E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
le Carré Geheime Melodie
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0847-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0847-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
John le Carré wurde 1931 in Poole, Dorset geboren. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. 1963 veröffentlichte er Der Spion, der aus der Kälte kam. Der Roman wurde ein Welterfolg und legte den Grundstein für sein Leben als Schriftsteller. Die Veröffentlichung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy markiert den nächsten Höhepunkt seiner Karriere. Seine Figur des Gentleman-Spions George Smiley ist legendär. Nach Ende des Kalten Krieges schrieb John le Carré über große internationale Themen wie Waffenhandel, die Machenschaften der Pharmaindustrie und den Kampf gegen den Terror. Der in Deutschland hochgeschätzte Autor wurde mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. johnlecarre.com
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Mein Name ist Bruno Salvador. Meine Freunde nennen mich Salvo, meine Feinde ebenso. Entgegen anderslautenden Behauptungen bin ich ein unbescholtener Bürger des Vereinten Königreichs und Nordirlands, von Beruf Konferenzdolmetscher für Swahili und die weniger bekannten, aber weitverbreiteten Sprachen des Ostkongo, vormals Teil von Belgisch-Kongo, daher auch meine Beherrschung des Französischen, ein weiterer Pfeil in meinem Köcher. Meine Dienste sind an den Londoner Zivil- und Strafgerichten so regelmäßig gefragt wie auf Dritte-Welt-Konferenzen jedweder Art, siehe meine erstklassigen Referenzen von führenden Konzernen unseres Landes. Meinen besonderen Fertigkeiten verdanke ich außerdem die Ehre, meine patriotische Pflicht gegenüber einer Behörde erfüllen zu dürfen, deren Existenz routinemäßig geleugnet wird. Ich bin nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ich zahle gewissenhaft meine Steuern, ich bin kreditwürdig und habe ein gutes Standing bei meiner Bank. Dies sind unumstößliche Fakten, an denen kein noch so hohes Maß an bürokratischer Manipulation etwas ändern wird.
In sechs Jahren ehrlicher Arbeit in der Wirtschaftswelt – ob nun bei Telefonkonferenzen mit ihren obligatorischen verbalen Eiertänzen oder bei diskreten Zusammenkünften in neutralen Städten auf dem europäischen Kontinent – ist mein Können der kreativen Beeinflussung der Öl-, Gold-, Diamanten-, Mineralien- und anderer Rohstoffmärkte zugute gekommen, ganz zu schweigen von den Millionen von Dollar, die es vor den neugierigen Augen der Aktionäre auf Nummernkonten an so entlegenen Orten wie Panama, Budapest oder Singapur zu retten galt. Fragt man mich, ob mir bei meiner Mithilfe bei solchen Transaktionen das Gewissen schlägt, so ist meine Antwort ein dezidiertes »Nein«. Die Berufsehre des Spitzendolmetschers läßt derlei nicht zu. Er wird nicht dafür bezahlt, seinen Skrupeln zu frönen. Er ist seinem Auftraggeber in derselben Weise verpflichtet wie ein Soldat seiner Fahne. Als Geste gegenüber den Benachteiligten dieser Welt habe ich es mir jedoch zur Gewohnheit gemacht, mich unentgeltlich den Londoner Krankenhäusern, Gefängnissen und Einwanderungsbehörden zur Verfügung zu stellen, auch wenn die Aufwandsentschädigung in diesen Fällen kläglich ist.
Im Wählerverzeichnis stehe ich unter Norfolk Mansions Nr. 17, Prince of Wales Drive, Battersea, South London – eine Eigentumswohnung in bester Lage, die zum Teil mir gehört und zum größeren Teil meiner mir gesetzlich angetrauten Ehefrau Penelope (um Gottes willen nicht »Penny«!), einer hochkarätigen Oxbridge-Journalistin, vier Jahre älter als ich und mit ihren zweiunddreißig Jahren ein aufsteigender Stern am Firmament eines großen britischen Boulevardblattes, das die Meinung von Millionen bildet. Penelopes Vater ist Seniorpartner einer Londoner Nobelkanzlei, Penelopes Mutter gibt in ihrem Tory-Ortsverein den Ton an.Wir haben vor fünf Jahren geheiratet, aufgrund gegenseitiger körperlicher Anziehung sowie mit dem einvernehmlichen Ziel einer Schwangerschaft, sobald ihre Karriere es zuließe, da fester Bestandteil meiner Lebensplanung die Gründung einer stabilen Kernfamilie nach konventionellem britischem Vorbild war. Der geeignete Zeitpunkt hat sich jedoch nicht ergeben, was mit ihrem rasanten Aufstieg bei der Zeitung zu tun hat, aber auch mit anderen Dingen.
Unsere Verbindung war nicht in jeder Hinsicht orthodox. Penelope ist die ältere Tochter einer angesehenen weißen Familie aus Surrey, Bruno Salvador alias Salvo der ungeplante Sohn eines gewöhnlichen irischen Missionars und eines kongolesischen Dorfmädchens, dessen Name in den Wirren der Kriege und Zeiten für immer verlorengegangen ist. Um es genauer zu sagen: Ich kam hinter den verschlossenen Pforten eines Karmelitinnenklosters in der Stadt Kisangani zur Welt, dem damaligen Stanleyville, entbunden von Nonnen, die ewiges Stillschweigen gelobt hatten, was für jeden außer mir komisch, surreal oder frei erfunden klingt. Für mich jedoch ist es eine schlichte biologische Wahrheit, wie es das für jeden wäre, der als Zehnjähriger in einem Missionshaus im tiefgrünen Hochland von Süd-Kivu im östlichen Kongo am Bett seines frommen Vaters sitzen und dessen schluchzender Beichte lauschen mußte, hervorgestoßen halb im Französisch der Normandie, halb in Ulster-irischem Englisch, dieweil tropische Regengüsse wie Elefantenfüße auf das grüne Blechdach trommelten und über seine fieberhohlen Wangen solche Tränenbäche strömten, als würden sämtliche Naturgewalten herandrängen, um bei dem Spektakel dabeizusein. Fragt man einen Abendländer, wo Kivu liegt, so wird er mit bedauerndem Lächeln den Kopf schütteln. Fragt man einen Afrikaner, dann sagt er »im Paradies«, denn genau das ist es: ein zentralafrikanisches Paradies aus dunstverschleierten Seen und vulkanischen Bergen, smaragdgrünen Weiden, üppigen Obsthainen und und und …
Im siebzigsten und letzten Jahr seines Lebens war die größte Sorge meines Vaters, er könnte mehr Seelen in Ketten gelegt als befreit haben. Die vatikanischen Missionare in Afrika, so er, waren gefangen in einem ewigen Dilemma zwischen dem, was sie dem Leben, und dem, was sie Rom schuldeten, und ich war Teil dessen, was er dem Leben schuldete, sosehr das seine Glaubensbrüder auch empörte. Wir beerdigten ihn auf Swahili, wie er es sich gewünscht hatte, doch als es an mir war, an seinem Grab »Der Herr ist mein Hirte« zu lesen, tat ich das in meiner ganz persönlichen Übersetzung, auf Shi, das er von allen Sprachen des Ostkongo am meisten liebte, weil es so kraftvoll und dabei so geschmeidig ist.
Uneheliche Mischlings-Schwiegersöhne fügen sich nicht nahtlos in die Gesellschaftsstrukturen des reichen Surrey – eine altbewährte Regel, von der Penelopes Eltern keine Ausnahme bildeten. Im richtigen Licht, so hatte ich mir als Heranwachsender oft gesagt, sehe ich mehr nach sonnengebräuntem Iren als nach mittelbraunem Afrikaner aus, und mein Haar ist glatt und nicht kraus, was keine geringe Assimilationshilfe ist. Aber so leicht ließen sich Penelopes Mutter und die anderen Damen aus dem Golfclub nicht täuschen, und der größte Alptraum der armen Frau war und blieb, ihre Tochter könnte ein kohlschwarzes Enkelkind in die Welt setzen. Was vielleicht Penelopes Zaudern erklärt, die Probe aufs Exempel zu machen, auch wenn ich im Rückblick meine Zweifel daran habe: schließlich hatte sie mich nicht zuletzt in der Absicht geheiratet, ihre Mutter zu schockieren und ihrer kleinen Schwester den Rang abzulaufen.
* * *
An dieser Stelle vielleicht ein paar Worte über den Lebenskampf meines lieben Vaters selig. Sein Eintritt in die Welt, so versicherte er mir, war um keinen Deut glatter verlaufen als der meinige. Geboren 1917 als Sohn eines Korporals der Royal-Ulster-Füsiliere und eines vierzehnjährigen Bauernmädchens aus der Normandie, das zufällig des Weges spaziert kam, verbrachte er seine Kindheit auf dem Rangiergleis zwischen einer Kate in den Sperrin-Bergen und einer anderen in Nordfrankreich, bis ihm sein Fleiß und seine ererbte Zweisprachigkeit zu einem Platz in einem Priesterseminar im tiefsten Donegal verhalfen, wodurch er seine jungen Füße unbedacht auf den Pfad Gottes setzte.
Zurück nach Frankreich geschickt, wo sein Glaube letzten Schliff erhalten sollte, durchlitt er klaglos nicht enden wollende Jahre zermürbender Unterweisung in katholischer Dogmatik, doch kaum war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, schnappte er sich das nächstbeste Fahrrad, welches sich zu der Zeit, wie er mit typisch irischem Schalk hervorhob, in gottlosen Protestantenhänden befand, und strampelte, was die Pedale hergaben, über die Pyrenäen nach Lissabon.Als blinder Passagier auf einem Trampschiff nach dem damaligen Leopoldville entging er den Aufmerksamkeiten einer Kolonialregierung, der herumstreunende weiße Missionare ein Dorn im Auge waren, und schloß sich einer abgelegenen Bruderschaft an, die sich der Bekehrung der über zweihundert Stämme des Ostkongo verschrieben hatte, noch unter günstigsten Bedingungen ein ehrgeiziges Ziel. Wenn schon ich mir von Zeit zu Zeit den Vorwurf zu großer Impulsivität einhandle – man sehe sich meinen seligen Vater auf seinem Ketzerfahrrad an!
Mit der Hilfe einheimischer Konvertiten, deren Sprachen er als Naturtalent im Nu erlernte, brannte er Ziegel und vermörtelte sie mit rotem Lehm, den er mit den eigenen Füßen weichstampfte, zog Gräben durch die Hänge und hob zwischen den Bananenhainen Latrinen aus. Dann wurde gebaut: zuerst die Kirche, dann die Schule mit ihren beiden Glockentürmen, dann das Marien-Hospital. Dem folgten die Fischteiche und die Obst- und Gemüseplantagen zur Eigenversorgung, denn dies erschien ihm als seine dringlichste Berufung in einer Region, in der alles so reichlich gedieh – ob es nun Maniok war, Papayas, Mais, Sojabohnen, Chinin oder Kivus Walderdbeeren, die die besten der ganzen Welt sind. Erst nach alledem kam die Mission selbst an die Reihe. Und hinter der Mission ein niedriges Ziegelhäuschen mit kleinen, hoch in die Wand gesetzten Fenstern: die Dienstbotenunterkunft.
Im Namen Gottes zog er Hunderte von Meilen zu den entferntesten patelins und Minensiedlungen, beglückt über jede neue Gelegenheit, seine stets wachsende Sprachensammlung zu erweitern, bis er eines Tages bei seiner Rückkehr Schule und Missionshaus dem Erdboden gleichgemacht fand, seine Priesterbrüder geflohen, die Kühe, Ziegen und Hühner geraubt, das Hospital geplündert, die Schwestern verstümmelt, vergewaltigt und abgeschlachtet und sich selbst in der Gewalt der furchtgebietenden Simba. Dieser mörderische Mob irregeleiteter Revolutionäre galt seit einigen Jahren offiziell als ausgerottet, doch ein paar letzte versprengte Häuflein existierten zäh weiter und hielten fest an ihrem alleinigen...