le Carré | Agent in eigener Sache | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 7, 448 Seiten

Reihe: Ein George-Smiley-Roman

le Carré Agent in eigener Sache

Ein Smiley-Roman
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0530-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Smiley-Roman

E-Book, Deutsch, Band 7, 448 Seiten

Reihe: Ein George-Smiley-Roman

ISBN: 978-3-8437-0530-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein wahnwitziges Intrigenspiel im Schatten der Berliner Mauer - Der legendäre George Smiley, ehemaliger Chef des britischen Geheimdienstes, wird noch einmal gebraucht. Aber Smiley spielt nicht mit. Er ermittelt auf eigene Faust, wird sein eigener Agent in dem seltsamsten und erregendsten Fall seiner gesamten Karriere. Ein atemberaubender Kampf beginnt, der Smiley durch ganz Europa führt und erst im Schatten der Berliner Mauer sein Ende findet ... Große TV-Doku 'Der Taubentunnel' ab 20. Oktober 2023 auf Apple TV+

John le Carré wurde 1931 in Poole, Dorset geboren. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. 1963 veröffentlichte er Der Spion, der aus der Kälte kam. Der Roman wurde ein Welterfolg und legte den Grundstein für sein Leben als Schriftsteller. Die Veröffentlichung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy markiert den nächsten Höhepunkt seiner Karriere. Seine Figur des Gentleman-Spions George Smiley ist legendär. Nach Ende des Kalten Krieges schrieb John le Carré über große internationale Themen wie Waffenhandel, die Machenschaften der Pharmaindustrie und den Kampf gegen den Terror. Der in Deutschland hochgeschätzte Autor wurde mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. johnlecarre.com
le Carré Agent in eigener Sache jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


2

Das zweite der beiden Ereignisse, die George Smiley aus seinem Ruhestand holten, fand ein paar Wochen später im Frühherbst desselben Jahres statt: nicht in Paris, sondern in Hamburg, einstmals Freie und Hansestadt, jetzt fast erdrückt unter der Last seines Wohlstands; und doch verglüht der Sommer nirgends so glanzvoll, wie an den gold-orangenen Ufern der Alster, die bis jetzt noch niemand trockengelegt oder zubetoniert hat. George Smiley bekam natürlich nichts von dieser melancholischen Herbstpracht zu sehen. Er schuftete an dem fraglichen Tag selbstvergessen und mit all der Überzeugung, die er aufbringen konnte, an seinem gewohnten Tisch in der London Library am St.James’s Square vor sich hin, und alles, was er durch das Schiebefenster des Lesesaals sehen konnte, waren zwei spindlige Bäume. Die einzige Beziehung zu Hamburg, die er hätte anführen können – wäre ihm später eingefallen, einen Zusammenhang herzustellen, was jedoch nicht der Fall war –, lag auf dem parnassischen Feld deutscher Barocklyrik, denn er schrieb damals an einer Monographie über den Barden Opitz, redlich bemüht, zwischen echter Leidenschaft und öder literarischer Konvention der Zeit zu unterscheiden.

In Hamburg war es kurz nach elf Uhr morgens, und der Fußweg, der zum Landungssteg führte, war mit Sonnenlicht und abgefallenem Laub gesprenkelt. Über dem platten Wasser der Außenalster lag ein glühender Dunst, durch den die Turmhelme am Ostufer wie grüne Flecke auf den nassen Horizont hingetupft schienen. Rote Eichhörnchen schusselten am Strand entlang und sammelten Vorräte für den Winter. Der schlaksige und leicht anarchistisch wirkende junge Mann auf dem Steg, der einen Trainingsanzug und Laufschuhe trug und dessen hohlwangiges Gesicht zwei Tage alte Bartstoppeln aufwies, hatte indessen weder Augen noch Interesse für sie. Sein rotgeränderter Blick war starr auf das ankommende Schiff geheftet. Unter den linken Arm hatte er eine Hamburger Zeitung geklemmt, und ein so geschultes Auge wie das von George Smiley hätte sofort bemerkt, daß es die Ausgabe von gestern war, nicht die von heute. In der rechten Hand hielt er krampfhaft einen Strohkorb, der besser zur stämmigen Madame Ostrakowa gepaßt hätte, als zu diesem elastischen und schmuddeligen Sportler, der aussah, als wolle er jeden Moment ins Wasser springen. Aus dem Korb lugten Orangen, auf denen ein gelber Kodak-Umschlag mit englischem Aufdruck lag. Außer dem jungen Mann war niemand auf dem Landungssteg, und der Dunst über dem Wasser verstärkte sein Gefühl der Einsamkeit. Seine einzigen Gefährten waren der Fahrplan der Alsterschiffahrt und ein uralter Anschlag, der den Krieg überstanden haben mußte und Hinweise zur Wiederbelebung von Halbertrunkenen gab; alle Gedanken des Wartenden konzentrierten sich auf die Instruktionen des Generals, die er sich immer wieder vorsagte, wie ein Gebet.

Das Schiff legte an, und der junge Mann hopste an Bord wie ein Kind in einem Tanzspiel – ein Wirbel von Schritten, dann bewegungslos, bis die Musik wieder einsetzt. Achtundvierzig Stunden lang hatte er Tag und Nacht an nichts anderes zu denken gehabt, als an diesen Augenblick: jetzt. Hinter dem Steuer seines Lasters hatte er wachsam auf die Straße gestarrt und sich zwischen kurzen Blicken auf die Photos von Frau und Töchterchen hinter dem Rückspiegel die vielen Dinge vorgestellt, die katastrophal schiefgehen konnten. Er wußte, daß er eine Begabung für Katastrophen hatte. Während der seltenen Kaffeepausen hatte er die Orangen ein Dutzendmal aus- und wieder eingepackt, den gelben Umschlag längs daraufgelegt, quer – nein, dieser Winkel ist besser, günstiger, man kann dann leichter herankommen. Am Stadtrand hatte er sich Münzen besorgt, um das Fahrgeld abgezählt bereit zu haben – wenn der Schaffner ihn nun aufhielte, in ein müssiges Gespräch verwickelte? Die Zeit war so knapp bemessen für das, was er tun mußte! Er hatte sich überlegt, daß er nicht deutsch sprechen würde. Er würde irgendetwas brabbeln, lächeln, wortkarg sein, abbittende Gesten vollführen, aber stumm bleiben. Oder er würde einige seiner estnischen Wörter von sich geben – einen Bibelvers, der ihm noch von seiner protestantischen Kindheit im Gedächtnis geblieben war, ehe sein Vater darauf bestand, daß er russisch lerne. Aber jetzt, wo der Augenblick so nah war, bemerkte der junge Mann, daß sein Plan einen Haken hatte. Wenn nun die Mitreisenden ihm zu Hilfe kamen? Im polyglotten Hamburg, nur wenige Kilometer vom Osten entfernt, konnten sechs x-beliebige Leute mit ebenso vielen Sprachen aufwarten! Besser den Mund halten, keine Miene verziehen.

Wenn er sich bloß rasiert hätte! Wenn er bloß weniger auffällig aussähe!

In der Hauptkabine des Schiffes sah der junge Mann niemanden an. Er hielt die Augen gesenkt; Augenkontakt vermeiden, hatte der General befohlen. Der Schaffner plauderte mit einer alten Dame und nahm keine Notiz von ihm. Er wartete nervös, versuchte, ruhig auszusehen. Er hatte den Eindruck von unterschiedslos mit grünen Filzhüten und grünen Mänteln angetanen Frauen und Männern, die ihn einhellig mißbilligten. Jetzt war er an der Reihe. Er hielt seine feuchte Handfläche hin. Eine Mark, ein Fünfzigpfennigstück, ein paar Zehnpfennigmünzen. Der Schaffner bediente sich wortlos. Linkisch tappte der junge Mann zwischen den Sitzen zum Heck. Der Landungssteg bewegte sich weg. Sie halten mich für einen Terroristen, dachte der junge Mann. Seine Hände waren mit Motoröl beschmiert, und er wünschte, er hätte es abgewischt. Vielleicht ist auch welches auf meinem Gesicht. Keine Miene verziehen, hatte der General gesagt. Abseits halten. Nicht lächeln, nicht finster dreinschauen. Normal verhalten. Er sah auf die Uhr, mit einer bemüht langsamen Bewegung. Er hatte schon vorher den linken Ärmelbund hochgerollt, um die Uhr freizumachen. Obwohl er nicht groß war, duckte er sich zusammen, als er plötzlich im Heckteil ankam, das im Freien lag und nur mit einem Sonnendach überdeckt war. Es war eine Sache von Sekunden. Nicht mehr von Tagen oder Kilometern; nicht mehr von Stunden. Sekunden. Der Stoppzeiger seiner Uhr rückte über die Sechs. Wenn er das nächste Mal die Sechs erreicht, dann los. Eine Brise hatte sich erhoben, doch er spürte sie kaum. Die Zeit war ein gräßliches Problem für ihn. Er wußte, wenn er aufgeregt war, verlor er jeden Zeitsinn. Er befürchtete, der Sekundenzeiger könne, eh er es merkte, eine Doppelrunde drehen und so zwei Minuten zu einer raffen. Im Heckteil waren alle Sitze frei. Er steuerte ruckweise auf die allerletzte Bank zu, wobei er den Korb mit den Orangen in beiden Händen vor seinem Magen und die Zeitung in die Achselhöhle geklemmt hielt: Ich bin’s, entziffert meine Signale. Er kam sich idiotisch vor. Die Orangen waren viel zu auffällig. Warum um alles in der Welt sollte ein unrasierter junger Mann im Trainingsanzug einen Korb voll Orangen und die gestrige Zeitung herumtragen? Das ganze Schiff mußte aufmerksam geworden sein! »Herr Kapitän – dieser junge Mensch – dort drüben –, das ist ein Bombenleger. Er hat eine Bombe in seinem Korb, er will uns entführen oder das Schiff versenken!« Ein Paar stand Arm in Arm mit dem Rücken zu ihm an der Reling und starrte in den Dunst. Der Mann war winzig, kleiner als die Frau. Er trug einen schwarzen Mantel mit Samtkragen. Sie beachteten ihn nicht. So weit nach hinten setzen, wie es irgend geht; direkt an den Mittelgang, hatte der General gesagt. Er setzte sich und betete zu Gott, daß es beim erstenmal klappen möge und keine der Ausweichlösungen nötig sein würde. »Beckie, ich tu es für dich«, flüsterte er im stillen und dachte an seine Tochter, während er sich die Worte des Generals ins Gedächtnis zurückrief. Trotz seiner protestantischen Herkunft trug er unter dem Reißverschluß seiner Jacke ein Holzkreuz, ein Geschenk seiner Mutter. Warum hielt er es versteckt? Damit Gott nicht Zeuge seines Wortbruchs werde? Er wußte es nicht. Er wollte nur wieder fahren, nichts als fahren, bis er umfiele oder sicher zu Hause wäre. Nirgends hinsehen, hatte der General gesagt. Er solle nirgends anders als gerade vor sich hinsehen: Du bist der passive Partner. Du hast weiter nichts zu tun, als die Gelegenheit zu liefern. Keine Parole, nichts; nur den Korb mit den Orangen und den gelben Umschlag und die Zeitung unterm Arm. Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen, dachte er. Ich bringe das Leben meiner Tochter Beckie in Gefahr. Stella wird mir nie verzeihen. Ich verliere meine Staatsbürgerschaft, ich riskiere Kopf und Kragen. Tu’s für unsere Sache, hatte der General gesagt. General, ich habe keine: Es ist nicht meine Sache, es ist die Ihre, es war die meines Vaters, darum werfe ich jetzt die Orangen über Bord. Aber er tat es nicht. Er legte die Zeitung neben sich auf die Lattenbank und sah, daß sie verschwitzt war – daß die Druckerschwärze an den Stellen, wo er sie umklammert hatte, abgegangen war. Er schaute auf die Uhr. Der Sekundenzeiger wies auf die Zehn. Sie ist stehengeblieben! Fünfzehn Sekunden, seit ich das letzte Mal hingesehen habe – das ist schlicht unmöglich! Ein hektischer Blick aufs Ufer zeigte ihm, daß sie bereits in der Mitte der Alster waren. Wieder schaute er auf die Uhr und sah den Sekundenzeiger die Elf überspringen. Idiot, dachte er, beruhige dich. Er beugte sich nach rechts, tat, als läse er die Zeitung, während er das Zifferblatt seiner Uhr nicht aus den Augen ließ. Terroristen. Nichts als Terroristen, dachte er, als er zum zwanzigstenmal die Schlagzeilen sah. Kein Wunder,...


le Carré, John
John le Carré, 1931 geboren, schrieb über sechs Jahrzehnte lang Romane, die unsere Epoche ausloten. Als Sohn eines Hochstaplers verbrachte er seine Kindheit zwischen Internat und Londoner Unterwelt. Mit sechzehn ging er an die Universität Bern (Schweiz), später dann nach Oxford. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. Während seiner Dienstzeit veröffentlichte er 1961 seinen Erstlingsroman Schatten von Gestern. Der Spion, der aus der Kälte kam, sein dritter Roman, brachte ihm weltweite Anerkennung ein, die sich durch den Erfolg seiner Trilogie Dame, König, As, Spion, Eine Art Held und Agent in eigener Sache festigte. Nach dem Ende des Kalten Krieges weitete le Carré sein Themenspektrum auf eine internationale Landschaft aus, die den Waffenhandel ebenso umfasste wie den Kampf gegen den Terrorismus. Seine Autobiografie Der Taubentunnel erschien 2016, Das Vermächtnis der Spione, der abschließende Roman um George Smiley, 2017. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020.

John le Carré, 1931 geboren, studierte in Bern und Oxford. Er war Lehrer in Eton und arbeitete während des Kalten Kriegs kurze Zeit für den britischen Geheimdienst. Seit nunmehr fünfzig Jahren ist das Schreiben sein Beruf. Er lebt in London und Cornwall.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.