le Carré | Absolute Freunde | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

le Carré Absolute Freunde

Roman
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0841-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0841-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Alle Romane von John le Carré jetzt als E-Book! - An das Spiel mit zwei Identitäten hat Ted Mundy sich nie gewöhnen können. Jetzt führt er endlich ein ruhiges Leben in Deutschland. Bis Sascha, ein Weggefährte aus Berliner Tagen, vor seiner Tür steht und ihn in die Untiefen der gegenwärtigen Zeitläufte lockt. Das brillante Porträt einer ungewöhnlichen Freundschaft vor dem Hintergrund der weltpolitischen Abgründe unserer Zeit. Große TV-Doku 'Der Taubentunnel' ab 20. Oktober 2023 auf Apple TV+ 

John le Carré wurde 1931 in Poole, Dorset geboren. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. 1963 veröffentlichte er Der Spion, der aus der Kälte kam. Der Roman wurde ein Welterfolg und legte den Grundstein für sein Leben als Schriftsteller. Die Veröffentlichung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy markiert den nächsten Höhepunkt seiner Karriere. Seine Figur des Gentleman-Spions George Smiley ist legendär. Nach Ende des Kalten Krieges schrieb John le Carré über große internationale Themen wie Waffenhandel, die Machenschaften der Pharmaindustrie und den Kampf gegen den Terror. Der in Deutschland hochgeschätzte Autor wurde mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. johnlecarre.com
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2


Der strudelnde Fluss, der von Mundys Geburt zu Saschas Auftritt in Schloss Linderhof mäandert, ist in keiner englischen Grafschaft entsprungen, sondern in den gottverlassenen Gebirgszügen und Schluchten des Hindukusch, aus denen in drei Jahrhunderten britischer Kolonialverwaltung die Nordwestliche Grenzprovinz wurde.

»Dieser junge Sahib hier neben mir«, verkündet Mundys Vater, der Infanteriemajor a.D., in der Bar des Golden Swan in Weybridge jedem, der das Pech hat, die Geschichte noch nicht gehört zu haben, oder sie bereits ein dutzend Mal hören musste, aber zu höflich ist, ihn darauf hinzuweisen, »ist eine historische Rarität, so wie er hier vor Ihnen steht, stimmt’s, Junge?«

Und indem er dem halbwüchsigen Mundy liebevoll den Arm um die Schulter legt, zerzaust er ihm noch schnell das Haar, bevor er ihn zur besseren Betrachtung ins Licht dreht. Der Major ist klein, feurig und wild. Seine Gesten, selbst die zärtlichsten, erinnern fatal an Boxhiebe. Sein Sohn ist eine Bohnenstange, schon jetzt einen Kopf größer als der Vater.

»Und ich will Ihnen auch sagen, was unseren Edward zu einer solchen Rarität macht, wenn Sie gestatten, Sir«, wendet er sich, auftrumpfend, an sämtliche Sirs in Hörweite, und an die Ladies ebenfalls, denn sie haben noch immer Augen für ihn und er für sie. »An dem Morgen, an dem mein Träger mir meldete, dass die Memsahib mir die Ehre antun würde, mich mit einem Kind zu beschenken – ja, mit dem Jungen hier, Sir –, ging über dem Regimentslazarett eine stinknormale indische Sonne auf.«

Eine Kunstpause, wie auch Mundy sie sich eines Tages angewöhnen wird, während gleichzeitig das Glas des Majors wie aus eigener Kraft zu seinen Lippen emporschwebt, die sich ihm entgegenneigen.

»Gleichwohl, Sir«, nimmt er den Faden wieder auf. »Gleichwohl. Als der junge Mann sich schließlich dazu herabließ, zur Parade zu erscheinen« – anklagend schwenkt er zu Mundy herum, aber der Blick in den feurigen blauen Augen bleibt zärtlich wie nur je –, »ohne Helm, Sir, vierzehn Tage Küchendienst, wie es bei uns hieß! –, als der junge Mann endlich zu erscheinen geruhte, da war diese Sonne dort oben keine indische Sonne mehr. Sie gehörte zum selbst regierten Dominium Pakistan. War’s nicht so, Junge?«

Worauf der Junge im Regelfall errötet und etwas hervorstottert wie: »Ja, das sagst du immer, Vater«, was freilich meist ausreicht, um ihm ein wohlwollendes Lachen einzutragen und dem Major einen weiteren Drink auf fremde Rechnung sowie die Gelegenheit, auf die Moral seiner Geschichte hinzuweisen.

»Höchst wankelmütiges Frauenzimmer, die Weltgeschichte«, doziert er, in dem Telegrammstil, den sein Sohn später von ihm übernehmen wird. »Können Tag und Nacht marschieren für sie, Sir. Sich die Seele aus dem Leib schwitzen für sie. Sich rasieren und parfümieren und den Schnurrbart einwichsen für sie. Nützt alles nichts. Kaum hat Madame die Nase voll von Ihnen, heißt’s raus. Geschasst. Müllhaufen. Punkt, aus.« Ein neues Glas tritt den Weg zu seinem Mund an. »Auf Ihr Wohl, Sir. Sehr generös von Ihnen. Auf unsere Queen und Kaiserin. Gott schütze sie. Aber nicht ohne den Pandschabi-Kämpfer. Bester Soldat der Welt, dem reicht keiner das Wasser. Vorausgesetzt, die Führung stimmt. Da liegt der Hund begraben.«

Worauf der junge Sahib mit etwas Glück ein Ingwerbier bekommt, während der Major, von Rührung übermannt, schwungvoll ein Khakischnupftuch aus dem Ärmel seiner abgetragenen Militär-Sportjacke zieht und damit erst seinen säuberlichen kleinen Schnurrbart in Form klopft und sich dann rasch die Wangen tupft, bevor er es abtreten lässt.

Der Major hat Grund zum Weinen. Der Tag, an dem Pakistan das Licht der Welt erblickte – die Gäste des Golden Swan wissen es nur zu gut –, dieser Tag kostete ihn nicht nur seine Karriere, sondern auch seine Frau, die es nach einem einzigen erschöpften Blick auf ihren überfälligen, überlangen Sohn dem Empire gleichtat und ihr Leben aushauchte.

»Was für eine Frau, Sir …« Es ist die abendliche Cocktailstunde, und der Major wird elegisch. »Da trifft nur ein einziges Wort: Klasse. Im Reitkostüm war sie, wie ich sie das erste Mal gesehen hab, nach einem Morgenritt mit ein paar Trägern. Fünf Hitzeperioden hatte sie in der Hochebene schon hinter sich und kam immer noch dahergeritten wie frisch vom Erdbeer-Picknick am Cheltenham Ladies’ College. Kannte ihre Flora und Fauna aus dem Effeff, viel besser als ihre Träger. Und sie wäre heute noch unter uns, jawoll, wenn dieser Dreckskerl von Regimentsarzt nur halbwegs nüchtern gewesen wäre. Auf sie! Auf die selige Mrs Mundy! Frei-weg!« Sein umflorter Blick richtet sich auf seinen Sohn, dessen Anwesenheit er kurzfristig vergessen zu haben scheint. »Mein Sohn Edward«, stellt er vor. »Der beste Werfer an seiner Schule. Wie alt bist du, Junge?«

Und der Junge, der sehnlich darauf wartet, den Vater heimbringen zu können, nuschelt: sechzehn.

Nicht dass der Major unter der Tragödie seines Doppelverlusts in die Knie gegangen wäre, o nein! Er hat die Zähne zusammengebissen, Sir! Er hat durchgehalten. Ein Witwer mit einem neugeborenen Sohn, dem die Trümmer der alten Herrschaft um die Ohren fliegen – nichts wäre nahe liegender gewesen, als den Union Jack einzuziehen und den Zapfenstreich zu spielen wie all die anderen Weichlinge auch, und heimzukehren in die Unbedeutendheit. Nicht der Major, Sir! Nie und nimmer. Da spült er seinen Pandschabis lieber die Scheißhäuser aus, ehe er irgend so einem schlappschwänzigen Kriegsgewinnler in seinen Zivilistenarsch kriecht, besten Dank.

»Ich hab meinen Derzi gerufen. Ich hab zu meinem Derzi gesagt: ›Derzi, du trennst mir die Majorskronen von meiner Uniform ab und nähst mir stattdessen den pakistanischen Sichelmond auf, aber juldi.‹ Und habe meine Dienste – solange sie dort gewürdigt wurden – einer Truppe zur Verfügung gestellt, die besser kämpft als alle Truppen der Welt, vorausgesetzt« – ein Zeigefinger bohrt sich dramatisch warnend in leere Luft –, »vorausgesetzt, Sir, die Führung stimmt. Da liegt der Hund begraben!«

Und da läutet gnädigerweise auch die Barglocke zur letzten Runde, und der Junge schiebt seinem Vater eine geübte Hand unter den Arm und dirigiert ihn heim nach The Vale Nr. 2, wo die Reste des gestrigen Currys warten.

* * *

Doch Mundys Herkunft ist nicht so leicht erklärt, wie diese Bar-Reminiszenzen es vermuten lassen. Der Major, so flink bei der Hand mit den gröberen Pinselstrichen, hält sich bei der Feinzeichnung sehr zurück, weshalb Mundys Erinnerung an seine frühen Jahre als ein Nacheinander von Lagern, Kasernen, Depots und Bergstützpunkten daherkommt, das sich im selben Maße beschleunigt, in dem die Mittel des Majors schrumpfen. Gestern noch stolzer Sohn des Britischen Weltreichs und unumschränkter Herrscher über ein weiß getünchtes Kantonnement mit ockerrotem Clubhaus, Polorasen, Schwimmbecken, Kinderspielen und Weihnachtsaufführungen, darunter eine historische Einstudierung von Schneewittchen und die sieben Zwerge, in der Mundy als Zwerg Dopey glänzt, läuft er einen Tag später barfuß durch die sandigen Straßen einer halb verlassenen Siedlung abseits jedweder Zivilisation, wo es statt Autos Ochsenkarren gibt, statt einem Club ein Kino in einem Wellblechschuppen und wo der weihnachtliche Plumpudding in einer Regimentsbaracke serviert wird, in der grüner Schimmel blüht.

Wenige Besitztümer überleben so viele Umzüge. Des Majors Tigerfelle, seine Militärtruhen und seine kostbaren Elfenbeinschnitzereien sind allesamt vermisst gemeldet. Selbst das Vermächtnis seiner verstorbenen Frau haben sie ihm gestohlen, ihre Tagebücher, Briefe und ein Kästchen mit wertvollem Familienschmuck: dieser räuberische Schuft von einem Bahnhofsvorsteher in Lahore, das Fell wird der Major ihm gerben, und jedem Einzelnen seiner verkommenen chaprassi gleich mit! Das gelobt er eines trunkenen Abends, nachdem Mundys hartnäckiges dämliches Gefrage einen mittleren Wutanfall ausgelöst hat. »Ihr Grab, Junge? Ich kann dir ganz genau sagen, wo ihr verdammtes Grab ist! Futsch! Kaputtgehauen von plündernden Wilden! Kein Stein mehr auf dem anderen! Alles, was uns von ihr bleibt, ist hier drin!« Und er schlägt sich die kleine Faust an die Brust und schenkt sich noch einen chota peg ein. »Die Frau hatte Klasse, so was hast du noch nicht erlebt, Junge. Jedes Mal, wenn ich dich anschau, mein ich, ich seh sie vor mir. Anglo-irische Oberschicht. Riesige Besitzungen, alles in den Unruhen dem Erdboden gleichgemacht. Erst die Iren, jetzt die verfluchten Derwische. Die ganze Familie tot oder über den Erdball verstreut.«

Zur Ruhe kommen sie schließlich in Murree, einer Garnisonsstadt in den Bergen. Während der Major, über Spesenvorschüssen, Krankenlisten und Urlaubsgesuchen grummelnd, in einer Lehmziegelbaracke vegetiert und Craven A raucht, um seinen Hals zu schonen, wird der Knabe Mundy der Obhut einer tonnenschweren Ayah aus Madras überantwortet, die nach der Unabhängigkeit in den Norden gekommen ist, keinen Namen hat außer Ayah und mit ihm Reime auf Englisch und Pandschabi aufsagt. Außerdem lehrt sie ihn heimlich die heiligen Sprüche des Koran und erzählt ihm von einem Gott namens Allah, der die Gerechtigkeit und alle Völker dieser Welt einschließlich ihrer Propheten liebt, sogar Christen und Hindus, aber mehr als alles andere, sagt sie, liebt er Kinder. Fast unwillig, nur auf wiederholtes Nachhaken Mundys hin, gibt sie zu, dass sie weder Mann noch Kinder, Eltern oder Geschwister mehr auf Erden hat. »Die...


le Carré, John
John le Carré, 1931 geboren, schrieb über sechs Jahrzehnte lang Romane, die unsere Epoche ausloten. Als Sohn eines Hochstaplers verbrachte er seine Kindheit zwischen Internat und Londoner Unterwelt. Mit sechzehn ging er an die Universität Bern (Schweiz), später dann nach Oxford. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. Während seiner Dienstzeit veröffentlichte er 1961 seinen Erstlingsroman Schatten von Gestern. Der Spion, der aus der Kälte kam, sein dritter Roman, brachte ihm weltweite Anerkennung ein, die sich durch den Erfolg seiner Trilogie Dame, König, As, Spion, Eine Art Held und Agent in eigener Sache festigte. Nach dem Ende des Kalten Krieges weitete le Carré sein Themenspektrum auf eine internationale Landschaft aus, die den Waffenhandel ebenso umfasste wie den Kampf gegen den Terrorismus. Seine Autobiografie Der Taubentunnel erschien 2016, Das Vermächtnis der Spione, der abschließende Roman um George Smiley, 2017. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020.

John le Carré, 1931 geboren, studierte in Bern und Oxford. Er war Lehrer in Eton und arbeitete während des Kalten Kriegs kurze Zeit für den britischen Geheimdienst. Seit nunmehr fünfzig Jahren ist das Schreiben sein Beruf. Er lebt in London und Cornwall.



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