E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Leonard Rum Punch
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-311-70381-5
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-311-70381-5
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Elmore Leonard, geboren 1925 in New Orleans, begann Ende der sechziger Jahre mit dem Schreiben und verfasste in seiner beispiellosen Karriere über vierzig Bücher, von denen viele sehr erfolgreich verfilmt wurden, darunter Schnappt Shorty mit John Travolta und Danny DeVito. Zahlreiche seiner Bücher gelten als moderne Klassiker. Für das Genre eher untypisch: In Leonards Krimis stehen selten Polizisten oder Privatdetektive im Mittelpunkt des Geschehens, auch die eigentliche Ermittlungsarbeit interessierte ihn kaum. Vielmehr sind es der schnoddrige Ton und die liebevoll gezeichneten Figuren, die den Reiz seiner Romane ausmachen. Elmore Leonard starb 2013 in Detroit.
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1
Sonntagmorgen nahm Ordell Louis mit ins Zentrum von Palm Beach, um sich mit ihm die White-Power-Demonstration anzusehen.
»Junge Nazi-Skinheads«, sagte Ordell. »Guck mal, da marschieren sogar Nazi-Mädels die Worth Avenue runter. Ist das nicht unglaublich? Als Nächstes kommt jetzt der Klan angetrabt, heute eher spärlich vertreten. Einige tragen Grün, offenbar die neue Frühlingsfarbe von diesen Dumpfbacken. Die hinter ihnen sehen aus wie die Nazi-Biker von Rocker für Rassismus, auch bekannt als Dixie Knights. Wir müssen weiter nach vorn«, sagte Ordell und zog Louis mit sich fort.
»Ich will dir einen Mann zeigen. Mal sehen, an wen er dich erinnert. Mir hat er erzählt, dass sie die South County Road raufmarschieren. Sie wollen ihre Versammlung am Rathaus abhalten, auf der Treppe vor dem Springbrunnen. Hast du schon mal so viel Polizei gesehen? Klar, hast du vermutlich. Aber bestimmt nicht so viele verschiedene Uniformen auf einem Haufen. Und die lassen nicht mit sich spaßen, haben Helme auf und Schlagstöcke dabei. Bleib auf dem Gehweg, sonst ziehen sie dir noch eins über den Schädel. Sie halten den Nazis die Straße frei.«
Die ersten Leute drehten sich um und betrachteten Ordell.
»Mann, die vielen Fotografen und Fernsehkameras. Dieser Scheiß ist erstklassiges Nachrichtenmaterial, das lässt sich keiner entgehen. Normalerweise sind hier sonntags bloß reiche Weiber mit ihren Schoßhündchen unterwegs. Pipi machen. Also die Hündchen, nicht die Weiber.« Eine junge Frau vor ihnen grinste den beiden über die Schulter zu, und Ordell sagte: »Wie geht’s, Baby? Alles klar?« Dann sah er an ihr vorbei nach vorn, sagte mit einem Blick zu Louis: »Ich glaub, ich seh ihn«, und drängte sich durch die Menge näher zur Straße. »Genau, da ist er. Der im schwarzen Hemd mit Schlips. Ein ausgewachsener Nazi-Skinhead. Ich nenn ihn Big Guy. Das hört er gern.«
»Das ist ja Richard«, sagte Louis. »Lieber Himmel.«
»Zum Verwechseln ähnlich, oder? Weißt du noch, wie Richard immer über den ganzen Nazi-Dreck gestolpert ist, der in seinem Haus rumlag? Wie viele Knarren er besessen hat? Big Guy hat noch viel mehr.«
Louis sagte: »Harter Bursche. Sieh dir den an.«
»Der will es wissen. Ist ein Waffennarr«, sagte Ordell. »Weißt du, wo man solche Typen sonst noch zu sehen kriegt? Auf Waffenbörsen.«
Ordell wartete ab. Louis hätte ihn jetzt fragen müssen, was er auf Waffenbörsen zu suchen hatte, doch er ließ es bleiben. Er war zu beschäftigt damit, die Nazi-Mädels zu beäugen, alles dürre Rednecks mit kurz geschorenen Haaren, wie Jungs.
Ordell sagte: »Ich könnte denen Sachen zeigen, da würde denen Hören und Sehen vergehen.«
Und wieder drehten sich Köpfe zu ihm um. Einige Leute grinsten. Louis trat den Rückzug an, und Ordell musste sich beeilen. Louis war breit geworden, weil er im Gefängnis mit Gewichten trainiert hatte.
»Hier lang«, sagte Ordell, und dann spazierten sie vor der Demo die South County Road entlang. Zwei alte Kumpel: Ordell Robbie und Louis Gara – ein hellhäutiger Schwarzer und ein dunkelhäutiger Weißer. Beide ursprünglich aus Detroit, wo sie sich in einer Kneipe kennengelernt hatten, ins Gespräch gekommen waren und herausgefunden hatten, dass sie beide im Southern Ohio im Knast gesessen hatten und einige Ansichten teilten. Bald darauf war Louis nach Texas gegangen, wo er erneut verhaftet wurde. Als er wieder nach Hause zurückkehrte, legte Ordell ihm einen Plan vor: Eine Million Dollar waren drin, wenn sie die Frau eines Typen entführten, der illegal verdientes Geld auf den Bahamas geparkt hatte. Die Sache ging voll in die Hose, und Louis schwor sich: Einmal und nie wieder. Das war jetzt dreizehn Jahre her …
Und jetzt hatte Ordell wieder einen Plan. Louis spürte das. Nur deswegen sahen sie zu, wie Skinheads und andere Trottel die Straße hochmarschierten.
Ordell sagte: »Weißt du noch, wie du gerade aus Huntsville raus warst und ich dich mit Richard zusammengebracht hab?«
Gleich würde er mit der Sprache rausrücken. Louis war sich sicher.
»Das war damals so ähnlich wie heute«, sagte Ordell. »Da hat garantiert das Schicksal seine Hand im Spiel. Diesmal kommst du aus dem Knast in Florida, und ich zeige dir Big Guy, der aussieht wie ein wiederauferstandener Richard.«
»Ich weiß nur noch«, sagte Louis, »dass ich mir damals gewünscht hätte, ich hätte Richard nie kennengelernt. Was hast du bloß auf einmal mit diesen Nazis?«
»Es ist lustig, ihnen zuzusehen«, sagte Ordell. »Sieh dir mal ihre Fahne an, die mit dem verwackelten Blitz drauf. Keine Ahnung, was sie damit meinen. SS? Oder Captain Marvel?«
Louis fragte: »Hast du wieder eine deiner Ideen, wie man an eine Million rankommt?«
Ordell wandte sich von der Parade ab, musterte ihn kühl und ernst. »Du bist in meinem Schlitten gefahren. Das ist nicht bloß eine Idee, Mann. Die Kiste kostet richtiges Geld.«
»Warum zeigst du mir dann diesen Nazi?«
»Big Guy? Eigentlich heißt er Gerald. Als ich mal Jerry zu ihm gesagt hab, hat er mich fast vom Boden hochgehoben und gesagt: ›So heiße ich nicht, Jungchen.‹ Ich hab ihm gesagt, dass ich für Rassentrennung bin, darum hält er mich für okay. Bin ihm einmal begegnet – auf ’ner Waffenbörse.«
Wieder versuchte er Louis zu ködern.
Louis sagte: »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was wollen wir hier?«
»Hab ich dir doch gesagt. Ich wollte sehen, an wen dich Big Guy erinnert. Hör zu, es ist noch jemand hier, du wirst es nicht glauben. Eine Frau. Rat mal, wer.«
Louis schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
Ordell grinste. »Melanie.«
»Du machst Witze.«
Noch jemand aus der Zeit vor dreizehn Jahren.
»Tja, wir haben uns nicht aus den Augen verloren. Melanie rief mich irgendwann an … Ich hab sie in einer Bude von mir untergebracht, oben in Palm Beach Shores. Willst du zu ihr?«
»Ihr wohnt zusammen?«
»Zeitweise, könnte man sagen. Wenn du willst, können wir heute Nachmittag vorbeifahren. Melanie ist immer noch ein prachtvolles strammes Mädchen. Mann, ich kann dir sagen, das Schicksal hat wirklich Überstunden gemacht, um uns alle wieder zusammenzubringen. Ich überlege ernsthaft, ob ich Big Guy mit Melanie bekannt mache.«
Er kam langsam zur Sache. Louis spürte das.
»Wozu?«
»Nur um zu sehen, was passiert. Wäre bestimmt interessant. Du kennst ja Melanie, sie hat sich nicht verändert. Kannst du sie dir zusammen mit diesem Nazi-Arschloch vorstellen?«
Ordell benahm sich wie ein kleiner Junge, der ein Geheimnis hatte – er wollte es unbedingt verraten, wollte aber danach gefragt werden.
Er sagte zu Louis: »Ich wette, du hast keinen blassen Schimmer, wie es weitergehen soll, oder? Kommst aus dem Knast und fängst wie immer bei null an. Hast deinen Schnurrbart abrasiert, wie ich sehe. Das Haar wird langsam grau. Aber du hältst dich in Form, das ist gut.«
»Und du?«, fragte Louis. »Hast deine Haare geglättet? Du hattest doch früher ’n Afro.«
»Man muss mit der Zeit gehen, Mann.«
Ordell fuhr sich vorsichtig mit der Hand über die straff zurückgekämmten Haare, bis er beim Zopf anlangte, den er zwischen den Fingern zwirbelte und damit herumspielte. Er sagte: »Nein, du hast keine Ahnung, was du jetzt machen willst.«
Louis sagte: »Das glaubst du, hm?«
»Glotzt mich an mit seinem Knackiblick. Na, irgendwas hast du im Knast doch wohl gelernt«, sagte Ordell. »Aber ehrlich, Louis, mit dem Hemd, das du da anhast, siehst du nicht wie ’n Bodybuilder aus, mehr wie ’n Tankwart. Auf der Hemdtasche da müsste ›Lou‹ draufstehen. Windschutzscheibe putzen, Ölstand prüfen …«
Dann grinste er, um zu zeigen, dass er nur Spaß machte. Ordell in Leinen und Gold – orangefarbener Pullover mit rundem Halsausschnitt und weißer Hose, das Gold prangte an Hals, Handgelenk und zwei Fingern.
Er sagte: »Komm schon, sehen wir uns die Show an.«
Louis sagte: »Du bist die Show.«
Ordell lächelte, bewegte die Schultern wie ein Boxer. Sie näherten sich wieder der Menge, die von einem gelben Absperrband der Polizei zurückgehalten wurde, das man um die Treppe vor dem Springbrunnen gespannt hatte. Oben stand ein junger Nazi und sprach zu den unten versammelten Menschen in ihren Rassistenklamotten. Ordell wollte sich durch die Menge zwängen, um weiter nach vorn zu kommen, aber Louis packte ihn am Arm.
»Ich geh da nicht hin.«
Ordell drehte sich um und sah ihn an. »Das ist nicht wie im Knasthof, Mann. Hier hat keiner ein selbst gebasteltes Messer dabei oder so was.«
»Mit geh ich da nicht hin.«
»Na schön«, sagte Ordell. »Muss ja nicht sein.«
Sie suchten sich eine Stelle, von der aus sie den jungen Nazi gut sehen konnten. Der schrie gerade: »Was wollen wir?« Und seine Kumpel, die Nazi-Mädels und die übrigen Bekloppten schrien zurück: »White power!« Das ging so lange, bis der junge Nazi fertig war und schrie: »Eines Tages wird die Welt begreifen, dass Adolf Hitler recht hatte!« Darauf brüllten manche Leute aus der Menge, er sei ein hirnverbrannter Idiot. Und er brüllte in die Menge zurück: »Wir werden dieses Land für unser Volk zurückerobern!«, wobei sich seine junge Nazi-Stimme überschlug. Und die Zuhörer riefen zurück, was für ein Volk er da meine, wohl solche Ärsche wie ihn. Eine Schwarze in der Menge sagte: »Erzähl so was in Riv’era Beach, und du bist tot.« Der junge Nazi-Skinhead begann »Sieg Heil!« zu grölen, aus vollem Hals und immer wieder, und die Bekloppten stimmten ein und reckten...