E-Book, Deutsch, Band Band 014, 439 Seiten
Reihe: Schriften des Sigmund-Freud-Instituts. Reihe 2: Psychoanalyse im interdisziplinären Dialog
Lennertz Trauma und Bindung bei Flüchtlingskindern
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-647-45126-8
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Erfahrungsverarbeitung bosnischer Flüchtlingskinder in Deutschland. EBook
E-Book, Deutsch, Band Band 014, 439 Seiten
Reihe: Schriften des Sigmund-Freud-Instituts. Reihe 2: Psychoanalyse im interdisziplinären Dialog
ISBN: 978-3-647-45126-8
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
On the basis of refugee children from Bosnia-Herzegovina living in Germany this volume shows how traumatizations stemming from war and other sociopolitical factors can reinforce each other.Despite multiple stresses experienced in war zones, refugee children seldom show obvious psychological consequences or behavioural abnormalities; rather, they often appear to be well adjusted in their new homeland. The psychologist Ilka Lennertz combines approaches from trauma and attachment research to study how one can detect hidden traumatization processes in such children. It becomes clear that the developmental processes of these children are shaped by their own experiences and those of their parents as well as by the sociopolitical situation and their status as foreign refugees. This study also looks at the way in which traumatization is worked through by children and how one can best support them in this process.
Dr. phil. Ilka Lennertz ist Psychologin an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universitätsklinik Dresden.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Soziologie von Migranten und Minderheiten
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Arbeit/Sozialpädagogik Soziale Arbeit/Sozialpädagogik: Minderheiten
Weitere Infos & Material
1;Front Cover;1
2;Title Page;4
3;Copyright;5
4;Inhalt;6
5;1 Einführung;10
5.1;1.1 Sinn und Ziel der Arbeit;16
5.2;1.2 Zur Struktur der Arbeit;18
6;2 Flüchtlingserfahrungen in Deutschland: Das Beispiel der bosnischen Flüchtlinge;21
6.1;2.1 Krieg und Vertreibung in Bosnien-Herzegowina;21
6.2;2.2 Die soziale Realität der bosnischen Flüchtlinge in Deutschland;28
6.3;2.3 Die »Traumaregelung«: Trauma als Bleiberechtskriterium;39
6.4;2.4 Fazit;44
7;3 Trauma – eine kritische Begriffsbestimmung;46
7.1;3.1 Forschungsgeschichte und Begriffsentwicklung.;46
7.2;3.2 Trauma als Leiden an Reminiszenzen: Hysterieforschung;50
7.3;3.3 Trauma als zeitlicher Prozess und in der Entwicklung: Nachträglichkeit;55
7.4;3.4 Trauma als Reizüberflutung: der Erste Weltkrieg, Kriegsneurosen, Wiederholungszwang;57
7.5;3.5 Trauma als kumulativer Prozess: Objektbeziehungstheorie;61
7.6;3.6 Trauma als Extremsituation, als generationsübergreifendes Phänomen und als »kollektives Trauma«: der Holocaust;62
7.7; 3.7 Trauma als sequentieller psychosozialer Prozess: das Modell von Hans Keilson;68
7.8;3.8 Trauma als Stresserkrankung: das Konzept der Posttraumatic Stress Disorder (PTSD);72
7.9;3.9 Neurowissenschaftliche Ansätze zu Trauma und Gedächtnis: Trauma als »traumatic memory«;76
7.10;3.10 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen für den Flüchtlingsbereich;91
8;4 Krieg und Flucht im Kindesalter – Forschungsstand;93
8.1;4.1 Die Studie von Anna Freud und Dorothy Burlingham: »War and Children«;94
8.2;4.2 Kriegskinder in Deutschland;98
8.3;4.3 Überblick über aktuelle Forschung;101
8.4;4.4 Fazit und Forschungslücken;110
9;5 Trauma bei Kindern;112
9.1;5.1 Trauma und Entwicklung;112
9.2;5.2 Entwicklungs- und altersspezifische Aspekte von Trauma;117
9.3;5.3 Typische Merkmale von Trauma bei Kindern . .;120
9.4;5.4 Trauma und Gedächtnis im Kindesalter: das Problem der biographischen Rekonstruktion . .;125
9.5;5.5 Kindheitstrauma und Hirnentwicklung: How »states« become »traits«;140
9.6;5.6 Trauma ohne Symptom und die Frage resilienter Entwicklung;144
9.7;5.7 Trauma und Familie: intergenerationale und transgenerationale Traumatisierungen;149
9.8;5.8 Zusammenfassung und Fazit;150
10;6 Bindungsforschung als ein Zugang zum subjektiven Umgang mit Traumatisierungen und zu intergenerationalen Prozessen;152
10.1;6.1 Bindungstheorie und Bindungsforschung;153
10.2;6.2 Methoden zur Bestimmung von Bindungsmustern und zentrale empirische Ergebnisse der Bindungsforschung;162
10.3;6.3 Trauma und Bindung;176
10.4;6.4 Klinische Aspekte der Bindungsforschung;187
10.5;6.5 Kritische Einwände und Grenzen der Bindungsforschung;189
10.6;6.6 Fazit und methodische Schlussfolgerungen;196
11;7 Methodische Anlage der Studie;199
11.1;7.1 Interviews zu traumatischen Erlebnissen;200
11.2;7.2 Forschen im interkulturellen Raum;203
11.3;7.3 Methodisches Vorgehen;204
11.4;7.4 Forschungsfragen;209
11.5;7.5 Beschreibung der angewandten Methoden;212
12;8 Fallübergreifende Ergebnisse;229
12.1;8.1 Forschungsprozess und Beschreibung der untersuchten Gruppe;229
12.2;8.2 Zur familiären und psychosozialen Situation der Flüchtlingsfamilien;233
12.3;8.3 Fallübergreifende Ergebnisse der Fragebögen und der Bindungsinterviews;241
12.4;8.4 Zusammenfassung und tabellarische Ergebnisübersicht;248
13;9 Exemplarische Fallanalysen;252
13.1;9.1 Alen, 12 Jahre: »Ich bemerke es nicht, wenn sie traurig ist« – Beispiel für einen pseudo-resilienten Entwicklungsverlauf;252
13.2;9.2 Katarina, 11 Jahre: »Du musst jetzt aber nicht traurig sein, nur weil ich traurig bin« – Beispiel für ein sicheres Bindungsmuster bei gleichzeitiger Angstsymptomatik;298
13.3;9.3 Nermin, 11 Jahre, »Er ist traurig von irgendwas« – Beispiel für verminderte intergenerationale Grenzbildung und unbehandelte traumabedingte Symptomatik;320
13.4; 9.4 Zusammenfassende Darstellung der Fallanalysen: Drei unterschiedliche Wege der Erfahrungsverarbeitung von Flüchtlingskindern;358
14;10 Exilbedingte sequentielle Traumatisierungen – Das Erleben der Aufenthaltssituation in Deutschland;365
14.1;10.1 Chronische oder wiederkehrende Belastungsfaktoren;366
14.2;10.2 Angst auslösende und traumatogene Situationen im Zusammenhang mit der Aufenthaltssituation in Deutschland;375
14.3;10.3 Positive Erfahrungen und positive Aspekte des Lebens in Deutschland;380
14.4;10.4 Zusammenfassung und tabellarische Übersicht über mögliche traumatische Sequenzen;380
15;11 Intergenerationale Traumatisierungen – die Ergebnisse der Adult Attachment Interviews (AAI) . .;387
15.1;11.1 Bindungsforschung als Zugang zu intergenerationalen Traumatisierungen;388
15.2;11.2 Zur Frage der kulturellen Sensitivität der AAIs: Ergebnisse der Expertinnenvalidierung;390
15.3;11.3 Hinweise auf Traumatisierungen in den AAIs . .;397
15.4;11.4 Zusammenfassung;402
16;12 Diskussion der Ergebnisse und Schlussfolgerungen;404
16.1;12.1 Flüchtlingskinder und Trauma – das Ineinandergreifen verschiedener Prozesse;404
16.2;12.2 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung vor dem Hintergrund der Traumatheorie;408
16.3;12.3 Der problematische Begriff der Resilienz;410
16.4;12.4 Diskussion der verwendeten Methoden;411
16.5;12.5 Gesellschaftliche Verleugnungsprozesse im Umgang mit Flüchtlingen;415
17;Danksagung;421
18;Literatur;423
19;Back Cover;441
10 Exilbedingte sequentielle Traumatisierungen – Das Erleben der Aufenthaltssituation in Deutschland (S. 364-365)
Die Einzelfälle machen deutlich, mit welchen komplexen Traumatisierungsprozessen Flüchtlingskinder konfrontiert sind. Neben eigenen traumatischen Erlebnissen spielen dabei sowohl die Traumatisierung der Eltern als auch sequentielle Traumatisierungsprozesse eine Rolle. Beide Aspekte nehme ich im Folgenden noch einmal fallübergreifend in den Blick.
Dabei gehe ich zunächst auf die Schilderungen der Flüchtlinge zu ihrer Situation in Deutschland ein und diskutiere im Sinne der zweiten Forschungsfrage (siehe Kapitel 7), inwiefern das Leben im Exil eine weitere traumatische Sequenz darstellt. Theoretisch beziehe ich mich dabei auf die Spezifizierung von Becker und Weyermann (2006) zu dem Modell der sequentiellen Traumatisierung von Hans Keilson (siehe Kapitel 3).
Generell lässt sich in den Gesprächen feststellen, dass die Einführung der Traumaregelung bei den interviewten Familien zum Untersuchungszeitpunkt noch kaum zu einer Entspannung ihrer Lage beigetragen hat: Die Familien haben entweder noch keine Aufenthaltsbefugnis erhalten, obwohl das Gutachten bereits vorliegt, sie befinden sich in dem als sehr belastend erlebten Begutachtungsprozess, oder das Traumagutachten ist nicht anerkannt und ihr Antrag auf Aufenthaltsbefugnis abgewiesen worden.
Bei den Familien, die eine Aufenthaltsbefugnis erhalten haben, fällt auf, dass sie nach den langen Jahren mit sogenannter Kettenduldung nun sehr misstrauisch sind, ob ihnen die auf zwei Jahre befristete Befugnis tatsächlich verlängert werden wird, zudem wird das Problem des unsicheren Aufenthaltsstatus nun von dem Problem abgelöst, dass die Flüchtlinge, nachdem sie circa zehn Jahre lang nicht arbeiten durften, nun aufgefordert sind, sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren.
Viele Flüchtlinge befinden sich damit – nach dem Modell von Becker und Weyermann – noch in der Phase der »Chronifizierung derVorläufigkeit« beziehungsweise gerade imÜbergang, zu – anerkannten – Immigranten zu werden. Dies ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass die Kriegserlebnisse nach wie vor in den Familie sehr präsent sind: Die Phase nach der Verfolgung, die eine Bearbeitung des Erlebten erst ermöglicht, ist noch nicht erreicht. In den Gesprächen mit den Flüchtlingen wird jedoch auch deutlich, dass insbesondere die Kinder ihre Situation in Deutschland keineswegs nur negativ erleben. Die genannten Belastungen und Situationen lassen sich differenzieren in chronische oder wiederkehrende Belastungsfaktoren und in einzelne herausragende Erlebnisse, die Angst auslösend oder traumatogen waren.