Lechner | Riot, don't diet! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Lechner Riot, don't diet!

Aufstand der widerspenstigen Körper
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-218-01260-7
Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Aufstand der widerspenstigen Körper

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-218-01260-7
Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dick, haarig, queer, alt, Schwarz, behindert: Wer in unserer Gesellschaft nicht der Norm entspricht, wer sich und seinen Körper nicht dem kommerzialisierten Zwang zur Selbstoptimierung unterwirft, wird marginalisiert, gemobbt und ausgegrenzt. Doch wer definiert Schönheit und wem nützt das? Klar ist jedenfalls: Schönheit ist nicht nur ein Geschäft, sie ist vor allem eines: politisch. Wenn eine Frau wegen unrasierten Beinen Morddrohungen bekommt, wenn Jobbewerbungen nach dem Körpergewicht beurteilt werden, wenn ein dunklerer Teint 'in' ist, aber Schwarze Menschen weiterhin strukturell diskriminiert werden - dann ist ein Umdenken der Mehrheit und ein Aufstand gerade für jene Menschen notwendig, die besonders unter dem Schönheitsdruck in den Medien und an unserem Umgang miteinander leiden. Elisabeth Lechner trifft AktivistInnen, zerlegt gekonnt gängige Vorurteile und legt einen ermutigenden 5-Punkte-Plan vor, wie echte Solidarität aussehen kann und wie wir alle unseren Begriff von Schönheit hinterfragen können. Dem Riot schließen sich an: Christl Clear ? kerosin95 ? Laura Gehlhaar ? Linus Giese ? minusgold ? Ulrike Schöflinger uvm.

Elisabeth Lechner ist Kulturwissenschaftlerin und hat zu 'ekligen' weiblichen Körpern und Body Positivity an der Universität Wien promoviert. Sie forscht an der Schnittstelle von Popkultur-Studien, feministischer Medienwissenschaft, Affect & Body Studies, publiziert wissenschaftlich & essayistisch und gibt Workshops zu Medienkompetenz, Feminismus, Body Positivity, Body Shaming und Lookismus. Sie arbeitet als Referentin im Büro für digitale Agenden der Arbeiterkammer Wien.
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VOM WERT VON SCHÖNHEIT UND DEM PREIS DAFÜR, AUS DER NORM ZU FALLEN


Beginnen wir ganz von vorne: Was ist das gängige Schönheitsideal am Anfang der 2020er Jahre? Welche Bilder fallen uns ein, wenn wir an „schöne Menschen“ denken? Wen sehen wir in den Medien, in unseren liebsten Serien und Spielfilmen, in der Werbung, den Nachrichten und auf Social Media? Weitestgehend , fitte, junge Menschen ohne Behinderungen. Zusätzlich wird eine binärgeschlechtliche, heterosexuelle Norm angenommen: Es gibt Männer und Frauen, diese verlieben sich jeweils ineinander. Dieses „heteronormative“, ldeal immerwährender Jugend und Fitness wird durch die globale Schönheitsindustrie in die gesamte Welt exportiert und konkurriert vor Ort mit lokalen Vorstellungen. Spätestens seit dem neuzeitlichen Kolonialismus richtet sich das Schönheitsideal also nach einer europäischen, Norm. Dass Schönheit immer in Abhängigkeit von diesem eurozentrischen Ideal gedacht wird, an dem Schwarze, Indigene und People of Color (kurz BIPoC) nur scheitern können, muss man als Fortsetzung kolonialer Gewalt bezeichnen.

Im Gegensatz zu den 1990ern ist die „schöne Frau“ heute aber nicht mehr gertenschlank, sondern durchtrainiert, fit und an den „richtigen“ Stellen kurvig. Sie ist oder zunehmend auch „exotisch divers“, hat lange Haare, eine glatte und aknefreie Haut, ist am ganzen Körper rasiert und geschminkt. Männer wiederum müssen groß sein, stark und muskulös. Das passt haargenau zur sogenannten Leistungsgesellschaft, in der wir leben. Sichtbare Schönheitsarbeit – ausdefinierte Muskeln, entfernte Körperbehaarung, das perfekt aufgetragene Make-up – ist positiv besetzt.

Auch empirisch ist belegbar: Als attraktiv angesehene Menschen haben bessere Job- und Beförderungsaussichten, mehr Erfolg in zwischenmenschlichen Beziehungen und bei der Partner*innenwahl, bekommen eher einen Job, erhalten ein höheres Gehalt und die bessere Gesundheitsversorgung. Schon in jungen Jahren bekommen „schöne“ Schüler*innen die besseren Noten.8 Genau wegen des gesellschaftlichen Werts von Schönheit streben verschiedenste, gerade auch marginalisierte Gruppen – wie Schwarze, trans oder dicke Frauen – danach, auch Schönheitskapital zu erlangen und die Grenzen dessen, was als schön, als akzeptable Femininität gilt, zu erweitern.9 Als schön wahrgenommen zu werden, bringt nicht nur Vorteile in Beruf oder Liebesleben, es kann vor Gewalt schützen und Leben retten.

Viele empfinden derzeit eine Zunahme des Drucks, schön sein zu müssen. Ana Elias und ihre Kolleginnen bekräftigen diesen Eindruck in ihrem Buch Sie sprechen von einer „Intensivierung“ und „Extensivierung“ von Schönheitsdruck. „Intensivierung“, weil es eine Omnipräsenz von Kameras und Überwachung (gerade auch in Freundesgruppen) gibt und man ständig Fotos von sich macht. In den 1970er Jahren beispielsweise hat es ewig gedauert, bis ein Foto bearbeitet war und man es sich anschauen konnte. Heute kann ich in einer Minute 100 Selfies von mir machen und sie ganz einfach mit zahlreichen Filtern und Apps nachbearbeiten, bevor ich sie mit meinen Follower*innen teile. Zusätzlich zu dieser Intensivierung des Schönheitsdrucks finde zeitgleich auch eine Extensivierung statt. Gut auszusehen werde nun einerseits ausgeweitet auf neue Phasen oder Lebensabschnitte einer Frau, sodass nun auch immer jüngere Kinder und immer ältere Frauen bzw. Schwangere und Mütter gut aussehen müssen, andererseits aber auch auf neue und immer absurdere Regionen des Körpers, sodass nun beispielsweise auch die Fußsohlen, Oberschenkel (Stichwort „Thigh Gap“), Achselhöhlen oder Vulvalippen nach käuflichen Lösungen der Schönheitsindustrie verlangen.10

Das in Werbung und Popkultur weit verbreitete Schönheitsideal einer jungen, schlanken, Frau mit Kurven an den „richtigen“ Stellen ist aus vielen Gründen problematisch. Es dient in seiner Unerreichbarkeit dem Vermarkten von Produkten, die gegen immer neue Unzulänglichkeiten helfen sollen. Die Vorteile, die mit zugeschriebener Schönheit einhergehen, sind für People of Color, genderqueere Menschen oder solche mit sichtbaren Behinderungen oft unerreichbar. Ich verstehe Schönheit daher als patriarchalkapitalistisches Konstrukt Vorherrschaft, das in besonderem Maße Frauen unterdrückt und den „beauty-industrial complex“, also die Schönheitsindustrie, aufrechterhält.

Schönheit als zentrales feministisches Anliegen

Ist Schönheit wirklich, wie so oft behauptet, ein oberflächliches, „klassisches Frauenthema“ oder doch/gerade deswegen ein „zentrales feministisches Anliegen“11, dessen Wichtigkeit gesellschaftlich immer wieder neu begründet werden muss? Aufgrund der jahrhundertelangen Reduktion von Frauen auf ihre Körper, ihre reproduktiven Fähigkeiten und die „private Sphäre“, sowie aufgrund des sozioökonomischen Stellenwerts von Schönheit in unserer Gesellschaft ist die Feststellung, dass Schönheitsdruck auf Frauen stärker lastet als auf Männern, nur wenig überraschend. Frauen werden vom herrschenden Schlankheitsideal noch stärker „tyrannisiert“ als Männer und leiden auch heute noch nachweislich öfter an Essstörungen und anderen psychischen Erkrankungen.12

Warum kritisiere ich unseren gesellschaftlichen Umgang mit Schönheit als sexistisch? Abgesehen von unserer heutigen, vor allem auf Frauen abzielenden Diät- und „Wellness“-Kultur, die in einem System heterosexuellen Begehrens physische Attraktivität als Zielvorgabe definiert („So dick findest du keinen Mann!“), liegen die Wurzeln des Problems tiefer.13 In vielen Jahrhunderten der Westlichen Kulturgeschichte passiert hauptsächlich Folgendes: Männliche Betrachter richten aktive Blicke auf passive (oft nackte) Frauen, deren Schönheit sie bewerten. John Bergers berühmte Dokumentation über Geschlechterrollen in der klassischen Kunst belegt diesen „männlichen Blick“ (Laura Mulvey) ganz eindeutig.14 Diese patriarchalen Zuschreibungen degradieren Frauen zu konsumierbaren Objekten, berauben sie ihrer Subjektivität, ja oft ihrer Menschlichkeit und machen sie damit zu Angriffsflächen für Gewalt. Außerdem finden diese geifernden Blicke und Zurufe, diese Reduktion aufs Äußere und die damit einhergehenden Übergriffe heute in einem kapitalistischen System statt, das Schönheit einen Marktwert zuschreibt. Demensprechend ist Schönheit, wie die Soziologin Tressie MacMillan Cottom argumentiert, gerade für Frauen und mehrfach diskriminierte Gruppen vielmehr Zwang, Notwendigkeit oder gar Überlebensstrategie, und weniger Gegenstand subjektiver Präferenzen.15 Wenn Schönheit Schutz bedeutet, nimmt man auch hin, dass der Weg zu einem „akzeptablen Äußeren“ schmerzhaft ist, dass er Zeit und Geld kostet. Und man akzeptiert, dass durch diese so viel Raum einnehmenden Praktiken immer neue, unerreichbare Normen und unter ihnen leidende Kund*innen kreiert bzw. letztendlich Unterdrückungsmechanismen fortgeschrieben werden.

Als Folge unserer gesellschaftlich produzierten, jedoch oft auf „die Biologie“ zurückgeführten binären, heterosexuellen Geschlechterordnung werden Frauen, historisch betrachtet, oft auf ihre Körper, ihre „Anmut, Schönheit“ und scheinbar „naturgegebene“ fürsorgliche Häuslichkeit reduziert16, während Männer im Gegensatz dazu mit Geist und Kultur in Verbindung gebracht wurden. Das Aussehen von Männern wird nicht thematisiert, ihre Körper sind die unausgesprochene, angenommene Norm, jene von Frauen und queeren Menschen eine Abweichung davon. Diese systemische Unsichtbarkeit kann für die Betroffenen sogar tödliche Folgen haben, wenn Sicherheitsnormen in Autos oder Grenzwerte im Umgang mit Chemikalien nicht auf sie abgestimmt sind, wie Caroline Criado-Perez in ihrem Buch mit einer eindrucksvollen Menge an Studien belegt.17

Diese patriarchalen, also an einer männlichen Norm orientierten Strukturen sind auch heute noch vorhanden. Neben der Unsichtbarkeit von Frauen und queeren Menschen in Medizin, Stadtplanung und Technikentwicklung sind sie gut erkennbar in der unterschiedlichen Darstellung von Frauen- und Männerkörpern in den Medien. Öffentlich sichtbare Frauenkörper sollen jung, , fit, schlank, aber an den richtigen Stellen kurvig, falten-, haar- und nahezu körperfettfrei sein, während Männern in Sachen Aussehen (noch) mehr Spielraum zugestanden wird, besonders, was ihr Alter betrifft („Männer altern wie guter Wein“, mit einer „alten Schachtel“ dagegen will sich niemand einlassen). Gerade in der Werbung werden Männer immer noch...


Elisabeth Lechner ist Kulturwissenschaftlerin und hat zu 'ekligen' weiblichen Körpern und Body Positivity an der Universität Wien promoviert. Sie forscht an der Schnittstelle von Popkultur-Studien, feministischer Medienwissenschaft, Affect & Body Studies, publiziert wissenschaftlich & essayistisch und gibt Workshops zu Medienkompetenz, Feminismus, Body Positivity, Body Shaming und Lookismus. Sie arbeitet als Referentin im Büro für digitale Agenden der Arbeiterkammer Wien.



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