Lenger | Der Preis der Welt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 670 Seiten

Lenger Der Preis der Welt

Eine Globalgeschichte des Kapitalismus
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-406-80835-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Globalgeschichte des Kapitalismus

E-Book, Deutsch, 670 Seiten

ISBN: 978-3-406-80835-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Kapitalismus hat in den letzten 500 Jahren eine Welt hervorgebracht, die ökonomisch hochgradig verflochten ist und zugleich hochgradig asymmetrisch. In seiner brillanten Globalgeschichte des Kapitalismus schildert der renommierte Historiker Friedrich Lenger diese Entwicklungen, die von den Indigenen Amerikas bis zu den bengalischen Seidenwebern niemanden unberührt ließen. Diese Geschichte handelt von wachsendem Wohlstand und krasser Armut, von Unfreiheit und Gewalt und der Gefährdung unseres Planeten, für die wir heute den Preis zahlen.

Bestechend luzide und mit stupenden Kenntnissen erzählt Friedrich Lenger in diesem Buch vom globalen Siegeszug des Kapitalismus. Er erklärt seine Dynamik, die immer nur von außen begrenzt wurde, seine Krisen und die Ungleichheiten, die er in den vergangenen 500 Jahren produziert hat. Dazu gehören auch der ungleiche Verbrauch fossiler Ressourcen sowie Umweltzerstörungen, die in den Regionen dieser Welt sehr unterschiedlich zu spüren sind. Und so gleichgültig sich Handels- und Industriekapitalisten gegenüber der Natur erwiesen, so gleichgültig waren sie gegenüber menschlichem Leid. Millionen von Sklaven, die bis tief ins 19. Jahrhundert hinein auf den Plantagen Amerikas arbeiteten, sind nur ein Beispiel für die Vereinbarkeit von unfreier Arbeit und kapitalistischer Wirtschaft. Dieses Buch muss lesen, wer die Welt von heute und die Probleme verstehen will, von deren Lösung unsere Existenz abhängt.

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Einleitung
Wie keine Generation vor uns leben wir heute in Einer Welt. Die Corona-Pandemie hat zwar die Beschleunigung der weltweiten wirtschaftlichen Verflechtung gestoppt, die seit fast einem halben Jahrhundert zu beobachten ist. Doch sind einstweilen die Strukturen internationaler Arbeitsteilung, die dieser Verflechtung zugrunde liegen, nicht transformiert worden, sondern lediglich hier und da gestört. Während die Rede von der Einen Welt im Zuge endloser Globalisierungsdiskussionen zur Binsenwahrheit geworden ist, bleibt das Bewusstsein davon, dass wir auch von dieser Einen Welt leben, weniger ausgeprägt. Stephan Lessenich hat diesbezüglich von «gesellschaftliche(n) Naturverhältnisse(n)» gesprochen, die «funktional absolut unverzichtbar, ökologisch jedoch vollkommen unhaltbar sind».[1] Mit Blick darauf steht uns am ehesten der Klimawandel vor Augen, der bedrohlichste Aspekt des Anthropozäns, jenes erdgeschichtlichen Zeitalters also, das ganz wesentlich von menschlichem Handeln und hier vor allem von der Nutzung fossiler Brennstoffe geprägt ist.[2] Die Anfänge dieses Zeitalters sind umstritten, werden aber von denen besonders früh datiert, welche die Gefährdungen unserer Biosphäre lediglich als Epiphänomen einer spezifisch kapitalistischen Form der Aneignung der Natur seit dem späten 15. Jahrhundert verstehen.[3] Jenseits aller Datierungsfragen geht es hier um den Preis, den nachfolgende Generationen dafür werden zahlen müssen, dass unsere kapitalistisch verfasste Gesellschaft seit Jahrhunderten so tut, als ob Naturressourcen keinen Preis hätten. Konkret ist das Leben in Einer Welt in vielfältiger Weise mit dem Leben von dieser Einen Welt verschränkt. Wenn z.B. die Küsten Bangladeschs oder vieler indonesischer Inseln in besonders hohem Maße vom Anstieg der Meerespegel betroffen sind, dann ist das nicht allein eine gleichsam äußere Folge der Erderwärmung. Zusätzlich spielt eine wichtige Rolle, dass dort die Mangrovenwälder, die Fluten und Überschwemmungen bremsen könnten, immer mehr verloren gehen. Grund sind die Aquakulturen, in denen 2014 4,5 Millionen Tonnen Garnelen produziert wurden, mehr als das 200-fache der Produktion von 1975. Die Nachfrage vor allem europäischer Konsumenten treibt dieses milliardenschwere Geschäft an, dessen ökologische Kosten fernab vom Konsum getragen werden.[4] Die Verschränkung zwischen der fortgeschrittenen ökonomischen Verflechtung der Welt und einer zur planetaren Bedrohung werdenden Naturvernutzung geht also mit globalen Asymmetrien einher, die von Kapitalinteressen hervorgetrieben werden. Letztlich zeigte auch die Corona-Pandemie diesen Zusammenhang auf. Denn das Virus war ja seinerseits das Produkt eines gesellschaftlichen Naturverhältnisses, dessentwegen Virologen seine Entstehung erwartet hatten, und zwar in «der Region eines Zusammenspiels zwischen Wildnis, Landwirtschaft und städtischer Bevölkerung, die sich über Ostasien erstreckt».[5] Die rasche globale Ausbreitung des Virus konnte angesichts der vielfältigen Verflechtungen zwischen den Weltregionen nicht überraschen, doch bedeutete Allgegenwart keineswegs gleiche Betroffenheit. Schließlich traf die Pandemie schon innerhalb einzelner Gesellschaften verschiedene Gruppen höchst unterschiedlich: Während die Aktionäre von Versandunternehmen profitierten, waren für Zusteller die Möglichkeiten der Kontaktreduzierung sehr begrenzt, und für ins Home Office geschickte Schreibtischarbeiter*innen war die Lebensqualität in hohem Maße vom zur Verfügung stehenden Wohnraum abhängig. Vielleicht noch deutlicher traten zwischen den Nationalstaaten Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Gesundheitssysteme scharf hervor und prägten die ohnehin ganz verschiedenen Bewältigungsstrategien. Nicht zuletzt gab es eklatante Differenzen bei der Versorgung mit den überraschend schnell entwickelten Impfstoffen, deren Entwickler in Deutschland, England oder den USA nicht auf die einträglichen Lizenzgebühren für ihre Patente verzichten wollten, auch wenn sie dafür etwa von indischer oder südafrikanischer Seite scharf kritisiert wurden. Angesichts der in der Corona-Pandemie nur besonders deutlich gewordenen Verschränkung zwischen der Welt als eng verflochtenem Wirtschafts- und Lebensraum und der Welt als rücksichtslos ausgebeuteter Natur überrascht es nicht, dass Thomas Piketty unlängst eine Art Weltregierung zur Lösung der dringendsten Probleme gefordert hat. Konkret dachte er an «transnationale(.) Versammlungen, denen idealiter die globalen öffentlichen Güter wie eine gemeinsame Politik der Steuer- und Umweltgerechtigkeit anvertraut wären».[6] Wer auf eine solche, zunächst einmal utopisch anmutende Lösung hofft, muss indessen in Rechnung stellen, dass die nicht selten gewaltsam geschaffenen globalen Asymmetrien bislang recht rigoros verteidigt worden sind, zuerst durch die offene Gewalt von Kolonialstaaten (und den ihnen vorarbeitenden Handelskompanien), dann auch mit dem etwas sanfteren Druck des Freihandelsimperialismus, der gleichwohl nicht immer ohne Militär- und Geheimdienstaktionen auskommt, und schließlich mit Hilfe internationaler Organisationen wie Weltbank und IWF, deren Leitungsgremien selbst die globalen Asymmetrien spiegeln und so deren Perpetuierung wahrscheinlich machen. Wie die Dynamik des Kapitalismus asymmetrische Verhältnisse in der Welt hervorgetrieben hat, ist die Leitfrage des vorliegenden Buches. Sie ist auch deshalb wichtig, weil die meisten aktuellen Deutungsangebote recht kurzatmig jüngere Entwicklungen wie Digitalisierung oder Finanzialisierung ins Zentrum der Betrachtung rücken, die trotz ihrer unzweifelhaften Bedeutung für ein vertieftes Verständnis unserer kapitalistischen Gegenwart kaum ausreichen. Diesen Deutungen eine zeitlich weit zurückreichende Analyse entgegenzustellen, ist jedoch ein schwieriges, von zahlreichen Fallstricken begleitetes Unternehmen. Auf der einen Seite stößt es auf die Skepsis von Wirtschaftshistorikern, die wie der Doyen einer globalen Wirtschaftsgeschichtsschreibung Patrick O’Brien «rigoros spezifizierte Modelle und quantitative Evidenz» zum Bewertungsmaßstab erklären und deshalb Großerzählungen allenfalls rhetorische Überzeugungskraft zutrauen.[7] Auf der anderen Seite muss dieses Unterfangen die Mahnungen eines historischen Soziologen wie Wolfgang Knöbl ernstnehmen, wie reflektiert «Ereignisse erzählerisch zu verketten» sind, um als einigermaßen angemessene Prozessanalysen gelten zu können.[8] Und schließlich seien auch die Überlegungen von Historiker*innen aufgegriffen, die wie der viel zu früh verstorbene Thomas Welskopp eine «Rekonzeptualisierung des Kapitalismus aus der Akteursperspektive» vorschlagen, also den Kapitalismus «als Ensemble und immer wieder aufs Neue erzeugte(n) Effekt spezifischer, aufeinander bezogener sozialer Praktiken» zu beschreiben suchen.[9] Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist indessen nicht recht erkennbar, wie ein solcher Ansatz eine sich über mehr als fünf Jahrhunderte erstreckende Globalgeschichte fundieren und dabei der Beobachtung William Sewells Rechnung tragen kann, dass dem Kapitalismus «eine langfristige zeitliche Dynamik mit starker Direktionalität» zu eigen ist.[10] Die Schwierigkeiten beginnen mit dem Kapitalismusbegriff selbst. Mehr als einmal ist gezeigt worden, dass seine Entstehung im 19. Jahrhundert nur aus dem Geist der Kapitalismuskritik zu verstehen ist. Gleichwohl ist ein Festhalten an dem Begriff unbedingt sinnvoll, weil er eher als andere – Wachstum, Entwicklung, Industrialisierung – geeignet ist, die angesprochenen asymmetrischen Verhältnisse zu fassen. Nun bezeichnen die genannten Alternativbegriffe zugleich distinkte, wenngleich in der Regel mit dem Kapitalismus in Verbindung gebrachte Phänomene. Gemeinsam ist ihnen aber auch, dass sie unterstellen, dass Nationalstaaten die gleichsam gottgegebenen Untersuchungseinheiten bilden, und diese Annahme in der oft sehr auf das Bruttoinlandsprodukt fixierten Methodologie zugleich fest verankern. Das hat zunächst eine entwicklungspolitische Implikation, die von Angus Deaton, Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften, vermutlich nicht einmal zynisch gemeint ist: «Zweifellos sollte geschehen, was in der mittlerweile reichen Welt geschah, wo sich die Länder auf ihre eigene Art, in ihrem eigenen Rhythmus und entsprechend ihren eigenen politischen und wirtschaftlichen Strukturen entwickelt haben.»[11] Die globale Wirtschaftsgeschichte dergestalt als Wettlauf von Nationen zu verstehen, die auf ihre je eigene Art und Weise ans Ziel gelangen werden, blendet aber nicht nur die...


Friedrich Lenger ist Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Gießen. 2015 wurde er mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.




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