Lennox | Picknick im Schatten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 560 Seiten

Lennox Picknick im Schatten

Roman
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-492-95344-3
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 560 Seiten

ISBN: 978-3-492-95344-3
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nur ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, der das Schicksal einer jungen Frau und die Lebenswege einer ganzen Familie für immer verändert ... Sommer 1914: Als junges Mädchen verbringt Alix mit der reichen Verwandtschaft die großen Ferien in Frankreich - eine unbeschwerte Zeit, die jäh endet, als ihr kleiner Cousin Charlie spurlos verschwindet. Alix trägt die Schuld daran, eine Schuld, die sie nie wieder loslassen wird. Eine dramatische Geschichte um Liebe, Verrat und Vergebung.

Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des modernen englischen Gesellschaftsromans und gelangt mit jedem neuen Buch auf die deutschen Bestsellerlisten. Judith Lennox liebt Gärtnern, ausgedehnte Wanderungen, alte Häuser und historische Stätten. Sie lebt mit ihrem Mann in Cambridge. Die beiden sind Eltern dreier erwachsener Söhne.
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2

IHRE SCHRITTE KLANGEN unnatürlich laut auf dem glänzend gewachsten Holz der Treppenstufen. Derry und sein Vater sprachen kein Wort, während sie der Schwester in der blauen Tracht folgten. Die Stille rundherum reizte Derry, derbe Possen zu reißen oder mit lautem Gebrüll durch die trübe erleuchteten Korridore zu stürmen. In Kirchen pflegte es ihm ähnlich zu ergehen. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, der überall in diesem Haus hing, erinnerte ihn an die betäubenden Weihrauchdüfte.

Als hätte die Schwester gespürt, was in ihm vorging, sah sie sich um und sagte in mißbilligendem Ton: »Die Patienten haben jetzt gerade Mittagsruhe. Eigentlich dürften Sie Lieutenant Fox um diese Zeit gar nicht besuchen, aber da Sie eine ziemlich lange Fahrt hinter sich haben …«

Am Ende des Korridors öffnete sich eine Tür. Derry sah undeutlich einen Mann, der in einem weißen Bett lag, und eine dunkelhaarige Krankenschwester, die an seiner Seite stand. Er stellte sich eiternde Geschwüre und brandige Glieder vor, und sein Magen zog sich zusammen.

Die Schwester sagte: »Was tun Sie hier, Gregory? Und wieso ist die Jalousie hochgezogen? Der Patient sollte ruhen.«

Schnurrend sauste eine Jalousie herab, und das Zimmer verdunkelte sich.

»Das ist meine Schuld, Schwester«, sagte Jonathan beschwichtigend. »Das verflixte Bein hat mir elend zu schaffen gemacht, da habe ich Schwester Gregory gefragt, ob sie nicht etwas tun kann.«

»Miss Gregory, Mr. Fox«, korrigierte die Schwester, aber ihr Ton war eine Spur freundlicher geworden. »Na schön«, sagte sie zu der jüngeren Schwester, »wenn Sie hier fertig sind, können Sie die Pfannen spülen.«

»Ja, Schwester Martin.«

»Eine halbe Stunde meine Herren, dann muß der Patient ruhen.« Schwester Martin ging hinaus.

Derry schloß die Tür hinter ihr. Miss Gregory zog die Jalousie wieder hoch, und das blasse Winterlicht strömte ins Zimmer.

»Hunde, die bellen, beißen nicht«, bemerkte Jonathan, und Derry glaubte, bei Miss Gregory eine skeptisch hochgezogene Augenbraue zu sehen. Sie hatte interessante Augen, ein dunkles, strenges Grün.

»Wie schön, euch beide zu sehen«, sagte Jonathan. »Vater – Derry …«

»Wie geht es dir, mein Junge?«

»Es geht mir sehr gut, Dad.«

Nicholas Fox legte seinem ältesten Sohn die Hand auf die Schulter. »Was macht das Bein?«

»Es ist schon viel besser. Es wird mit jedem Tag besser.«

»Hier, ich habe dir ein paar Weintrauben mitgebracht. Sie sind aus Mrs. Winstanleys Gewächshaus. Nett von ihr, nicht?«

Derry zwang sich, Jonathan richtig anzusehen. Das wellige blonde Haar, das gebräunte Gesicht, die lächelnden blauen Augen (nur Jonathan konnte es fertigbringen zu lächeln, obwohl er im Geschützfeuer beinahe sein Bein verloren hatte) – alles war unverändert. Die Decke war zurückgeschlagen. Derry ließ seinen Blick zögernd zu Jonathans verwundetem Bein hinuntergleiten. Ich werde es schon aushalten können, sagte er sich, wenn ich es mit rein klinischem Interesse betrachte. Die grünäugige Schwester war wieder zu ihrer Arbeit zurückgekehrt.

Er fragte: »Haben sie auch wirklich alle Splitter rausgeholt? Was tun sie, wenn einer irgendwie mittendrin steckt? Lassen sie ihn einfach drin, oder schneiden sie –«

»Derry!« fuhr sein Vater ihn an.

»Sie bemühen sich natürlich, alle Fremdkörper zu entfernen. Sonst kann es geschehen, daß sich die Wunde entzündet.« Miss Gregorys Stimme war leise, ihr Ton herablassend.

»Ich war nicht bei Bewußtsein, als sie an mir herumgeschnippelt haben«, sagte Jonathan. »Ich habe überhaupt nichts mitbekommen. Mir sind einfach anderthalb Tage verlorengegangen.« Er runzelte die Stirn. »Ich kann immer noch nicht glauben, daß es wirklich vorbei ist. Ständig denke ich, ich müßte wieder hinaus. Jeden Morgen beim Aufwachen muß ich mir erst ins Gedächtnis rufen, daß es vorbei ist.«

»Du hast dein Teil getan.« Behutsam tätschelte Nicholas Fox seinem Sohn die Schulter. »Und ich bin stolz darauf, daß einer meiner Söhne sein Teil beitragen konnte. Auch der König und das Vaterland sind stolz auf dich, mein Junge.«

Derry ging zum Fenster. Ans Sims gelehnt, sah er hinaus. Das Lazarett Fallowfield war vor dem Gemetzel von 1916 der hochherrschaftliche Landsitz irgendeiner begüterten Familie gewesen. Samtig grüne Rasenflächen, jetzt allerdings von den säuberlich gehäufelten Reihen langer Gemüsebeete durchsetzt, dehnten sich bis zum offenen Land der South Downs. Unter tropfenden Bäumen scharten sich Grüppchen von Soldaten, einige von ihnen in Rollstühlen, andere an Krücken. Dieser ganze Riesenkasten, dachte er, ist von Männern bevölkert, die ihr Teil getan haben.

Die grünäugige Schwester breitete sorgfältig die Decke über ihren Patienten. »Fühlen Sie sich jetzt etwas besser, Mr. Fox?«

»Ungleich besser. Sie sind ein Engel.«

Miss Gregorys Gesicht bekam einen weicheren Zug. Mit einem Nicken ging sie aus dem Zimmer.

»Puh!« machte Derry. »Sind die hier alle so? So bissig, meine ich.«

»Sie ist sehr nett. Hunde –«

»Ja, ich weiß, Hunde, die bellen, beißen nicht«, sagte Derry. »Wenn du in einem anderen Zeitalter gelebt hättest, Jon, hättest du wahrscheinlich das gleiche von Lucrezia Borgia gesagt – oder von Heinrich dem Achten …«

Jonathan lächelte.

Nicholas Fox sagte scharf: »Sei doch still, Derry, wenn du nichts Vernünftiges zu sagen hast.« Er zog sich einen Stuhl an Jonathans Bett. »Jetzt erzähl mal von Frankreich, mein Junge. Ich will alles ganz genau wissen.«

»Nimm’s mir nicht übel, Vater, aber ich bin ziemlich müde. Es wäre schön, wenn du mir etwas erzählen würdest. Wo ist Mutter? Konnte sie nicht mitkommen?«

»Deiner Mutter geht es in letzter Zeit leider nicht besonders gut.«

Jonathan sah ihn erschrocken an, und Nicholas Fox beeilte sich, ihn zu beruhigen. »Der Arzt meint, es sei nichts allzu Ernstes. Es sind die gleichen Beschwerden, die sie letztes Jahr schon hatte. Aber sie schickt dir natürlich liebe Grüße.«

»Danke. Grüß du sie auch von mir, ja?« Jonathan legte sich ins Kissen zurück. Unter der Sonnenbräune war sein Gesicht blaß und angestrengt. »Erzähl mir von zu Hause, Vater. Was macht die Kanzlei?«

»Ach, ich habe zu tun. Leider zieht Campkin immer noch die meisten lohnenden Fälle an Land.«

Die Kanzlei Campkin war die Konkurrenz. Jonathan drückte angemessenes Bedauern aus.

»Nun ja, ich bin immer schon der Ansicht gewesen, daß die Campkins unzulässigen Einfluß ausüben«, fügte Nicholas Fox hinzu. »Reginald Campkins älterer Bruder war ja Sir Lionel Fripps Gutsverwalter. Ohne Ronald dürfte es Reginald allerdings schwerfallen, so viele Mandate anzunehmen wie wir. Vielleicht können wir in Zukunft auf mehr Ausgeglichenheit hoffen.«

»Ronald Campkin ist in der Schlacht an der Lys gefallen«, erklärte Derry.

»Drei Töchter –«

»Vielleicht gibt dir das den entscheidenden Vorteil, Dad.«

»Wenn du wieder gesund bist, Jonathan …«

»Der arme alte Ronnie – er war ja nicht übermäßig helle, aber …«

»Die Kanzlei könnte einen jüngeren Mitarbeiter gebrauchen.«

»… wirklich entgegenkommend von ihm, daß er diesem Heckenschützen den Kopf hingehalten hat.«

Einen Moment trat schockiertes Schweigen ein. »Derry!« rief Nicholas Fox dann empört.

»Ich könnte einen Schluck frisches Wasser gebrauchen«, sagte Jonathan hastig.

»Ich verstehe nicht«, Nicholas Fox war hochrot im Gesicht, »warum du es bei jeder Gelegenheit darauf anlegst, mir das Wort im Mund umzudrehen.«

»Ich wollte doch nur sagen«, verteidigte sich Derry mit Unschuldsmiene, »daß man, wenn man sich über den Geschäftsrückgang bei Campkin freut, auch die Bemühungen des deutschen Heckenschützen würdigen muß, der den Sohn erledigt hat.«

Nicholas Fox sprang auf. Jonathan wies zu der Wasserkaraffe auf seinem Nachttisch. »Meinst du …«

Derry klemmte die Karaffe unter den Arm und eilte aus dem Zimmer. Er befand sich am Ende eines langen Korridors. Einige der Türen, an denen er auf der Suche nach einer Wasserquelle vorüberkam, standen offen, andere waren geschlossen. Er bemühte sich, nicht in die offenen Zimmer hineinzusehen, doch er hatte Mühe, seine Neugier zu bändigen. Außerdem, sagte er sich, wäre das, was er zu sehen bekäme, sicher nicht schlimmer als die Greuel, die er sich in seiner Phantasie ausmalte. Als er Stöhnen hörte, ging er schneller.

Das Haus war der reinste Irrgarten, so verwinkelt und verschachtelt, daß er bald jegliche Orientierung verloren hatte. Schwestern mit weißen Häubchen eilten mit strengen Gesichtern und zielstrebigen Schritten vorüber. Eine Frau im Pelzmantel schob einen Patienten im Rollstuhl, ihren Sohn vermutlich. Über den Beinen des Mannes lag eine Decke – nein, falsch, korrigierte sich Derry. Es war nur ein Bein; an der Stelle, wo das zweite hätte sein müssen, war eine schauderhafte Mulde, in die die Decke schlaff hineinfiel. Derry drückte sich an die Wand, um dem Rollstuhl Platz zu machen, ehe er seine Suche nach einer Toilette oder Küche, irgendeinem Raum, in dem es einen Wasserhahn gab, fortsetzte. Er hätte viel für eine Prise frischer Luft gegeben; beim Blick aus einem Fenster, stellte er sich vor, er liefe über den froststeifen Rasen und füllte die Karaffe am Fischteich.

Als er etwas später Wasser plätschern hörte, stieß er vorsichtig eine angelehnte Tür auf. Kein Krankenzimmer, Gott sei Dank. Eine Art Waschraum.

Er stieß die Tür ganz auf und sah an einem großen Spülbecken...


Lennox, Judith
Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des modernen englischen Gesellschaftsromans und gelangt mit jedem neuen Buch auf die deutschen Bestsellerlisten. Judith Lennox liebt Gärtnern, ausgedehnte Wanderungen, alte Häuser und historische Stätten. Sie lebt mit ihrem Mann in Cambridge. Die beiden sind Eltern dreier erwachsener Söhne.



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