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Leitner | Elisabeth, ein Hitlermädchen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 255 Seiten

Reihe: Verbrannte Bücher bei Null Papier

Leitner Elisabeth, ein Hitlermädchen


Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-580-6
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 255 Seiten

Reihe: Verbrannte Bücher bei Null Papier

ISBN: 978-3-96281-580-6
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die titelgebende junge Berlinerin Elisabeth Weber verliebt sich auf einer Mai-Kundgebung in den ebenso wie sie vom Nationalsozialismus geblendeten SA-Mann Erwin Dobbien. In ihrer Begeisterung verschließen beide die Augen vor dem Terror des Regimes. Nach einer von Erwin gewünschten Abtreibung landet Elisabeth schließlich mit anderen jungen Frauen in einem Arbeitslager. Die angespannte Versorgungslage verlangt nach billigen und willigen Arbeitskräften. Sie soll 'zum Dienst am Vaterland im Geiste des Führers' erzogen werden. Erst da erkennt sie das Grauen der Nazis. Sie zettelt einen Aufstand an. 'Elisabeth, ein Hitlermädchen' erschien von April bis Juni 1937 in der Exilzeitung Pariser Tagblatt als Fortsetzungsroman. Der Roman ist eine deutliche Replik auf den demagogischen Propaganda-Jugendroman 'Ulla, ein Hitlermädel' (1933) der Autorin Helga Knöpke-Joest. In einer bewusst einfachen Sprache, eben der eines Berliner Mädchens, das sich zunächst nur um sich und ihr eigenes Glück sorgt, verfasste Maria Leitner ein stimmiges Sittengemälde der 'einfachen' Mitläufer aus der NS-Zeit. Wenn man die Zeilen liest, die Blauäugigkeit und Begeisterung unter den jungen Menschen spürt, so kann man ein Stück besser verstehen, wie die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Null Papier Verlag

Maria Leitner (1892-1942) war eine deutschsprachige ungarische Journalistin und Schriftstellerin. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges gründete sie den Kommunistischen Jugendverband Ungarns mit und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei. Zwischen 1925 und 1930 reiste sie mehrmals nach Nord-, Mittel- und Südamerika. Ihre Sozialreportagen aus Amerika hat Maria Leitner in der Reportagesammlung »Eine Frau reist durch die Welt« zusammengefasst. Nach dem Sturz der Räterepublik zog sie über Wien nach Berlin. 1933 floh sie von den Nationalsozialisten über Prag nach Frankreich, wo sie vorübergehend interniert war. Auf der Flucht vor den Nazis wurde sie vor Erschöpfung in den Tod getrieben.
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Erstes Kapitel.


Begegnung am 1. Mai


Sie glich einer Schwimmerin. Mit hastigen Armbewegungen zerteilte sie die Menge, die wie aufspritzend zur Seite wich und eine schmale Rinne frei ließ. Sie schlüpfte durch sie hindurch, während schon im nächsten Augenblick die Menschenwoge wieder über ihr zusammenschlug.

Diese Menge schien wie das Meer ganz ohne Grenzen. Zur Bewegungslosigkeit gebannt, hielt sie doch innerer Aufruhr in ständigem Auf und Ab.

Das Mädchen erreichte eine kleine Erhöhung. Von hier gewann sie einen ganz neuen Blick. Jetzt sah es aus, als wäre auf diesem Feld die ganze Stadt, das Wesentlichste der ganzen Stadt zusammengepresst.

Unzählige Tafeln schwebten über den Köpfen der Menge: »Belegschaft AEG«, »Ullstein«, »Brotfabrik Wittler«, »Aschinger«, »Siemens u. Schuckert«, »Kaufhaus Wertheim«, »Industriewerke Karlsruhe«, »Haus Vaterland«, »Tiefbau-Gesellschaft«. Wie auf dem primitiven Theater beschworen sie stärker als Bilder, die nur den schwachen Abklatsch der Wirklichkeit geben, die Stätten, die sie nur mit einem Wort andeuteten: Maschinenhallen, Kessel, aufglühenden Stahl, Kanonen und Flugzeuge, Wege und Bagger, knetende Eisenfinger der Brotmaschinen, Hochhäuser und Schächte.

In diesem unübersehbaren Tafelwald suchte das Mädchen ihren Platz. Könnte sie ihn doch endlich wiederfinden.

Die Gruppen waren kahl. Die Fahnen mit den Hakenkreuzen, die so weit waren, als wollten sie den Himmel bedecken, umflatterten das Feld, aber sie gehörten nicht zu den Gruppen.

In den Augen des Mädchens sammelte sich gespannte Aufmerksamkeit. Erst flossen die Gesichter gesichtslos ineinander. Nur langsam begannen sich die einzelnen zu unterscheiden, so wie man sich an das Dunkel langsam gewöhnen muss, bevor man allmählich die Umgebung erkennt.

Wie verschieden waren die Gesichter, die sich plötzlich gegen den harten Hintergrund der Masse abzeichneten! Sie zerbrachen die scheinbare Einheit. Es tauchten entschlossene, triumphierende, verzweifelte, aufleuchtende, müde, hasserfüllte, aufrührerische, dumpfe, entschlossene, verängstigte, stolze, stumpfe, vergrämte, kampfbereite Antlitze auf.

Manchmal fühlte das Mädchen, wie Hass auf ihre Person übersprang. Sie wusste, er galt ihrem Kleid. Ihrem Ehrenkleid, auf das sie stolz war. Dem blauen Rock, der weißen Bluse, dem schwarzen Tuch, das von einem braunen geflochtenen Lederschlupf gehalten wurde, der braunen Kletterweste.

Einigemal erreichte sie, zwischen zusammengepressten Zähnen abschätzend geflüstert, das Wort: »Hitlerika.«

Lass sie nur, dachte das Mädchen, lass sie nur. Das wird schon anders werden. Es ist schon jetzt viel besser. Früher waren sie schlimmer. Aber sie alle, auch die erbittertsten Feinde, werden merken, dass sie richtig, dass sie aus dem Elend geführt werden.

Doch es tat jetzt weh, in diesem Menschenlabyrinth allein herumzuirren. Langsam begann sie aus den dichtesten Massen herauszufinden. Die Menge wurde dünner. Man konnte jetzt an manchen Stellen das Feld sehen mit schütterem, krankem Gras. Rostig hatten sich gelbliche Flecke in das armselige Grün eingefressen. Gruppen lagen verstreut auf der mageren Wiese.

Die Stimmen der Verkäufer, die laut ihre Ware anpriesen, konnten sich jetzt ungehindert Gehör verschaffen.

»Warme Würstchen gefällig?« – »Saure Drops, die beste Erfrischung!« – »Die Riesensalzstangen, kauft die Riesensalzstangen!« – »Limonade, wer kauft Limonade?«

Es war wie auf einem Jahrmarkt.

»Hier ist’s richtig«, sagte ein älterer Mann, der mit einer größeren Gesellschaft auf der Wiese lagerte. »Keine Lautsprecheranlagen, diesen Winkel haben sie vergessen. Man braucht nicht zuzuhören und wird doch vom Feuerwerk etwas sehen können.«

Das Mädchen hasste ihn. Warum musste sie gerade hierher geraten, fern von den Kameraden? Vielleicht sprach schon der Führer, und sie war gezwungen, diese Leute zu hören, die ungläubig waren, die immer nur das Schlechte sehen wollten.

Ihre Augen suchten so verzweifelt, so dringlich, dass sie einen SA-Mann,1 einen jungen Menschen, der schlendernd vorbeikam, zum Stehen brachten.

Der Junge streckte ihr den Arm entgegen und sagte: »Heil Hitler!«

Auch sie hob den Arm und rief mit heller, wie befreiter Stimme: »Heil Hitler!«

Der Junge hatte den Arm wieder heruntergelassen und fragte sie: »Suchen Sie etwas, Fräulein?«

Sie antwortete ihm erst nicht; ihr Blick verlor sich an ihm. Jetzt suchte sie nicht mehr, oder doch, sie suchte nur noch dieses Gesicht, diese Gestalt, diese Augen.

So möchte ich aussehen, wenn ich Junge wäre, dachte das Mädchen. Genau so, ein scharfes, vorspringendes Kinn möchte ich haben, eine so gerade Nase, solche blauen Augen und zwei solche goldenen Pfeile im tiefbraunen Gesicht, das brauner ist als seine braune Uniform.

Dann sagte sie ihm: »Ob ich etwas suche? O ja, ich suche das Warenhaus Alderman.«

Beide lachten.

Das Mädchen sprach weiter: »So was Dummes, ich habe meine Kolonne verloren und kann sie nicht wiederfinden. Schon seit einer Stunde irre ich hier herum in der Menge. – Ist das nicht großartig, so viele Menschen? Aber ich hätte zu gern unter meinen Kolleginnen gestanden, ich hätte ihre Gesichter während der Rede des Führers beobachtet; und Sie? Haben Sie auch Ihren Betrieb verloren?«

»Ich muss, offen gestanden, sagen, ich bin einfach ausgerückt. Wenn Sie diese Büromenschen aus dem Bankhaus Wallenberg sehen würden, dort arbeite ich nämlich – unser Prokurist hat einen Regenschirm mit; stellen Sie sich das vor, mit einem Regenschirm vor dem Bauch marschiert er seit acht Stunden.«

»Sie müssten die Parfümerie-Abteilungsleiterin von unserem Warenhaus sehen, mit sooo hohen Absätzen, da kann sie natürlich nicht genug jammern: Sind wir eigentlich Soldaten, und so ähnlich. Von unseren Lehrlingen und Verkäuferinnen sind ja einige ohnmächtig geworden, das ist Unterernährung. Aber das wird anders werden. Und Ihre Kollegen, wie sind die sonst?«

»Ach, ich mag gar nicht ihre Redensarten hören; wissen Sie, wie diese älteren Leute sprechen?«

»Ich kann es mir vorstellen.«

»Das kennen wir, sagen sie. Alles kennen sie, alles haben sie schon erlebt. Diese Begeisterung, kennen sie, die Fahnen, kennen sie, den Krieg, kennen sie. Man kann es...



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