Lerch | Hope oder wenn Papa Mama wird | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Lerch Hope oder wenn Papa Mama wird

Roman
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-32970-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-641-32970-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Affäre mit der Unternehmerin Leonie hat für Nick ungeahnte Folgen: Er wird Vater – oder eher Mutter, denn Leo will auf keinen Fall in diese Rolle schlüpfen. Sie überlässt die kleine Hope seiner Obhut. Nick stürzt sich mit nie gekannter Leidenschaft und großer Liebe in seine neue Aufgabe. Doch er hat nicht mit den Widerständen gerechnet, die einem Mann in der klassischen Mutterrolle begegnen, und schon gar nicht mit den anderen Eltern, die ihn auf dem Spielplatz misstrauisch beäugen. Oder mit den Schwierigkeiten, einen Kita-Platz zu finden und nebenbei noch Geld zu verdienen. Um seine Finanzen auszugleichen, legt Nick sich zwei Untermieter zu. Die schließen zwar sofort Hope ins Herz, haben ansonsten aber einen eher zweifelhaften Leumund. Was dazu führt, dass Nick eine panische Angst vor einer Kontrolle des Jungendamts entwickelt ...

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Prolog

Wenn sie ihm gegenübersitzt und ihn anschaut, hat Nick das Gefühl, sie kann in ihn hineinsehen, obwohl sie noch nicht einmal zweieinhalb Jahre alt ist. Sie sitzt dann kerzengerade in ihrem Hochstuhl und kneift ein Auge, es ist das linke, halb zu, scheint alles um sich herum zu vergessen und guckt in seine Seele. Was mag sie sehen? Kann sie seine Gedanken lesen? Hoffentlich nicht, sie soll nicht wissen, welche Ängste er hat und was er tut, damit diese nicht im Kampf gegen das Schöne in seinem Leben siegen. Und das Schöne ist sie.

Was sollte sie damit anfangen können, zu wissen, dass er gleichzeitig versucht, die Zeit mit ihr zu genießen, aber auch daran denkt, den Haustürschlüssel nicht zu vergessen, überlegt, wo das Auto steht, das Auto abzuschaffen, es doch nicht abzuschaffen, zwischendurch erschrickt, weil das Handy nicht in seiner Hosentasche ist und er nicht sehen kann, wie spät es ist, und er sie wieder zu spät bringen und von Esther in der Kita einen Anpfiff bekommen wird. Den dritten oder vierten in diesem Monat.

Die Küchenuhr ist schon seit einiger Zeit kaputt. Man kann es sehen, wenn man einen Blick auf sie wirft. Man kann es aber auch auf dem Zettel lesen, der neben der Kaffeemaschine langsam vergilbt. »Uhr kaputt«. Eine sinnlose Notiz, die dort seit fast drei Jahren liegt. »Uhr reparieren« oder »Uhr wegwerfen« wäre besser. Oder es einfach mal machen. Der Stundenzeiger hängt schlaff nach unten, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen und jetzt völlig ausgelaugt, während der kleine Sekundenzeiger sein Tempo verschärft hat und die Minute in weniger als einer halben absolviert, so als würde er seinen großen Freund auffordern, sich nicht hängen zu lassen, nicht aufzugeben, doch noch eine Runde zu drehen.

Er verliert sich in Gedanken und taucht erst wieder daraus hervor, als Hope ihm vorsichtig auf den Arm tippt.

Wenn er sie anschaut, ist sein Blick voller Liebe. Sie ist das Schönste und Beste, was ihm in seinem Leben passiert ist. Er kann nicht genug davon bekommen, sie anzusehen. Ihr dunkelblondes Haar, zu zwei Zöpfen geflochten. Er hat die Zöpfe selbst gemacht und sie sehen fast wie richtige Zöpfe aus. Als er letztes Jahr, als ihre Haare lang genug waren, damit begonnen hatte, war es gut zu wissen, dass es Zöpfe sein sollten, denn sie erinnerten viel mehr an ausgefranste Stücke eines Springseils. Das Springseil!! Wo ist es eigentlich? Haben sie es wieder eingepackt, als es neulich urplötzlich anfing zu regnen? Oder liegt es immer noch auf dem Piratenspielplatz, dem Pirati? Oder auf dem Schiffi, dem anderen Spielplatz? Oder hat jemand es eingepackt und mitgenommen und ihm ein neues Zuhause gegeben? Einen Platz, wo das Seil es besser hat als bei ihm? Wo man es nicht einfach vergisst? Schon wieder werden seine Augen feucht, er nimmt schnell einen Schluck Kaffee und tut so, als würde er etwas auf dem Boden suchen.

Doch Hopes Blicken entgeht nichts.

Aus dem Schlafzimmer kommt leise Musik. Er hat ihr einen CD-Player gegeben, den sie selbst bedienen kann. Samt der CD »Die 12 schönsten Kinderlieder«. Aramsam Aramsamsam – bestimmt zum hundertachtzigsten Mal diese Woche. Und es ist erst Dienstag. Schön ist immer eine Frage der Definition.

Vor ihr auf dem Frühstückstisch befinden sich die beiden Märchenbrettchen, Hänsel und Gretel und Hans im Glück. Dünne Holzbretter mit Motiven aus Märchen, naiv gemalt, von Messern zerkratzt und von Jahren des Spülens und Abwischens lange nicht mehr so bunt, wie sie waren, als er so alt war wie sie. Er kann sich nicht daran erinnern, sie oft benutzt zu haben, aber Hope liebt die beiden Brettchen. Sie braucht beide. Auf Hänsel und Gretel liegt das Brot, das er ihr gemacht hat. Sie besteht darauf, dass er es jeden Tag genau so macht. Eine Scheibe Mehrkornbrot mit veganer Butter und Marmelade bestrichen, zerschnitten in 16 Teile. Omas »Erd-Bär-Mandelane«. Sie kann inzwischen fehlerfrei Marmelade aussprechen, aber beide sagen immer noch Mandelane. Die Mandelane ist eine Lüge. Sie ist zwar aus Erdbeeren hergestellt, aber nicht von Oma. Seine Mutter hat noch nie Marmelade für Hope eingekocht. Er kauft sie im Supermarkt, löst die Etiketten ab und klebt handbeschriebene drauf. Sie nennen diese Minibrotstücke Reiterchen, so wie in seiner Kindheit, er hat keine Ahnung warum. Weil sie einzeln in den Mund geritten kommen? Auf Hans im Glück schmiert sie sich ihr eigenes Brot. Sandwichtoast mit veganer Mortadella. Immer muss die Rinde abgeschnitten werden. Für Hans Albers. Bei den Reiterchen, die er für Hope anfertigt, herrscht ein hartes Reglement. Kein Stück Rinde, auch nicht kleinerfingernagelgroß, darf zu sehen sein. Die vegane Butter, eigentlich ist es Margarine, aber Hope mag das Wort Margarine nicht, muss bis zum Rand reichen und die Mandelane muss sie so bedecken, dass sie ganz leicht golden durchscheint, aber keine Fläche frei bleibt. Hat er das geschafft, isst sie genüsslich Stückchen für Stückchen und schmiert ihr Kindergartenfrühstück selbst. Bei ihrem eigenen Brot ist es völlig egal, ob die Margarine die komplette Fläche bedeckt oder ob etwas vegane Wurst übersteht. Sie schneidet die Kruste selbst ab und steckt sie, Stück für Stück, Hans Albers zu, der unter dem Tisch liegt und darauf wartet.

Hans Albers ist ein vierzehnjähriger Retriever-Opa. Er kaut die Rinde nicht. Er schluckt sie einfach. Er hat nicht mehr viele Zähne, er hat aber auch, als er noch mehr Zähne hatte, selten etwas gekaut, sondern meist gierig runtergeschlungen. Sie ernähren sich zwischen vegan und vegetarisch. Auch wegen Hans Albers. Er ist schließlich ein Tier und tierische Produkte sollen in ihrem Haushalt nicht gegessen werden. Hans Albers selbst bildet die Ausnahme, aber auch hier belügt Nick Hope. Er hat ihr gesagt, es sei vegetarisches Hundefutter. Es wird noch ein wenig dauern, bis sie lesen kann, er die Lüge nicht mehr aufrechterhalten kann und sie wissen wird, dass der Hund zerkochte Schlachtabfälle frisst. Aber bis dahin wird Hans Albers vermutlich nicht mehr leben. Vierzehn Jahre sind für einen Retriever schon wie hundert Jahre für einen Menschen. Als Nick sechzehn war, hat sein Vater ihm den Hund geschenkt und ihn Hans Albers genannt, weil er blaue Augen und blonde Haare hat.

Obwohl draußen die Sonne scheint, trägt Hope ihren neuen Regenmantel. Ein weißer Gummimantel mit bunten Blumen drauf. Sie hat ihn sich selbst ausgesucht. Sie sucht sich all ihre Kleidungsstücke selbst aus. Sie trägt nie Hosen, sie kaufen nur Kleider. Sie mag keine Hosen, außer Strumpfhosen, wenn es kalt ist. Sie ist noch keine drei Jahre alt, aber sie zieht sich alleine an. Er kontrolliert nur, ob alles richtig sitzt und der Jahreszeit angemessen ist.

»Hope, zeigst du mir, was für ein Kleid du angezogen hast?«

Sie schaut ihn ernst an.

»Leider nein.«

Sein Herz schmilzt. Er hört sich selbst. Er sagt nie einfach »Nein«. Er sagt immer »Leider nein«. Und erklärt ihr dann, warum er der Meinung ist, dass man etwas nicht machen sollte.

»Warum leider nein?«

»Das geht nicht.«

»Warum geht das denn nicht?«

Sie überlegt angestrengt und er ist sehr gespannt auf ihre Antwort.

»Das können wir nicht machen.«

»Warum können wir das denn nicht machen?«

Nick selbst ist farbenblind und trägt deswegen meist einfache Kombinationen, hauptsächlich grün und blau. Grün und Blau schmücken die Sau, sagt Kevin immer, sein Chef aus der Bar, obwohl er selbst ausschließlich hellblaue Jeans und schwarze T-Shirts trägt. Hope dagegen ist ziemlich farb- und stilsicher. Warum also will sie nicht zeigen, was sie angezogen hat?

»Da ist nichts«, sagt sie.

»Wie, da ist nichts? Darf ich mal gucken?«

»Nein!«

Das kommt sehr bestimmt rüber. Dann verzieht sie ihr Gesicht.

»Hans Albers.«

»Was ist mit Hans Albers?«

Sie hält sich die Nase zu und kichert.

»Gepupst.«

Jetzt merkt er es auch. Hans Albers riecht nicht mehr gut. Besonders schlimm ist es, wenn er einen anatmet. Noch böser allerdings, wenn er einen fahren lässt. Manchmal kommen Arch oder Marianne in die Wohnung, halten die Luft an, rennen zum nächsten Fenster oder zur Balkontür, öffnen diese und atmen dann durch. Er selbst riecht es kaum noch. Hans Albers pupst eigentlich durchgehend, keine große Sache. Und jetzt liegt er da in aller Seelenruhe, der Hundeopa, bewegt sich nicht und es ist ihm völlig egal, was um ihn herum passiert.

»Lenkst du ab?«

Sie grinst.

»Ja.«

Er grinst zurück.

»Nicht schlecht. Aber mach mal bitte deinen Regenmantel auf.«

»Haust du mich sonst?«

Er erschrickt. Er hat sie noch nie gehauen. Niemals. Er wurde als Kind nicht geschlagen und er würde niemals ein Kind schlagen.

»Wie kommst du da drauf?«

»Ringo hat mich gehauen.«

»Warum hat Ringo dich gehauen?«

Nick bleibt äußerlich ruhig, innerlich brodelt es aber in ihm. Ringo ist ein anderes Kind aus dem Kindergarten, dem Yitzi, eigentlich Yitzhak-Rabin- Kindergarten.

Wieder Ringo! Er kann sich gut daran erinnern, dass es schon einmal Ärger wegen Ringo gegeben hat. Eigentlich nicht wegen Ringo. Mit Ringo. Wegen Hope. Und wenn man noch genauer sein wollte, dann war es seine Schuld gewesen. Nick hatte Hope einen Griff aus dem Aikido gezeigt, er hatte ihr erklärt, wie man einen durch den Arm verlaufenden Nerv auf einen Knochen schieben kann, damit jemand die Hand öffnet, der einem etwas weggenommen hat. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Hope sich den Griff merken würde. Und schon gar nicht, dass sie ihr...


Lerch, Tankred
Tankred Lerch ist Schriftsteller, ausgebildeter Journalist, Autor und Drehbuchautor zahlreicher preisgekrönter TV Shows und Comedyserien.



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