E-Book, Deutsch, 218 Seiten
Lehmann Bitterschönes Schicksal oder als meine Mutter seltsam wurde
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96290-002-1
Verlag: KUUUK
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 218 Seiten
ISBN: 978-3-96290-002-1
Verlag: KUUUK
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Heidi Lehmann, geboren 1981, wuchs im oberösterreichischen Mühlviertel auf. Die Landschaft, die sie umgab, bot ihr schon als Kind die Möglichkeit in fremde Welten einzutauchen und ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Nach ihrer Ausbildung in Linz a. d. Donau arbeitete sie einige Jahre in verschiedenen Firmen im kaufmännischen Bereich. Später zog sie nach Hamburg, um dort freie Kunst und Kunsttherapie zu studieren. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg, gibt Malkurse und arbeitet mit Wort und Farbe gestaltend an ihren Texten und Bildern.
Zielgruppe
1. Alle Menschen, die den Roman über eine junge Frau lesen wollen, die in einer wichtigen Lebensphase (16 bis 19 Jahre) mit der Krankheit der Mutter konfrontiert ist.
2. Alle Menschen, die sich mit Erkrankungen der Psyche befassen, nun aber eine angemessene Romanhandlung zur Thematik innerhalb der Familie wünschen.
3. Alle Jugendlichen, die mit psychischen Erkrankungen in ihrem Umfeld belastet sind, zugleich aber auch mit dem eigenen Älterwerden und Erwachsenwerden klarzukommen haben.
4. Alle Kinder von Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, und täglich daran denken müssen, und nur bisweilen das alles mal vergessen können.
5. Alle Menschen, die Angehörige oder Freunde haben, die mit Psychosen oder anderen Veränderungen umgehen lernen müssen.
6. Alle Menschen, die sich einen sensiblen Roman wünschen, der auch diesen Teil des Lebens einfühlsam thematisiert.
7. Alle Ärztinnen und Ärzte, alle Pflegerinnen und Pfleger, die Kranken aus dem Bereich Seele und Psyche helfen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
10
Schon beim Betreten von Moritz’ Wohnung lief mir das Wasser im Mund zusammen – es roch nach Pizzabrötchen. Ich lächelte betreten, als Flo mich mit Moritz bekannt machte, weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte.
»Möchtest du was trinken?«, fragte Moritz, nachdem er meine Hand geschüttelt hatte.
Ich nickte.
Wenig später ließ ich mich – mit einer Flasche Limo in der Hand – auf einen der beiden Sitzsäcke nieder, die um den gläsernen Couchtisch platziert waren. Flo nahm auf dem Sofa gegenüber Platz; er seufzte zufrieden auf. Moritz eilte in die Küche; vermutlich kümmerte er sich um die Pizzabrötchen. Es wunderte mich, dass sich um kurz vor neun noch keine anderen Gäste hier herumtrieben, denn laut Flo sollten alle zwischen halb acht und halb neun ankommen.
Mein Blick glitt durch den Raum. Neben dem Sofa und den Sitzsäcken gab es in einer Ecke ein Bücherregal aus Holz, in der anderen befand sich eine Truhe. Verschnörkelte Ornamente zierten die Oberfläche. Die Stereoanlage, aus der Popmusik erklang, entdeckte ich zu meiner Linken, auf einem dafür vorgesehenen Holzregal. An den Wänden hingen für meinen Geschmack fast zu viele Bilder.
Als Moritz mit einem Tablett voller Pizzabrötchen auftauchte, klingelte es an der Tür.
Mein Blick fiel auf die Keith-Haring-Wanduhr. Zwanzig nach neun. Moritz’ Gäste hielten offenbar nicht viel von Pünktlichkeit.
Stimmen drangen vom Flur ins Wohnzimmer; mein Herzschlag beschleunigte sich. Ein wenig ärgerte ich mich über mich selbst, weil es keinen Grund dafür gab, nervös zu werden. Ich glaubte nicht daran, heute meinem Traummann zu begegnen. Außerdem ging ich davon aus, dass sich mindestens die Hälfte der männlichen Gäste zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlte.
Ich hörte Gekicher – eindeutig von einem Mädchen. Nein, von zwei. Im Handumdrehen standen sie vor mir, um mich zu begrüßen. Hinter ihnen tapste ein Junge herein. Während er mir die Hand reichte, stellte er sich als Jan vor.
Dann ging es Schlag auf Schlag. Es klingelte wieder, und noch ehe die Angekommenen einen Fuß ins Wohnzimmer gesetzt hatten, noch einmal. Wenig später lernte ich weitere fünf Leute kennen.
Da die Wohnung inzwischen rappelvoll war, rechnete ich damit, dass keiner mehr kommen würde.
Ich beobachtete zwei Jungen – ich glaube, der eine hieß Pascal, den Namen des anderen hatte ich mittlerweile wieder vergessen. Die beiden unterließen es zwar, sich zu berühren, aber sie wirkten in ihrem Umgang miteinander sehr vertraut.
Drei Mädchen, die in der Nähe der Küche einen Kreis bildeten, kicherten fast ununterbrochen. Mir entging nicht, dass eine davon ein Auge auf Moritz geworfen hatte. Immer wenn er es nicht sah, gierte sie danach, einen Blick auf ihn zu erhaschen.
Obwohl sich durch meine Aufregung das Hungergefühl von vorhin verflüchtigt hatte, aß ich ein Pizzabrötchen, als Moritz welche auf dem Couchtisch platzierte. Flo knabberte auch an einem herum, ehe er sich erhob, um sich zu den beiden Jungen – Pascal und der andere, dessen Namen ich nicht mehr wusste – zu gesellen.
Ohne Flo fühlte ich mich verlassen. Außer ihm war hier niemand, den ich kannte; nur von Moritz hatte mir Flo manchmal erzählt – er ging mit ihm zum Basketball.
Im ganzen Wohnzimmer drängten sich Leute, alle in Gespräche vertieft. Außer mir saß inzwischen keiner mehr. Eine Zeitlang sah ich Flo dabei zu, wie er sich gestikulierend mit den beiden Jungen unterhielt. Ich nahm das zweite, mittlerweile kalte, Pizzabrötchen in Angriff, als sich Jan auf einem der Sitzsäcke neben mir niederließ.
Er prostete mir mit seiner Limo zu. Ich hob meine ebenfalls und lächelte nervös.
»Moira … hmmm … ist das ein griechischer Name?«, fragte Jan.
Ich nickte und hasste meinen Namen noch ein bisschen mehr. Er setzte gerade an, eine weitere Frage zu stellen, wurde aber unterbrochen; es klingelte an der Tür.
Die Uhr zeigte bereits zwanzig vor zehn an, weshalb es mich wunderte, dass noch jemand hier aufkreuzte.
So viel Verspätung fand ich unverschämt. Andererseits konnte ich nicht leugnen, deshalb auch dankbar zu sein, da Jan offenbar seine Frage vergessen hatte.
Zwei Minuten später sah ich einen Jungen ins Wohnzimmer kommen; eine junge Frau – sie war etwa in meinem Alter – begleitete ihn. Sämtliche Blicke richteten sich auf sie. Fast wurde ich neidisch. Eine völlig unnötige, dumme Empfindung, da ich es als unerträglich empfand, wenn ich die volle Aufmerksamkeit auf mich zog. Das Auftreten sowie die Ausstrahlung des Mädchens wirkten authentisch. Zwar hatte sie Make-up aufgetragen, aber ich war mir sicher, dass sie auch ungeschminkt umwerfend ausgesehen hätte. Natürlich geriet ich bei einem Mädchen nicht ins Schwärmen, aber ich konnte mir eingestehen, wenn jemand mit Schönheit gesegnet war.
Mein Blick wanderte zu dem Jungen. Ich schätzte ihn auf siebzehn, vielleicht achtzehn. Sein langes rotblondes Haar trug er zu einem Zopf gebunden. Die Augenfarbe konnte ich aus der Entfernung nicht erkennen. Insgesamt wirkte er liebenswert. Die Art, wie er entschuldigend mit den Armen herumfuchtelte – offenbar, weil er und das hübsche Mädchen erst so spät in Moritz’ Wohnung hereingeplatzt waren – machte ihn für mich doppelt interessant.
»Sorry, Leute, wir sind spät dran«, sagte er laut genug, um die Musik zu übertönen. »Ich hab Julia abgeholt. Dummerweise haben wir dann den Bus verpasst. Wir mussten ewig auf den nächsten warten.« Er zuckte mit den Schultern.
Alle nickten ihm zu, ehe sie sich wieder in ihre Gespräche vertieften.
Ich sah den Rotblonden in der Küche verschwinden und wenig später mit einem Glas Wasser wieder auftauchen.
Gleich darauf saß er auf dem Sofa. Sein Blick glitt durch den Raum – vermutlich auf der Suche nach Julia.
Ich schaute in ihre Richtung, sie unterhielt sich gerade mit jemandem. Im Gegensatz zu mir schaute der Rotblonde aber nicht zu Julia hin; er blieb bei Flo, Pascal und dem Jungen, dessen Namen ich vergessen hatte, hängen, was mich wunderte. Ich beobachtete ihn weiter. Nach einer Weile schweifte sein Blick auf die Wand gegenüber. Er begann damit, eines der Bilder zu betrachten.
Es stand mir nicht unbedingt der Sinn danach, ein Gespräch anzufangen, aber ich dachte daran, wie sehr ich mich in den nächsten Stunden langweilen würde. Bis Mitternacht eine Limonade nach der anderen zu trinken, ehe Flo mich nach Hause begleitete, hörte sich nicht gerade vielversprechend an. Denn so lange hatte mir Mama erlaubt, hier bleiben zu dürfen.
Ich gab mir einen Ruck; dann fragte ich den Jungen auf dem Sofa nach seinem Namen.
»Nils«, antwortete er.
Er lächelte dabei ein wenig. Mir entging nicht, dass er leicht auf dem Sofa vor- und zurückrutschte. Außerdem rieb er sich am Nacken.
Ich seufzte innerlich. Es war gar nicht so einfach, mit jemandem ins Gespräch zu kommen.
Als ich ihm meinen Namen verriet, machte er weder ein seltsames Gesicht, noch erkundigte er sich nach Herkunft und Bedeutung.
»Wie alt bist du?«, fragte ich weiter.
Ich wollte das Gespräch am Laufen halten.
»Siebzehn.« Er grinste schief. »Na ja, eigentlich noch nicht ganz. Ich hab in zwei Monaten Geburtstag.«
»Im August?«
Er nickte, ehe er das bisher unberührte Wasserglas leertrank und auf dem Tisch abstellte.
Ich erhaschte einen Blick auf seine Augen. Vielleicht täuschte ich mich, aber irgendwie hatten sie keine bestimmte Farbe. Sie sahen aus, als wären alle Farben miteinander vereint.
»Und du?« Diesmal kam sein Lächeln zögernd, was ich unglaublich sympathisch fand.
Ich vergaß zu antworten.
»Wann hast du Geburtstag?« Nils kratzte sich wieder am Nacken. Das schien so eine Macke von ihm zu sein.
Aus irgendeinem Grund fand ich die Frage seltsam – noch viel mehr: Sie ärgerte mich. Ich kannte diesen Jungen kaum. Warum sollte ich ihm so etwas Intimes wie meinen Geburtstag anvertrauen?
Eigentlich verdiente Nils meinen Unmut nicht. Meine Antipathie, sobald das Wort »Geburtstag« fiel, lag an Tante Maxi. Sie war ganz in Ordnung für eine Tante, aber ihre unsägliche Besessenheit, wenn es um Astrologie ging, nervte.
Vor langer Zeit erklärte sie mir meine komplette Persönlichkeit – und das ausschließlich anhand meines Geburtsdatums. Ich ertappte mich sogar dabei, Tante Maxi gerne dabei zuzuhören, wenn sie über Planeten, Häuser, Trigone, Quadrate und, weiß der Geier was, erzählte. Allerdings passte es mir nicht, in irgendein Schema gepresst zu werden. Ich fand es relativ egal, wo die Planeten standen, als ich aus Mamas Bauch herausgekommen war. Der Gedanke, mein Leben auf mein Horoskop auszurichten, widerstrebte mir.
»He, Moira. Ist alles gut bei dir?«, riss Nils mich aus den Gedanken.
»Ähm …«, gab ich von mir, dann geriet ich vor Aufregung ins Stocken.
»Und, was ist jetzt mit deinem Geburtstag?«, hakte Nils nach.
Seine Hartnäckigkeit machte mich wütend. »Ich mag nicht über meinen Geburtstag reden«, zischte ich.
Ohne ihn noch mal anzuschauen, rappelte ich mich hoch; ich suchte den Raum nach Flo ab.
Der quatschte nach wie vor mit Pascal. Ich stiefelte geradewegs in die Richtung. Kaum stand ich vor ihm, wurde mir bewusst, wie dumm ich mich gerade verhielt. Nils hatte mit Sicherheit nicht nach meinem Geburtstag gefragt, um meine Persönlichkeit zu analysieren, sondern weil er mir eine Minute davor seinen verraten hatte.
Flo schenkte mir einen verwirrten Blick. Hitze stieg mir ins Gesicht....




