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E-Book, Deutsch, 100 Seiten, E-Book-Text

Leitschuh Belächelt, bekämpft, begehrt

Mit Bio-Pionier Ulrich Walter durch fünf Dekaden

E-Book, Deutsch, 100 Seiten, E-Book-Text

ISBN: 978-3-7776-3003-8
Verlag: S. Hirzel
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die kleine niedersächsische Kreisstadt Diepholz, gelegen zwischen Bremen, Oldenburg und Osnabrück, würde man wohl nicht gerade „weithin bekannt" nennen. Ganz anders das Unternehmen Lebensbaum, das 1979 hier von Angela und Ulrich Walter gegründet wurde: Wer sich bewusst ernährt, kennt meist auch die Kaffees, Tees und Gewürze des Bio-Pionierunternehmens, das immer wieder für Nachhaltigkeit ausgezeichnet wird und mittlerweile rund 200 Mitarbeiter*innen beschäftigt. Heike Leitschuh zeichnet das lebensnahe Porträt eines Unternehmers der Bio-Gründergeneration, der aus einem kleinen Laden eine erfolgreiche mittelständische Firma entwickelt, die Biobranche entscheidend mitgeprägt und Perspektiven für ihre Zukunft entwickelt hat. Die Autorin verwebt diese Geschichte mit der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung Deutschlands in fünf Dekaden und fragt nach den Perspektiven der Biobranche insgesamt.
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Einleitung
Mehr als ein Generationswechsel
Die Bio-Bewegung war in ihren Anfängen männlich, die junge Nachhaltigkeitsbewegung ist weiblich. Es war eine besondere Spezies, die sich in den 1970er Jahren aufmachte, um gesündere und ökologisch verträgliche Lebensmittel auf den Markt zu bringen: vor allem Männer, die sowohl engagiert und systemkritisch als auch mutig und eigenverantwortlich waren. Ihr Weg führte sie nicht primär über den Protest auf der Straße, sondern über die Küche und das Feld. Ihr Aufbegehren gegen Umweltzerstörung und soziale Spaltung war ein Anders-Machen. Sie übernahmen landwirtschaftliche Höfe und stellten sie auf Bio um. Sie begannen damit, Tiere artgerecht zu halten. Sie gründeten kleine Bio-Läden, in denen das am Anfang noch überschaubare Angebot verkauft wurde. Sie bauten Unternehmen auf, die Bio-Rohstoffe verarbeiteten. Sie organisierten Lieferketten, über die sie Tee und Kaffee, Kakao und Gewürze und was sonst noch nicht in Deutschland wächst, einführten. Ihr Geschäft sollte fair, die Waren sollten ökologisch verantwortlich produziert sein. Aber sie wollten noch viel mehr: Sie wollten die gängige Lebensweise verändern, die sie als ungesund empfanden, es anders machen. Auch damit nicht genug. Manche wollten das wirtschaftliche und politische System an den Stellen ändern, an denen sie Zerstörung und Gedankenlosigkeit wähnten. 40 Jahre und mehr ist das her. Inzwischen ist Bio »erwachsen geworden«, wie Ulrich Walter, Bio-Pionier und Gründer der Bio-Marke Lebensbaum, das ausdrückt. Aus den nach Patschuli riechenden Bio-Läden mit selbstgezimmerten Regalen sind professionell betriebene Bio-Supermärkte geworden, aus kleinen Manufakturen hochmoderne Unternehmen, und auch die Höfe werden heute mit betriebswirtschaftlicher Effizienz geführt. Das Rebellische ist nun nicht mehr am Äußeren erkenn- und erlebbar. Man scheint Teil des Wirtschaftssystems zu sein und ist dennoch dabei, es von innen aufzurollen und zu verändern. Man kann das auch so sagen: Am Anfang wurden die Bio-Pioniere belächelt, dann bekämpft. Jetzt sind sie begehrt. Denn sie sind erfolgreich, die Prognosen für Wachstum vielversprechend. Erst die Zukunft wird zeigen, ob und welchen Bestand das hat. Fridays-For-Future setzt einen neuen Rahmen für Pioniere. Klimaneutralität stellt Geschäfts­modelle auf den Prüfstand. Biodiversität und radikales Recycling werden wichtiger und rücken die Agenda zurecht. Die Ansprüche an Bio steigen. Angela und Ulrich Walter gehören mit ihrem Unternehmen Lebensbaum zu diesen Bio-Pionieren der ersten Stunde. In jungen Jahren übernahmen sie einen Bioladen in ihrer Heimatstadt Diepholz, nach und nach wurde aus diesen Anfängen als »Ladner« ein stattliches Unternehmen mit heute über 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – die Firma Lebensbaum. Ulrich Walter lernte ich zu Beginn der 90er Jahre kennen, auf irgendeiner Öko-Tagung. Ich war damals Redakteurin in einem Fachverlag, der Informationsdienste zum Umweltschutz herausgab. Als ich mich dafür engagierte, zum ersten Welt-Klimagipfel 1995 in Berlin, der die damals brandneue UN-Klimakonvention umsetzen sollte, eine emotional packende Kulturveranstaltung zu organisieren, gehörte Ulrich Walter zu den Sponsoren. Es war ein kleiner Betrag, aber er ermöglichte uns den Start. Und er kam sogar zu einem Vorbereitungstreffen. Unsere Projektidee war – wie sich bald herausstellen sollte – zu groß und ihre Zeit noch nicht gekommen, doch Ulrich Walter verlor darüber kein enttäuschtes Wort. Er machte, was er gut fand, unterstützte, was ihm sinnvoll erschien, kalkulierte jedoch das Scheitern ein. So hat er sein Unternehmen geführt: mit Bedacht und Vorsicht und nie nach den Sternen greifend, aber immer offen für alle Optionen, die sich am Wegesrand bieten und vor allem fortwährend auf der Suche nach dem, was noch ein bisschen besser zu machen ist. Angela Walter, immer mit von Partie, ist da sehr ähnlich, gerne Neues anpackend, aber auch hinterfragend: Was bringt es? Ist es wirklich sinnvoll? Passt es zu uns? Können wir es stemmen? Mit dieser Haltung und der guten Mischung aus Risikobereitschaft und Vorsicht haben die beiden Lebensbaum zu einem sehr erfolgreichen und in der Bio-Branche hoch geachteten Unternehmen entwickelt. Diese Haltung – die Frage nach Sinn und Verantwortung, vergleichbar mit Greta’s »How dare you« – kann aktueller nicht sein. Heute wird sie auf der Straße gestellt, von der neuen Klimabewegung. Vor allem gibt es die Herausforderung, das eigene Leben zu verändern. Eine Veränderung, die exemplarisch auch Ulrich und Angela Walter begleitet hat. Erklären, wie es gekommen ist, fragen, wie es werden soll
2019 wurde Ulrich Walter 70 und Lebensbaum 40. Beides wurde groß gefeiert. Ich finde: Ein guter Anlass, dieses besondere Unternehmen, seine Gründer, aber auch die gesamte Branche vorzustellen und zu schauen, wie das alles gekommen ist. Und wohin das noch führen soll und kann. Ein beschreibender und erklärender, aber zudem prüfender und analytischer Blick – auch nach vorne – soll es sein. Es war die Idee von Ulrich Walter, bei alldem zu schauen, was sich parallel in Politik und Gesellschaft getan hat. Völlig zurecht, denn schließlich ist Bio von Anfang an beeinflusst von den Entwicklungen in Deutschland und der Welt. Ein bisschen hat Bio die Welt beeinflusst. Und Lebensbaum hat seinen Beitrag dazu geleistet. Angela und Ulrich Walter gründeten Lebensbaum, doch Ulrich Walter wurde das Gesicht des Unternehmens. Wer ist dieser Mann? Wovon ließ er sich leiten? Er behauptet von sich, kaum ein Fachbuch zu Ende gelesen zu haben. Er ist keiner geschlossenen Theorie, keinen Vorbildern gefolgt, hat vielmehr aus all den Thesen und klugen Gedanken die »Rosinen gepickt«, aus denen über die Jahre sein Menü wurde. Doch die Worte eines seiner Lehrer hat er gut behalten: »Steh zu Deiner Meinung, aber sei bereit, sie zu ändern, wenn andere bessere Argumente haben.« Das hat er beherzigt. Der Lehrer, der dies riet, sei streng, jedoch fair gewesen, habe respektiert, wenn jemand die eigene Meinung auch einmal resolut vertrat, solange er oder sie einen klaren Standpunkt hatte. Sich selbst bezeichnet Walter ebenfalls als streng, fair und sehr diszipliniert. »Ich maßregele andere nicht, sage aber, wenn mir etwas nicht gefällt. Ich bin fürsorglich, spreche jedoch nicht für andere, helfe in Notlagen, aber sonst muss jeder selbst zurechtkommen. Man darf den Leuten die Verantwortung nicht abnehmen. Wenn jemand eine Idee hat, sage ich: Okay, probiere es aus und übernimm die Verantwortung dafür. Das hat überwiegend geklappt.« Das berühmte ›man müsste mal …‹ lässt er nicht gelten. Und Zivilcourage ist ihm wichtig. So nehme ich Ulrich Walter in der Zusammenarbeit wahr: ernst, freundlich, respektvoll, guten Argumenten aufgeschlossen und immer norddeutsch zurückhaltend. Es waren solche Einstellungen, mit denen vor 40 Jahren Pionierarbeit geleistet wurde. Nicht nur in der Bio-Branche, auch bei Solar und Wind, oder wenn es um alternative Umwelttechnik ging. Meist Männer, nur wenige Frauen. Bio war männlich. Die heutige Kundschaft der »Bios« ist indes überwiegend weiblich, und die junge Klimabewegung ist es ebenfalls. Das fällt bei jeder Fridays-For-Future-Demo ins Auge. Nicht nur die Führungsfiguren, wie Greta Thunberg, Luisa Neubauer oder Maja Göpel, die Scientists for Future maßgeblich mit initiierte, sind junge Frauen. Auch die Mehrheit der Demonstrantinnen und Demonstranten ist es. Und an vielen anderen Stellen führen Frauen das Wort, wenn es um Nachhaltigkeit geht: so wie zum Beispiel Daniela Jacob, die Vorsitzende des Deutschen Komitees für Nachhaltigkeits­forschung (DKN), die die Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit (WPN2030) gemeinsam mit der Wissenschaftlerin Christa Liedtke leitet. In der Welt von Big Business trägt Saori Dubourg aus dem Vorstand der BASF die Initiative voran, soziale und ökologische Aspekte in die Betriebswirtschaft aufzunehmen. Angelika Zahrnt als bisher renommierteste Chefin eines Umweltverbandes (auf der oberen Leistungsebene sind die Verbände noch immer eine Männerwelt) führte lange den BUND und hinterließ bis heute sichtbare Spuren. Warum sind die Frauen gerade bei der Nachhaltigkeit so aktiv und oft tonangebend? Darüber lässt sich derzeit nur spekulieren, so richtig erforscht ist es noch nicht. Haben Frauen die Zeichen der Zeit eher erkannt? Und fürchten die Männer den Karriereknick in diesem Metier? Jedenfalls beanspruchen die jungen Frauen in den Bewegungen nun auch ihren Platz in den Strukturen. Bei »Ende Gelände« – die Bewegung gegen den Abbau und die Nutzung der Kohle als Energieträger – zum Beispiel gibt es derzeit ausschließlich Sprecherinnen, weil die Medien sonst vor allem den Männern zuhören. Die Geschichte als Brücke im Generationenwechsel
Die Bio-Aktivisten, die in diesem Buch zu Wort kommen, haben Außerordentliches geleistet. Sie haben es geschafft, dass Bio-Lebensmittel zu gesellschaftlich anerkannten Produkten und ihre Unternehmen zu angesehenen wirtschaftlichen Playern wurden. So angesehen, dass sie inzwischen auch Objekte der Begierde großer Konzerne sind. Belächelt, bekämpft … begehrt. Die Geschichte, die dieses Buch erzählt, ist die Geschichte eines Pionierunternehmens, die Geschichte einer transformativen Branche, die Geschichte von Weitblick, Mut und Geschick. Das Buch erzählt jedoch mehr. Diese Geschichte ist die Brücke im Generationenwechsel. Nicht nur in diesem Unternehmen. Der Ruf nach »richtigem« Klimaschutz der jungen Friday-Aktivistinnen kennzeichnet einen Generationenwechsel, der mehr ist als der unaufhaltsame Lauf der Dinge. Er ist ein Symbol für den Wandel. Eines Wandels, der aus der grundlegenden Transformation der...


Leitschuh, Heike
Diplom-Politologin; sie arbeitet als selbstständige Autorin, Beraterin und Moderatorin für nachhaltige Entwicklung.


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