Leibnitz | Verrisse | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Leibnitz Verrisse

Respektloses zu großer Musik von Beethoven bis Schönberg
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7017-4688-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Respektloses zu großer Musik von Beethoven bis Schönberg

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4688-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Große Komponisten im Zentrum der Kritik. Ein amüsanter Rückblick! 'Bruckner componirt wie ein Betrunkener': Zu diesem Schluss kommt 1886 ein Musikkritiker nach der Wiener Erstaufführung von Anton Bruckners Siebenter Sinfonie. Stimmen wie diese sind heute nicht mehr zu hören, wenn in den Konzert- und Opernhäusern der Welt die großen Werke des klassischen Repertoires aufgeführt werden - bewundert, verehrt, jeglicher Diskussion enthoben. Respektlose, auch amüsante Zugänge öffnen sich jedoch beim Blick in die Archive: Thomas Leibnitz zeigt, wie scharf die zeitgenössische Kritik mit Werken von Komponisten umging, die heute zu den unbestrittenen Größen der klassischen Musik zählen - Ludwig van Beethoven, Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Anton Bruckner, Johannes Brahms, Richard Strauss, Gustav Mahler, Arnold Schönberg.

Thomas Leibnitz, geboren 1955 in Wien, Studium von Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Wien. Seit 1978 Mitarbeiter des Instituts für Österreichische Musikdokumentation. Ab 1986 wissenschaftlicher Bibliothekar an der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, seit 2002 Direktor der Musiksammlung. Präsident der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Zahlreiche Publikationen zur österreichischen Musik des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen 'Verisse' (2022).
Leibnitz Verrisse jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material



Richard Wagner


Friedrich Nietzsche über Wagner als künstlerische Erscheinung:

»Ich stelle diesen Gesichtspunkt voran: Wagners Kunst ist krank. Die Probleme, die er auf die Bühne bringt – lauter Hysteriker-Probleme –, das Konvulsivische seines Affekts, seine überreizte Sensibilität, sein Geschmack, der nach immer schärferen Würzen verlangte, seine Instabilität, die er zu Prinzipien verkleidete, nicht am wenigsten die Wahl seiner Helden und Heldinnen, diese als physiologische Typen betrachtet (– eine Kranken-Galerie! –): alles zusammen stellt ein Krankheitsbild dar, das keinen Zweifel läßt. . Nichts ist vielleicht heute besser bekannt, nichts jedenfalls besser studiert, als der Proteus-Charakter der Degenereszenz, der sich hier als Kunst und Künstler verpuppt. Unsre Ärzte und Physiologen haben in Wagner ihren interessantesten Fall, zum mindesten einen sehr vollständigen. Gerade, weil nichts moderner ist als diese Gesamterkrankung, diese Spätheit und Überreiztheit der modernen Maschinerie, ist Wagner der , der Cagliostro der Modernität. In seiner Kunst ist auf die verführerischste Art gemischt, was heute alle Welt am nötigsten hat – die drei großen Stimulantia der Erschöpften, das , das und das (Idiotische).

Wagner ist ein großer Verderb für die Musik. Er hat in ihr das Mittel erraten, müde Nerven zu reizen – er hat die Musik damit krank gemacht. Seine Erfindungsgabe ist keine kleine in der Kunst, die Erschöpftesten wieder aufzustacheln, die Halbtoten ins Leben zu rufen. Er ist der Meister hypnotischer Griffe, er wirft die Stärksten noch wie Stiere um. Der Wagners – sein Erfolg bei den Nerven und folglich bei den Frauen – hat die ganze ehrgeizige Musiker-Welt zu Jüngern seiner Geheimkunst gemacht. Und nicht nur die ehrgeizige, auch die […]. Man macht heute nur Geld mit kranker Musik; unsre großen Theater leben von Wagner.«10

Ludwig Speidel über Wagners »Ring des Nibelungen«:

»Nun betrachte man aber den stümperhaften Aufbau des Ganzen, den niederträchtigen Geist, der es durchwaltet, die Verblasenheit der Gestalten und noch zuletzt diese verlotterte Sprache – und frage sich, ob an geistig und technisch so liederliches Machwerk der Name ›Dichtung‹ zu verschwenden sei, ob man darin die Ideale des deutschen Volkes zu suchen habe? Nicht einmal für die Musik ist der Text günstig, denn weit entfernt, aus dem Stabreime den in ihm liegenden Vortheil rhythmischer Mannigfaltigkeit zu ziehen, behandelt ihn Wagner mit einer Monotonie, welche im grellsten Kontrast zu der Verwilderung der Sprache steht und auch die Musik mit sich niederzieht. Die Sprache fällt immer wieder in den trochäischen Schritt zurück, der musikalische Rhythmus bewegt sich vorzugsweise in Trochäen, die sich aber, ihrer eigenen Monotonie müde, in Triolen verwandeln, welche nun ihrerseits bis zum Ueberdruß sich wiederholen. Die Einförmigkeit solcher Rhythmik macht den Zuhörer zuerst über die Maßen nervös, verwandelt sich aber mit der Zeit in ein schaukelndes Wiegenlied, bei dem sich – wie Hunderte von Baireuth-Pilgern bezeugen können – vortrefflich schlummern und von guter Musik träumen läßt.

Wie man weiß, hat Wagner im Nibelungen-Ring seine musikalisch-dramatischen Grundsätze auf die Spitze getrieben, oder, was dasselbe sagen will, er hat die Beschränktheit seiner Begabung, die Armuth seiner Erfindung in ihrer ganzen Nacktheit walten lassen. Er verschmäht die geschlossene Form, weil er sie nicht mit Gehalt zu erfüllen weiß; er verzichtet auf den melodischen Gesang der Menschenstimme, weil ihm selbst kein Gesang innewohnt; er arbeitet mit ewig wiederkehrenden Leitmotiven, weil ihm der musikalische Stoff mangelt, um die verschiedenen Momente der Handlung immer wieder mit neuer Stimmung zu tränken, mit neuen Gedanken zu nähren. Hans v. Wolzogen hat in bester Absicht die Leitmotive des Wagner’schen Festspiels zusammengestellt, aber er hat damit blos die Armuth seines Meisters gebucht. Ja, diese Leitmotive sind an sich höchst unbedeutend, sie sind unfruchtbar geboren und keiner organischen Entwicklung fähig. Sieht eines dieser Geschöpfe nach etwas aus, so darf man sicher annehmen, daß Richard Wagner es anderswo hergenommen; so das lebensvolle Schmiedemotiv wörtlich aus dem Scherzo des Schubertschen D-moll-Quartetts, so der Waldruf Siegfried’s aus Beethoven’s neunter Symphonie, so das trampelnde Riesenmotiv aus der Manier Meyerbeer’s, und zwar da, wo sie am lahmsten ist. Die Musik zu dem nassen Treiben der Rheintöchter ist ganz nach dem Wasserrezept unserer Nixen-Romantiker gemacht. Ganze lange Stücke sind der Stimmung fremder Kompositionen nachgebildet, so das endlose Duett zwischen Siegfried und Brunhilde, dem großen Duett zwischen Florestan und Leonore in Beethoven’s ›Fidelio‹. Nur Einzelnes und Unbedeutendes ist ihm eigenthümlich gelungen, z. B. im ›Siegfried‹ – diesem Puppenspiel für die reifere Jugend und das kindische Alter – wo das Irrationale des Vogelgesanges durch das Ineinanderschieben zweier Tonarten gut veranschaulicht ist. Bei solchem Mangel an Gehalt ist es nun Wagner’s fieberhaftes Bestreben, den Hörer darüber zu täuschen, daß keine Musik vorhanden ist. Er greift zu allen möglichen Reizmitteln. Er raffinirt mit den Klangfarben, treibt sie zu ihren äußersten Gegensätzen, mengt sie in der durchtriebensten Weise. Ein Kolorist im großen Sinn, wie etwa Beethoven, ist er indessen doch nicht, da Reiz und Gewalt der Farbe sich doch nur an der Form offenbaren kann. Wagner ist sogar in der Einfachheit raffinirt, er sucht sie zuweilen als kontrastirendes Effektmittel in der Instrumentation, wie in der Harmonik. Gewöhnlich aber bewegt er sich, das Mittlere und Normale vermeidend, in verminderten und übermäßigen Akkorden, schlägt dem Gefühl der Tonalität frech ins Gesicht, macht Trugschlüsse, die sich selbst betrügen, stürzt sich aus einem Vorhalt in den andern und bringt durch so gewaltthätiges Verfahren in flachen und schwachen Köpfen den Eindruck der Originalität und Genialität hervor. Solche Musik ist ein Greuel, der Tod aller Kunst. Der Nibelungenring ist nicht ein Anfang, sondern das Ende. Für Alle, die empfinden, oder wissen, was Kunst ist und sein soll, war das Baireuther Festspiel ein über die Zukunftsmusik ergangenes jüngstes Gericht.

Wir können nicht daran zweifeln, daß diese Ansicht von Tag zu Tag einen breiteren Boden gewinnen werde. Als das Baireuther Festspiel noch im Werden begriffen war, als die werkthätige Begeisterung der Adepten auch kühlere Naturen mit sich fortriß, da konnte man meinen, daß das deutsche Volk mit der Sache zu schaffen habe. Aber nein, nein und dreimal nein, das deutsche Volk hat mit dieser nun offenbar gewordenen musikalisch-dramatischen Affenschande nichts gemein, und sollte es an dem falschen Golde des Nibelungen-Ringes einmal wahrhaftes Wohlgefallen finden, so wäre es durch diese bloße Thatsache ausgestrichen aus der Reihe der Kunstvölker des Abendlandes.«11


Richard Wagner polarisiert. Das Phänomen ist für sein gesamtes Leben charakteristisch – ob er sich nun an einer Revolution beteiligt, ob er durch seinen Lebenswandel Anstoß erregt, ob die Neuheit seiner Musiksprache das Publikum spaltet, ob er sich durch polemische Schriften Gegner macht. Fronten aller Art leben nach seinem Tod weiter, bis hin zur Tatsache, dass Wagner bis heute in Israel nicht öffentlich gespielt werden darf. Die Frage: »Was halten Sie von Richard Wagner?« gilt im Europa des späten 19. Jahrhunderts als Angel- und Ausgangspunkt für erregteste Diskussionen. Und die Bandbreite der Standpunkte ist beachtlich, in mancher Hinsicht wohl einmalig. Denn während die Anhänger, die »Wagnerianer«, den mit fast religiöser Inbrunst verehrten »Meister« für den Gipfelpunkt aller kulturgeschichtlichen Entwicklung halten (und damit über die Sphäre des bloß Musikalischen deutlich hinausgehen), sehen die Gegner in ihm einen negativen Höhepunkt, den Niedergang und die Fehlentwicklung der Oper, ja der Musik insgesamt, und darüber hinaus den Mittelpunkt einer sektiererischen Bewegung, von deren Fanatismus man wenig Gutes erwarten könne.

Besonders heftig fällt die Ablehnung aus, wenn sie durch Abwendung entstanden ist, wenn sie das Resultat enttäuschter Liebe ist. Für wenige Zeitgenossen Wagners gilt das in ähnlichem Ausmaß wie für Friedrich Nietzsche, der jahrelang zu den begeisterten Wagner-Jüngern zählt, ehe ein intensiver, zu strikter Ablehnung führender Ablösungsprozess einsetzt. Der junge Nietzsche – er ist 24 Jahre alt, dennoch bereits Professor für Philosophie in Basel – lernt Wagner 1869 in Tribschen...


Thomas Leibnitz, geboren 1955 in Wien, Studium von Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Wien. Seit 1978 Mitarbeiter des Instituts für Österreichische Musikdokumentation. Ab 1986 wissenschaftlicher Bibliothekar an der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, seit 2002 Direktor der Musiksammlung. Präsident der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Zahlreiche Publikationen zur österreichischen Musik des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen "Verisse" (2022).



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.