E-Book, Deutsch, 283 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 210 mm
Langenhorst Tote Tante – Gute Tante
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-429-06593-5
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mord im Seniorenstift. Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 283 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 210 mm
ISBN: 978-3-429-06593-5
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum bringt jemand eine fast 90-Jährige um? Ging es um Geld? Oder waren Wut oder Eifersucht die Gründe für den Mord? Vor diesen Fragen steht Kommissar Bernd Kellert in seinem sechsten Fall.
Seine Frau findet ihre Tante Regina Föhrenbach tot im Seniorenstift auf. Es muss Mord gewesen sein. Regina ist lateinisch und bedeutet auf Deutsch „Königin“. Und genauso wurde die Tante auch im katholischen St. Vinzenzstift wahrgenommen – selbstbewusst, reich und bestimmend. Und wie an einem echten Königshof gibt es auch dort ergebene Anhänger, Feinde, Intrigen und jede Men-ge Motive. Kellert steht vor einer schweren Aufgabe. Wer ist der Mörder der „Königin“?
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2.
„Wann haben Sie die Frau Föhrenbach denn zum letzten Mal gesehen?“, fragte Kriminalkommissar Bernd Kellert die ihm gegenübersitzende Leiterin des St. Vinzenzstifts, Imogen Schmelter. Er hatte seine Frau in den Arm genommen und zu beruhigen versucht. Erfolgreich. Sie hatte ihn mit knappen Worten über das Vorgefallene informiert. Beate Kellert stand unter Schock, soviel war klar, behauptete jedoch, fahrtüchtig zu sein. Sie wollte nach Hause. Weg von hier. Mit den Worten „Wir sprechen uns später, ja?“ hatte er sie aus dem Stift begleitet und war schnell umgekehrt, um so bald wie möglich weitere Einblicke in das Geschehen gewinnen zu können. Nun saß der Kommissar also der Leiterin des Seniorenstifts gegenüber. Die Mitte Vierzigjährige – schlank, in einem eng anliegenden, dunkelblau gestalteten Kostüm, brünett mit halblangem, glattem, akkurat frisiertem Haar – rückte ihre randlose Brille zurecht, blickte ihn aufmerksam an und antwortete dann in sehr korrektem Hochdeutsch mit leicht norddeutschem Einschlag: „Ich selbst habe Frau Föhrenbach gestern tagsüber gar nicht gesehen, da war ich nämlich ganztägig außer Haus, bis heute Mittag. Bei einer Konferenz unseres Trägervereins in Ingolstadt.“ „Das heißt …“, warf der Achtundfünfzigjährige ein, wurde aber von der Leiterin des Seniorenheims unterbrochen. Sie wirkte erstaunlich gefasst. ‚Gut, in einer Einrichtung wie dieser hat man ständig mit Tod und Sterben zu tun‘, überlegte Kellert. ‚Aber doch nicht mit Mord!‘, wunderte er sich. ‚Ist sie so abgebrüht, wie sie tut, oder spielt sie ihre professionelle Rolle einfach perfekt?‘ „Das heißt, dass ich sie wohl am Sonntagabend beim Abendessen zum letzten Mal gesehen haben werde“, erklärte die Leiterin des Stifts, ohne ihren Tonfall zu ändern. „Ich schaue dort abends immer vorbei und suche das Gespräch mit unseren Klienten. So nennen wir unsere Bewohner. Das schaffe ich natürlich nur, wenn ich nicht auswärts unterwegs bin“, ergänzte sie, während sie erneut an ihrer Brille nestelte. Ihr Blick ließ keinen Zweifel daran, dass sie noch weitersprechen würde. „Allerdings habe ich keine besondere Erinnerung daran, ob ich am Sonntag mit ihr, also mit Frau Föhrenbach, überhaupt einige Worte gewechselt habe. Das kommt vor. Manchmal verlangt ein anderer Klient nach besonderer Aufmerksamkeit. Oder – wie in diesem Fall–eine Klientin. Frau Wertinger. Aber das tut hier nichts zur Sache. Wenn Frau Föhrenbach gefehlt hätte, wäre mir das aufgefallen. Da bin ich mir absolut sicher. Sie ist … äh, sie war eine Person, die sich bemerkbar machte. Gegebenenfalls eben auch durch ihr Fehlen.“ „Aber …“, wollte Kellert einwerfen, doch erneut kam er nicht zu Wort. ‚Ist mir auch recht, lass sie reden!‘, ging es dem erfahrenen Kriminalisten durch den Kopf. „Ich habe vorhin sofort meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragen lassen. Der zuständige Stationspfleger, Holger Brechtken, hat Frau Föhrenbach heute Mittag nach dem Essen im Speisesaal auf ihr Zimmer begleitet. Kurz nach dreizehn Uhr. Er war wohl der letzte Angestellte des Stifts, der sie lebend gesehen hat.“ „Und den werde ich natürlich sobald wie möglich zu sprechen haben“, meldete sich der Kommissar nun doch erfolgreich zu Wort, um im gleichen Atemzug nachzufragen: „War das denn normal, dass Frau Föhrenbach sich um diese Zeit auf ihr Zimmer zurückzog?“ Imogen Schmelter lächelte undurchschaubar vor sich hin. „Sie sollten sich das so vorstellen“, begann sie, unterbrach sich aber gleich wieder. „Sie sind entfernt mit ihr verwandt, oder? Darf ich also ganz offen sprechen?“ Kellert hob die Lider, blickte ihr in die meerblauen Augen und sprach: „Selbstverständlich, ich bitte sogar darum. Und ja, Frau Föhrenbach war eine Tante meiner Frau. Ich selbst hatte aber nur wenig Kontakt zu ihr.“ „Nun, die Tante Ihrer Frau war schon eine besondere Person. Sie trug ihren Namen nicht zu Unrecht, Regina, die Königin. Sie hatte eine Art – wie sage ich das jetzt? – des Residierens entwickelt. Sie empfing andere Heimbewohner oder auch Angestellte des Hauses in ihrem Zimmer. Sie ‚gab sich die Ehre‘, so bezeichnete sie das. Und irgendwie hatten sich alle auf diese Spielregeln eingestellt. Warum nicht? So war nun einmal ihre Art. Und wenn sie ihr ‚Gemach‘ verließ, war sie stets in Begleitung. Von ihrem ‚Hofstaat‘. So wirkte das.“ Verständnis heischend blickte die Leiterin des Seniorenstifts zu ihrem Gast, der sich freilich nicht als ‚Gast‘ fühlte, sondern als Vertreter der Ordnungsmacht. Des Staates. Als zuständiger Kommissar, der einen Mord aufzuklären hatte. Denn das hatten die ersten Ergebnisse der Kriminaltechnik und der Spurensicherung sofort erwiesen: Regina Föhrenbach war umgebracht worden. Mit ihrem eigenen Seidenschal erdrosselt. Die Polizei war sehr schnell am Tatort eingetroffen, schließlich waren die Wege in der mittelalterlich geprägten Bischofsstadt Friedensberg kurz. Kellert hatte einige seiner Mitarbeiterinnen sofort dazu eingeteilt, einerseits für Ruhe im St. Vinzenzstift zu sorgen, andererseits wach und aufmerksam zu sein für alle Informationen, die ihnen später nützlich werden könnten. Die Leiterin wartete auf seine Reaktion. Er war gedanklich kurz abgeschweift und riss sich wieder zusammen: „Ja, so ähnlich hat meine Frau mir das auch immer erzählt“, antwortete er jetzt. „Was meine Lust daran, sie zu diesen Besuchen bei ihrer Tante zu begleiten, nicht gerade befördert hat“, fügte er hinzu, ärgerte sich aber sofort darüber, etwas Privates preisgegeben zu haben. Das gehörte nicht hierher! Rasch setzte er hinzu: „Und? Wer war das, ihr ‚Hofstaat‘, wie Sie das genannt haben?“ Imogen Schmelter musterte den immer noch sportlich wirkenden Polizisten vor ihr mit professionellem Blick. Dessen kurzgeschorenes, lückenlos wachsendes graues Haar gab ihm einen Hauch von George Clooney – wie seine Frau Beate immer wieder sagte. Aber sie lächelte dabei auf eine Art, die ihm nur zum Teil gefiel. An der Miene der Leiterin des St. Vinzenzstifts ließ sich nicht ablesen, was sie dachte. „Das wechselte“, gab sie zurück. „Regina wusste es, ihre Gunst oder Ungunst zu verteilen. So, dass ihre Rolle unantastbar blieb. Meistens waren das Luise Platzheimer und Fini Vatheuer, die drei kannten sich schon seit Ewigkeiten.“ Sie unterbrach sich. „Fini, das sagen alle. Eigentlich heißt die gute Frau Vatheuer Josefine. Aber niemand, wirklich niemand nennt sie so. Jedenfalls: Deshalb haben die drei Damen ja auch benachbarte Zimmer auf demselben Flur bezogen. Die Bekanntschaft ging schon weit zurück, in jedem Fall in die Zeit vor ihrem Einzug bei uns. Ach, was sage ich denn da? Schon seit Schultagen kannten sie sich, wenn ich das richtig verstanden habe. Aber, wie gesagt, Regina Föhrenbachs Gunst konnte wechseln.“ Kellert versuchte die Informationen zu einem inneren Bild zusammenzufügen, wurde aber nach einer kurzen Pause unterbrochen. „Verstehen Sie mich bitte richtig“, ergänzte die Heimleiterin. „Ich mochte sie, die Ina. Die Regina. Sie konnte äußerst charmant sein, klug, witzig, intelligent. Auf ihre Art eben. Eine Frau von Welt, wenn ich das so sagen darf.“ Sie lächelte erneut schwer deutbar vor sich hin. „Und sie hat uns, der Leitung des Stifts, enorm geholfen. Intuitiv erkannte sie Spannungen unter den Klienten und konnte sie beruhigen. Sie hatte ein großes Interesse daran, dass das Zusammenleben friedlich und kultiviert vonstatten ging. Sie sah sich fast als eine von uns, den Verantwortlichen, verstehen Sie?“ „Höre ich da ein ‚Aber‘?“, warf Kellert ein. Imogen Schmelter nickte. „Ja, schon“, gab sie zu. „Es sollte halt durchaus nach ihren Vorstellungen laufen“, erläuterte sie. „Sie stand – oder besser: saß – gern selbst im Mittelpunkt des Geschehens. Und der Bewunderung. Ja, darauf hat sie schon geachtet, die Ina.“ Der Kommissar und die Leiterin der Seniorenresidenz schauten sich eine Weile schweigend an. Sie saßen im repräsentativen Büro der Chefin, das Eleganz, Chic und Stil ausstrahlte. Das St. Vinzenzstift wollte sich Besuchenden von vornherein als bessere Adresse präsentieren. Danach wählte man die Innenausstattung aus. Auch die Bewohner. Erst recht die Angestellten, allen voran die Leiterin. Die fühlte sich taxiert. Und antwortete, ohne gefragt zu werden. „Seit acht Jahren leite ich dieses Stift, falls Sie das wissen wollen, Herr Kommissar. Und das sehr erfolgreich, wenn Sie mir dieses Selbstlob gestatten. Wir schreiben durchgängig schwarze Zahlen. Und können uns vor Anfragen nicht retten. Friedensberg könnte problemlos drei Institutionen unserer Art...