E-Book, Deutsch, 334 Seiten
Lembcke Aeskulaps Rhapsodie
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7431-2313-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Begegnungen mit unserer Zeit
E-Book, Deutsch, 334 Seiten
ISBN: 978-3-7431-2313-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Aeskulaps Rhapsodie wendet sich an Menschen, die sich für gesellschaftliche Aspekte der Medizin interessieren, also medicoaffine Laien ebenso wie beruflich Interessierte. Die z.T. augenzwinkernde Erzählung beschreibt verständlich, erzählerisch und mit erfrischender Natürlichkeit und Empathie, wie ärztliche Haltung entstehen kann. Köstlich, aber nicht immer leicht verdaulich. Ein autobiographischer Bogen von Erfahrungen und Ereignissen, kleinen Geschichten, die mit besonderer Leichtigkeit wie melodisch daherkommen und damit vielfach im Kontrast zu Inhalten und tieferer Bedeutung der Schilderungen und Sachverhalte stehen, ergänzt sich mit situativem Erleben von Zeitgeschehen in einer ärztlich geprägten Wahrnehmung. Diese Sichtachsen und Gedankenlieder entführen in Einschätzungen kontemporärer Entwicklungen, Zusammenhänge und Deutungen gesellschaftlicher Themen, die abwechselnd erhellend wie bizarr erscheinen mögen, wobei sich der Autor bekennend an Aphorismen dieser und vergangener Zeit bedient, teils als Résumée, teils als Schranken, die der Leser gedanklich zu überwinden gefordert ist, nicht selten vermittelnd: "es war alles schon mal da". Amüsantes im Auge einer ernsten Lage.
Bernhard Lembcke, Jahrgang 1953, wuchs in Niedersachsen auf, studierte in Göttingen Medizin, wurde dort zum Dr.med. promoviert und habilitierte sich für Innere Medizin. Danach arbeitete er als klinischer Oberarzt und lehrte als Privatdozent und später Professor für Innere Medizin in Frankfurt, bevor er Chefarzt im Ruhrgebiet wurde. Nach 15 Jahren gab er diese Tätigkeit auf, lehrt aber weiter als Professor an der Frankfurter Universitäts-klinik und gründete eine Firma für Individuelle Ausbildung und Training im Ultraschall (IATRus). Ein umfangreiches wissenschaftliches Werk von über 250 Original- und Übersichtsarbeiten, Buchbeiträgen sowie mehreren Büchern ergänzt er nunmehr durch sein Erzähldebut "Aeskulaps Rhapsodie" mit Einblicken in die Entstehung ärztlicher Haltung sowie auf ärztlich tingierte Sichtachsen im Spektrum aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. Bernhard Lembcke engagierte sich in besondere Maße für ärztliche Fortbildung sowie Arzt-Patienten-Seminare. Er fungierte ehrenamtlich als Managing Coeditor eines wissenschaftlichen Fachjournals, war langjährig im Vorstand und Lenkungsausschuss der Akademie für medizinische Fortbildung der Ärztekammer Westfalen-Lippe aktiv und wurde mit dem silbernen Ehrenbecher der Kammer ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet heute im Frankfurter Gallus, einem Vielnationen-Hotspot der Stadt.
Autoren/Hrsg.
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Leila
Die grandiose Besonderheit ihrer Person sowie die Bedeutung Ihres Wirkens gebieten es, Freifrau Ilse Speck von Sternburg einen eigenen Abschnitt in meiner Erzählung zu widmen. Ich kannte sie als Oberstudienrätin und meine Biologielehrerin in der Unter- und Mittelstufe, aber auch als gelegentlichen Kaffeebesuch bei uns zu Haus. Frau von Sternburg hatte einen ausgeprägten sächsischen Akzent, von dem sie stets charmant Gebrauch machte. Sie war eine drollig wirkende, aber in sich ausgesprochen ernsthafte Person, die nur schwer adäquat zu beschreiben ist. Sulingen, liegt zwischen dem Dümmer See und dem Steinhuder Meer. Nicht eben alpines Gelände, nur eben. Skilauf gehörte entsprechend wenig in das Gesamtbild unserer Winter, aber das focht Frau von Sternburg nicht an. Wenn der zögerlich fallende Schnee eine geschlossene Decke auf den Boden zauberte, wappnete sie sich mit ihrem schon etwas in die Jahre gekommenen Vorkriegs-Ozelotmantel, schnallte sich Skier aus dem gleichen Zeitraum unter solide Winterstiefel und lief den Weg zum Gymnasium in Langlauf-ähnlicher Manier. Dort angekommen deponierte sie das Sportgerät im Fahrradständer. Zum Problem wurde der Ausflug, wenn (und das war klimatisch meistens so vorgegeben) es nach der letzten Schulstunde längst derart getaut hatte, dass kein Schnee mehr für den Heimweg zur Verfügung stand, aber auch das nahm sie gleichmütig in Kauf. Im Sommer erschien sie tatendurstig und frohgemut im dezenten Plissee-Langrock auf dem Tennisplatz, ihren historischen Schläger (der Schlägerkopf am Ende breiter als zum Griff) mit Längskerben im Griffteil anstatt einer Lederumwicklung sowie ein uraltes Netz mit inzwischen völlig filzlosen Bällen im Gepäck. Chapeau! Frau von Sternburg stand gewaltig unter der Fuchtel ihrer Mutter. Dennoch denke ich nicht, dass diese die Ursache für ihre kleinkindhaft-verniedlichende und zugleich respektlosrelativierend großzügige Art war, durch die sie die Welt betrachtete. Ich bin sicher, dass sie bei Kriegsende keine einfache Zeit nach dem Einmarsch russischer Soldaten erlebt hat und ihr kleines Maß an vermeintlicher Verrücktheit den Weg darstellte, mit dieser großen Last weiterleben zu können. Leila pflegte ihre kleinen wie auch die großen Schüler mit „mein Hase“ bzw. „meine Häsin“ anzusprechen. Ertappte sie einen Schüler, der durch Körperhaltung und Blickrichtung verriet, dass seinerseits kein kenntnisreicher Beitrag zu ihrer Frage erwartet werden konnte, so sprach sie ihn meistens direkt an: »Nu, mein guter Hase, was duckst Du Dich so in Deine Furche, weißt Du etwa die Antwort nicht..?« Eines Tages war im Lehrerzimmer deutlich disputative Ungemach entstanden, weil ein Schüler, der der kommunistischen Partei nahestand, als solidarische Meinungsäußerung (aus seiner Sicht) und empfundene Provokation (aus der Sicht des Kollegiums) eine relativ große Anstecknadel mit dem Konterfei Che Guevaras auf der rot-blauen Fahne des Vietkong am Pullover trug. Die Diskussion betraf die Frage, ob das in der Schule akzeptabel sei und unabhängig von den jeweiligen sachlichen Standpunkten war die Aufregung groß. Frau von Sternburg sah das gänzlich gelassen. »Ja, wenn Sie die Nadel so aufregt, dann nehmen Sie sie ihm doch einfach ab«. Ein solches Ansinnen konnte schon damals im Kreise eines aufgeklärten Lehrerkollegiums nicht durchgehen; die Aufregung indessen wurde dadurch befördert. Am folgenden Tag kam Leila in einer Pause ins Lehrerzimmer, das Corpus delicti in der Hand, ein Lächeln im Gesicht. Sie war schnurstracks zu besagtem Schüler gegangen und mit den Worten »Nu, Arno, mein Hase, was haben Sie denn da für eine hübsche Brosche, - die werden Sie mir doch gewiss mal borgen…« hatte sie ihm den Sticker flugs vom Pullover gelöst und sich von dannen gemacht. Das Maß, das Frau von Sternburg als Grundlage ihrer Welt an die Ereignisse des Alltags legte war das der Biologie und Evolution. Kurzfristige Wendungen, und sei es von der Dauer eines Menschenlebens, spielten für sie keine große Rolle. Sie war überzeugt, dass die Natur alle wesentliche Dinge regelt. So, wie sie es immer in der Geschichte der Menschheit getan hatte. Das hieß allerdings nicht, dass sie sich nicht kümmerte. Als Mercedes-Benz eine Teststrecke für PKW im Sulinger Bruch in Erwägung gezogen hatte und entsprechende Planungen der strukturschwachen Region (einige wenige) Arbeitsplätze quasi als Wurst vor die Nase hielten, agierte sie umgehend und geräuschlos. Unter Einsatz ihrer privaten Mittel erwarb sie mehrere kleine Parzellen, flickenteppichartig im Bruch verteilt und vereitelte dergestalt jede großflächige Nutzung. Soweit ich gehört habe, hat sie diese Grundstücke nach ihrem Tod an eine Naturschutzorganisation vererbt und damit dauerhaft im Sinne ihrer Bestimmung als Naturlandschaft gesichert, als Refugium für Flora und Fauna, für Moorpflanzen und Auerhahn. Danke auch dafür. Alleinstehend und weltoffen, um nicht zu sagen: richtig neugierig und putzagil, nutzte sie ihre Möglichkeiten, die Welt zu erkunden. Das betraf seltene Tiere in Afrika ebenso wie Reisen nach Asien und Amerika. Als die Concorde einen Sprung über den Atlantik in Überschallgeschwindigkeit und wenigen Stunden ermöglichte, - Frau von Sternburg war dabei. Für mich bedeuteten diese Reisen, dass ich exotische Briefmarken durch ihre Urlaubsgrüße bekam, -für meine Eltern hingegen waren die Umtriebigkeit, die Weite dieser weiten Welt an sich schon exotisch. Verstörend kam hinzu, dass es zu Flugzeugentführungen kam, ein Phänomen, das bis dahin unbekannt war und auch Abstürze verstärkt realisiert wurden. Auf ein mögliches Risiko angesprochen sagte Frau von Sternburg zu meiner besorgten Mutter nur »Ach, Frau Lembcke, gehen Sie nicht ins Bett, da sterben die meisten Leute.« Sie war eine mutige Frau. Dieser, ihrer Eigenschaft verdankt die Nachwelt auch den Erhalt der Kunstsammlung Speck von Sternburg in Leipzig. Als ich mich 1999 anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten in Leipzig aufhielt und am späten Nachmittag den Tagungsort auf mich einwirken lassend einige Schritte in die Fußgängerzone unternahm, traf ich unvermittelt auf ein Banner, das die gesamte Straßenbreite überspannte und stolz auf die Ausstellung der Sammlung Speck von Sternburg im örtlichen Kunstmuseum hinwies. Leider war es schon zu spät für einen Besuch des Museums, aber für den Erwerb des Katalogs reichte meine Zeit. Es war in der Tat die Sammlung, von der „meine“ Frau von Sternburg fast neutral, bescheiden und irgendwie distanziert einmal gesprochen hatte, deren Erhalt ihr persönlich zu danken ist, und bei der mir keineswegs klar ist, was an der abenteuerlichen Geschichte, in die sie die Rettung der Kunstwerke eingewoben hatte, Fakt war -und was amelioratives Erinnern mit Kokoonisierung unerträglicher Ereignisse. Übertreibung und Dichtung jedenfalls waren ihr ungeachtet einer sehr feinen Nuancierung, die beim Zuhören ungewöhnliche Bilder generierte, nicht zu eigen, eher das Gegenteil. Mit dem Einmarsch russischer Bodentruppen nach Sachsen wurde auch das von Sternburgsche Anwesen erobert. Details habe ich nie erfahren, nur so viel: Ilse Freifrau von Sternburg war als verwitwete junge Frau, deren Mann im Krieg fiel, vor Ort geblieben. Ein russischer Offizier begutachtete die (schon damals außerordentlich bedeutsame) Bildersammlung, in der einige wichtige Exponate fehlten, um ihr dann mitzuteilen, dass selbstverständlich alle diese Schätze nach Russland verbracht würden, um sie der sozialistischen Allgemeinheit zu überantworten, indem sie dort in Museen ausgestellt würden. Frau von Sternburg hat darauf entgegnet, dass sie dieses Ansinnen keineswegs überrasche, sei man doch seit Wochen auf den russischen Einmarsch vorbereitet und habe auch bereits mit Beginn des Krieges Vorsorge getroffen, die wertvolle Sammlung zu erhalten. Daher würden auch einige Bilder fehlen, die nach England verbracht worden seien, während die jetzt hängenden Werke bereits als Replikate während des Krieges zurückgekommen seien. Sie befürchte allerdings, dass er sich als sicher kenntnisreicher Offizier blamieren, wahrscheinlich auch in Gefahr bringen würde, wenn er diese Kopien als vermeintliche Originale an Museen in Russland weitergeben würde. Sie muss sehr überzeugend gewesen sein. Die Bilder blieben, der Offizier ging. Einige wertvolle Exponate hatte sie einem mit der Familie befreundeten Professor der Kunsthochschule mitgegeben, der diese versteckt hielt, wobei auch die Rede von den Kasematten der Festung Königsstein war. Wenn ich es richtig erinnere, sind einige Bilder erst nach der Wende wieder aufgetaucht; die vollständige Sammlung wurde später dem Freistaat Sachsen übergeben, wobei drei Gemälde veräußert werden konnten, um Ansprüche der verbliebenen Eigentümer finanziell auszugleichen. »Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.« (Demokrit) Die unverstandene Skurrilität der Dame wurde...