E-Book, Deutsch, Band 2, 256 Seiten
Reihe: Die Königin des Sabbats
Leroux / Held Die Königin des Sabbats
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-8626-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band II
E-Book, Deutsch, Band 2, 256 Seiten
Reihe: Die Königin des Sabbats
ISBN: 978-3-8192-8626-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gaston Leroux (1868-1927) war als Rechtsanwalt tätig, bevor er sich als politisch engagierter Journalist einen Namen machte. Dem deutschsprachigen Publikum ist er vor allem durch seinen 1910 erschienenen Roman "Das Phantom der Oper" bekannt geworden. Im selben Jahr publizierte er mit "La Reine du Sabbat" einen weiteren fantastischen Roman, der heute als sein »absolutes Meisterwerk« (Alain Fuzellier) gilt und nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt.
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2. Kapitel
Polizei
Der aufgebrachte Kaiser hatte eigentlich beabsichtigt, seine Großnichten ihrer Unvorsichtigkeit wegen gehörig zurechtzuweisen, doch bevor er auch nur ein einziges Wort äußern konnte, hatten sie ihn schon durch ihre stürmischen Umarmungen vollkommen besänftigt. Die Etikette, die am austrasischen Hof mit tyrannischer Strenge eingehalten wurde, durfte auf ausdrücklichen Befehl Seiner Majestät von diesen beiden Mädchen ignoriert werden. Die jungen Prinzessinnen hatten das Recht, ohne jede Vorankündigung, wann immer sie es wollten, beim Kaiser vorgelassen zu werden, und sie behandelten ihn keineswegs als Monarchen und dynastisches Oberhaupt, sondern als Großvater – einen gutmütigen, liebevollen Großvater, der ihnen alles nachsehen musste und nichts versagen konnte.
Es konnte nicht ausbleiben, dass die düsteren Gedanken des Kaisers sich unter ihren Zärtlichkeiten rasch verflüchtigten. Er fühlte, wie sein Herz weich und milde wurde. Zumindest diese beiden Mädchen, dachte er, sind in keiner Gefahr. Sie haben keine Feinde.
Und selbst wenn es irgendwo im dunkelsten, abgründigsten Winkel seines Reiches einen solchen Unhold geben sollte, der sich den Ruin der kaiserlichen Familie zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte und dabei vom Schicksal begünstigt worden war – auch ein solches Ungeheuer, das war des Kaisers unumstößliche Meinung, würde nicht das Herz haben, diesen beiden Mädchen irgendein Leid zuzufügen, die doch kein anderes Verbrechen begangen haben konnten, als geboren worden zu sein und freundlich in die Welt zu blicken – Regina und Tania! Jetzt standen sie vor ihm, hielten sich an den Händen und sahen ihn an. Mit Vorliebe betrachtete er sie in dieser Haltung, zwei Wesen und doch nur eines, einander so ähnlich und zugleich so innig verbunden. So harmonisch sie in ihrer Gestalt und ihrem Auftreten auch waren und wiewohl ihre Gesichter vollkommenen identisch schienen, zeigte sich doch ein Unterschied: Es war Regina, die Stärke und Schutz ausstrahlte. Lag es an der kämpferischen weißen Haarsträhne, die ihrem mädchenhaften Gesicht ein entschiedeneres, geradezu streitlustiges Aussehen gab? Vielleicht. Auch klang Reginas Stimme in den Ohren des Kaisers weniger sanft, weniger lieblich als die engelgleiche Stimme Tanias; es war eine Stimme von bisweilen schwerem, schmerzlichem Klang, der zugleich auf einen entschlossenen, leidenschaftlichen Charakter und auf ein nahezu männliches Naturell schließen ließ, das im übrigen auch in der Neigung Reginas zu sportlichen Übungen im allgemeinen und insbesondere zum Reiten hervortrat. Regina hätte ihr ganzes Leben auf einem Pferd verbringen mögen, während sich Tania vor allem mit Zerstreuungen, mit Spielen und anderen kleinen Beschäftigungen die Zeit vertrieb, denen junge Mädchen ihres Alters gewöhnlich nachgehen. In einer Küche, die sich Tania selbst eingerichtet hatte, buk sie für den Kaiser kleine Torten und Küchlein, an denen sich der Kaiser, dabei zu Tränen gerührt, immer wieder gütlich tat. Da sich aber beide Mädchen gegenseitig innigst zugetan waren, geschah es häufig, dass die eine den Vorlieben der anderen umfassende Zugeständnisse machte. Und so war es heute Morgen Regina gewesen, die trotz der unmissverständlichen Geste des Kaisers am Fenster Tania zu dem verbotenen Ausritt überredet hatte. Beide hatten die Absperrungen kurzerhand übersprungen, um sodann, wie sie erzählten, die Barrikaden von Herrn von Riva aufzusuchen, wo man sie im übrigen mit äußerstem Respekt und vorzüglicher Hochachtung behandelt und sogar willkommen geheißen habe.
Dann aber seien sie rasch wieder umgekehrt, das Wetter sei umgeschlagen, es habe plötzlich so ausgesehen, als würde der Himmel über Wien einen bedrohlich großen schwarzen Schleier legen. Und besänftigend fügte Regina noch hinzu:
»Wir waren nirgends einer Gefahr ausgesetzt, wirklich gar keiner! Als wir zurückkamen, haben wir Herrn von Riva zu der schönen Organisation seiner Barrikaden gratuliert. Ach, Sire, es ist keine einzige unter ihnen, auf der nicht Euer mit Rosen geschmücktes Portrait als Banner weht!«
»Tatsächlich!«, sagte der Kaiser geschmeichelt. »Was sagt Ihr dazu, Exzellenz?«
»Ich sage nur, dass Herr von Riva ein sehr galanter Mann ist«, erwiderte Brixen mit einem Gesicht, das wie aus Marmor geschnitten war.
»Das heißt wohl, Seine Exzellenz beschuldigt Euch, mein lieber Riva, der Urheber dieses hübschen Tohuwabohus zu sein. Was antwortet Ihr darauf?«
»Ich kann darauf nur antworten, Sire, dass es die Wahrheit ist und dass es ohne mich keine Barrikaden gegeben hätte! Ich muss zugeben, dass Seine Exzellenz ein ganz hervorragender Politiker ist. Tatsächlich hat er das Richtige getroffen. Ich bin es gewesen, der die Feinde des Reiches aus dem Schatten gelockt hat, so dass man jetzt ihr Gesicht bei vollem Licht betrachten kann.«
»Es ist durchaus kein schönes Antlitz«, bemerkte der Graf leise.
»Nicht wahr?«, versetzte Riva. »Genau das ist es, was ich Eurer Majestät unlängst sagte. Ich habe damit zunächst wenig Glauben finden können. Jetzt aber wissen Eure Majestät Bescheid. Sie alle haben die Gesichter von Mördern!«
Diese letzten Worte waren mit heftiger Bewegung vorgebracht worden. Alle Augen richteten sich auf den Polizeiminister. Herr von Riva war groß, zu groß für seinen langen schwarzen Gehrock, der äußerst schlecht geschnitten war. Man konnte keinerlei Eleganz an diesem Mann bemerken, dessen Äußeres bereits ein merkwürdiges Gefühl von Furcht einflößte; seine grobschlächtige Erscheinung, sein langes, maskenhaft starres Gesicht, sein messerscharfes Profil, seine gelbe Hautfarbe, die kleinen, unsteten, boshaften Augen – schon auf den ersten Blick vermittelte das Aussehen des Polizeiministers einen zutiefst unsympathischen Eindruck.
Da Herr von Riva nicht weitersprach, gab der Kaiser seinem polizeilichen Großmeister mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er fortfahren und in diesem Kreis frei und ungehindert sprechen möge. Sogleich fügte er hinzu:
»Ich habe Eure Berichte gelesen. Und ich habe darüber mit dem Grafen gesprochen. Erklärt Euch näher.«
»Das ist sehr einfach«, nahm Riva das Wort. »Nach wie vor sind wir mit der alten Koalition von Réginald konfrontiert! Sie ist keinesfalls mit ihm gestorben.«
»Ihr wollt also damit sagen: Das Bündnis um Réginald war ein Zusammenschluss von Mördern?«, warf Graf Brixen ein.
Bei den Worten ›Réginald‹ und ›Mörder‹ hatte sich Prinzessin Regina unvermittelt von ihrer Schwester Tania gelöst. Sie war aufgestanden, hatte einige Schritte gemacht und sich dann in dem dunkelsten Winkel des kaiserlichen Kabinetts niedergelassen.
Der Polizeiminister sprach weiter, ohne auf die Bemerkung des Grafen einzugehen.
»Eure Majestät sind darüber im Bilde, dass ich schwerwiegende Gründe hatte. Es war davon auszugehen, dass diese Männer entschlossen waren, ihre politischen Aktivitäten bis zu den Stufen des Throns zu tragen. Sie wussten, wie beliebt die kaiserliche Familie bei ihren Untertanen war und ist. Für die Realisierung ihrer politischen Ziele stellt diese Beliebtheit das größte Hindernis dar. Deswegen soll sie in ihr Gegenteil verkehrt werden. Dieser Plan ist nach dem Tod ihres Anführers keinesfalls aufgegeben worden. Dafür liegen mir die traurigsten Beweise vor.«
»Ach ja, Beweise?«, fragte Brixen.
»Fahrt fort, Riva!«, befahl der Kaiser. »Es ist höchste Zeit, den Grafen davon in Kenntnis zu setzen, dass ich Feinde habe, mit denen man nicht mehr verhandeln kann.«
Der Polizeiminister zögerte jedoch. Offenbar beunruhigte ihn die Anwesenheit der Zwillingsschwestern, die dieser Unterhaltung mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit gefolgt waren. Gewöhnlich nutzten sie den erstbesten Anlass, um sich zurückzuziehen, wenn in ihrer Gegenwart von Politik die Rede war.
»Fahrt fort, mein lieber Riva! Redet unbesorgt weiter! Meine Kinder werden dadurch erfahren, dass Ihr für sie arbeitet, und begreifen, was sie Euch schuldig sind.«
»Sire, der Graf glaubt, sich über meine agents provocateurs beschweren zu müssen«, setzte Riva seine Rede mit entschlossener Stimme fort. »Aber sie haben dafür gesorgt, dass endlich alle jene Gestalten aus dem Keller hervorgekommen sind ... Aber Seine Exzellenz weiß wohl nicht einmal, was der Keller ist?«
»Sehr richtig«, gab Brixen zurück.
»So hört denn. Vor einigen Jahren hatte meine Polizei die Anführer der Verschwörung so weit eingekreist, dass sie unser Land verlassen mussten. Diese Feinde des Reichs haben sich dann in Paris zusammengefunden und trafen sich dort in einem Keller des Palais Royal, wo man noch heute Pilsener Bier verkauft. Dieses Lokal wurde damals von einem gewissen Baumgartner geführt. Baumgartner, in den die Verschwörer das größte Vertrauen setzten, war mein Mann. Durch ihn...