Lentz | Muckefuck | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 230 Seiten

Reihe: Berlin-Trilogie

Lentz Muckefuck

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-95530-027-2
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, Band 1, 230 Seiten

Reihe: Berlin-Trilogie

ISBN: 978-3-95530-027-2
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Der erste Roman der grandiosen Berlin-Trilogie! Eine Jugend im Berlin der Nazi-Zeit: Karl Kaiser, von seiner Mutter liebevoll 'Menschlein' genannt, wächst in der Berliner Laubenkolonie 'Tausendschön' auf. Statt in Pfützen oder bei den Kaninchenställen zu spielen, sollen er und seine Freunde als Pimpfe Wichtiges für kriegerische Zeiten lernen, die angeblich bevorstehen. Zum Glück gibt es da den nicht ganz so linientreuen Vater von Karl, der ihn von den NS-Aktivitäten fernhält...

Georg Lentz wuchs in Berlin auf. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Verlagskaufmann. Er war im Verlagswesen und Kunsthandel tätig. 1952 gründete er in Stuttgart den auf Bilder- und Jugendbücher spezialisierten Georg-Lentz-Verlag. Lentz leitete den Verlag bis 1964. Danach arbeitete er als Verlagsleiter in Zürich und beim Verlag Carl Ueberreuter in Wien; daneben verfasste er einige Sachbücher. Lentz war seit 1971 Mitglied des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Georg Lentz veröffentlichte ab 1976 eine sehr erfolgreiche autobiografische Romantrilogie, die aus den Bänden 'Muckefuck', 'Molle mit Korn' und 'Weiße mit Schuß' besteht und vor dem Hintergrund der Berliner Geschichte zwischen 1933 und 1959 spielt. Basierend auf den Büchern 'Muckefuck' und 'Molle mit Korn' wurde 1988 eine zehnteilige Fernsehserie mit dem Titel 'Molle mit Korn' produziert.
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Teil 2


Drei Uhr morgens.

Ingrid stopfte ihre Mähne unter den Luftschutzstahlhelm. »Pause«, sagte sie.

Etwa zwanzig Heimatkrieger in Overalls, Taschenlampen vorn am mittleren Knopf, räumten Stein für Stein eine Schutthalde weg, die vor einigen Stunden noch Familie Kaisers Stolz verkörpert hatte. Ein Eigenheim, zusammengedroschen von einer Luftmine, wahrscheinlich 1000 LB Demo, Auftreffwucht fünfundzwanzigtausend Megatonnen.

With love from Winnie.

Die Bevölkerung nannte diese Bomben Badeofen oder Wohnblockknacker.

Bombenziel war der älteste Boskopapfelbaum im Garten gewesen, saubere Arbeit. Leider stand das Haus zu dicht daneben.

Minnamartha, vom Luftschutzbunker zurückgeeilt, probierte tränenüberströmt den Hausschlüssel, denn ein Teil der Giebelwand mit unversehrter Tür stand noch, zum Hohn, oder weil die Luftdruckwelle ungünstig (oder günstig) aufgetroffen war. Im Übrigen bestand das Eigenheim Nr. 413, Plan A 12, Typ 2 A nicht mehr.

Die Luftschutzbrigade begann wieder zu arbeiten. »Ich glaube, Kutschke ist auch unten«, sagte jemand. Kutschke, den wackersten aller Heimatkrieger, mussten sie retten. Dazu zwei wenn nicht Partei-, so doch Volksgenossen, und eventuell eine dreibeinige schwarze Katze, Alter geschätzt fünfzehn Jahre.

In der Nähe flackerte ein Brand auf. »Taschenlampen aus«, rief Ingrid. »Batterien sparen!« Auch Batterien waren bewirtschaftet, außerdem von miserabler Qualität.

Das Schicksal der Kellerinsassen war ungewiss. Hatten die hölzernen Streben und Versteifungen standgehalten? Möglich war ja, dass sie Kutschke beschissen hatten: mieses Holz. Immerhin wogen die Trümmer eines Einfamilienhauses weniger als die eines soliden, vierstöckigen Mietshauses. Dafür waren die Kellerdecken schwächer konstruiert.

Ein Brand war glücklicherweise nicht ausgebrochen.

Immer noch von oben gesehen: Hatten die drei, mit Katze vier, überlebt? Saßen sie, wie Verschüttete in einem Bergwerk, unter zusammengeknickten Stempeln, zerplitterten Tragbalken? Lagen sie blutend, stöhnend, mit zerquetschten Gliedmaßen unter Tonnen von Zementbohlen, Eisenträgern und Ziegeln?

Niemand wusste es.

Dieser penetrante Geruch von Mörtelstaub!

Ingrid schuftete ganz vorn, magere Arme ragten aus aufgerollten Overallärmeln. Die amtliche Bezeichnung allerdings war Kombination, weil Overall englisch, feindlich und verpönt war. Ingrid löste mit den Händen Mauerstein um Mauerstein, reichte sie dem Nebenmann, der sie weiterwandern ließ durch die Kette der Helfer. Ingrid in ihrer Kombination, ein eher unförmiges Heimatkriegerpaket, dachte nicht an Zitrone und Banane. Nicht in dieser Nacht.

Minnamartha, den seitwärts geparkten, dokumentenbeladenen Notkinderwagen misstrauisch im Auge behaltend, umkreiste weinend die gebückten grauen Gestalten, die emsig eine Gasse durch die Trümmer zu den Eingeschlossenen gruben. Hier und da nahm sie einen Stein auf, legte ihn sinnlos irgendwo ab, behinderte, geduldet, das Rettungswerk, dessen Ausgang ungewiss war.

Erst im Morgengrauen stießen sie auf den, wenigstens in dieser Stelle, unversehrt gebliebenen Beton der Kellerdecke. »Ruhe«, rief einer der Grauvermummten. »Wir geben Klopfzeichen!«

Minnamartha kreiste um Ingrid und ihre Helfer.

Nach dieser hausvernichtenden Bombennacht wurde Laube vierzehn wieder zum Hauptwohnsitz der Kaisers aufgewertet. Wir waren schließlich, Großmutter mit der Katze auf dem Arm voran, aus einer in die Kellerdecke gebrochenen Offnung ans Tageslicht geklettert, staubbedeckt zwar, aber heil. Minnamartha hatte uns mit Schluchzen und Umarmungen empfangen. Auch Kutschke, Stahlhelm in der Hand, bekam sein Teil ab, während Ingrid und ihre Helfer stumm danebenstanden. Ede war, inzwischen verständigt, von seiner Bereitschaftsstation eingetroffen und betrachtete die Reste seines Eigenheims, Typ 2 A. Natürlich machte 2 A mehr Schutt als 2 B oder 3, dafür war der Keller auch stabiler, was sich in Hinsicht auf unser Überleben als nützlich erwiesen hatte.

Auch die Hühner hatten überlebt. Allerdings verweigerten sie für die nächsten Wochen die Eierproduktion. Im Laufe der Tage gelang es uns, einige nützliche Gegenstände aus dem Keller zu bergen. Plünderer waren allgegenwärtig, und es hieß, ihnen zuvorzukommen. Ingrid, die Unermüdliche, half Großmutter, das unversehrt gebliebene Gemälde Professor Müllers mit dem von hinten sichtbaren nackten Gewitterreiter durch die ramponierte Eigenheimsiedlung zur Kolonie Tausendschön zu tragen. In der Laube bekam das Werk einen Ehrenplatz.

Am vierten Tag grub Ede die Pekingente aus, deren Porzellanschnabel allerdings endgültig verloren war, und am fünften Tag zog ich den unbeschädigten Husarenkrug aus dem Schutt.

Großmutter kochte Kaffee, Muckefuck, nach Vorschrift der U-Bahn-Reklame: Solang’ Idee Kaffee uns fehlt -nimm Koff, dann hast du gut gewählt! Allerdings veredelte sie wegen der außerordentlichen Vorfälle Koff und Kathreiner mit sieben oder acht echten Kaffeebohnen.

Ingrid in ihrem blaugrauen Luftschutzkokon ging mir nicht mehr aus dem Sinn, obwohl sie sich, nach Ausräumung des Kellers, viel zu selten sehen ließ, schlaksig wie immer, mit leichten Rundungen unter dem Pullover.

Ich, Karl Kaiser, gelegentlich noch Menschlein gerufen, streckte mich, bekam leichten Flaum auf der Oberlippe, während ich die Metamorphosen verschiedener Uniformen, Arbeits- und Kampfanzüge durchlief.

Permanenter Einsatz nun, während die riesige Stadt langsam unter Air-Force-Bomben zerbröselte. Wohnblockknacker, General-Purpose-Bomben, Elektronstabbrandbomben, Phosphorkanister. Die achte US-Air-Force-Flotte warf innerhalb einer Stunde fünftausend Tonnen Bomben ins Ziel. Beim Angriff in der Nacht zum 27. Februar 1945 pflasterten über tausend Superfortress und B 27 die Rekordmenge von 8200 Tonnen Bomben auf die Reichshauptstadt.

Nur die Kolonie Tausendschön sparten sie aus. Außer ein paar Phosphorkanistern und Stabbrandbomben, die in die Gärten fielen, blieb die Kolonie eine Oase im Eisenhagel. Ihre Bewohner hockten nachts in den Splittergräben, tagsüber verwandelten sie jene Beete, auf denen einst Nelken dufteten, in Kohlplantagen.

Nur gelegentlich stand Wanda Puvogel noch neben der Riesenpfütze. Persil war übrigens alle.

Der Ortschaft Gaschendorf, in Straßenbahnnähe der Großstadt L. gelegen, mangelt es heute wie je an Bedeutung. Kein Goethe befummelte dort sein Lottchen, kein Kleist setzte sich den preußischen Armeerevolver an die klare Stirn, kein Ludwig van komponierte dort Freude, schöner Götterfunken.

Einziger Vorteil von Gaschendorf war damals, dass es taktisch günstig zwischen Deutschlands größtem Benzinhydrierwerk und einer Panzerfaustfabrik lag. Berühmteste Persönlichkeit des Ortes Gaschendorf war der Postmeister. Seine Tochter hieß Adele.

Diese Adele, einszweiundsechzig groß, mittelblond, stand eines klirrend kalten Februarmorgens an der Hauptstraße und sah zu, wie eine Schar von bleichen, mageren Knaben, teils in Räuberzivil, teils in ausgewachsenen HJ-Uniformen, aus der Vorortbahn torkelte, beladen mit Koffern und Pappschachteln. Vorneweg und hinten je ein fluchender Unteroffizier in Luftwaffenblau, rote Kragenspiegel, den Spruch Gott mit uns auf den Koppelschlössern. Am Ärmel Flaktätigkeitsabzeichen, die Armeepistole Nullacht vom Koppel baumelnd.

Adele stampfte mit den Füßen, in mehrfach geflickten Winterstiefelchen steckten sie, und warf Blicke, die von einigen Knaben feurig erwidert wurden. Noch ahnten wir nicht, dass in Zukunft regelmäßige Beigaben von Soda im Kaffee, treffend Hängolin genannt, die Sehnsüchte der meisten Neuankömmlinge reduzieren würden.

Jene von Unteroffizieren gescheuchten Minderjährigen waren dazu ausersehen, Dienst an achtzehn Zehnkommafünf-Flakgeschützen zu tun, die auf einem freien Feld hinter dem Bahnhof von Gaschendorf von schweren Raupenschleppern in Stellung gebracht worden waren.

Eine Großbatterie im Verteidigungsgürtel um die Benzin- und Panzerfaustwerke.

Zwischen den durch die Kälte taumelnden Flakhelfern schritt auch ich, Karl Kaiser, an Adele vorbei, um mich in eine neue Schule der Nation zu begeben, im Ohr noch Minnamarthas Schluchzen, das sie auch für diese Gelegenheit bereitgehalten hatte, und Großmutters Bemerkung: »Mehr Latein wird er da nich lernen!«

Wir leisteten damit folgendem gedruckten und entsprechend ausgefüllten Erlass Folge:

»An E. Kaiser als Erziehungsberechtigtem des nachstehend genannten Schülers.

Die deutsche Jugend der höheren und mittleren Schulen wird dazu aufgerufen, in einer ihren Kräften entsprechenden Weise bei der Luftverteidigung des Vaterlandes mitzuwirken, wie dies in anderen Ländern schon lange geschieht. Schüler bestimmter Klassen der genannten Schulen sollen als Luftwaffenhelfer für Hilfsdienste bei der Luftwaffe eingesetzt werden. Hierfür wird der Schüler Karl Kaiser aufgrund der...



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