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E-Book

E-Book, Deutsch, 497 Seiten

Leppin Ruhen in Gott

Eine Geschichte der christlichen Mystik

E-Book, Deutsch, 497 Seiten

ISBN: 978-3-406-77376-1
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Griechische Mönche gelangten durch Askese zur Ruhe in Gott, Bernhard von Clairvaux ließ sich vom Gekreuzigten umarmen, und Mechthild von Magdeburg gab sich ihrem Bräutigam Christus hin. Volker Leppin erzählt die Geschichte der christlichen Mystik ganz neu, indem er die Mystik, verstanden als die Suche nach der unmittelbaren Nähe Gottes, im Zentrum des Christentums verortet – und nicht an seinen Rändern. Seine souveräne, meisterhaft geschriebene Darstellung bietet damit zugleich einen frischen Blick auf das Christentum insgesamt, das bis heute die Mystik als treibende Kraft braucht.
Mystikerinnen und Mystiker fühlten sich Gott so nah, dass Unterschiede zwischen Klerikern und Laien, Männern und Frauen für sie hinfällig wurden. Oft hing es von Zufällen ab, ob sie deshalb als Reformer und Erleuchtete verehrt wurden wie Franziskus von Assisi und Hildegard von Bingen oder in Ketzereiverdacht gerieten wie Marguerite Porete und Meister Eckhart. Volker Leppin zeigt in seiner glänzenden Darstellung, wie die frühchristliche Lehre in Verbindung mit der platonischen Philosophie mystische Weltbilder und Heilswege geformt hat, die zum Kern orthodoxer Spiritualität wurden, im Westen aber hoch umstritten blieben, auch im Protestantismus. Dass die Mystik im 19. und 20. Jahrhundert für antimoderne Ideologien eingespannt wurde, hat sie erneut suspekt gemacht. Doch die Frage nach Gemeinsamkeiten mit anderen Religionen und eine wachsende Distanz zur Kirche zeigen, dass Mystik für das Christentum gerade in der Moderne überlebenswichtig ist.
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1.«Christus in mir»: Das vorweggenommene Ende
Jesus: Zwischen Diesseits und Jenseits
Schnell scheint sich die Skepsis neuzeitlicher Theologen, ob es christliche Mystik überhaupt geben könne oder dürfe, zu erledigen, wenn man in die alte Lutherbibel schaut. «Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch», heißt es in der 1912 gedruckten Fassung in Lukas 17,21. Jesus selbst, so scheint es, wird zum Zeugen dafür, dass alles Heil und alle Verheißungen ihren Ort im Innern des Menschen haben, dass hier eine unmittelbare Nähe Gottes Wirklichkeit wird, die ihresgleichen sucht. Doch es hat seine guten Gründe, dass sich genau diese Formulierung in den neueren Übersetzungen, sei es nun die revidierte Lutherbibel oder die katholisch getragene Einheitsübersetzung, nicht findet. In beiden heißt es stattdessen «mitten unter euch». Den Hintergrund hierfür bildet das stärker gewordene Bewusstsein der Forschung dafür, dass man Jesus nur recht verstehen kann, wenn man ihn im Kontext der Religion versteht, in der er aufgewachsen ist. Jesus von Nazareth war Jude, genauer: Er führte eine innerjüdische Erneuerungsbewegung an. Mit dieser Einbettung der Botschaft Jesu in seine frühjüdische Umwelt wurde immer klarer, dass das griechische entos hymon an dieser Stelle nicht «inwendig in euch» bedeutet, sondern «mitten unter euch». Jesus brachte damit zum Ausdruck, was man als präsentische Eschatologie bezeichnet, eine Vorwegnahme der Endzeit im Hier und Jetzt, wie sie später auch für mystische Theologien prägend werden sollte. Bei Jesus aber lag der Akzent stärker auf dem zukünftigen Element. Seine Botschaft trug klar die Züge apokalyptischer Prediger seiner Zeit: Das Ende ist nahe und wird gewaltsam und erschreckend in diese Welt einbrechen. Wer heute das Vaterunser spricht, kann dies in der Zeile «Dein Reich komme» noch erahnen, die der Hoffnung Ausdruck gibt, dass die Welt vergeht und sich die göttliche Herrschaft an ihre Stelle setzt. Wie dies geschehen wird, hat Jesus gleichfalls wort- und bildreich ausgedrückt: Die Sonne wird sich verfinstern, der Mond wird seinen Schein verlieren, so heißt es in Markus 13,24, und gleich darauf wird der Menschensohn in den Wolken kommen. Diese Welt stand vor einer gewaltigen Umkehrung aller Verhältnisse, und das künftige Geschick, auch das drückte Jesus deutlich aus, entschied sich für jede und jeden Einzelnen daran, wie er sich zu Jesus verhalten werde: Wer sich zu ihm bekenne, so verkündete er, zu dem werde sich auch der Menschensohn bekennen (Mt 10,32). Mit ihm war also eine Entscheidungssituation in die Welt gekommen, die der Botschaft Johannes’ des Täufers, dass das Gericht nahe sei, neue Dringlichkeit gab: Die Entscheidung, ob man in die künftige Herrlichkeit kommen werde, fiel hier und jetzt. Schon das machte das Eschaton, das Ende der Zeit, für die Gegenwart der Zeitgenossen Jesu bedeutsam. Die präsentische Eschatologie aber hing noch an anderem: «Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz» (Lk 10,18), sagte Jesus, als seine zweiundsiebzig Boten zurückkehrten. Der Sieg über den Satan also war durch die Verkündigung des Gottesreiches eigentlich bereits errungen. Der letzte Kampf war schon siegreich geschlagen. Und es gab sichtbare Zeichen hierfür: «Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen» (Lk 11,20). Auch hier klingt der Kampf gegen die bösen Mächte an, vor allem aber die machtvolle Durchsetzungskraft Gottes. Die ersten Anhänger Jesu standen durch solche Worte in der Spannung von «schon» und «noch nicht»: Das Reich Gottes ist schon Wirklichkeit geworden, aber noch hat es sich nicht ganz und für alle sicht- und spürbar durchgesetzt. Noch leben Christinnen und Christen in einer Welt, der die Gegenwart des Reiches Gottes nicht anzumerken ist. Das ist nicht Mystik. Aber es erzeugt eben jene Spannung, von der die Mystik später leben sollte: das Bewusstsein, dass in dieser Welt gegen allen äußeren Anschein das Reich Gottes schon da ist. Wenn irgendwo, dann lässt sich hier nachvollziehen, dass Mystiker Christen par excellence sind: Der Einbruch der Wirklichkeit Gottes in diese Welt, den Jesus verkündigt hat, bleibt für sie spürbar. Das Wissen darum ist nicht auf die Vermittlung durch heilige Schriften und kirchliche Amtsträger angewiesen, sondern bleibt unmittelbar. Man könnte auch sagen: Christliche Mystik ist eine Frömmigkeitsform, die die von Jesus Christus verkündigte und gelebte präsentische Eschatologie auf Dauer stellt. Das geht aber nur auf eine Weise, die nicht, wie alles Materielle, endlich ist. Sie muss geistig sein. Genauer: geistlich. Paulus: Endzeit jetzt
«Jesus war Begründer einer innerjüdischen Erneuerungsbewegung, die erst nach seinem Tod zu einer neuen Religion wurde», so fasst der Neutestamentler Gerd Theißen zusammen, was man hierzu sagen kann.[1] Die entstehende Religion machte Jesu Kreuzigung und Auferstehung zu Grunddaten ihres Glaubens und teilte mit Jesus die Überzeugung von der überwältigenden Gnade Gottes. Von ihr erzählte Jesus etwa in dem Gleichnis vom «Schalksknecht», dem sein Herr eine Unmenge von Schulden erließ – und der sich nur deswegen Strafe zuzog, weil er diese Freigebigkeit nicht weiterreichte, sondern einen Mitknecht, der ihm Weniges schuldete, in den Schuldturm werfen ließ (Mt 28,23–35). Die begriffliche Ausgestaltung dieser Botschaft verdankt das Christentum maßgeblich Paulus, und er gab auch der christlichen Mystik besondere Impulse. Paulus war wie Jesus als Jude aufgewachsen, freilich in einem anderen Milieu. Um sich selbst zu legitimieren, berichtete er von seiner Beschneidung als Säugling und von seiner Ausbildung in der Religionsschule der Pharisäer (Phil 3,5). Zeitweilig verfolgte er sogar die Christen. Doch dann bekannte er sich, wie er wiederum selbst erzählte, durch eine Offenbarung zu Jesus (Gal 1,16). Viel vom Christentum wusste er da wohl noch nicht – eigentlich nur, dass es aus Sicht des Judentums abzulehnen war. Erst im Laufe einer langen Entwicklung ist bei ihm die Überzeugung von Gottes Gnade zu dem geronnen, was in die Dogmatik als «Rechtfertigungslehre» eingegangen ist: die Lehre, dass der Mensch nicht dadurch vor Gott gerecht wird, dass er die vom Gesetz vorgeschriebenen Werke erfüllt, sondern durch den Glauben an Jesus Christus (Röm 3,28). Diese Lehre begleitete die folgenden Jahrhunderte vor allem der westlichen Christenheit und stand im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen in der Reformationszeit. Dabei bildete sie nach den Worten Albert Schweitzers (1875–1965), der weiter unten selbst noch als Vertreter christlicher Mystik erscheinen wird (siehe Seite 415), nur einen «Nebenkrater» in der Theologie des Apostels.[2] Sicher wollte Schweitzer seine evangelischen Kollegen, für die die Rechtfertigungslehre gut lutherisch im Mittelpunkt der Theologie des Paulus stand, mit dieser Formulierung provozieren, aber sie verweist doch auf eine Einsicht, die in jüngerer Zeit immer mehr Raum gewinnt: dass klassische Bilder von Paulus und dem Judentum seiner Zeit revidiert werden müssen. Dazu gehören nicht allein die Hinweise der sogenannten «New Perspective on Paul», dass die Fixierung auf die Vorstellung vom Gesetz, wie sie die traditionelle Paulus-Auslegung bestimmte, das historische Frühjudentum der Zeit des Paulus wie auch diesen selbst kaum trifft.[3] Noch bedeutsamer ist die Einsicht, dass Paulus nicht der rastlose Begründer des Christentums unter den Völkern war, als der er in der Apostelgeschichte und in seinen Briefen erscheint. In ihnen wirkt er wie der, der permanent zu entscheiden und andere zu maßregeln hat. Der sich nicht einmal von Petrus etwas sagen lässt, einem der ersten Jünger, und schon gar nicht von irgendwelchen Vertretern der Gemeinden. Es scheint hier so, als sei es allein sein Werk, dass aus der innerjüdischen Erneuerungsbewegung am fernen Rand des römischen Imperiums eine Bewegung geworden ist, die am Ende die Kraft hatte, das ganze Reich zu verändern. Doch heute wissen wir – gerade auch durch Hinweise im Neuen Testament selbst –, dass Paulus alles andere als konkurrenzlos war. Er selbst erwähnt immer wieder feindlich gesinnte christliche Missionare in seinen Briefen. Aus der Gemeinde von Korinth berichtet er ausdrücklich, dass es dort zu Parteiungen gekommen sei: Manche hätten sich auf ihn, Paulus, berufen, manche aber auf Petrus, wieder andere auf den sonst wenig bekannten Apollos (vgl. Apg 18,24–28), obwohl es doch, so die wahrscheinlichste Deutung des Verses, die einzig richtige Behauptung eines Christen sei, zu Christus zu gehören (1 Kor 1,12). Dass bis heute Paulus als ...


Volker Leppin lehrt Kirchengeschichte an der Universität Tübingen (ab August 2021 an der Yale University) und ist Mitglied der Sächsischen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Für seine Forschung zum späten Mittelalter wurde er u.a. mit dem Ruprecht-Karls-Preis der Universität Heidelberg, dem Hanns-Lilje-Preis der Göttinger Akademie der Wissenschaften und dem Gerhard-Hess-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.


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