le Carré | Single & Single | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

le Carré Single & Single


Version 1.V01
ISBN: 978-3-8437-0849-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0849-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Alle Romane von John le Carré jetzt als E-Book! - Die Küste des Bosporus, das Londoner Westend und der hohe Kaukasus sind die Schauplätze dieses Romans. Tiger Single, Patriarch der Londoner Firma Single & Single, betreibt dubiose internationale Geschäfte und Finanztransaktionen. Doch dann durchschaut ihn Oliver, sein Sohn und Partner, der von ihm nur benutzt wurde. Ein spannender Roman über Liebe, Loyalität und Verrat. Große TV-Doku 'Der Taubentunnel' ab 20. Oktober 2023 auf Apple TV+

John le Carré wurde 1931 in Poole, Dorset geboren. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. 1963 veröffentlichte er Der Spion, der aus der Kälte kam. Der Roman wurde ein Welterfolg und legte den Grundstein für sein Leben als Schriftsteller. Die Veröffentlichung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy markiert den nächsten Höhepunkt seiner Karriere. Seine Figur des Gentleman-Spions George Smiley ist legendär. Nach Ende des Kalten Krieges schrieb John le Carré über große internationale Themen wie Waffenhandel, die Machenschaften der Pharmaindustrie und den Kampf gegen den Terror. Der in Deutschland hochgeschätzte Autor wurde mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. johnlecarre.com
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2


»Oliver Hawthorne. Kommen Sie bitte sofort hierher. Und zwar schleunigst. Jemand möchte Sie sprechen.«

In der Kleinstadt Abbots Quay, in den Hügeln Südenglands an der Küste von Devon, stand eines funkelnden, vom Duft der Kirschblüten durchwehten Morgens Mrs. Elsie Watmore vor ihrer viktorianischen Pension und rief gut gelaunt nach ihrem Mieter Oliver, der auf dem Gehsteig zwölf Stufen unter ihr mit Hilfe ihres zehnjährigen Sohnes Sammy mehrere ramponierte schwarze Koffer in seinen japanischen Lieferwagen lud. Mrs. Watmore hatte es aus dem eleganten Badeort Buxton im Norden nach Abbots Quay verschlagen, und auch hier verzichtete sie nicht auf die dort erworbenen anspruchsvollen Umgangsformen. Ihre Pension war eine viktorianische Sinfonie aus Spitzenvolants, vergoldeten Spiegeln und Glasvitrinen voller winziger Schnapsflaschen. Das Haus hieß Mariners’ Rest, und sie hatte dort glücklich mit Sammy und ihrem Mann Jack gelebt, bis dieser, den verdienten Ruhestand vor Augen, auf See ums Leben gekommen war. Sie war eine füllige Frau, klug, attraktiv und einfühlsam. Ihr Derbyshire-Akzent, den sie der komischen Wirkung halber angenommen hatte, schallte wie eine Bandsäge über die steil abfallenden Küstenterrassen. Sie trug ein verwegenes malvenfarbenes Seidenkopftuch, denn es war Freitag, der Tag, an dem sie ihre Haare zu waschen pflegte. Von der See her wehte eine linde Brise.

»Sammy, Lieber, stoß Ollie mal in die Rippen, und sag ihm, jemand ist für ihn am Telefon, bitte – er schläft wie üblich – im Flur! Mr. Toogood von der Bank. Irgendwelche Routinesachen zu unterschreiben, sagt er, aber dringend – und da er zur Abwechslung mal sehr höflich und gentlemanlike ist, beeil dich, damit er mir nicht wieder den Überziehungskredit kürzt.« Sie wartete, sie übte Nachsicht; das war bei Ollie so ziemlich das einzige, was man tun konnte. Nichts bringt ihn aus der Ruhe, dachte sie. Nicht, wenn er in sich gekehrt ist. Er würde mich nicht mal hören, wenn ich ein Luftangriff wäre. »Sammy lädt die Koffer für Sie ein, stimmt’s, Samuel, das tust du doch«, fügte sie als weiteren Anreiz hinzu.

Sie wartete weiter, vergebens. Sie sah Olivers schwammiges Gesicht unter der Zwiebelhändler-Baskenmütze, die sein Markenzeichen war: mit grimmigem, konzentriertem Flunsch reichte er Sammy den nächsten schwarzen Koffer zum Verstauen im Laderaum des Lieferwagens. Die beiden sind aus dem gleichen Holz geschnitzt, dachte sie nachsichtig, während sie zusah, wie Sammy den Koffer in alle möglichen Winkel hineinzuzwängen versuchte; langsam war er schon immer gewesen, noch langsamer freilich seit dem Tod des Vaters. Alles macht ihnen Probleme, jede Kleinigkeit. Man könnte meinen, sie wollen nach Monte Carlo, nicht bloß ein Stück die Straße runter. Es waren Koffer, wie Handlungsreisende sie benutzten, mit Kunstleder bezogen, in verschiedenen Größen. Daneben lag ein aufgepumpter roter Ball von gut einem halben Meter Umfang.

»Er sagt nicht: ›Wo steckt unser Ollie?‹ – o nein, das sagt er ganz und gar nicht«, beharrte sie, inzwischen überzeugt, daß der Bankdirektor längst aufgelegt hatte. »Er sagt: ›Wollen Sie bitte so freundlich sein und Mr. Oliver Hawthorne ans Telefon holen‹, oder so ähnlich. Sie haben doch nicht im Lotto gewonnen, Ollie? Aber davon würden Sie uns ja nichts erzählen, das sieht Ihnen ähnlich, immer stark und verschwiegen. Stell den Koffer hin, Sammy. Ollie wird dir dabei helfen, wenn er mit Mr. Toogood gesprochen hat. Laß ihn bloß nicht fallen.« Sie stemmte in gespielter Verzweiflung die geballten Fäuste in die Hüften: »Oliver Hawthorne. Mr. Toogood ist ein hochbezahlter Angestellter unserer Bank. Wir können ihn nicht für hundert Pfund die Stunde ins Nichts horchen lassen. Wenn er demnächst unsere Gebühren anhebt, sind Sie daran schuld.«

Inzwischen aber waren ihre Gedanken, verführt von der einschläfernd warmen Frühlingssonne, in eine seltsame Richtung abgeschweift, wie sie das bei Ollie des öfteren zu tun pflegten. Sie dachte, was für ein Bild die beiden abgeben, fast wie Brüder, auch wenn sie einander gar nicht allzu ähnlich sind: Ollie, groß wie ein Berg in seinem Wolfsmantel, den er bei jedem Wetter trug, egal was die Nachbarn sagten oder was für Blicke er damit ernten mochte; Sammy, hager und spitznasig wie sein Vater, mit dem seidig braunen Haar und der Bomberjacke aus Leder, die er praktisch ununterbrochen trug, seit Ollie sie ihm zum Geburtstag geschenkt hatte.

Sie dachte an den Tag zurück, an dem Oliver vor ihrer Haustür aufgetaucht war: eine verknitterte Gestalt, riesenhaft in diesem Mantel, mit Zweitagebart und nur einem kleinen Koffer in der Hand. Neun Uhr morgens, sie räumte gerade das Frühstück weg. »Kann ich hier bei Ihnen wohnen, bitte?« sagt er – nicht: Haben Sie ein Zimmer frei? oder: Kann ich’s mir mal ansehen? oder: Was kostet das pro Nacht? – nur: »Kann ich hier bei Ihnen wohnen?« Wie ein verirrtes Kind. Und es regnet, wie kann sie ihn da vor der Tür stehen lassen? Sie reden über das Wetter, er bewundert ihr Mahagonibüfett und die Uhr aus vergoldetem Messing. Sie zeigt ihm den Salon und das Eßzimmer, sie erklärt ihm die Hausordnung und führt ihn nach oben, wo sie ihm Nummer sieben mit Blick auf den Friedhof zeigt, falls ihm das nicht zu deprimierend ist. Nein, sagt er, er hat nichts gegen die Gesellschaft von Toten. So hätte Elsie das freilich nicht formuliert, nicht seit Mr. Watmores Ableben, dennoch können sie beide herzlich darüber lachen. Ja, sagt er, es kommt noch einiges an Gepäck nach, hauptsächlich Bücher und dergleichen.

»Und ein häßlicher alter Lieferwagen«, fügt er zaghaft hinzu. »Wenn er Sie stört, schiebe ich ihn die Straße runter.«

»Warum sollte der mich stören?« erwidert sie züchtig. »So empfindlich sind wir hier nicht in Mariners’ Rest, Mr. Hawthorne, und das wird auch hoffentlich so bleiben.«

Und als nächstes zahlt er einen Monat im voraus, vierhundert Pfund in bar auf den Waschtisch, ein Geschenk des Himmels, wenn sie an ihr überzogenes Konto denkt.

»Sie sind doch nicht auf der Flucht, mein Lieber?« fragt sie halb im Scherz, als sie wieder unten sind. Er sieht sie verdutzt an, dann wird er rot. Aber schließlich erscheint ein überaus sonniges Lächeln auf seinem Gesicht, und alles ist wieder gut.

»Zur Zeit nicht, oder was glauben Sie?« sagt er.

»Und der da ist Sammy«, sagt Elsie und zeigt auf die halboffene Salontür, da Sammy sich wie üblich von oben herangeschlichen hat, um den neuen Gast zu begutachten. »Komm da raus, Sammy, ich hab dich gesehen.«

Und eine Woche später hatte Sammy Geburtstag, und diese Lederjacke mußte mindestens fünfzig Pfund gekostet haben, und Elsie machte sich furchtbare Sorgen, weil die Männer ja heutzutage zu allem fähig waren, auch wenn sie notfalls noch so charmant sein konnten. Die ganze Nacht blieb sie auf und zerbrach sich den Kopf darüber, was ihr armer Jack in so einem Fall getan haben würde, denn Jack mit seinen Jahren auf See hatte eine Nase für solche Leute. Er könne sie schon riechen, wenn sie noch auf der Gangway seien, hatte er oft geprahlt, und nun fürchtete sie, daß Oliver auch so einer war und sie die Anzeichen übersehen hatte. Am nächsten Morgen war sie kurz davor, Ollie zu sagen, er solle die Jacke auf der Stelle wieder dorthin zurückbringen, wo er sie gekauft habe – und das hätte sie auch wirklich getan, wenn sie nicht in der Warteschlange bei Safeways mit Mrs. Eggar vom Haus Glenarvon geplaudert und dabei zu ihrer Verwunderung erfahren hätte, daß Ollie eine kleine Tochter namens Carmen und eine Exfrau namens Heather hatte, eine nichtsnutzige Krankenschwester im Freeborn, die mit jedem ins Bett gegangen sei, der mit einem Stethoskop umgehen konnte. Ganz zu schweigen von einem feudalen Haus in Shore Heights, das er ihr übertragen habe, schriftlich und voll bezahlt, keinen Penny Schulden, manche Mädchen könnten einen schon krankmachen.

»Warum haben Sie mir nie erzählt, daß Sie stolzer Vater sind?« fragte sie Ollie vorwurfsvoll, hin- und hergerissen zwischen der Erleichterung über ihre Entdeckung und der Demütigung, derart sensationelle Neuigkeiten von einer Konkurrentin erfahren zu müssen. »Wir haben kleine Kinder doch gern, stimmt’s, Samuel? Wir sind verrückt nach kleinen Kindern, solange sie die anderen Gäste nicht belästigen, stimmt’s?«

Ollie sagte nichts dazu; er senkte nur den Kopf und murmelte wie ertappt: »Ja, also dann, bis später«, verschwand auf sein Zimmer und ging dort auf und ab, leise, um keinen zu stören. Typisch Ollie. Bis das Auf und Ab schließlich abbrach und sie das Knarren seines Sessels hörte; da wußte sie, er hatte sich mit einem der Bücher hingesetzt, die er, obwohl sie ihm ein Regal ins Zimmer gestellt hatte, lieber auf dem Fußboden um sich herumstapelte – Bücher zu juristischen und ethischen Themen, Bücher über Magie, Bücher in fremden Sprachen –, alle angelesen, angeblättert und wieder zurückgelegt, einige mit kleinen Papierstreifen als Lesezeichen. Manchmal schauderte sie bei der Vorstellung, was für ein Brei von Gedanken in seinem schwerfälligen Körper rumoren mochte.

Und seine Trinkerei – dreimal hatte er sich bis jetzt betrunken –, so beherrscht, daß es sie schier zu Tode geängstigt hatte. Sie hatte schon öfter Gäste gehabt, die einem Gläschen nicht abgeneigt waren. Manchmal trank sie selbst eins mit, aus Freundlichkeit, aus Wachsamkeit. Aber noch nie zuvor war im Morgengrauen, zwanzig Meter vom Haus entfernt, um niemanden zu wecken, ein Taxi vorgefahren und hatte einen todbleichen, mumifizierten Koloß abgeliefert – den Mantel um die Schultern gehängt, die Baskenmütze pfeilgerade über der Stirn –, der wie ein Bombenopfer die Eingangsstufen...


le Carré, John
John le Carré, 1931 geboren, schrieb über sechs Jahrzehnte lang Romane, die unsere Epoche ausloten. Als Sohn eines Hochstaplers verbrachte er seine Kindheit zwischen Internat und Londoner Unterwelt. Mit sechzehn ging er an die Universität Bern (Schweiz), später dann nach Oxford. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. Während seiner Dienstzeit veröffentlichte er 1961 seinen Erstlingsroman Schatten von Gestern. Der Spion, der aus der Kälte kam, sein dritter Roman, brachte ihm weltweite Anerkennung ein, die sich durch den Erfolg seiner Trilogie Dame, König, As, Spion, Eine Art Held und Agent in eigener Sache festigte. Nach dem Ende des Kalten Krieges weitete le Carré sein Themenspektrum auf eine internationale Landschaft aus, die den Waffenhandel ebenso umfasste wie den Kampf gegen den Terrorismus. Seine Autobiografie Der Taubentunnel erschien 2016, Das Vermächtnis der Spione, der abschließende Roman um George Smiley, 2017. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020.

John le Carré, 1931 geboren, studierte in Bern und Oxford. Er war Lehrer in Eton und arbeitete während des Kalten Kriegs kurze Zeit für den britischen Geheimdienst. Seit nunmehr fünfzig Jahren ist das Schreiben sein Beruf. Er lebt in London und Cornwall.



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