E-Book, Deutsch, Band 601, 64 Seiten
Larsen Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 601
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7517-2932-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sie hatte schon erwachsene Kinder
E-Book, Deutsch, Band 601, 64 Seiten
Reihe: Die Welt der Hedwig Courths-Mahler
ISBN: 978-3-7517-2932-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Laura Wilkin ist seit vielen Jahren verheiratet, und in all der Zeit denkt sie nie an sich. Sie lebt nur für ihren Mann und ihre drei Kinder und stellt ihre eigenen Interessen immer zurück. Ja, sie verzichtet sogar auf eine Karriere als Sängerin, um ganz für ihre Familie da zu sein. Es ist reiner Zufall, dass Laura eines Tages den Tenor Tibor Cordelius wiedersieht. Die Vergangenheit wird für sie lebendig, und Laura erkennt voller Bitterkeit, was sie damals geopfert hat. Als Tibor ihr die Möglichkeit bietet, an seiner Seite eine Karriere als Opernstar zu beginnen, ist Laura zwischen der Liebe zu ihrer Familie und dem verlockenden Glanz der Bühne hin- und hergerissen ...
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Sie hatte schon erwachsene Kinder Darf eine Frau sich ihr eigenes Glück suchen? Laura Wilkin ist seit vielen Jahren verheiratet, und in all der Zeit denkt sie nie an sich. Sie lebt nur für ihren Mann und ihre drei Kinder und stellt ihre eigenen Interessen immer zurück. Ja, sie verzichtet sogar auf eine Karriere als Sängerin, um ganz für ihre Familie da zu sein. Es ist reiner Zufall, dass Laura eines Tages den Tenor Tibor Cordelius wiedersieht. Die Vergangenheit wird für sie lebendig, und Laura erkennt voller Bitterkeit, was sie damals geopfert hat. Als Tibor ihr dann die Möglichkeit bietet, an seiner Seite eine Karriere als Opernstar zu beginnen, ist Laura zwischen der Liebe zu ihrer Familie und dem verlockenden Glanz der Bühne hin- und hergerissen ... Laura Wilkin wollte sich gerade ans Klavier setzen, als im Obergeschoss des Hauses eine Tür ging und rasche Schritte die Treppe herunterkamen. Granny war zwar bald siebzig, aber sie hatte immer noch den Schritt eines jungen Mädchens. Sie war überhaupt erstaunlich vital und aktiv. Deshalb wollte sie auch um keinen Preis, dass man sie mit Oma anredete, und wich daher auf das englische Granny aus, was zwar genau dasselbe bedeutete, aber in ihren Ohren schmeichelhafter klang. Einen Augenblick lang hoffte Laura, ihre Schwiegermutter gehe am Musikzimmer vorbei, doch diese Hoffnung trog. Granny trat ein und schloss die Tür hinter sich. »Dachte ich es mir doch, dass ich dich hier finde!«, frohlockte die alte Dame. Ihrer Schwiegermutter gegenüber kam sich Laura manchmal wie eine uralte Frau vor. Dabei war Laura erst Mitte vierzig. »Warum bist du so blass?«, fragte Granny. »Nun, es ist wohl dein Teint. Rothaarige sind immer blass. Du solltest ein gutes Make-up benutzen, meine Liebe, sonst wandelst du wie dein eigenes Gespenst durch die Landschaft.« »Jawohl, Granny«, sagte Laura. Sie hatte es sich angewöhnt, zu jedem Vorschlag Grannys Ja zu sagen, weil sie dann am schnellsten ihre Ruhe hatte. Es stimmte, dass Laura einen hellen, fast durchscheinenden Teint hatte, aber er passte zu ihr. Sie war zart und schlank und eine überaus aparte Frau. Man sah es ihr nicht an, dass sie drei erwachsene Kinder hatte. Ihrem hochgewachsenen Mann reichte sie nur bis knapp an die Schulter. Das glänzende rotblonde Haar lockte sich kapriziös um ihr liebreizendes Gesicht. Ihre großen braunen Augen hatten manchmal einen verträumten und abwesenden Ausdruck, vor allem, wenn Laura sich ans Klavier setzte. Neben Laura wirkte Granny robust, und das war sie letztlich auch. Sie war eine lebhafte Blondine, und auch wenn die Farbe längst aus dem Mixtöpfchen ihres Friseurs stammte, wirkte sie fabelhaft echt. Auf ihr golden schimmerndes Haar war Granny besonders stolz, und sie trug die verrücktesten Frisuren. Augenblicklich bevorzugte sie Ponys und scheute sich nicht davor, ihre blond getönte Lockenpracht jungmädchenhaft wie einen Pferdeschweif hochzubinden. Seltsamerweise wirkte es bei ihr nicht im Geringsten peinlich. Granny hatte flinke blaue Augen, und sie musterte ihre Schwiegertochter mit unverhohlener Neugier. »Schätze, es wäre eine passable Diva aus dir geworden, wenn du Andreas nicht geheiratet hättest!« Sie ließ sich häuslich in dem Empiresesselchen neben dem Klavier nieder. »Wahrscheinlich könntest du heute noch Karriere machen. Du hast einen glockenklaren Sopran, und du bist attraktiv. Bis auf diese grässliche Blässe, aber der ist ja abzuhelfen. Warum versuchst du es nicht einmal?« »Was?«, fragte Laura verblüfft. »Was sollte ich versuchen?« »Karriere zu machen!« Granny war richtig verliebt in ihren Einfall. »Meine Schwiegertochter, die zweite Callas. Das klingt doch fantastisch, wie? Die Kinder sind aus dem Haus, Andreas hat seine Arbeit, und ich komme ganz gut allein zurecht. Und Bertel versorgt unser altes geräumiges Haus vortrefflich. Abends hat Andreas seine Briefmarken und ich meine Handarbeiten. Ehrlich, Laura, warum probierst du es nicht?« »Ich habe nicht gewusst, dass ich so überflüssig bin, Granny«, murmelte Laura. »Nun sei doch nicht so empfindlich, Laura.« Granny schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Ich will doch nur dein Bestes!« Das wollte Granny, seit Laura in das alte Wilkin-Haus gekommen war. Leider stimmten aber Lauras und Grannys Ansichten über »das Beste« meistens nicht überein. In fast fünfundzwanzig Jahren gemeinsamen Zusammenlebens hatte Laura es gelernt, sich zu arrangieren. Böse war Granny ja nicht, nur ein bisschen herrschsüchtig und immer absolut von der Richtigkeit ihrer eigenen Meinung überzeugt. »Ich übe nur für den Universitätsball«, erklärte Laura seufzend. »Das ist schön«, freute sich Granny. »Ich kann dir stundenlang zuhören.« »Tut mir leid, ich kann keine Zuhörer gebrauchen. Ich habe die Lieder noch nicht wieder richtig einstudiert.« »Das macht doch nichts!«, rief Granny aus. »Was du auch singst, es klingt in meinen Ohren wie Musik.« »Das ist aber nett von deinen Ohren.« Laura klappte den Klavierdeckel zu. »Ich will sowieso noch einen Kuchen backen. Es ist Freitag, und die Kinder kommen morgen heim.« »Vergiss den Kuchen, ich bestelle beim Konditor eine Torte«, schlug Granny vor. »Vergiss die Torte, Granny, die Kinder mögen lieber Kuchen.« Laura stand schon an der Tür. »So einen richtig schönen altmodischen Gugelhupf mit vielen dicken Rosinen.« »Nun gut, dann werde ich dir beim Kuchenbacken helfen«, entschied Granny großmütig. Laura ergab sich in ihr Schicksal. Beim Kuchenbacken störte Granny sie jedenfalls weniger, als wenn sie ihr beim Singen zuhörte. ??? Gemeinsam gingen sie den langen dunklen Korridor hinunter, der von dem weiträumigen Wohntrakt zu der Küche führte, an die sich Wäsche- und Bügelzimmer, Vorrats-?, Porzellan- und Silberkammern anschlossen. Das Wilkin-Haus war wirklich sehr alt, und geliebt wurde es von der ganzen Familie. Es stand sogar unter Denkmalschutz, deshalb durfte an der Außenfassade nichts verändert werden. Die sah noch genauso aus wie vor dreihundert Jahren, als Urahn Nikolaus Wilkin das Haus für seine große Sippe gebaut hatte. Es war ein zauberhaftes Fachwerkhaus, das die Touristen, die in die kleine Universitätsstadt kamen, magisch anzog, und das während jeder Saison mindestens ebenso oft fotografiert wurde wie der Eiffelturm in Paris oder das Goldene Dachl in Innsbruck. Alle fünf Jahre wurde die Fassade renoviert, und das war jedes Mal eine ebenso feierliche wie nervtötende und finanziell ruinöse Angelegenheit. Innen wurden sie die Handwerker nie los, denn ständig war irgendetwas kaputt. Granny eilte schon in die Vorratskammer, um Mehl, Zucker, Eier und Rosinen zu holen. Plötzlich fuhr sie mit einem Schreckensschrei wieder heraus. »Eine Maus! Laura, in der Vorratskammer ist eine Maus!« Granny zitterte und war kreidebleich. Sie fürchtete zwar weder Tod noch Teufel, wie sie immer behauptete, doch vor Mäusen hatte sie einen heillosen Respekt. »Du musst etwas dagegen tun!« »Gegen die Mäuse?« Laura seufzte. Seit sie in das Wilkin-Haus gekommen war, führte sie einen ebenso tapferen wie erfolglosen Krieg gegen die niedlichen grauen Tierchen mit den flinken Beißerchen. Schlimm war, dass sie Mäuse mochte. Eine Katze wäre natürlich das einfachste und beste Mittel gegen die Mäuseplage gewesen, aber Granny war allergisch gegen Katzenhaare. »Ich sage Bertel Bescheid«, entschied Laura. Bertel war das Faktotum des Wilkin-Hauses, und boshafte Zungen behaupteten, das sei sie schon zu der Zeit gewesen, als das Haus gebaut worden war. Das war selbstverständlich eine schlimme Übertreibung, so alt war Bertel noch nicht, sie sah nur so aus. Dabei war sie unglaublich zäh, rüstig, flink und arbeitsam und sagenhaft energisch. Jonas nannte sie respektlos Mumie, und sie nahm ihm das nicht einmal krumm, denn Jonas war ein zauberhafter Bursche und konnte es sich leisten, respektlose Dinge ungestraft zu sagen. Granny machte sich an die Zubereitung des Kuchenteigs. Sie hatte die unangenehme Eigenschaft, immer das in ihre Hände zu nehmen, was andere Leute gerade haben wollten. »Wenn du den Teig machst, kann ich ja solange meine Lieder einüben«, sagte Laura freundlich, als die Schwiegermutter die Hände voller Teig hatte. Ehe Granny etwas erwidern konnte, war sie zur Küche hinaus. In fünfundzwanzig langen Jahren hatte sie ein beachtliches Talent entwickelt, Granny gelegentlich auszutricksen. Aber auf dem Weg ins Musikzimmer kam ihr Bertel in die Quere, die wie eine Rakete aus der Bügelkammer schoss: klein, dürr, in einer schwarzen Flatterschürze und mit einem grauen Knoten auf dem Kopf. »Rebecca hat am letzten Samstag wieder ihre ganze Wochenwäsche mitgebracht. Von den Kindersachen will ich nicht reden, aber soll ich jetzt vielleicht auch noch die Hemden für den Theologen bügeln?« Der Theologe war Rebeccas Mann, beide studierten noch, und in dem jungen Haushalt ging es...