deinen Bruder. Deinen Kleinen. Oder den, der den Kopf für dich hinhält, wie man früher in Romanen zu sagen pflegte. Stanko. Vielleicht wäre es überhaupt besser gewesen, auch du hättest weiter Romane geschrieben. Und noch während du das denkst, weißt du, dass das nicht stimmt und es dich unendlich gelangweilt hätte, im Literaturbetrieb Karriere zu machen, immer vorausgesetzt, dir wäre mehr als ein Achtungserfolg in Kreisen mit »einer bestimmten Orientierung« gelungen. Einer extrem rechten Orientierung, um genau zu sein. So oder so, die vier Romane, die aus dir rausmussten, die hast du geschrieben. Sie wurden ziemlich kühl aufgenommen, abgesehen vom ersten. Man wusste, wer du warst, wessen Vasall du warst. Damals war moralische Wiederaufrüstung noch nicht so in Mode wie heute. Der Kampf gegen den inneren Feind, islamistisch und links, und manchmal sogar beides in einem. Damals war das hier noch kein Land von lauter Schissern. Aber diese Angst hat euch bis an die Türen der Macht befördert, nachdem ihr salonfähig geworden wart, dank Agnès vor allem. Jetzt lächelst du doch wieder, dieses Mal ein wenig bitter. Wenn du nächste Woche, wie im Moment geplant, Staatssekretär wirst – Staatssekretär wofür, weißt du nicht und es ist dir auch komplett egal –, wirst du dir einen Spaß daraus machen, erneut einen Roman zu veröffentlichen, allein um zu sehen, wie es sich auswirkt, wenn man auf der Seite derer steht, die von den Medien umschwärmt und umschmeichelt werden. Und wenn du schon mal dabei bist, wirst du dafür sorgen, dass deine ersten vier Romane als Taschenbuch neu aufgelegt werden. Du bist nicht der Typ, der Beleidigungen verzeiht. Wenn sich die Gelegenheit bieten sollte, zwei bis drei kleine Möchtegern-Päpste der kulturgeilen Kaviar-Linken dazu zu bringen, vor dir in den Staub zu fallen, wirst du dir das nicht entgehen lassen. Vorausgesetzt, alles läuft wie geplant, wirst du dir sogar das perverse Vergnügen gönnen, dich in zwei oder drei literarische Sendungen einladen zu lassen. Die Typen, die sie moderieren, werden wohl oder übel gezwungen sein, ihren Dünkel runterzuschlucken. Oh, du wirst ihnen ein Hintertürchen offen lassen, dich von deiner großzügigen Seite zeigen, ihnen erlauben, ein kleines bisschen frech zu sein, falls sie überhaupt noch den Mut dazu haben. Der Block hat auf jeden Fall eine klare Devise ausgegeben: Nicht unnötig auftrumpfen. Sich bedeckt halten. Wir holen uns unsere Ministerien. Wir üben unsere Ämter aus. Wir beweisen Kompetenz. Alles nach Recht und Gesetz. Agnès hat das in den letzten Monaten immer wieder betont. Keine Hexenjagd, keine persönlichen Racheakte. Jedenfalls nicht gleich … Trotzdem wird es anders sein als in den 90er Jahren: Damals wurdest du in diese Sendungen nur eingeladen, um als Punchingball für das gute Gewissen von ein paar Antifa-Arschgesichtern herzuhalten, Antirassisten, die ihre tamilische Hausangestellte schwarz beschäftigten, und Altachtundsechziger, die sich in den dreißig Jahren, die sie das Sagen hatten, ihre Pfründe gesichert haben, und die anschließend einen auf neoliberal machten, sich fortschrittlich gaben und das Wort »Arbeiter« nicht mehr in den Mund nahmen, seit sie von den Barrikaden gestiegen waren, um Zeitungsmagnat oder Europa-Abgeordneter zu werden. Und die jedes Jahr die gleiche autobiografisch-pseudofiktive Scheiße veröffentlichten, die immergleiche Biografie über einen unangreifbaren Helden der Résistance, hinter dem sie ihre ganze Nichtigkeit verbergen, oder den immergleichen neoliberalen Essay über Globalisierung als Chance. Sie brauchten einen Halunken in diesen Sendungen, und du warst die perfekte Besetzung für diese Rolle. Dir war klar, dass das als Medienstrategie absolut selbstmörderisch war, aber du zogst die Sache durch. Der schlimmste, hasserfüllteste Blick, der dich in deinem ganzen Leben je getroffen hat, und dich haben weiß Gott viele solcher Blicke getroffen, war der einer jungen Maskenbildnerin, einer Araberin. In ihren schwarzen Mandelaugen, die ihr makelloses Gesicht dominierten, umrahmt von einer Mähne lockiger Haare, stand der blanke Hass. Du sahst diesen Hass im Spiegel, während die junge Frau mit zugleich gereizten und hochmütigen Bewegungen deine Augenschatten wegpinselte, bevor du ins Studio gingst. Hass und, sei ehrlich, auch Angst. Du machtest ihr Angst. Schon allein durch deine äußere Erscheinung, deine massige Gestalt, diese Aura von Brutalität, die offenbar von deiner Person ausgeht, und deretwegen sich so viele in deiner Nähe unbehaglich fühlen. Stanko hat eine ähnliche Wirkung. Dazu kam deine Zugehörigkeit zum inneren Führungskreis des Bloc Patriotique. Sie war überzeugt davon, dass du sie am liebsten auf der Stelle vergewaltigt und anschließend auf ein Boot verfrachtet hättest, um es im Mittelmeer zu versenken. Konntest du ihr das verübeln? Du wusstest genau, dass es im Block Aktivisten gab, die so beschränkt waren. Und manche Parteikader auch. Stanko selbst ist manchmal grenzwertig, was Rassismus angeht. Oder solltest du sagen, »Stanko war …«? Du schaust auf die Uhr, du schaust auf das iPhone auf dem Couchtisch. Ein Uhr morgens. Nein, so einfach wird Stanko es ihnen nicht machen. Es sei denn, sie hatten ihn überrumpelt. Aber man hätte dir Bescheid gesagt, wenn sie ihn schon erledigt hätten. Du weißt nur, dass die Jagd auf ihn seit dem frühen Morgen eröffnet ist. Du überlegst, ob du dir eine schöne Linie Koks ziehst. Du zögerst. Wenn Agnès von ihrem geheimen Treffen mit dem Generalsekretär des Élyséepalasts und dem Innenminister im Pavillon de la Lanterne zurückkommt und sieht, dass du high bist, wird sie das schmerzen. Sie wird nichts sagen, aber es wird sie schmerzen. Also beschließt du, die Beutelchen dazulassen, wo sie sind, in der kleinen goldenen Mussolini-Büste, die genauso hohl ist wie ein Leitartikel eines dieser von den Medien gefeierten Wirtschaftswissenschaftler. Du siehst dir, ohne wirklich hinzuschauen, die Nachrichten an, die ununterbrochen auf LCI laufen. Du hast den Ton abgestellt. Die Unruhen dauern nun schon vier Monate an. Wieder fünf Tote in der Banlieue von Orléans. Die überforderte Polizei hat in die Menge geschossen. Man kommt nicht umhin, diese Schießwütigkeit der Bullen in Zusammenhang mit dem Tod von drei Bereitschaftspolizisten zu bringen, die gestern bei einem Einsatz in Roubaix erschossen wurden. Mit dem Sturmgewehr vertrieben. Blut gegen Blut. Sind das die Vorboten eines Bürgerkriegs? Ein rotes Rechteck oben in der linken Bildschirmecke zeigt nunmehr 752 Tote an. Die Zahl der Opfer seit Beginn der Unruhen. Beim Block spricht man stattdessen von »Bürgerkrieg«. Beim Block achtet man auf die Wortwahl, seit Agnès die Nachfolge des Alten angetreten hat. Und der Block wirkt noch vergleichsweise gemäßigt. Rechts davon, bei der identitären weißen Bewegung, wo man gelegentlich auch zu Schusswaffen greift, spricht man vom »Krieg der Ethnien«, dem »Weißen Allerheiligen«. Immer noch genauso blöd, diese Zids, die dahin gehen, wo man sie hinbeordert. Die Zeiten, als man sie als willige Handlanger für niedere Händel des Blocks einspannen konnte, sind vorbei. Du denkst erneut an die arabische Maskenbildnerin. Wann war das, ’92, ’93? Mann, das waren die großen Jahre von Le Fou Français, der Wochenzeitschrift von François Erwan Combourg. Von Angst und Hass also. Diese tödliche Mischung, die gemeinhin jeder Art von Blutbad vorausgeht, wie jenem, das sich fast unbemerkt gerade so gut wie überall in Frankreich vollzieht. Genau das sahst du damals in den Augen der weißen Kleinbürger, die den harten Kern eurer Stammwählerschaft bildeten, wenn du Agnès oder einen anderen Kandidaten des Blocks bei einem Wahlkampfauftritt begleitetest. Sei es in Gemeindesälen der Banlieue, belagert von irgendwelchem linken Gesindel und antifaschistischen Gruppierungen, die gegen euer Kommen protestierten, oder bei Wahlveranstaltungen auf Dorfschulhöfen im Osten, wo man noch nie im Leben einen Araber oder einen Türken gesehen hatte, wo die Leute euch aber bei jeder Wahl dreißig oder vierzig Prozent der Stimmen bescherten. Denn bekanntlich hasst und fürchtet man das ganz besonders, was man nicht kennt, aber zu kennen glaubt. Sie hatten ja alle Angst, die Franzosen: Die arabische Maskenbildnerin hatte Angst, die weißen Kleinbürger hatten Angst, die...


Jérôme Leroy, geboren 1964 in Rouen, ist Autor, Literaturkritiker und Herausgeber. Er hat als Französischlehrer gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Leroy hat zahlreiche Kriminalromane veröffentlicht, auf Deutsch erschienen bisher "Der Block" (2017), ausgezeichnet mit dem "Deutschen Krimipreis" in der Kategorie International (3. Platz), und "Die Verdunkelten" (2018). Auf Französisch erschien zuletzt "La Petite Gauloise" (2018).



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