Denkangebote für Skeptiker und Glaubende
E-Book, Deutsch, 235 Seiten
ISBN: 978-3-7615-7022-7
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bereits die ersten Auflagen erreichten eine rege Fan-Gemeinde, von der das Buch auch gerne weitergegeben und verschenkt wird. Für diese Neuausgabe hat Stephan Lange jetzt gemeinsam mit Co-Autor Colin Barke alle Kapitel gründlich überarbeitet, aktualisiert und stark erweitert, sodass die Argumentation auf dem aktuellen Stand des Diskurses ist.
Mit Antworten auf klassische Einwände und zu Fragen wie: Hat die Wissenschaft Gott nicht begraben? Warum gibt es nur Gründe und keine Beweise? Wie passen Gott und Leid zusammen? Haben nicht alle Religionen irgendwie recht? Was weiß man historisch über Jesus? Und was bringt es mir Christ zu sein?
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Kapitel 2: Klassische Einwände In diesem Kapitel möchte ich gerne einige klassische Einwände diskutieren, von denen ich denke, dass sie den Nerv vieler Menschen treffen. Es ist natürlich nur eine kleine Auswahl – von daher schon jetzt eine herzliche Einladung: Der Podcast Glaube ist frag-würdig wurde eigens dafür ins Leben gerufen, weil Glaube eben genau das ist. Er ist es wert, dass man gute Fragen an ihn stellt. Darüber hinaus versteht er sich als kostenloses Denkangebot, kritischen Fragen Raum zu geben. Sollte Ihr Einwand im Weiteren also nicht vorkommen, hören Sie gerne in die bisherigen Folgen rein oder schreiben Sie einfach direkt an: glaubeistfragwuerdig@outlook.de Vielleicht gilt Ihre Vorliebe aber auch gar nicht dem Podcast-Format, sondern dem guten alten Buch – auch kein Problem. Viele berechtigte Einwände, die in diesem Buch aus Platzgründen nicht zu Sprache kommen (z. B. Die Menschheit hat sich Tausende Götter ausgedacht, um an fast keinen davon zu glauben. Atheistinnen und Atheisten gehen nur einen Schritt weiter oder Die Vielzahl der Religionen spricht gegen die Existenz Gottes oder Jesus ist bloß eine mythologische Raubkopie usw.), werden etwa im Buch Frag los! 50 Antworten für Skeptiker und Glaubende diskutiert.15 Und wenn Sie etwas suchen, was auch junge Menschen verstehen können, empfehle ich Ihnen etwa die Kinderbuchreihe Wie ist Gott? Die Eigenschaften Gottes – erklärt für Kinder.16 Gut, so weit der Werbeblock. Legen wir los. Wie bei vielem ist es natürlich auch beim Thema „Gott und Glaube“ gut, wenn wir zunächst einmal unseren mentalen Schreibtisch aufräumen und uns klar machen, worüber wir eigentlich reden. Oder genauer gefragt: Was meinen Theistinnen und Theisten eigentlich, wenn sie von „Gott“ sprechen? Eine für viele grundlegende Definition Gottes in der Geschichte der Theologie und Religionsphilosophie stammt von Anselm von Canterbury, einem der herausragenden Denker des Mittelalters. In seinem vielgelesenen Werk Proslogion schreibt er sinngemäß: „Gott ist das in jeder Hinsicht größte vorstellbare Wesen. Wenn wir von etwas noch größer als von Gott denken können, ist das Gott.“ (id quo nihil maius cogitari potest)17 Anselms Ausführungen werden heute von intellektuellen Schwergewichten wie Alvin Plantinga (University of Notre Dame) oder Richard Swinburne (University of Oxford) weitergeführt, wenn sie Gott als einen Handelnden beschreiben, der allmächtig, allwissend, allliebend, unendlich gut, unendlich heilig, unendlich gerecht, vollkommen ungebunden (d. h. ohne Körper und ohne Raum-Zeit-Stelle) und Schöpfer aller Dinge ist. 18 Genau an dieser Stelle bedarf es eines wichtigen Exkurses. Es gibt nämlich immer wieder Leute, die sagen: „Die Gottesidee ist klar zum Scheitern verurteilt. Ein allmächtiges Wesen kann gar nicht existieren.“ Gezeigt werden soll das mit Fragen wie dieser hier: „Kann Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht heben kann? Wenn er es kann, ist er nicht allmächtig. Und wenn er es nicht kann, erst recht nicht.“ Fragen dieses Formats klingen erst einmal schlüssig und entlarvend – bis man sie auf ihren Kern reduziert: „Kann Gott etwas, das er nicht kann?“ Sie merken, wie einen die Unlogik förmlich anspringt. Und auch bei Fragen wie „Kann Gott ein rundes Quadrat erschaffen?“ sieht es nicht besser aus. Wo genau der Hase im Pfeffer liegt, bringt der irische Schriftsteller C. S. Lewis treffend auf den Punkt: „Sinnlose Wortverbindungen werden nicht plötzlich dadurch sinnvoll, daß wir ihnen die beiden Worte ‚Gott kann‘ voranstellen. Es bleibt wahr, daß alle Dinge bei Gott möglich sind; das innerlich Unmögliche aber ist nicht ein Ding, sondern ein Nichts. Es ist für Gott genauso wenig möglich wie für das schwächste Seiner Geschöpfe, von zwei einander ausschlie ßenden Alternativen beide zu verwirklichen; nicht weil Seine Macht behindert wäre, sondern weil Unsinn eben Unsinn bleibt, selbst wenn er von Gott handelt.“19 Wir sehen: Weder das runde Quadrat noch der erwähnte Stein sind bei genauerem Nachdenken wirkliche „Dinge“. Sie sind eine bloße Aneinanderreihung von Wörtern, die inhaltlich keinen Sinn ergeben. Demnach kann ich zwar aussprechen, dass es eine immaterielle Materie gibt, aber meine Worte sind inhaltlich leer. Eine materielose Materie ist nun einmal ein logischer Widerspruch – und damit ist sogar formal bewiesen, dass sie nicht existieren kann. Und wenn ich an dieser Stelle kurz als Christ sprechen darf, lässt sich darüber hinaus noch Folgendes anmerken: Wenn aus der Bibel hervorgeht: „Gott ist allmächtig“, bedeutet das: Gott ist allmächtig, da er in seinem Handeln keinen äußeren Zwängen unterworfen ist. Dass er nicht lügen kann, hat seine Ursache also nicht darin, dass er einer ihm übergeordneten Macht untersteht, die ihn zur Wahrheit verpflichtet. Nein, das Einzige, was Gott zur Wahrheit verpflichtet, ist er selbst. Es ist in seinem Wesen verankert. Exemplarisch war dieser Exkurs deshalb, weil er uns Folgendes vor Augen führen sollte: Jede kritische Rückfrage an den Glauben ist natürlich erlaubt, nur wohnt nicht jeder die Schlagkraft inne, die viele gerne hätten. Das gilt vor allem für solche, die von einer kindlichen oder klischeehaf ten Vorstellung von Gott geprägt sind. Dieser Art sind die folgenden Einwände aber nicht. Einwand 1: „Ich glaube an nichts!“ Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, in denen ich sagte: „Danke, ich glaube an nichts.“ Woher mein Denken kam, ist einfach zu erklären. Vater meines Gedankens war die Annahme: „Nur die Leute, die von irgendetwas Religiösem oder Mystischem ausgehen, glauben an etwas.“ Dazu gehörte ich nicht. Der Atheismus war meine Weltanschauung. Damit war die Sache für mich klar. Mein (erster) Denkfehler war nur, dass der Atheismus gar keine Weltanschauung ist. Dazu macht er einfach zu wenig Aussagen über die Wirklichkeit. Er ist schließlich „nur“ eine Verneinung, die sich auf eine einzige Frage konzentriert: Gibt es eine oder mehrere Gottheiten? Nach anderen Sachen fragt der Atheismus nicht. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes schreibt daher in einem Übersichtsartikel über Weltsichten völlig richtig: „Eine negative, d. h. nur auf einer Gott, Religion oder weltlichen Sinn verneinenden Position beruhende Weltanschauung, kann keine Weltanschauungsgemeinschaft konstituieren.“20 Richtig, genau das ist der Punkt. Weil der Atheismus „nur“ die Verneinung einer Frage – in diesem Fall nach der Existenz eines höheren Wesens – ist, stellt er keine Weltsicht dar. So eine trifft immer positive Aussage über die gesamte Wirklichkeit und gibt Antworten auf unterschiedlichste Fragen: Welche Verantwortung hat der Mensch? Welches Handeln ist moralisch richtig? Gibt es einen Sinn des Lebens? Was ist Freiheit? Was ist der Ursprung des Daseins? Natürlich haben Atheistinnen und Atheisten Antworten auf solche Fragen. Aber ihre Antworten kommen nicht aus ihrem Atheismus, sondern aus ihrer jeweiligen Weltsicht. Welche das genau ist, ist meiner Erfahrung nach vielen nicht bewusst – allein deshalb schon nicht, weil sie gar nicht wissen, „wie die Dinger eigentlich heißen“, wie mir jemand mal nach einem Vortrag so schön sagte. Dabei gibt es im Supermarkt der Weltanschauungen einiges an Auswahl. Mit Blick auf die, die sich als Atheistinnen und Atheisten verstehen, gibt es in unseren Breitengerade in der Regel drei favorisierte Weltsichten. Es gibt solche mit einem naturalistischen Weltbild. Was die Beschaffenheit der Wirklichkeit angeht, sagen sie: „Es gibt nur die Natur.“21 Es gibt die mit einem pantheistischen Weltbild. Sie sagen, dass das Universum und die Natur göttlich sind und „das Göttliche“ nicht als separates Wesen, sondern als das Ganze der Existenz verstanden wird.22 Es gibt – übrigens nicht wenige – mit einer panpsychistischen Weltsicht. Sie sagen, dass in allen Dingen des Universums, auch in unbelebter Materie, Bewusstsein vorhanden ist.23 Was es aber nicht gibt, sind Atheistinnen und Atheisten ohne Weltbild. Es würde die Sache nun sehr vereinfachen, wenn man von irgendeiner Weltanschauung sagen könnte: „Diese Weltsicht ist die richtige. Es ist bewiesen, dass sie stimmt.“ Dass so etwas möglich ist, war mein zweiter Denkfehler. Aber so leicht ist es leider nicht. Keine Weltansicht ist nachweislich wahr: weder Theismus noch Naturalismus, Pantheismus oder Panpsychismus noch sonst irgendeine Weltanschauung. Jede Weltansicht basiert auf grundlegenden Annahmen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, für die es keine naturwissenschaftlichen Nachweise gibt. Das heißt also, dass jeder von uns etwas „glaubt“, ohne dafür Beweise zu haben. Ein Atheist, der ein naturalistisches Weltbild hat, glaubt, dass ausschließlich die Natur existiert. Ein Atheist mit einer panpsychistischen Weltanschauung glaubt, dass alles, was es im Universum gibt,...