Lennox | Das Winterhaus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 544 Seiten

Lennox Das Winterhaus

Roman
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-492-95347-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 544 Seiten

ISBN: 978-3-492-95347-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Gartenpavillon der Familie Summerbayes, genannt »Winterhaus«, ist ein Ort der Zuflucht für drei Freundinnen, die während der turbulenten Jahre zwischen den Weltkriegen in der idyllischen Umgebung von Cambridge aufwachsen. Die drei Mädchen schwören, einander ein Leben lang alles anzuvertrauen und zusammenzuhalten - aber das Schicksal lässt sie ganz unterschiedliche Wege einschlagen ...

Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des modernen englischen Gesellschaftsromans und gelangt mit jedem neuen Buch auf die deutschen Bestsellerlisten. Judith Lennox liebt Gärtnern, ausgedehnte Wanderungen, alte Häuser und historische Stätten. Sie lebt mit ihrem Mann in Cambridge. Die beiden sind Eltern dreier erwachsener Söhne.
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1

Den Rest ihres Lebens haßte sie Schnee. Er begann vor Morgengrauen zu fallen, und um elf, als die Telegramme eintrafen, hatte er die vertraute Londoner Landschaft gebleicht.

Vater und Mutter waren den ganzen Tag aus, es öffnete daher niemand die Telegramme. Sie blieben auf dem Tisch im Vestibül liegen: erschreckend, bedrohlich. Dennoch verlief Robins Tag wie immer. Am Vormittag Unterricht bei Miss Smith, Mittagessen und Mittagsschlaf und dann ein Nachmittagsspaziergang im Park. Als Robin abends um halb neun zu Bett ging, war sie gewiß, daß alles in Ordnung sei. Wie könnte das Leben seinen normalen Lauf nehmen, wenn Stevie oder Hugh etwas zugestoßen wäre?

Später überlegte sie oft, was sie geweckt hatte. Es konnte nicht der Jammerschrei ihrer Mutter gewesen sein – das Haus war zu groß, zu solide gebaut, als daß ihr Schrei Robins Schlafzimmer hätte erreichen können. Jedoch plötzlich hellwach, kletterte sie aus dem Bett und schlich auf nackten Füßen in ihrem Nachthemd leise nach unten. Das Vestibül war leer, trübe erleuchtet von einer einzigen elektrischen Lampe.

»Stevie – Hugh – alle beide …« Robin erkannte die Stimme ihrer Mutter kaum wieder.

»Wir fahren gleich in aller Frühe ins Krankenhaus, Liebes.«

»Meine Söhne – meine schönen Söhne!«

Robin ließ die Klinke der Wohnzimmertür los. Sie ging durch den Flur zurück ins Eßzimmer und trat durch die breite Terrassentür ins Freie. Sie blieb nicht stehen; auf kleinen bloßen Füßen stapfte sie durch den Schnee bis zum Ende des Gartens.

Zwischen den Rhododendren und den Überresten alter Gartenfeuer stehend, blickte sie zum Haus zurück. Es hatte endlich aufgehört zu schneien. Der Mond stand in unheilvollem Gelb-Orange an einem schwarzen Himmel. Das Haus, das Robin ihr siebenjähriges Leben lang kannte, hatte nichts Vertrautes mehr. Es hatte sich von Grund auf verändert, erblaßt im Schnee und von bronzefarbenem Licht umrissen. Sie spürte instinktiv, daß alles sich verändert hatte, daß der Winter durch Backstein und Ziegel ins Haus eingedrungen war und die Räume mit Frost überzogen hatte.

Sie sagten ihr, daß zwar Stevie niemals aus Flandern heimkehren, Hugh jedoch nach Hause kommen würde, sobald es ihm gut genug ginge. Richard und Daisy Summerhayes reisten unverzüglich zu dem Feldlazarett ab, in dem Hugh um sein Leben kämpfte, und ließen Robin in der Obhut von Miss Smith. Später wurde Hughs langsame Genesung zum Maß der verstreichenden Zeit. Sie schwankten ständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Die dunkle Zeit unmittelbar nach dem Eintreffen der Telegramme; die Trauerfeier für Steven, die Robin als ein wirres Durcheinander von Blumen, Gesang und Tränen erlebte. Das hatte nichts zu tun mit Stevie, ihrem strahlenden und geliebten großen Bruder. Zuversicht, als Hugh die ersten Schritte machte und als er aus dem Lazarett nach Hause kam. Eine Wiederkehr der Dunkelheit nach seinem Zusammenbruch. Nach dieser zweiten Heimkehr änderte sich vieles: Das Haus wurde ordentlicher, weil Unordnung bei Hugh Angst und Widerwillen hervorrief. Richard Summerhayes gab seine politischen Ambitionen auf, und die Ziele, die er für seine Söhne gehabt hatte, wurden auf seine Tochter übertragen. Robin – nicht Steven, nicht Hugh – würde nach Cambridge gehen und Altphilologie studieren wie einst Richard. Der Strom von Gästen, die zum Londoner Haus der Summerhayes' zu pilgern pflegten – zu den Madrigal-Abenden, den Lyriklesungen, den politischen Diskussionen –, wurde eingedämmt, weil Hugh keinen Lärm vertrug. Richard kaufte ein Automobil, um seinen Sohn aus der Geborgenheit, in die er sich zu Hause vergrub, herauszulocken. Ihr lärmendes, fröhliches Leben gehörte der Vergangenheit an, wurde zurückgezogen und still.

Dennoch wurde Hugh nicht richtig gesund. Sein Arzt erklärte Richard und Daisy mit Nachdruck, daß ihr Sohn vor allem Frieden und Ruhe brauche. Richard Summerhayes begann, sich nach einer anderen Stellung umzusehen, und bekam schließlich das Angebot, die Leitung der humanistischen Abteilung einer Knabenschule in Cambridge zu übernehmen. Obwohl es eine Einkommenseinbuße mit sich brachte, nahm er das Angebot an, weil er die Stille und Weite der Fens selbst erlebt hatte.

Die gepflügten Felder waren schwarze, konturlose Rechtecke. Graue Schatten lagen wie Schmutz auf Dämmen und Wegen. An den geschützten Abhängen und in Furchen hielt sich noch Reif, und die Sonne war, wenn sie an diesem Tag überhaupt aufgegangen war, verschwunden.

Das Automobil rumpelte klappernd auf der Straße dahin. Das Land war so flach, daß Robin Summerhayes das Haus sehen konnte, lange bevor sie es erreichten. Ihr Groll nahm zu, als das klobige gelbe Gebäude langsam größer wurde. Als ihr Vater schließlich bremste, mußte sie sich auf die Lippen beißen, um nichts zu sagen.

Die Sorge ihrer Eltern galt wie immer Hugh. Bemüht, kein Aufhebens um ihn zu machen, dennoch besorgt, ob seine angeschlagenen Nerven die Reise vertragen hatten. Robin betrachtete das Haus. Es war ein viereckiger Kasten mit vier Fenstern und einer Tür, wie eine Kinderzeichnung. Drinnen gingen Küche, Eßzimmer, Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Vestibül von einem schmalen dunklen Flur ab. Ihre Möbel waren schon aufgestellt, aber Kartons mit Porzellan, Wäsche, Kleidern und Büchern standen überall herum.

»Dein Zimmer, Robin«, sagte Daisy Summerhayes aufmunternd, als sie im oberen Stockwerk eine Tür öffnete.

Das Zimmer wirkte, wie der Rest des Hauses, so kalt und traurig wie ein Raum, der allzulange leer gestanden hat. Die Tapete war verblichen, und Robins vertraute Möbel schienen alle nicht richtig hineinzupassen.

»Es muß natürlich gestrichen werden«, bemerkte Daisy, »und ich nähe dir neue Vorhänge. Na, was meinst du, Schatz? Es ist doch hübsch, nicht?«

Am liebsten hätte sie geschrien: »Es ist scheußlich! Ich hasse es!«, aber sie tat es nicht aus Rücksicht auf den armen Hugh. Sie murmelte unfreundlich: »Es geht schon« und rannte hinaus.

In Blackmere Farm gab es weder elektrischen Strom noch Gas, noch fließendes Wasser. Auf den Regalen in der Spülküche standen reihenweise Petroleumlampen, und der einzige Wasserhahn über dem Keramikspülbecken wurde vom Brunnen gespeist. Robin stieß die Hintertür auf und dachte wütend, daß sich die Familie Summerhayes, als sie sich von London verabschiedet hatte, gleichzeitig von der Zivilisation verabschiedet hatte.

Draußen musterte sie finster den Garten, den großen, verwilderten Rasen und die ungepflegten Blumenbeete. Der ferne Horizont hing tief und war schnurgerade, und die Schwärze der Felder verschmolz mit den Wolken. Robin lief auf einen schmalen Streifen silbrigen Graus zu. Die Feuchtigkeit des hohen Grases durchnäßte ihre Schuhe und Strümpfe. Als sie den Fluß erreichte, blieb sie stehen und sah durch das Schilf in klares, dunkles Wasser hinunter. Eine Stimme in ihrem Kopf meinte, wie herrlich es wäre, hier im Sommer zu schwimmen, doch Robin achtete nicht auf sie und dachte statt dessen an London. Sie hatte den Lärm und die Betriebsamkeit geliebt. Dieses Haus dagegen schien wie von einer riesigen öden Wüste umgeben. Nein – keine Wüste, es tropfte und gluckste hier ja überall. Ein Moor. Wenn sie sich umsah, konnte sie weit und breit keine anderen Menschen oder Häuser sehen.

Aber so ganz stimmte das nicht. Flußabwärts stand eine große Holzhütte. Robin stapfte die Böschung entlang hin.

Die überdachte Veranda der Hütte ragte über das Wasser, das sich hier in einem tiefen kreisrunden, von Schilf umkränzten Becken sammelte. Robin kletterte auf die Veranda. Efeu überwucherte das Geländer, schlängelte sich an den überlappten Holzdielen entlang, verhängte das Fenster. Sie rieb das staubige Glas mit dem Ärmel ab und spähte ins Innere. Dann drehte sie den Türknauf. Zu ihrer Überraschung ging die Tür knarrend auf. Ein paar Efeuranken rissen ab. Spinnweben setzten sich klebrig in Robins Haar, als sie eintrat. Etwas Kleines, Dunkles huschte über den Boden.

Sie hatte es für ein Sommerhäuschen gehalten, wußte aber sofort, daß es das nicht war. In der Mitte des Raums stand ein eiserner Ofen. Robin kniete vor ihm nieder, öffnete die rostige Tür, und ein Rinnsal Asche sickerte ihr auf die Knie. Sommerhäuser hatten keine Kohleöfen.

An der Wand hinter dem Ofen waren Bücherregale. Ein von Fliegenkot gesprenkelter Spiegel mit einem Rahmen aus großen, flachen Muscheln hing an einer anderen Wand. Als Robin hineinblickte, tat sie es mit der verstiegenen Vorstellung, daß ein anderes Gesicht ihr begegnen könnte, nämlich das Gesicht der Person, die in dem Eisenbett an der Wand geschlafen und sich an dem Feuer des Ofens gewärmt hatte. Aber sie sah nur ihr eigenes Gesicht – dunkelbraune Augen, hellbraunes Haar, auf einer Wange eine graue Spinnwebe. Sie setzte sich auf eine Ecke des Bettgestells, zog ihren Pullover über die Knie und stützte das Kinn in die Hände. In der Ferne hörte sie die Stimmen ihres Vaters und Hughs, und ihre Gedanken wurden zurückgezogen zu jenem schrecklichen Tag im Jahr 1918. Sechs Jahre war das jetzt her, aber sie erinnerte sich immer noch mit schrecklicher Klarheit an jenen Tag, an dem die Telegramme gekommen waren. Für so vieles waren sie die Ursache gewesen: für Richard Summerhayes' und Robins Pazifismus und für dieses Exil. Ihr Zorn schwand, und als sie draußen Schritte hörte, rieb sie sich mit dem Ärmel die Augen.

»Da bist du, Rob.« Hugh schaute zur Tür herein. »Was ist denn das für ein finsteres Loch?«

Hugh war über einen Kopf größer als Robin, und sein welliges Haar war heller. Seine hellbraunen Augen lagen tief in einem schmalen Gesicht mit hohen Wangenknochen und einer scharfen...


Lennox, Judith
Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des modernen englischen Gesellschaftsromans und gelangt mit jedem neuen Buch auf die deutschen Bestsellerlisten. Judith Lennox liebt Gärtnern, ausgedehnte Wanderungen, alte Häuser und historische Stätten. Sie lebt mit ihrem Mann in Cambridge. Die beiden sind Eltern dreier erwachsener Söhne.



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