le Carré | Krieg im Spiegel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 4, 320 Seiten

Reihe: Ein George-Smiley-Roman

le Carré Krieg im Spiegel

Ein Smiley-Roman
Version 1.V01
ISBN: 978-3-8437-0848-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Smiley-Roman

E-Book, Deutsch, Band 4, 320 Seiten

Reihe: Ein George-Smiley-Roman

ISBN: 978-3-8437-0848-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Alle Romane von John le Carré jetzt als E-Book! - Der britische Geheimdienst will einen Mann in die DDR schleusen, um Erkenntnisse über Raketenstationierungen zu gewinnen. Mit einem altertümlichen Morseapparat soll der Agent seine Informationen nach England senden. Doch nach der ersten Meldung schweigt das Gerät ... Große TV-Doku 'Der Taubentunnel' ab 20. Oktober 2023 auf Apple TV+

John le Carré wurde 1931 in Poole, Dorset geboren. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. 1963 veröffentlichte er Der Spion, der aus der Kälte kam. Der Roman wurde ein Welterfolg und legte den Grundstein für sein Leben als Schriftsteller. Die Veröffentlichung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy markiert den nächsten Höhepunkt seiner Karriere. Seine Figur des Gentleman-Spions George Smiley ist legendär. Nach Ende des Kalten Krieges schrieb John le Carré über große internationale Themen wie Waffenhandel, die Machenschaften der Pharmaindustrie und den Kampf gegen den Terror. Der in Deutschland hochgeschätzte Autor wurde mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. johnlecarre.com
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1


Schnee bedeckte den Flugplatz.

Vom Nachtwind getrieben, war er im Nebel zusammen mit dem Geruch der See aus dem Norden gekommen. Nun würde er den ganzen Winter als eisiger, scharfer Staub auf der grauen Erde liegenbleiben, ohne zu tauen oder zu frieren, sondern gleichbleibend schäbig wie ein Jahr ohne Jahreszeiten. Über ihm, wie der Rauch des Krieges, die dahintreibenden Nebelschwaden, die einmal einen Hangar verschlucken, dann den Radarschuppen, dann eine der Maschinen, um sie Stück für Stück, aller Farben beraubt, wieder auszuspeien; schwarzes Aas in einer weißen Wüste.

Es war ein Bild ohne Tiefe, ohne Perspektive und ohne Schatten. Himmel und Erde verschwammen ineinander, und die Gebäude schienen in der Kälte eingeschlossen wie Leichen in einem Gletscher.

Jenseits des Rollfeldes war nichts mehr – kein Haus, kein Hügel, keine Straße. Nicht einmal ein Zaun oder ein Baum. Nur der Himmel, der auf den Dünen lastete, und der ziehende Nebel, der über der sumpfigen Ostseeküste emporstieg. Irgendwo landeinwärts waren die Berge.

An dem langen Aussichtsfenster drängte sich eine schnatternde Schar deutscher Schulkinder mit warmen Mützen. Einige trugen Skikleidung. Taylor hatte die Handschuhe nicht ausgezogen. Er hielt ein Glas in der Hand und blickte schläfrig zu den Kindern hinüber. Ein Junge wandte sich um, starrte ihn an und errötete. Dann flüsterte er mit den anderen Kindern. Sie wurden still.

Taylor sah auf seine Armbanduhr, wobei er mit dem Arm einen weit ausholenden Kreis beschrieb, teils, um den Ärmel seines Wettermantels zurückzuziehen, teils, weil das seine Art war. Er wollte, daß man ihn für einen Offizier hielt, für einen alten Haudegen, der im Krieg viel mitgemacht hatte, einem angesehenen Regiment und einem angesehenen Club angehörte.

Zehn vor vier. Die Maschine war schon eine Stunde verspätet. Sie würden den Grund dafür bald über den Lautsprecher bekanntgeben müssen. Er fragte sich, was sie durchsagen würden: Nebel vielleicht, oder verzögerter Start. Daß die Maschine an die dreihundert Kilometer vom Kurs abgekommen und südlich von Rostock war, wußten sie womöglich gar nicht. Auf keinen Fall würden sie es zugeben. Er leerte sein Glas und drehte sich zur Theke, um es abzustellen. Er mußte zugeben, daß manche dieser ausländischen Schnäpse, wenn man sie in ihrem eigenen Land trank, keineswegs schlecht schmeckten. Im Augenblick jedenfalls, mit ein paar Stunden, die man sich noch um die Ohren schlagen mußte, und mit zehn Grad unter Null auf der anderen Seite des Fensters, hätte es auch wesentlich Unangenehmeres geben können als Steinhäger. Sobald er zurück war, würde er im Alias-Club veranlassen, daß man diesen Schnaps beschaffte. Das würde Aufsehen erregen!

Der Lautsprecher brummte, brüllte plötzlich los und verstummte wieder. Dann begann er noch einmal in der richtig eingestellten Lautstärke. Die Kinder starrten erwartungsvoll zu ihm hinauf. Die Ankündigung kam zuerst in Finnisch, dann in Schwedisch, schließlich auf englisch. Northern Air Services entschuldigten sich für die Verspätung ihres Charterfluges zwo-neun-null aus Düsseldorf. Kein Hinweis auf die Dauer der Verspätung, nichts von einer Begründung. Möglicherweise wußten sie es selbst nicht.

Taylor dagegen wußte den Grund. Er fragte sich, was wohl passieren würde, wenn er jetzt zu dieser naseweisen Hosteß in ihrem Glaskasten hinüberginge und ihr erklärte: Zwo-neunnull wird schon noch ’ne Weile dauern, meine Liebe, ist nämlich im steifen Nordwest über der Ostsee vom Kurs abgekommen; die Position ist beim Teufel. Natürlich würde das Mädchen ihm nicht glauben, hielt ihn womöglich noch für einen Spinner. Später freilich würde sie dann eines Besseren belehrt. Dann würde sie ihn für einen ziemlich ungewöhnlichen Mann halten, für etwas Besonderes.

Draußen wurde es langsam dunkel. Die Schneefläche wirkte heller als der Himmel, und die geräumten Rollbahnen zogen sich durch das Weiß wie Dämme, deren Ränder von dem bunten Schimmer der Markierungsleuchten gesäumt waren. Im nächstgelegenen Hangar gossen Neonröhren ihr fahles Licht über Menschen und Maschinen. Der Platz davor wurde kurz aus der Dunkelheit gerissen, als ein greller Scheinwerferstrahl vom Kontrollturm darüberzuckte. Ein Feuerwehrauto war bei den Werkstattgebäuden auf der linken Seite abgefahren und gesellte sich nun zu den drei Ambulanzwagen, die bereits neben der Landebahn standen. Gleichzeitig flammte auf den Fahrzeugen das Blaulicht auf. Sie standen in einer Reihe und blitzten unentwegt ihr bläuliches Warnsignal hinaus. Die Kinder deuteten darauf und schwatzten aufgeregt durcheinander.

Wieder kam aus dem Lautsprecher die Stimme des Mädchens. Seit der letzten Durchsage konnten nur ein paar Minuten vergangen sein. Wieder wurden die Kinder still, um zuzuhören. Die Ankunft der Kursmaschine zwo-neun-null werde sich um mindestens eine weitere Stunde verzögern. Nähere Informationen werde man sogleich nach ihrem Eintreffen geben. In der Stimme des Mädchens schwang etwas mit, das teils Überraschung, teils Sorge sein mochte und sich auf das halbe Dutzend Menschen übertrug, die am anderen Ende des Warteraums saßen. Eine alte Dame sagte etwas zu ihrem Mann, nahm ihre Handtasche und ging zu der Gruppe von Kindern hinüber. Einige Zeit starrte sie dümmlich ins Zwielicht hinaus. Als sie dabei keine Beruhigung fand, wandte sie sich an Taylor und sagte auf englisch: »Was ist mit dem Flugzeug aus Düsseldorf passiert?« Nach dem kehligen, ungehaltenen Unterton ihrer Stimme zu urteilen, war sie Holländerin.

Taylor schüttelte den Kopf. »Wohl der Schnee«, sagte er. Er war ein forscher Mann, das gehörte zu seinem militärischen Auftreten.

Taylor ging durch die Schwingtür in die Empfangshalle hinunter. Neben dem Haupteingang entdeckte er die gelbe Flagge der Northern Air Services. Das Mädchen hinter dem Schalter war sehr hübsch.

»Was ist denn mit der Maschine aus Düsseldorf?« fragte er in seiner vertraulichen Art. Man sagte ihm nach, daß er es verstand, mit kleinen Mädchen umzugehen.

Sie lächelte und zuckte mit den Schultern.

»Ich nehme an, es ist der Schnee. Im Herbst haben wir öfters Verspätungen.«

»Warum fragen Sie nicht den Chef?« schlug er mit einem Kopfnicken in Richtung des Telefons vor.

»Man wird es über den Lautsprecher bekanntgeben«, sagte sie. »Sobald man etwas Näheres weiß.«

»Wer ist der Skipper, Schätzchen?«

»Bitte?«

»Wer der Skipper ist, der Captain, der Flugkapitän!«

»Kapitän Lansen.«

»Taugt er was?«

Das Mädchen war entrüstet. »Kapitän Lansen ist ein außerordentlich erfahrener Pilot.«

Taylor betrachtete sie grinsend. »Zumindest ist er ein sehr glücklicher Pilot, mein Schatz.« Man sagte, der alte Taylor kenne sich aus. Man sagte es im Alias-Club, an den Freitagabenden.

Lansen. Es war seltsam, diesen Namen so offen ausgesprochen zu hören. In der Gruppe wurde so etwas einfach nicht gemacht. Dort zogen sie Umschreibungen vor, Decknamen, irgend etwas anderes als den wirklichen Namen: Archie-boy, unser fliegender Freund, unser Freund im Norden, der Junge, der die Fotos macht. Man verwendete sogar die geheimnisvollen Zusammenstellungen von Ziffern und Zeichen, unter denen der Mann in den Akten geführt wurde – aber unter gar keinen Umständen jemals seinen Namen.

Lansen. Leclerc hatte ihm in London ein Foto gezeigt: ein jungenhafter Fünfunddreißiger, blond und gutaussehend. Er hätte wetten mögen, daß diese Hostessen ganz verrückt nach ihm waren. Sie waren ohnedies kaum etwas anderes als Kanonenfutter für die Piloten. Jemand anderer kam da niemals zum Zuge. Taylor strich schnell mit der rechten Hand über die Außentasche seines Mantels, um sich zu vergewissern, ob das Kuvert noch da war. Diese Art Geld hatte er bisher noch nie transportiert. Fünftausend Dollar für einen Flug. Zwanzigtausend Mark steuerfrei für ein Abweichen vom Kurs über die Ostsee. Lansen machte so etwas nicht alle Tage, natürlich. Das war etwas Besonderes, wie Leclerc gesagt hatte. Er fragte sich, wie die Hosteß reagieren würde, wenn er sich jetzt über die Theke beugte und ihr erzählte, wer er war, und ihr das Geld in dem Umschlag zeigte. Er hatte noch nie ein Mädchen wie sie gehabt, das heißt, ein wirkliches Mädchen, hochgewachsen und jung.

Er ging wieder hinauf in die Bar. Der Barkeeper kannte ihn schon. Taylor deutete auf die Steinhägerflasche auf dem mittleren Bord und sagte: »Geben Sie mir noch so einen, bitte. Ja, aus diesem Kerl direkt hinter Ihnen, euer hiesiges Gift.«

»Das ist aus Deutschland«, sagte der Barkeeper.

Taylor zog seine Brieftasche und nahm eine Banknote heraus. Hinter Zellophan steckte das Bild eines ungefähr neunjährigen Mädchens. Es trug eine Brille und hielt eine Puppe im Arm. »Meine Tochter«, erklärte er dem Barkeeper, und der Barkeeper zeigte ein wäßriges Lächeln.

Taylor konnte den Klang seiner Stimme ganz der jeweiligen Gelegenheit anpassen. Seine unaufrichtige, affektierte Sprechweise nahm einen überspannten Ton an, wenn er zu Leuten seiner Klasse sprach und es ihm darauf ankam, einen Rangunterschied zu betonen, den es nicht gab. Oder wenn er nervös war wie jetzt gerade.

Er mußte zugeben, daß er aufgeregt war. Für einen Mann seines Alters war es eine unheimliche Situation, statt routinemäßigen Kurierdiensten die Arbeit eines Agenten verrichten zu müssen. Das wäre eher ein Geschäft für diese Schweine im Rondell gewesen. Für Leute seiner Organisation war es jedenfalls nichts. Im Vergleich zu seiner gewohnten Tätigkeit war das hier eine schöne Bescherung. Hier draußen im Nichts sich selbst überlassen zu sein. Er begriff nicht, wie man einen Flugplatz an einem...


le Carré, John
John le Carré, 1931 geboren, schrieb über sechs Jahrzehnte lang Romane, die unsere Epoche ausloten. Als Sohn eines Hochstaplers verbrachte er seine Kindheit zwischen Internat und Londoner Unterwelt. Mit sechzehn ging er an die Universität Bern (Schweiz), später dann nach Oxford. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. Während seiner Dienstzeit veröffentlichte er 1961 seinen Erstlingsroman Schatten von Gestern. Der Spion, der aus der Kälte kam, sein dritter Roman, brachte ihm weltweite Anerkennung ein, die sich durch den Erfolg seiner Trilogie Dame, König, As, Spion, Eine Art Held und Agent in eigener Sache festigte. Nach dem Ende des Kalten Krieges weitete le Carré sein Themenspektrum auf eine internationale Landschaft aus, die den Waffenhandel ebenso umfasste wie den Kampf gegen den Terrorismus. Seine Autobiografie Der Taubentunnel erschien 2016, Das Vermächtnis der Spione, der abschließende Roman um George Smiley, 2017. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020.

John le Carré, 1931 geboren, studierte in Bern und Oxford. Er war Lehrer in Eton und arbeitete während des Kalten Kriegs kurze Zeit für den britischen Geheimdienst. Seit nunmehr fünfzig Jahren ist das Schreiben sein Beruf. Er lebt in London und Cornwall.



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