Lennox | Die Mädchen mit den dunklen Augen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 544 Seiten

Lennox Die Mädchen mit den dunklen Augen

Roman
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-492-95342-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 544 Seiten

ISBN: 978-3-492-95342-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der neue Roman der Bestsellerautorin Judith Lennox erzählt von drei jungen Mädchen im England der Swinging Sixties und Seventies. Sie wollen für immer zusammenhalten. Doch als die schwangere Rachel ein schreckliches Geheimnis entdeckt und ihre beiden Freundinnen am dringendsten braucht, kommen Liv und Katherine zu spät … Eine mitreißende Geschichte um Liebe und Schuld, Vertrauen und lebenslange Freundschaft.
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1

LIV SUCHTE IN den Kieseln nach farbigen Glasstücken. Als sie klein gewesen war, hatte sie geglaubt, es wären Edelsteine: Smaragde, Saphire, Diamanten und – eine Rarität – Rubine. Ihr Vater, Fin, hatte ihr erklärt, daß es vom Meer geschliffene Glasscherben waren. Liv stellte sich vor, die Wellen höben die Scherben zerbrochener Flaschen und eingeschlagener Fensterscheiben auf und das Meer riebe sie mit einem Tuch, bis sie im weichen Schimmer der Perlen glänzten, die Thea um den Hals trug.

Vor ihr schritten Fin und Thea den Strand entlang. Die Kiesel knirschten unter ihren Füßen, sie hielten die Köpfe gesenkt. Fins Mantel bauschte sich hinter ihm zu einem flatternden dunklen Cape, und Theas Seidenschal kräuselte sich wie ein blasses Banner im Wind. Die Schreie der kreisenden Möwen waren ein Echo des zornigen Auf und Ab ihrer Stimmen. Beide hatten sie die Hände tief in die Manteltaschen geschoben, und im Gehen begannen ihre Wege sich zu trennen. Fins nahm die Richtung zum Meer, Theas wandte sich kaum wahrnehmbar landwärts. Liv beachtete weder ihre Eltern noch die Wellen, sondern hielt den Blick fest auf den schmalen Kieselstreifen gerichtet und suchte nach Rubinen und Diamanten.

Ein Jahr später reisten sie von der Küste ins Innere des Landes. Auf der Fahrt regnete es ununterbrochen. Wie Tränenströme, dachte Thea, die in Gedanken versunken zusah, wie die Wassertropfen an den Fensterscheiben des Busses herabglitten. Sie warf einen Blick auf ihre Tochter, die neben ihr saß. »Jetzt sind wir bald da«, sagte sie ermutigend und lächelte.

Liv lächelte nicht. Und sie sagte auch nichts. In den acht Monaten, seit ihr Vater sie und ihre Mutter verlassen hatte, war sie mit Worten immer sparsamer geworden, und der Blick ihrer dunkelbraunen Augen hatte sich zusehends verschlossen. Noch einmal versuchte Thea sie aufzumuntern. »Wir brauchen nicht zu bleiben, wenn es dir nicht gefällt, Schatz.« Wo sie allerdings hingehen sollten, wenn es in Fernhill nicht klappte, das wußte sie selbst nicht.

Der Regen hatte nicht nachgelassen, als sie ihren Bestimmungsort erreichten. Es tropfte von den Kastanien, und die zarten Blütenblätter des Mohns am Straßenrand hingen müde und regenschwer herab. Die Räder des Busses wirbelten braunes Wasser auf, als er abfuhr und Mutter und Tochter allein an der Straße zurückließ. Thea rief sich Dianas Anweisungen ins Gedächtnis. »An der Bushaltestelle hältst du dich rechts, weg vom Dorf. Wir wohnen gleich hinter dem Hügel.«

Thea ging mit gesenktem Kopf. Die Beine waren ihr schwer. Die hektische Energie, die sie dieses grauenvolle vergangene Jahr hindurch aufrechterhalten hatte, schien sie verlassen zu haben. Sie versuchte, sich zu erinnern, wann sie Diana das letzte Mal gesehen hatte. Bei Rachels Taufe natürlich. Aber das war zehn Jahre her. Sie mußten sich dazwischen noch einmal gesehen haben. Mit nassen Fingern rieb sie sich die nasse Stirn.

Auf der Höhe des Hügels blieb sie stehen und blickte, ein wenig außer Atem, auf die Collage aus Feldern, Bächen und Buckeln hinunter, die Landschaft, die das Gebiet an der Grenze zwischen Cambridgeshire und Herfordshire kennzeichnete. Parallel zur Straße erhob sich eine Mauer mit einem prächtigen schmiedeeisernen Tor. Thea las die Inschrift darauf, Fernhill Grange, und sah dahinter das große rote Backsteinhaus, das inmitten eines gepflegten Parks stand. »Du meine Güte«, sagte sie verblüfft und hatte einen Moment lang Mühe, sich die praktische, gutmütige Diana ihrer Erinnerung als Herrin eines so imposanten Landsitzes vorzustellen. Aber Diana stammte ja selbst aus guter Familie, sagte sie sich, als sie das Tor aufstieß, und hatte eine gute Partie gemacht. Henry Wyborne saß mittlerweile als Abgeordneter im englischen Parlament. Außerdem war Diana immer schon ein Glückspilz gewesen.

Sie stapften durch den Regen die Auffahrt hinauf. An der Haustür blieb Thea stehen und sah zu ihrer Tochter hinunter. »Ich hatte keine Ahnung, daß es so nobel sein würde«, sagte sie. Behutsam schob sie Liv das nasse dunkle Haar aus den Augen.

Bei Tee und Gebäck erinnerte Diana sie: »Du warst dreiundfünfzig das letzte Mal bei einem unserer Treffen, Thea. Seither haben wir uns nicht mehr gesehen.«

»Vor sieben Jahren? So lang ist das her?«

»Du hättest letztes Jahr kommen sollen.« Diana lachte. »Es war unheimlich nett. Bunty Naylor war da – du erinnerst dich doch an Bunty, sie war immer schon zum Kaputtlachen. Weißt du noch, damals, als …«

Diana schwelgte in Erinnerungen. Thea hörte nur mit halbem Ohr zu, während ihr Blick durch das große gemütliche Zimmer schweifte. Die beiden kleinen Mädchen hockten auf der Fensterbank. Rachel erzählte; Liv hörte zu und schwieg, wie meistens in letzter Zeit. Rachel war nur wenige Monate älter als Liv. Thea erinnerte sich an die Taufe: Rachel, das vollkommene Kind, das mit dunklen Augen gelassen unter einem Geriesel kostbarer alter Spitze hervorsah. Auch jetzt noch, zehn Jahre später, war Rachel vollkommen, ein schönes kleines Mädchen – anders konnte man es nicht sagen – mit dickem kastanienbraunem Haar und klaren braunen Augen, das Wohlbefinden und Selbstvertrauen ausstrahlte. Theas Blick wanderte von Rachel in ihrem frischen Baumwollkleidchen zu Liv in der braunen Strickjacke mit den geflickten Ellbogen. Die Augen ihrer Tochter unter den allzulangen Stirnfransen wirkten unglücklich und gehetzt. Thea mußte eine plötzliche Aufwallung von Bitterkeit und Liebe unterdrücken.

»Thea?«

Sie fuhr schuldbewußt zusammen. Diana sah sie neugierig an. Sie versuchte, sich zusammenzunehmen. »Entschuldige, Diana. Es ist nur – es scheint alles so weit weg.« Sie krampfte ihre kräftigen hellen Hände ineinander. »Der Krieg, meine ich. Der Erste-Hilfe-Dienst. Diese scheußliche Kaserne, wo wir stationiert waren.«

Eigentlich wollte sie sagen, ich bin nicht mehr das junge Ding von damals. Ich kann mich kaum noch an dieses Mädchen erinnern.

Diana sagte teilnahmsvoll: »Natürlich. Du hast ein schlimmes Jahr hinter dir. Hör einfach nicht hin, Darling, du weißt doch, ich plappere immer ins Blaue hinein.« Den Blick auf die beiden kleinen Mädchen gerichtet, hielt sie inne und sagte leise: »Unsere Mädchen mit den dunklen Augen, Thea.«

Thea biß sich auf die Lippen und preßte die Fingernägel in ihre Handballen. Sie hörte Diana sagen: »Rachel, willst du nicht Olivia dein Zimmer zeigen?« und hielt gerade noch so lange durch, bis die Tür sich hinter den beiden Mädchen schloß, ehe sie zu weinen anfing.

Als sie einmal angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören, bis Diana ihr schließlich sanft ein Glas in die Hand drückte und sagte: »Komm, das hilft meiner Erfahrung nach besser als Tee.« Thea trank, von den Nachwehen ihres Ausbruchs geschüttelt, einen großen Schluck Whisky und lehnte sich mit geschlossenen Augen in ihrem Sessel zurück.

Nach einer langen Weile machte sie die Augen wieder auf und sagte leise: »Entschuldige.«

»Hör auf, Thea. Warum sollst du nicht heulen?«

»Es ist doch eine ziemliche Zumutung …«

»So ein Quatsch. Dafür sind Freundinnen da.«

Thea hatte vergessen, was für eine warmherzige Person Diana war. Ein bißchen wichtigtuerisch manchmal und albern, aber immer voller Güte.

»Du hast wohl nichts gehört …?«

Thea schüttelte den Kopf. »Es sind jetzt acht Monate. Er hatte mir einen Zettel auf den Küchentisch gelegt. Es tut mir leid. Du bist ohne mich besser dran. Ich werde Dich nicht mit langen Erklärungen oder Bitten um Verzeihung belästigen, die höchstens eine Beleidigung wären. In Liebe, Fin. Er kommt nicht zurück«, erklärte sie mit Entschiedenheit. »Meine Ehe ist vorbei. Der Umzug hierher – das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ein klarer Schlußstrich.« Sie holte einmal tief Atem. »Kann ich das Häuschen wirklich haben, Diana?«

»Aber ja. Es ist nur furchtbar klein.« Dianas Miene drückte Zweifel aus. »Aber eigentlich ganz idyllisch. Es hat ein Wohnzimmer, eine Küche und zwei Schlafzimmer. Es müßte eigentlich gerade das Richtige sein für …« Sie sprach nicht weiter.

»… für uns beide«, vollendete Thea für die Freundin. Früher einmal waren sie zu dritt gewesen, jetzt waren sie nur noch zu zweit. Sie hatte sich beinahe schon daran gewöhnt. »Hat das Haus auch ein Bad?«

Diana schnitt eine Grimasse. »Es gibt eine Toilette, aber sie ist draußen im Freien, eine ziemliche Zumutung. Die Seagroves haben sich in der Küche gewaschen und in einer Blechwanne gebadet.«

Mrs. Seagrove, die frühere Bewohnerin des Häuschens, war Dianas Haushaltshilfe gewesen. Sie war vor kurzem zu ihrer Tochter nach Derby übersiedelt.

»Die Miete …« Thea schluckte ihren Stolz hinunter. Das opulente Wohnzimmer der Wybornes sprach von Geld und Wohlstand.

»Sehr preiswert, soviel ich weiß.«

Thea atmete erleichtert auf.

Dann fügte Diana etwas zaghaft hinzu: »Es wäre vielleicht einfacher, Thea, wenn …«

»Ja?«

»Es würde dir das Leben hier vielleicht erleichtern, wenn du die Leute in dem Glauben läßt, du wärst Witwe. Fernhill ist ein kleines Dorf und in vieler Hinsicht ziemlich altmodisch. Und das Häuschen gehört der Kirche, weißt du. Der Pfarrer ist ein sehr guter Freund von uns, und …« Dianas Stimme verklang.

Thea wußte nicht, ob der plötzlich aufflammende Zorn gegen Diana gerichtet war oder gegen Fin. Sie sagte kalt: »Keine Sorge, Diana, ich werde dich nicht in Verlegenheit bringen.«

»Aber so habe ich das doch nicht gemeint …« Dianas Gesicht glühte.

Thea schämte sich plötzlich. »Bitte entschuldige. Ich weiß...


Lennox, Judith
Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des modernen englischen Gesellschaftsromans und gelangt mit jedem neuen Buch auf die deutschen Bestsellerlisten. Judith Lennox liebt Gärtnern, ausgedehnte Wanderungen, alte Häuser und historische Stätten. Sie lebt mit ihrem Mann in Cambridge. Die beiden sind Eltern dreier erwachsener Söhne.



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