E-Book, Deutsch, 352 Seiten
le Carré Federball
Version 1.03
ISBN: 978-3-8437-2190-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-8437-2190-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
John le Carré wurde 1931 in Poole, Dorset geboren. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. 1963 veröffentlichte er Der Spion, der aus der Kälte kam. Der Roman wurde ein Welterfolg und legte den Grundstein für sein Leben als Schriftsteller. Die Veröffentlichung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy markiert den nächsten Höhepunkt seiner Karriere. Seine Figur des Gentleman-Spions George Smiley ist legendär. Nach Ende des Kalten Krieges schrieb John le Carré über große internationale Themen wie Waffenhandel, die Machenschaften der Pharmaindustrie und den Kampf gegen den Terror. Der in Deutschland hochgeschätzte Autor wurde mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. johnlecarre.com
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1.
Unsere Begegnung war nicht arrangiert worden. Weder von mir noch von Ed noch von einem der unsichtbaren Mitspieler, nach deren Pfeife Ed angeblich tanzte. Man hatte mich nicht ins Visier genommen. Ed war nicht angestiftet worden. Wir wurden weder heimlich noch offen observiert. Er forderte mich sportlich heraus. Ich nahm die Herausforderung an. Wir spielten gegeneinander. Es bestand kein Plan, keine Verschwörung, keine Absprache mit irgendjemandem. Es gibt Ereignisse in meinem Leben – nur wenige dieser Tage, zugegeben –, die nur Raum für eine einzige Version lassen. Unsere Begegnung ist von dieser Sorte. Und was ich darüber sage, hat sich bei all den Gelegenheiten, bei denen ich mich wiederholen musste, nicht verändert.
Es ist Samstagabend. Ich sitze im Athleticus Club in Battersea (ich bin hier Vereinsvorsitzender, ein im Grunde bedeutungsloser Titel) auf einem gepolsterten Liegestuhl. Der Vereinsraum ist riesig und hat eine hohe Balkendecke, er ist Teil einer umgebauten Brauerei, mit einem Swimmingpool am einen Ende, einer Bar am anderen und einem Gang dazwischen, der zu den getrennten Umkleideräumen und den Duschen führt.
Ich sitze mit dem Rücken zur Bar und schaue in Richtung Pool. Hinter der Bar liegt der Zugang zum Vereinsraum, davor der Eingangsbereich, davor wiederum die Tür zur Straße. Ich war also nicht in der Lage, zu sehen, wer den Raum betrat oder wer sich davor herumtrieb, die Ankündigungen studierte, ein Spielfeld buchte oder seinen Namen auf die Turnierliste setzte. Um die Bar herum herrscht lebhaftes Treiben. Junge Frauen und ihre Verehrer planschen im Pool und plaudern.
Ich trage meine Badmintonbekleidung: Shorts, Sweatshirt und ein neues Paar knöchelschonender Sportschuhe. Die habe ich mir im Kampf gegen leichte Schmerzen im linken Knöchel gekauft, die mich seit einer Wanderung durch die estnischen Wälder im Monat zuvor plagen. Nach mehreren ausgedehnten, unmittelbar aufeinanderfolgenden Einsätzen im Ausland genieße ich eine wohlverdiente Auszeit in der Heimat. Über meinem Berufsleben liegt ein Schatten, den ich zu verdrängen versuche, so gut es geht. Ich rechne damit, am Montag rausgeworfen zu werden. Nun, dann soll es so sein, versuche ich mir einzureden. Ich werde siebenundvierzig, ich hatte eine gute Zeit, so lauteten die Bedingungen von Anfang an, also hör schon auf zu jammern.
Umso tröstlicher zu wissen, dass ich trotz meines fortgeschrittenen Alters und eines lästigen Knöchels weiterhin allein regierender Vereinsmeister bin, nachdem ich erst am vergangenen Samstag den Einzeltitel gegen einen talentierten jüngeren Gegner verteidigt habe. Die Einzeltitel werden gemeinhin als exklusives Vorrecht energiegeladener Spieler in ihren Zwanzigern angesehen, doch bislang habe ich mich behaupten können. Heute habe ich mich der Vereinstradition gemäß als neu gekrönter Meister in einem Freundschaftsmatch mit dem Champion unseres gegnerischen Vereins auf der anderen Seite des Flusses in Chelsea gemessen und mich gegen ihn durchgesetzt. Und nun sitzt dieser ehrgeizige und faire junge Rechtsanwalt aus Indien im Nachglanz unseres Kampfes mit einem Glas Bier in der Hand neben mir. Bis zu den letzten Aufschlägen stand ich ziemlich unter Druck, doch dann wendete sich dank meiner Erfahrung und ein wenig Glücks das Blatt doch noch zu meinen Gunsten. Vielleicht erklären diese Umstände, warum ich in dem Augenblick, als Ed mich herausforderte, Nachsicht walten ließ und ich den – wenn auch nur flüchtigen – Eindruck hatte, dass es ein Leben nach dem Rauswurf gab.
Mein geschlagener Gegner und ich unterhalten uns freundlich. Es ging – ich erinnere mich daran, als sei es gestern gewesen – um unsere Väter. Beide waren sie begeisterte Badmintonspieler gewesen, wie sich herausstellte. Seiner war Zweiter bei den indischen Meisterschaften geworden, meiner durfte sich eine glückliche Saison lang Meister der Britischen Armee in Singapur nennen. Während wir in beschwingter Stimmung Anekdoten austauschen, bemerke ich Alice, unsere karibische Empfangsdame und Buchhalterin, wie sie in Begleitung eines sehr großen und noch recht schlaksigen jungen Mannes auf mich zukommt. Alice ist sechzig, hat ihre Launen, ist korpulent und stets leicht außer Atem. Wir beide gehören dem Verein am längsten an, ich als Spieler, sie als Mädchen für alles. Wo immer ich auch auf der Welt im Einsatz war, haben wir es kein einziges Jahr versäumt, uns gegenseitig Weihnachtskarten zu schicken. Meine waren gewagt, ihre religiös. Wenn ich sage, dass die beiden auf mich zukommen, dann meine ich damit, dass sie sich erst von hinten nähern müssen, um sich dann umzudrehen, was sie lustigerweise synchron tun.
»Mister Sir Nat, Sir«, verkündet Alice mit feierlicher Miene. Meist bin ich Lord Nat für sie, doch heute Abend gehe ich nur als gewöhnlicher Ritter durch. »Dieser attraktive und höfliche junge Mann möchte gerne mit Ihnen reden. Er wollte Sie im Augenblick Ihres Triumphs nur nicht . Das ist . , darf ich Ihnen vorstellen.«
In meiner Erinnerung steht Ed, dieser über eins neunzig große, schlaksige junge Mann mit Brille, der eine gewisse Einsamkeit ausstrahlt, eine ganze Weile peinlich berührt lächelnd ein paar Schritte hinter Alice. Ich weiß noch, wie ihn zwei konkurrierende Lichtquellen trafen: die orange Lichtleiste von der Bar, die ihm einen himmlischen Glanz verleiht, und hinter ihm die Deckenstrahler des Swimmingpools, die ihn in eine übergroße Silhouette gießen.
Er tritt vor und seine Konturen werden scharf. Ein großer, unbeholfener Schritt, linker Fuß, rechter Fuß, Halt. Alice macht sich davon. Ich warte, dass er etwas sagt. Setze ein geduldiges Lächeln auf. Mindestens eins fünfundneunzig, dunkle, verwuschelte Haare, große braune wissbegierige Augen, die durch die Brille etwas Ätherisches haben, und die Art von knielanger weißer Sporthose, wie man sie meist bei Jachtbesitzern oder Söhnen aus reichem Bostoner Hause findet. Um die fünfundzwanzig, aber mit diesen Zügen des ewigen Studenten, vielleicht auch etwas jünger oder älter.
»Sir?«, sagt er schließlich, wenn auch nicht sonderlich respektvoll.
», wenn es Ihnen nichts ausmacht«, korrigiere ich ihn mit einem weiteren Lächeln.
Er nimmt es in sich auf. Nat. Denkt darüber nach. Zieht seine Höckernase kraus.
»Also, ich heiße «, sagt er, aus Rücksicht auf mich Alice’ Auskunft wiederholend. In dem England, in das ich erst kürzlich zurückgekehrt bin, hat niemand mehr einen Nachnamen.
»Nun, hallo, «, erwidere ich fröhlich. »Was kann ich für Sie tun?«
Wieder eine Pause, in der er nachdenkt. Dann platzt er damit heraus:
»Ich möchte gegen Sie spielen, okay? Sie sind der Meister. Das Problem ist nur, ich bin dem Verein gerade erst beigetreten. Letzte Woche. Ja. Ich habe meinen Namen eingetragen und all das, aber der Rangliste nach dauert das verfluchte « – und die Wörter befreien sich aus ihrer Gefangenschaft. Dann gibt es wieder eine Pause, er schaut uns beide an, erst meinen freundlichen Gegner, dann wieder mich.
»«, fährt Ed fort, versucht, mich zu überzeugen, dabei habe ich nicht mal widersprochen. »Ich kenne mich mit den Regeln hier nicht aus, okay?« – die Stimme hebt sich vor Entrüstung. »Kann ich ja nichts dafür. Also habe ich Alice gefragt. Und meinte, fragen Sie ihn doch selbst, er beißt nicht. Also frage ich Sie.« Und für den Fall, dass es weiterer Erklärungen bedarf: »Ich hab Sie spielen sehen, okay? Und ich hab schon ein paar Leute geschlagen, die Sie auch geschlagen haben. Und ein oder zwei, die geschlagen haben. Ich bin mir ziemlich sicher, wir könnten uns einen Kampf liefern. Einen ordentlichen. Ja. Einen ordentlichen, ehrlich gesagt.«
Und die Stimme an sich, von der ich nun eine recht gute Probe erhalten habe? Bei dem altehrwürdigen britischen Brauch, unsere Landsleute aufgrund ihrer Sprechweise auf der sozialen Leiter einzuordnen, bin ich allerhöchstens ein schlechter Mitspieler, da ich zu lange im Ausland gewesen bin. Doch ich schätze, in den Ohren meiner Tochter Stephanie, einer eingeschworenen Gleichmacherin, dürfte Eds Aussprache als ganz okay durchgehen, soll heißen, es gibt keine direkten Hinweise auf eine Privatschulerziehung.
»Darf ich fragen, wo Sie spielen, Ed?«, möchte ich wissen, was unter uns Badmintonspielern eine Standardfrage ist.
»Überall. Wo immer ich einen passenden Gegner finden kann. Ja.« Und dann im Nachsatz: »Dann habe ich gehört, dass Sie hier Mitglied sind. In manchen Vereinen, da zahlt man und spielt dann. Hier nicht. Hier muss man erst Mitglied werden. Reiner Beschiss, meiner Meinung nach. Also bin ich Mitglied geworden. Kostet ein verfluchtes Vermögen, aber sei’s drum.«
»Tut mir leid, dass Sie so viel haben blechen müssen, Ed«, erwidere ich freundlich und schiebe das unnötige ›Beschiss‹ auf seine Nervosität. »Aber wenn Sie gegen mich spielen wollen, dann geht das in Ordnung«, füge ich hinzu; mir fällt auf, dass die Gespräche an der...