E-Book, Deutsch, Band 5027, 200 Seiten
Reihe: Raumschiff Promet - Von Stern zu Stern (Science-Fiction-Abenteuer)
E-Book, Deutsch, Band 5027, 200 Seiten
Reihe: Raumschiff Promet - Von Stern zu Stern (Science-Fiction-Abenteuer)
ISBN: 978-3-95719-587-6
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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Yellowknife, Merryweather General Hospital, 02. März 2091, 12:15 Uhr
Der Geruch, der ihr beim Betreten des Gebäudes entgegenschlug, erinnerte Vivien Raid an Ereignisse, die nicht einmal zwei Monate zurücklagen. Es war eine Mischung aus Betäubungspräparaten, Bettpfannen und Reinigungsmitteln. Der Geruch von Krankenhausfluren, der sich seit den Ereignissen im Städtischen Krankenhaus von Archangelsk tief in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte, weil diese Erlebnisse für sie einerseits mit Schrecken begonnen, aber andererseits mit grenzenloser Erleichterung geendet hatten. Die ersten Stunden nach der Ohnmacht, als sie begreifen musste, in einem fremden Körper erwacht zu sein. Und ein paar Tage später die einsetzende Erlösung, nach turbulenten Ereignissen wieder im eigenen Leibe erweckt zu werden. Dies alles würde sie für immer mit diesem eigentümlichen Geruch verbinden. Der Mann, der mit Vivien das Gebäude betrat, schien zu ahnen, was gerade in ihr vor sich ging, denn im Laufen ergriff er ihre Hand. „Beruhige dich, Vivy“, flüsterte Tim Axelrod, während sie beide auf den Empfangsbereich des Merryweather General Hospital zugingen. „Diesmal bist nicht du die Patientin, sondern Enders liegt hier. Wir sind hier nur zu Besuch.“ Am Counter stand eine junge Frau vornübergebeugt und war mit dem Speichern von Patientendaten beschäftigt. Als Axelrod sich durch ein Räuspern bemerkbar machte, schaute sie auf und schien froh über diese kurze Unterbrechung zu sein. Um die Mittagszeit war nicht viel los, denn die Behandlungstermine des Vormittags waren größtenteils vorbei, ebenso wie die voll automatisierte Essensausgabe. Der große Ansturm der Besucher setzte meist erst nach vierzehn Uhr ein, deshalb waren die zwei Besucher für die Klinikhelferin eine willkommene Abwechslung. Tim erkundigte sich, in welchem Bereich und Zimmer des Hospitals der Patient Enders Payntor untergebracht war. „Payntor, sagten Sie? Enders, hier hab’ ich ihn.“ Sie blickte von dem Bildschirm mit der Krankenhausleit-Com auf und wollte den Wegweiser-Code auf die Com übertragen, die Axelrod ihr mit einer eleganten Handbewegung entgegenhielt. „Was ist das denn für eine altägyptische Grabbeigabe“, fragte sie erstaunt, denn ein solch antiquiertes Com-Gerät hatte sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Der Techniker der Promet II blickte abwechselnd auf die beginnende Datenübertragung und auf die Frau vor ihm, setzte sein lässigstes Lächeln auf und antwortete: „Das ist das aktuelle nordrussische Spitzenmodell. Der letzte Schrei!“ „Sie meinen wohl, der allerletzte.“ Die Empfangsdame amüsierte sich. „Mich interessiert natürlich, wie ich das nutzen kann. Wissen Sie, ich bin noch nicht allzu lange hier in Kanada und kenne mich damit nicht aus.“ Eine faustdicke Lüge, denn solche Codes, mit denen man sich in interne Navigationssysteme einloggen konnte, waren in vielen öffentlichen und privaten Einrichtungen gang und gäbe. „Folgen Sie bitte dem Leitsystem Ihrer Com, Sir. Der Patient liegt im zweiten Stockwerk, er hat zwar momentan keine Behandlungstermine, aber noch anderweitigen Besuch und darf dabei ausdrücklich nicht gestört werden. Sie können bitte so lange im angrenzenden Wartebereich Platz nehmen“, gab die Frau, ebenfalls charmant lächelnd, dem jungen Russen mit auf den Weg. Dabei schien Vivien Raid für sie gar nicht zu existieren. „Danke, sehr freundlich von Ihnen“, antwortete Axelrod mit Augenmerk auf das Namensschild der Frau. Sein Blick wanderte höher, bis er ihr direkt in ihre braunen Augen sah. „Miss Hover, Sie sind mir sehr behilflich gewesen.“ Vivien hakte sich bei Tim unter und schob sich so ins Blickfeld von Miss Hover. „Uns beiden sehr behilflich!“, sagte sie mit ironischem Unterton und zog Tim vom Counter weg. Während die Frau sich seufzend wieder ihrer Arbeit widmete, flüsterte Vivien ihrem Begleiter zu: „Timofej, merkst du nicht, dass du mehr als peinlich bist. Flirte nie wieder auf so plumpe Art mit anderen Frauen, wenn ich in deiner Nähe bin. Sonst setzt es was. Und besorge dir endlich mal eine neue Com.“ Während die Com den beiden die Kommandos gab, die sie sicher in den zweiten Stock führten, ließ Axelrod die nicht ganz ernst gemeinten Schimpftiraden von Vivien über sich ergehen. Denn schließlich hatte er sein Ziel erreicht. Mit dem von ihm inszenierten Theater hatte er Vivy von ihren düsteren Gedanken über die zurückliegenden Erlebnisse mit dem Psychomat abgelenkt. So ganz schien die Kanadierin mit nordrussischen Wurzeln das Geschehene mental noch nicht verarbeitet zu haben. Wenig später standen die zwei vor Enders Payntors Einzelzimmer. Hier war er seit dem Attentat auf sein Büro untergebracht, bei dem er vor fünfzehn Tagen schwer verletzt worden war. Die Ärzte hatten seinen rechten Unterschenkel amputieren müssen. Durch ein herumfliegendes Trümmerteil war er so schwer geschädigt worden, dass sie diesen Körperteil nicht mehr retten konnten. Die tiefe Fleischwunde am Oberschenkel war nicht so schlimm gewesen, aber eine Narbe würde bleiben. Enders wurde in mehreren Operationen ein Kunstglied angepasst. Er würde diese mit dem natürlichen Beinstumpf fest verbundene Prothese nach erfolgreich abgeschlossener Rehabilitation wie sein früheres echtes Bein benutzen können. Dr. Tyra Spence war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Implantation von künstlichen Gliedmaßen und ihr Chef, Dr. Ismael Layton, hielt große Stücke auf die junge Chirurgin. Sofort nach seiner Einlieferung und der ersten Operation war Enders Payntor in ein künstliches Koma versetzt worden. Nachdem am Vortag auch der letzte Eingriff erfolgreich verlaufen war, hatte man ihn über Nacht aus dem künstlichen Tiefschlaf zurückgeholt. All dies wussten Axelrod und Raid nur von Doktor Hellbrook aus der HTO-eigenen Klinik, der mit dem Merryweather General seit Jahren in Kontakt stand. Auf andere Art konnten Vivien und Tim aus Datenschutzgründen keinerlei Auskünfte darüber erhalten, wie es medizinisch um den verletzten Privatdetektiv stand. Die Eintrittsanzeige für Payntors Krankenzimmer zeigte noch immer rotes Sperrlicht, als Vivien und Tim die zweite Etage erreichten und sich in die Besucherlounge setzten. Gerade, als Axelrod dabei war, den Wegweiser aus seiner Com zu löschen, sprang das Signal von Rot auf Grün und durch die zurückgleitende Zimmertür verließ ein Mann in der Uniform der City Police das Krankenlager ihres Freundes. Vermutlich hatte der Sergeant die erste sich ihm bietende Gelegenheit genutzt, um Enders nach der Rückholung aus dem künstlichen Tiefschlaf zu den Vorgängen am Tag des Attentats zu befragen. Der Gesichtsausdruck des Polizisten zeigte deutlich, dass er über das Ergebnis dieser Anhörung nicht gerade begeistert war. Langsam erhoben sich die beiden Besucher, warteten aber noch einen Moment damit, hinüber zu Enders’ Raum zu gehen. Schließlich wollten sie es vermeiden, dass der Polizist auf sie aufmerksam wurde. Die Fragen danach, in welcher Beziehung sie zu dem Opfer des Anschlags standen, wollten sie sich ersparen. Enders Payntor sah schlecht aus, das Gesicht grau und schmal und mit blonden Haarstoppeln auf dem Kopf, der sonst immer den Anblick eines glatt rasierten Schädels geboten hatte. So saß er halb aufgerichtet in seinem Bett. Auch der in den letzten Tagen gewachsene Bart, durch den er mit seiner Hand strich, bot nicht das Bild von ihm, das die Freunde bisher von ihm gewohnt waren. Doch er lächelte sie erfreut an, als sie eintraten. „Hallo Vivy und Tim, habt ihr nichts Besseres zu tun, als einen angeschlagenen, nach flüssigen Genüssen dürstenden Privatschnüffler zu besuchen?“, begrüßte er mit noch matter Stimme seine Gäste. „Habt ihr etwas Hochprozentiges dabei, was mich wieder auf die Beine bringt?“ Über diesen in seiner Situation schon fast zynischen Humor musste er selbst lachen. „Ich fürchte, das werden wir auf ein anderes Treffen verschieben müssen“, schlug Vivien vor und drückte Enders einen Kuss auf die Wange. „Du stoppelst!“, stellte sie dabei fest. „Dann spare ich mir diesmal den Kuss“, fügte Tim hinzu und drückte dafür die Hand, die Enders ihm entgegenstreckte. „Wie geht es dir?“ „Ich bin noch ziemlich müde und muss erst mal verdauen, dass sie mir den Unterschenkel abgenommen haben.“ Enders schob die Bettdecke beiseite und legte das rechte Bein frei. An den bandagierten Oberschenkel schloss sich eine täuschend echt wirkende Prothese an. Payntor schaffte es sogar, ein wenig mit den künstlichen Zehen zu wackeln. „Morgen werde ich das erste Mal aufstehen und unter Anleitung auf diesem Konstrukt stehen dürfen. Aber ihr glaubt nicht, was das für ein komisches Gefühl ist. Das Bein juckt und schmerzt dort, wo nichts mehr echt ist.“ „Phantomschmerz.“ Tim klopfte mit der Faust vorsichtig auf das künstliche Bein. Enders verzog keine Miene, denn er hatte davon nichts gespürt. „Die Ärzte sagen, das Empfinden in der Prothese kommt erst noch, dazu müssen sich in den nächsten Tagen die vorhandenen echten und die künstlichen Nervenbahnen aufeinander einspielen. Gerade deshalb ist es eigenartig, dass es schmerzt.“ Vivien und Tim zogen sich zwei Sitzwürfel heran und nahmen Platz. Vivien wollte wissen, was passiert war. Also berichtete Enders, wie er morgens in seinem Büro diverse Gegenstände holen wollte, um sie in sein neues Appartement zu schaffen. Er erzählte von der Begegnung mit dem Russisch sprechenden Fremden am Antigravlift, von der aufgebrochenen Tür zu seinem Büro und der anschließenden...