Lehmann | Bienenjunge | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 196 Seiten

Reihe: Edition Periplaneta

Lehmann Bienenjunge

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-95996-175-2
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 196 Seiten

Reihe: Edition Periplaneta

ISBN: 978-3-95996-175-2
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Cosmas ist ein besonderer Junge, er ist Autist. Sein Vater Kai versucht, ihm ein erfülltes Leben zu ermöglichen, während Cosmas’ Mutter Jorinde die Behinderung ihres Sohnes nicht wahrhaben will. So hat Kai das Gefühl, dass er sich allein den Problemen stellen muss, die zwar alle Eltern haben, die aber durch die Eigenheiten seines Sohnes verstärkt werden. Nur bei der Künstlerin Lilith findet er Rückhalt. Doch als Cosmas eingeschult werden soll, eskalieren die familiären und gesellschaftlichen Konflikte.
Eine Geschichte über Familie, Liebe, Inklusion und über den Kampf für ein gutes Leben.






Coverbild: aphoto4you / stock.adobe.com

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2
Kai hörte ihren flachen Atem, spürte ihre Anwesenheit. Bevor er sich zu ihr ins Bett gelegt hatte, war er im Arbeitszimmer gewesen und hatte an seinem Roman geschrieben. Er hätte ihr gern erzählt, wie sein Tag gewesen war, genauso, wie er gern von ihr erfahren hätte, was sie erlebt hatte. Während Kai an die Decke starrte, fragte er sich, ob er noch einmal aufstehen solle, um Kaffee zu trinken. Er schaute zu Jorinde, die sich im Schlaf drehte. Ihr Gesicht wandte sich ihm zu, die Haare fielen locker in alle Richtungen. Ihre Augen, ihr Mund, alles an ihr wirkte weich. Sie sah schön aus mit wirrem Haar und entspannten Zügen. Der Arm leicht angewinkelt, die nackte Haut. Die Decke war nach unten gerutscht, weshalb Kai ihren unbedeckten Busen sehen konnte. Er wollte ihre Haut berühren, ließ sein Verlangen zu, die Wärme, die in ihm aufstieg. Aber er wollte Jorinde nicht wecken, weshalb er das Schlafzimmer verließ und sich einen Espresso zubereitete. Er dachte an den Vorfall mit dem Hund an der Elbe und dass er Jorinde nicht einmal davon erzählt hatte, weil keine Zeit dazu gewesen war. Er holte sein Notizbuch und notierte die übriggebliebenen Bilder vom Strand, die fragmentarisch in seinem Kopf herumgeisterten. Cosmas’ Schreie und sein Toben kamen ihm wieder in den Sinn, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Er trank den letzten Schluck Espresso und kochte sich noch einen. Diesmal süßte er ihn mit braunem Zucker, ehe er vorsichtig daran nippte. Um halb sechs riss Cosmas Kai aus dem Schlaf. Er ließ ihn unter seine Decke schlüpfen, in der Hoffnung, dass der Junge noch ein wenig ruhig sein würde. Kurze Zeit klappte es. Cosmas rollte sich neben ihm ein, doch dann kam Unruhe in ihm auf. Er begann zu zappeln, dann boxte er Kai, kletterte auf ihn, nahm fast das ganze Bett ein, ständig in körperlichem Kontakt. Kai wollte nicht, dass Jorinde aufwachte, deshalb quälte er sich aus dem Bett und unterstützte Cosmas beim Anziehen und Zähneputzen. Drei Stunden später tauchte Jorinde auf. Kai hatte bereits den Frühstückstisch gedeckt, aber noch nicht gegessen. Cosmas saß auf dem Sofa und sortierte Buntstifte. Kai füllte Wasser in einen Topf, um für sich und Jorinde ein Frühstücksei zu kochen. „Hast du gut geschlafen?“, fragte er, während er sich zu ihr an den Tisch setzte. „Hab ich. Warum hast du mich nicht geweckt?“ Unter ihren Augen zeichneten sich Ringe ab. „Es reicht, wenn einer von uns beiden früh aufsteht.“ Sie erwiderte nichts, stattdessen strich sie Butter auf eine Brötchenhälfte. Kai beobachtete sie dabei, wie sie die Marmelade verteilte. Keine Stelle blieb unbefleckt. Sie aß zögerlich, biss nur kleine Stücke ab, als wäre sie mit den Gedanken woanders, legte das Brötchen gleich darauf auf dem Teller ab, um hastig ihre Hand über die Stirn bis hinter das Ohr gleiten zu lassen, als wollte sie Strähnen aus ihrem Gesicht entfernen, die es nicht gab, denn ihre Haare waren am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden. Kai dachte, dass sie völlig anders aussah als in der Nacht mit verstrubbelten Haaren. Perfekt. Alles saß perfekt. Früher hatte Jorinde ihr Haar offen getragen – wie ihr Herz, das ihm jetzt abgeschottet vorkam. Er hätte gern Zugang zu ihr gefunden, doch in letzter Zeit kam es ihm vor, als wäre es leichter, mit Cosmas ins Gespräch zu kommen als mit ihr. Kaum hatte er an ihn gedacht, setzte Cosmas sich auf seinen Schoß, drängte sich an ih und hielt ihn davon ab zu essen. Cosmas holte sich ein Brötchen aus dem Korb, um es im nächsten Moment wieder hineinfallen zu lassen. Ein anderes wurde herausgeholt. „Such dir eines aus und nimm es dann“, sagte Kai ruhig. Cosmas hörte nicht, nahm das Nächste, nachdem er das Vorherige begutachtet und offensichtlich nicht als genehm befunden hatte. „Cosmas!“, rief Jorinde. Der Junge reagierte wieder nicht, sondern lächelte in sich hinein. „Cosmas! Das geht so nicht!“, wiederholte Jorinde. Kai nahm die Aufregung in ihrer Stimme wahr. „Lass ihn.“ Kai wusste, dass es die falschen Worte für Jorinde waren, aber es handelte sich um die richtigen für Cosmas. Jorinde blickte zu ihm. Ihre Augen vor Schreck geweitet, versuchte sie, ihre Gefühle zu überspielen, indem sie ein Lächeln hervorbrachte, das Kai wie eine Maske vorkam. Wie gern hätte er den strengen Dutt an ihrem Hinterkopf gelöst, ihr Haar geküsst, sie umschlungen, um unbeholfen mit ihr zum Sofa zu stolpern. Doch Kai wusste, dass selbst wenn Cosmas nicht hier gewesen wäre, das bloße Öffnen der straffen Frisur es nicht geschafft hätte, Jorindes Verkrampfung zu lösen, die sie seit Cosmas’ Geburt begleitete. „Du lässt ihm alles durchgehen.“ Jorinde sprach in einem zischenden Flüsterton. „Wie soll er so lernen, was sich gehört?“ Kai seufzte. Es war sinnlos, zu versuchen, Cosmas Dinge beizubringen, die sich gehörten. Auch ihm machten die vielen Auseinandersetzungen zu schaffen, auch er wusste oftmals nicht weiter. Kurz nach dem Aufstehen hatte Cosmas zu wüten begonnen. Rastlos war er von da nach dort gelaufen, mit einem Apfel in der Hand. Weil er hungrig gewesen war, hatte er keine Beschäftigung für sich gefunden, hatte Kai in den Ohren gelegen, ihm dieses und jenes erzählt – Dinge, die ihn beschäftigten, wirr zum Teil und unlogisch, dann wieder von Wissen zeugend. Kein Wort hatte Kai dazwischen setzen können. Kein Durchkommen. Nichts. Es hatte lange gedauert, ehe er den Jungen davon überzeugen konnte, sich mit den Stiften zu beschäftigen. „Lass uns nicht vor ihm über diese Dinge reden“, bat Kai. „Es tut ihm nicht gut, wenn wir in der dritten Person über ihn sprechen. Er befindet sich neben uns. Sprich ihn doch direkt an.“ „Direkt ansprechen?“ Jorinde lachte bitter. „Wenn das so einfach wäre.“ Ihr Widerstreben ergriff auch Kai. Sie sagte die Wahrheit und es schmerzte ihn, dass Jorinde ihr Elend nicht zurückhalten konnte, dass sie es nicht schaffte, darüber hinwegzusehen. Inzwischen hatte Cosmas sich für ein Brötchen entschieden und schleckte daran. Jorinde blickte angewidert in seine Richtung. Kai sagte nichts und sah ihm dabei zu, wie er über die Kruste des Brötchens leckte, immer und immer wieder. Es sah aus, als würde es ihm weniger um den Geschmack gehen oder das Brötchen an sich, sondern als täte die Oberfläche ihm gut. Nach Minuten biss er vom Brötchen ab, stopfte es sich in den Mund, legte nur einen kleinen Rest davon beiseite und kaute, so gut es ging, während er versuchte, sich ein nächstes Brötchen zu holen. „Nein.“ Kai sprach mit Nachdruck, doch Cosmas beeindruckte seine Mahnung nicht. „Ach was, erst heißt es, ich soll ihn lassen und dann …“ Jorinde unterbrach sich und blickte verächtlich in Kais Richtung. Er ließ sich nicht provozieren und wollte auch nicht darauf antworten, weil er selbst wusste, wie dumm es war, erst nachgiebig zu sein und dann Grenzen setzen zu wollen. Er hatte Jorindes Genugtuung verdient, obwohl ihm die Kühle, die in ihren Augen lag, einen Stich versetzte. Den Blick auf Cosmas gerichtet, nahm er den Korb vom Tisch und stellte ihn in einen Küchenschrank. Cosmas stolperte hinterher, gab dann aber auf und setzte sich auf Jorindes Schoß. „Wann kommt Sarah mit ihrer Tochter?“, fragte Kai. „Am späten Nachmittag.“ Sie blickte von ihrem Frühstücksei auf. „So gegen fünf, halb sechs. Meine Mutter wollte mit Cosmas zum Spielplatz. Wir könnten noch einen Spaziergang machen, ehe Sarah und die Kleine kommen.“ Cosmas rüttelte an Jorindes Arm, sie versuchte weiterzureden, aber er hielt sie davon ab. „Dann lass uns das machen“, erwiderte Kai. Es fiel ihm schwer zu sprechen, da Cosmas’ Unruhe auf ihn übergriff. Kais Konzentration verflüchtigte sich, er fühlte, wie er die Kontrolle über die Situation verlor. Cosmas drängte sich an Jorinde. Kai merkte, wie seine Frau innerlich japste, sich nicht zu wehren wusste oder es nicht wollte. Er ging um den Tisch herum auf Jorinde und Cosmas zu. Er berührte Cosmas an der Schulter, der seine Hand sofort abstreifte. „Cosmas! Hör damit auf!“, rief er, auch wenn ihm klar war, dass er darauf keine Reaktion erhalten würde. Und trotzdem ließ es sein Ärger nicht zu, einfach still zu sein. „Hör auf!“, wiederholte er. Er sah seinen Sohn wüten, um seine Frau herumtanzen, sie piksen. „Komm, wir spielen zusammen mit den Bausteinen“, versuchte es Kai jetzt mit ruhiger Stimme. Jorinde schloss die Augen, rührte und wehrte sich nicht, sondern saß auf ihrem Stuhl und ließ alles mit sich passieren. Nur mit Worten ohne Nachdruck versuchte sie es: „Lass das. Hör sofort auf damit, Cosmas.“ Kai gelang es nicht, ihr Wimmern zuzuordnen. Er wollte die Situation retten, er wollte, dass die Minuten, die sich zu Stunden ausdehnten, in sich zusammenfielen und Jorinde freigaben. Auch ihn. „Oder wir kämpfen“, sagte Kai. „Was hältst du davon, wenn wir kämpfen?“ Er erschrak über seine Stimme, sie klang höher als sonst. Dennoch redete er weiter: „Wir gehen raus in den Park und holen uns Zweige. Dann kämpfen wir. Es wird dir gefallen. Komm, wir gehen.“ Kai nahm Cosmas’ Hand und versuchte, ihn mit sich zu ziehen, doch der Junge riss sich los, zerrte an Jorindes Arm. „Mama mitkommen! Mitkommen!“, forderte Cosmas. „Ich will jetzt nicht. Lass mich. Kannst du nicht ein Mal hören?“, erwiderte Jorinde kraftlos. Cosmas ließ kurz von Jorinde ab, setzte das Spiel aber gleich wieder fort. „Cosmas.“...


Lehmann, Heidi
Heidi Lehmann (*1981) wuchs im oberösterreichischen Mühlviertel auf. Die Landschaft, die sie umgab, bot ihr schon als Kind die Möglichkeit, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen.
Nach ihrer Ausbildung in Linz a. d. Donau arbeitete sie einige Jahre im kaufmännischen Bereich. 2005 zog sie nach Hamburg, um dort freie Kunst und Kunsttherapie zu studieren. Derzeit absolviert sie eine Ausbildung zur Sozialpädagogin.
Die Künstlerin Heidi Lehmann malt und schreibt. Ihr erster Roman heißt „Bitterschönes Schicksal“ und erschien 2017.
https://heidi-lehmann.jimdo.com



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