Leilani | Hitze | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Leilani Hitze

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

ISBN: 978-3-455-01238-5
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Ein elektrisierendes, scharfsinniges und komisches Buch darüber, was es bedeutet, heutzutage jung zu sein. Brutal und brillant!" Zadie Smith 
 
 Ein Lieblingsbuch von Barack Obama 
 
 New York Times-Bestseller  
 
 " Das Debüt des Jahres. "  The Guardian 
 
 "Sexy und unverschämt lesenswert!"  Daily Mail  
 
 Die dreiundzwanzigjährige Edie lebt in Bushwick, Brooklyn, und hält sich nach ihrem abgebrochenen Kunststudium finanziell mit einem Assistenzjob in einem Verlag und emotional mit wechselnden Liebschaften über Wasser. Dann beginnt sie eine Affäre mit Eric, einem weißen Mann, der in einer offenen Ehe lebt und fast doppelt so alt ist wie sie. Während sich Edie mit Erics Ehefrau und vor allem mit der Adoptivtochter des Paares, Akila, einem Schwarzen Mädchen, anfreundet, verschieben sich alle Perspektiven. Edie scheint die einzige andere Schwarze Person zu sein, die Akila kennt, und die Beziehung zwischen den beiden wird bald wichtiger als alles andere. Auf einmal muss Edie sich mit ihrer eigenen Einsamkeit und dem schon immer in ihrem Leben gewesenen Rassismus und Sexismus neu auseinandersetzen.
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Weitere Infos & Material


Cover
Verlagslogo
Titelseite
Widmung
1
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6
7
8
Danksagung
Über Raven Leilani
Impressum


1
Als wir das erste Mal Sex haben, sitzen wir beide angezogen am Schreibtisch, während der Arbeitszeit, ins blaue Licht des Computers getaucht. Er ist im Norden von Manhattan und sichtet ein Bündel Microfiches, ich bin im Süden von Manhattan und gebe die Korrekturen eines neuen Labrador-Krimis ein. Er erzählt, was er zu Mittag gegessen hat, und fragt mich, ob ich es schaffe, ohne dass es jemand merkt, an meinem Platz im Großraumbüro die Unterhose auszuziehen. Seine Zeichensetzung ist tadellos. Er hat eine Vorliebe für Wörter wie schmecken und spreizen. Das leere Textfeld steckt voller Möglichkeiten. Natürlich habe ich Angst, dass die IT-Abteilung meinen Computer kontrolliert oder dass mein Internetverlauf wieder ein Disziplinar-Meeting mit der Personalleitung nach sich zieht. Aber das Risiko. Der Reiz eines dritten unsichtbaren Augenpaars. Die Vorstellung, dass jemand im Verlag mit diesem süßen Optimismus nach der Mittagspause über unseren Thread stolpert und sieht, wie behutsam Eric und ich uns diese private Welt erschaffen haben. In seiner ersten Nachricht weist er mich auf ein paar Rechtschreibfehler in meinem Onlineprofil hin und erzählt mir, dass er eine offene Ehe führt. Seine Profilfotos sind lässig, ungestellt – ein grobkörniges Foto von ihm schlafend im Sand, ein Foto beim Rasieren, von hinten aufgenommen. Dieses letzte Foto löst bei mir etwas aus. Die schmutzigen Fliesen und der sich sanft auflösende Dampf. Sein Gesicht im Spiegel, ernst, still prüfend. Ich speichere das Foto auf dem Handy, um es mir später in der U-Bahn anzusehen. Frauen schauen mir über die Schulter und lächeln, und ich lasse sie in dem Glauben, er sei mein. Ansonsten hatte ich nicht viel Erfolg bei Männern. Das ist Selbstmitleid. Es ist ein Fakt. Und hier ist noch ein Fakt: Ich habe tolle Brüste, die meine Wirbelsäule verformt haben. Weitere Fakten: Ich verdiene wenig. Ich finde nicht leicht Freundinnen, und wenn ich den Mund aufmache, verlieren Männer das Interesse an mir. Am Anfang läuft es immer gut, aber dann rede ich zu viel über meine Ovarialtorsion oder meine Miete. Aber Eric ist anders. Nach zwei Wochen unseres Chats erzählt er mir, dass die Hälfte seiner Familie mütterlicherseits an Krebs zugrunde gegangen ist. Er erzählt mir von einer Lieblingstante, die aus Fuchshaar und Hanf Salben machte. Und sich mit einer Maisblattpuppe beerdigen ließ, die sie von sich selbst gemacht hatte. Trotzdem beschreibt er die Orte seiner Kindheit liebevoll, das weite Farmland zwischen Milwaukee und Appleton, die Gelbbrustwaldsänger und Pfeifschwäne, die im Garten auftauchten und Körner suchten. Wenn ich von meiner Kindheit rede, dann rede ich nur von glücklichen Zeiten. Die Spice World-Videokassette, die ich zum fünften Geburtstag bekam, die Barbie, die ich, als ich allein zu Hause war, in der Mikrowelle schmolz. Der Kontext meiner Kindheit – die Boygroups, die Lunchables-Fertigsnacks, Bill Clintons Amtsenthebungsverfahren – unterstreicht den Generationenkonflikt natürlich noch. Eric ist empfindlich wegen seines Alters und wegen meines, und er strengt sich schwer an, die Lücke von dreiundzwanzig Jahren zu überbrücken. Er folgt mir auf Instagram und schreibt langatmige Kommentare zu meinen Posts. Antiquierter Internetslang durchsetzt von ernst gemeinten Bemerkungen über den Winkel, in dem das Licht auf mein Gesicht fällt. Verglichen mit den undurchsichtigen Avancen jüngerer Männer ist es eine Wohltat.   Wir chatten einen Monat lang, bevor unsere Terminpläne zueinanderpassen. Wir haben es früher versucht, aber es kam immer etwas dazwischen. Das ist nur eine der Ebenen, auf der sein Leben anders ist als meins. Es gibt Leute, die ihn brauchen, und manchmal brauchen sie ihn dringend. Zwischen seinen kurzfristigen Absagen stelle ich fest, dass ich ihn auch brauche. Deswegen habe ich nachts fieberhafte Träume von Durstgebilden – lange gelbe Wüstenstrecken, mit triefendem Moos behängte Kathedralen. Bis wir endlich unser erstes echtes Date festlegen, bin ich zu allem bereit gewesen. Er will in den Six-Flags-Freizeitpark.   Wir verabreden uns für Dienstag. Als er in seinem weißen Volvo anrollt, bin ich noch in der Phase der Date-Vorbereitung, in der ich das passende Lachen suche. Ich probiere drei Kleider an, bevor ich das richtige finde. Ich binde mir die Zöpfe hoch und trage Eyeliner auf. In der Spüle steht Geschirr, und die ganze Wohnung stinkt nach Lachs, und ich will nicht, dass er denkt, der Geruch hätte etwas mit mir zu tun. Ich ziehe mir eine komplizierte Unterhose an, die weniger Unterhose als ein Bündel von Schnüren ist, und stelle mich vor den Spiegel. Ich denke: Du bist eine begehrenswerte Frau. Du bist nicht ein Dutzend Rennmäuse in einer Pelle.   Der Volvo parkt in zweiter Reihe. Eric lehnt am Wagen und bleibt so, als ich aus dem Haus komme, die Augen hell und ruhig. Sein Haar ist dunkler, als ich dachte, ein Schwarz so tief, dass es blau wirkt. Sein Gesicht ist fast obszön symmetrisch, nur eine Braue ist höher als die andere, wodurch sein Lächeln ein bisschen selbstgefällig wirkt. Es ist der zweite Tag des Sommers, und alle Mächte der Stadt prallen an ihm ab. Ich strecke die Hand nach seiner aus, versuche, mich nicht an meiner Zunge zu verschlucken, und habe ein merkwürdiges Gefühl. Natürlich bin ich nervös. In echt wirkt er wie ein richtiger Daddy, sein Gesicht wach und hart, gemildert nur vom leichten Rückgang seines Haars. Aber das merkwürdige Gefühl hat nichts damit zu tun, nichts damit, dass ich hinter seinem sinnlichen Mund und der leicht schiefen Nase nach einem Hinweis suche, ob er genauso nervös ist wie ich. Das merkwürdige Gefühl hat damit zu tun, dass es Viertel nach acht Uhr morgens ist, und ich bin glücklich. Ich sitze nicht im L-Train, rieche jemandes lauwarme saure Gurken und wünschte, ich wäre tot. »Edie«, sage ich und halte ihm die Hand hin. »Ich weiß«, sagt er, und legt die langen Finger zwischen meine, zu sanft. Ich wollte dreister sein, wollte ihn mit einer lockeren, extrovertierten Umarmung begrüßen. Stattdessen dieser schlaffe Händedruck, er weicht meinem Blick aus, überlässt mir unmittelbar, unüberraschend die Macht. Und dann das Schlimmste, wenn du am helllichten Tag einen Mann kennenlernst, der Moment, wenn du siehst, wie er dich sieht, wie er im Bruchteil einer Sekunde entscheidet, ob zukünftiger Cunnilingus Pflicht oder Kür ist. Er öffnet mir die Tür, und am Rückspiegel hängt ein flauschiger blauer Würfel. Auf dem Beifahrersitz liegt eine halb volle Tüte Jolly-Ranchers-Bonbons. Seine Nachrichten waren ehrlich, voll von stotternder Aufrichtigkeit. Doch weil wir uns alles, was man sich beim ersten Date erzählt, schon erzählt haben, ist der Anfang schwer. Er macht eine Bemerkung über das Wetter, und dann sprechen wir über den Klimawandel. Nachdem wir eine Weile allgemein darüber geredet haben, dass wir irgendwann verbrennen, kommen wir an dem Freizeitpark an.   Es ist schwer, sich des Altersunterschieds nicht bewusst zu sein, wenn man von der buntesten Kindheitsstaffage umgeben ist. Die Tweety-Bird-Luftballons, die seelenlosen Plastikaugen von Taz, dem tasmanischen Teufel, Dippin’-Dots-Eisperlen. Als wir durch das Tor treten, fühlt sich die fructosehaltige Parksonne wie ein Anschlag an. Wir sind auf einem Kinderspielplatz gelandet. Er hat mich auf einen Kinderspielplatz geführt. Ich suche nach Hinweisen in seinem Blick, ob das ein Witz sein soll oder eine aufschlussreiche Manifestation seines Unbehagens wegen der gerade mal dreiundzwanzig Jahre, die ich auf der Welt bin.   Mich stört der Altersunterschied nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass ältere Männer finanziell stabiler sind und ein anderes Verständnis der Klitoris mitbringen, ist da die starke Droge des Machtgefälles. Die Gefahr, sich im schwer aushaltbaren Fegefeuer zwischen ihrer Expertise und ihrem Desinteresse zu verfangen. Ihre Panik hinsichtlich der zunehmenden Gleichgültigkeit der Welt. Ihre Wut und ihre Erwachsenenkrisen, umgeleitet in die Reduktion deines Körpers auf schimmernde, elastische Teile.   Nur dass das alles für ihn Neuland zu sein scheint. Nicht nur das Rendezvous mit einer Frau, die nicht seine Frau ist und die Jahrzehnte jünger ist, sondern auch das Rendezvous mit einer jüngeren Frau, die zufällig Schwarz ist. Ich merke es an der vorsichtigen Art, wie er afroamerikanisch sagt. Wie er sich standhaft weigert, das Wort Schwarz zu sagen. Prinzipiell versuche ich es zu vermeiden, die Jungfernfahrt zu übernehmen. Ich will nicht die erste Schwarze sein, mit der ein Weißer ein Verhältnis hat. Ich halte die nervösen Zitate von Backpacker-Rap nicht aus, die aufgesetzte Umgangssprache, die Selbstgefälligkeit von rosa Männern in Kente-Stoffen. Als wir zu den Schließfächern gehen, stehen ein Vater und ein Sohn hinter einem Bugs-Bunny-Aufsteller und übergeben sich. Ich öffne die Tür meines Schließfachs und finde eine volle Windel darin. Eric ruft sofort einen Parkangestellten. Er sagt, es tut ihm leid, und die Entschuldigung scheint sich nicht nur auf die Windel, sondern auf die Wahl des Orts zu beziehen. Ich fühle mich mies. Ich fühle mich mies, weil ich instinktiv seine Gefühle auffangen möchte, anstatt vorzuschlagen, woanders hinzugehen. Weil wir deswegen beide meinen Versuch ertragen müssen, während des ganzen Dates zu beweisen, dass Ich mich gut amüsiere! und Dass er doch nichts dafür kann!   Ein Monat ist zu lang zum Chatten. In der Zeit, in der wir nur gechattet haben, hat meine Phantasie Blüten getrieben. Wegen seines...


Zeitz, Sophie
Sophie Zeitz lebt und arbeitet in Berlin. Sie hat unter anderem Werke von Leanne Shapton, John Green und Leslie Jamison ins Deutsche übertragen.

Leilani, Raven
Raven Leilani wurde 1990 in New York City geboren. Sie studierte Creative Writing an der NYU und hat unter anderem in Granta, McSweeney’s Quarterly Concern und The Cut veröffentlicht. "Hitze" ist ihr erster Roman, der in den USA zum gefeiertsten und meist besprochenen Debüt des Jahres 2020 wurde.

Raven Leilani wurde 1990 in New York City geboren. Sie studierte Creative Writing an der NYU und hat unter anderem in Granta, McSweeney's Quarterly Concern und The Cut veröffentlicht. "Hitze" ist ihr erster Roman, der in den USA zum gefeiertsten und meist besprochenen Debüt des Jahres 2020 wurde.


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