E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Lang / Zumbe Ein Doc in der Eifel
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95441-285-3
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Aus dem Leben eines Landarztes
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-95441-285-3
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Ein Doc aus der Eifel", das ist Dr. Franz-Josef Zumbé, Landarzt auf dem Hochplateau im Dreiländereck der Bistümer Aachen, Köln und Trier. Er ist Eifeler von Geburt und aus Überzeugung, theologisch und medizinisch zweigleisig gebildet, ein Schlitzohr und Eifeler Platt schwadronierender Menschenfreund der Marke "hart, aber herzlich".
In diesem Buch erzählt Dr. Franz-Josef Zumbé im Dialog mit dem Journalisten und Diakon Manfred Lang köstliche Episoden, Anekdoten und Schmonzetten, die er in fast 40 Jahren mit seinen Patienten erlebt hat.
Beide Autoren haben sich für diesen wunderbaren Erzählband immer wieder getroffen - und dabei tiefen Einblick in die Eifeler Seele gewonnen. Das angeblich "krummbeinige, diebische Bergvolk" erweist sich als überaus liebenswürdiger Menschenschlag mit dem beneidenswerten Talent, das Leben und auch die Krankheit nicht tierisch ernst zu nehmen. Man neigt weder zur Wehleidigkeit, noch zur Hypochondrie und nimmt die Unebenheiten des Lebens eher gleichmütig und humorvoll zur Kenntnis. Vor dem Lesen wird gewarnt: Als Nebenwirkung ist Lachen bis an die Schmerzgrenze möglich ...
Autoren/Hrsg.
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Kroofs Hein
Ich war noch taufrisch, um nicht zu sagen feucht hinter den Ohren. Meine Approbation lag gerade hinter mir, und der Anzug, den ich aus diesem Anlass getragen hatte, befand sich noch in der Reinigung. Ich war vollgestopft mit theoretischem Wissen und voller Enthusiasmus, hatte aber nur wenig mehr als gar keine Ahnung, als ich meine erste Vertretung in einer großen Landarztpraxis antrat. Ich war zu der Zeit Vollassistent in einem Düsseldorfer Krankenhaus. Vertreten sollte ich während meines ersten dreiwöchigen Klinikurlaubs einen netten, aber gestressten Kollegen, den ich aus früheren Tagen kannte. Meine anfänglichen Bedenken, ob ich der Aufgabe gewachsen sei, zerstreute er mit dem Hinweis, ich könne mich jederzeit an den bereits älteren, aber gewiss stets hilfsbereiten Kollegen Willem in der einige Kilometer entfernten Nachbarpraxis wenden. Wo sollte das Problem sein? »Du schaffst das schon!« Was sollte ich erwidern? Nichts. Ich bin Altruist – und mein überschießendes Helfersyndrom hatte mir längst die Lippen versiegelt und die Hände gebunden. Außerdem hatte ich Mut zur Lücke – und so fand ich mich nach telefonischer Anfrage des altbekannten Kollegen zur verabredeten Zeit im Auto auf der Fahrt zur angegebenen Landarztpraxis. Inzwischen hatte ich mir auch zurechtgelegt, dass ich keineswegs uneigennützig handelte, sondern vielmehr wertvolle Fronterfahrung im Hinblick auf eine eigene Praxisgründung oder Praxisübernahme sammeln konnte, und für die man zu der Zeit, wenn ich mich recht entsinne, acht Wochen Vertretungszeit nachweisen musste. Nach all den Jahren Theorie stand mir Praxis bevor. Ich näherte mich ihr in freudiger Erwartung. Ich wurde vor der Landpraxis bereits mit Ungeduld erwartet. Der werte Kollege hatte seinen Familienbus beladen mit Reisegepäck, Ehefrau, Kinderschar und Berner Sennenhund. Alles war abfahrbereit. Ich hatte kaum Zeit, meinen Wagen zu parken sowie Koffer und Taschen vor die Praxistür zu stellen, da brauste mein lieber Kollege, das Fenster herunter kurbelnd, auch schon vom Hof und an mir vorbei. Er winkte und rief mir zu: »Nur Mut. Denk an Willem!« Da stand ich nun, ich armer Tor, drinnen Praxis, ich davor ... ohne Erfahrung in praktischer Medizin und dem üblichen Tagespensum eines Landarztes, aber mit Mut zur Lücke und viel Gottvertrauen. Willem wird ja helfen. Aber daraus wurde nichts. Pustekuchen, Totalausfall, Rohrkrepierer: Der Nothelfer aus der Nachbarpraxis entpuppte sich als »Schwaadlappen« reinsten Wassers, wie der Rheinländer handlungsunwillige Dauerredner nennt. Die fachliche Hilfe durch Willem blieb vollständig aus. Dabei suchte ich seinen Rat, gleich am Sonntag nach meiner ersten Praxiswoche. Ich suchte ihn in seiner Wohnung auf, wir machten Konversation, während der ich viel aus seinem Leben erfuhr, aber keine Antwort auf meine brandaktuellen Fragen bekam. Willem hatte eine Menge erlebt und eine Menge mitzuteilen, aber das hatte nur rudimentär mit Medizin zu tun. Er schien sich nur in einem Drittel seiner Lebenszeit mit der praktischen Landarzttätigkeit beschäftigt zu haben. Sein ganzes Herz und zwei Drittel seiner Energie gehörten dem Waldbau. Statt meinen Zettel mit vielen fachlichen Fragen abzuarbeiten, dozierte Willem selbstgefällig über Baumpflanzungen, Durchforstungsarbeiten, Borkenkäferbekämpfung und seine neu erworbene Stihl-Motorsäge, die er am liebsten noch an dem Sonntag zusammen mit mir angeworfen und ausprobiert hätte. Als ich ungeduldig abwinkte und auf meine fachlichen Fragen zurück kam, die die Praxis in der vergangenen Woche aufgeworfen hatte, wurde Willem seinerseits etwas nervös. Ihm fielen plötzlich »terminliche Gründe« ein, warum er jetzt nicht näher auf meine Anfragen eingehen könne. Er habe sowieso »leider nur eine halbe Stunde Zeit« gehabt, und die sei nunmehr, »ach, wie die Zeit vergeht ...«, soeben verstrichen. Mit einem Klaps auf die Schulter und freundlichen Worten, fand ich mich flugs vor die Haustür geschoben: »Nur Mut, junger Freund, Sie packen das schon.« Ich habe es »gepackt«, tatsächlich. Alles ist gut gegangen. Wie man es nimmt: In den drei Wochen ist kein einziger Todesfall eingetreten. Im Gegenteil: Es gab sogar zahlreiche Heilungen. Ob durch meine Hand oder mein Zutun blieb offen. Etliche Male und zu meinem eigenen Erstaunen waren Selbstheilungskräfte am Werk. »Per viam naturalis«, würde ich heute sagen. Das heißt in unserer Eifeler Muttersprache »efach esu«, einfach so, ohne ärztliche Fremdeinwirkung. Zum ersten Mal ganz alleine an der medizinischen Front, ohne Chefarzt, Oberarzt oder doch wenigstens einen älteren erfahreneren Mit-Assistenten an der Seite, machte ich die Erfahrung des berühmten Chirurgen Hans Killian: »Sub umbra dei«, hinter uns steht der Herrgott. Natürlich hatte ich als gläubiger Mensch, der ich trotz 11 Semester Theologie stets geblieben bin, einen besonderen Sensus für diese Zusammenhänge, die ich in nahezu vier Jahrzehnten immer wieder bestätigt fand. Wer heilt, hat recht. Die drei Wochen Landarzt-Vertretung waren nicht meine erste Berührung mit dem dörflichen Milieu Eifeler Provenienz. Ich komme selbst vom Dorf und wuchs im Schatten des Mechernicher Bleibergs in einem soziologischen Mischgebiet aus Bergarbeitern und kleinbäuerlichen Landwirten auf. Aufgewachsen bin ich in einer Bäckerfamilie und wir waren das, was man landläufig gut katholisch nennt. Im verwandtschaftlichen Umfeld gab es Priester und Ordensleute. Auch mein Weg schien in diese Richtung vorgezeichnet. Ich kam nach Aachen ins Internat, besuchte ein kirchliches Gymnasium, studierte an der Jesuiten-Hochschule St. Georgen in Frankfurt und danach in Bonn Philosophie und Theologie, bevor ich mich dem Medizinstudium zuwandte. Ich lebte also lange in den Städten Aachen, Frankfurt, Bonn und Düsseldorf, aber mein Dorf und seine Leute, auch den Zusammenhalt unter ihnen, und, bei allen Schattenseiten, die es auch gab, ihre gegenseitige Solidarität in wirtschaftlich nicht auf Rosen zugebrachten Nachkriegsjahren, sind ein Teil meiner eigenen Identität geworden. Umso größer war der Schreck in den drei Wochen Landarztvertretung, wie sich mir dort neben durchaus bekannten Nuancen dörflichen Zusammenlebens auch ziemlich erbarmungswürdige und leider auch, Gott sei‘s geklagt, niederträchtige Umstände offenbarten. Damals hatte ich keine Ahnung, aber heute weiß ich, dass man als Hausarzt tiefere Einblicke in das Leben der Menschen gewinnt als irgendwer. Nichts Menschliches bleibt einem fremd, nichts allzu Menschliches erspart – ob man will oder nicht. Da ist selbst der Pastor besser dran, zumal außerhalb des Beichtstuhls. Der Landarzt erfährt mehr, als ihm lieb ist. Innerhalb und außerhalb der Sprechstunde, von Patientinnen und Patienten über sie selbst, vor allem aber über andere, Ehegatten, Kinder, Kegel, Vorfahren, Nachbarn, ganze Nachbardörfer, vorgeblich Missgebildete und Missratene, vom Pfad der Tugend abgewichene, verderbte und hin und wieder auch beneidenswerte Charaktere. Auf Eifeler Platt hören sich die Einleitungsformeln solcher vor dem Hausarzt gemachten Privatoffenbarungen ungefähr so an: »Der hätt mich ..., datt hätt oss ..., wat mir net alles für der jedoohn hann ..., könnt Ihr datt ens mengem Mann saache ... äver saaht nett, datt ich jett jesaaht hann ..., saach, hüer enns ..., watt ich üch noch saache wollt ...« Als junger Arzt haben mich weitschweifige Geschichten familiärer Art mehr beschäftigt als heute. Jetzt ahne ich oft schon, was kommt, wenn Herr X, vor allem aber Frau Y das Sprechzimmer betritt. Umständlich und erst nach einer ausgiebigen Ouvertüre kommt man endlich zur Sache: »Datt hann ich üch noch net jesaaht.« Oft treffen mich ein vorwurfsvoller Blick und die Worte: »Ihr hatt ens nie Zitt für ene.« Das kostet Zeit und Nerven, aber nach einigen Tagen Urlaub vermisse ich diese scheinbar dialogisierenden Monologe schon wieder. Das Leben als Landarzt ist widersprüchlich. Was man im Laufe der Jahre lernen muss, ist interessiert guckend wegzuhören. Sonst reicht die Kraft an manchen Tagen nicht für die Vormittags-Sprechstunde aus. Wobei ich nach dem Zenit meiner Landarztjahre sagen muss, dass auch Ärzte nervtötend sein können für Patienten, vor denen sie sich hinter unverständlichem Vokabular und dünkelnder Standesfassade verbergen wollen. Zumal aber auch für andere Kollegen, die sich gegenbenenfalls mit ihren Befunden herumschlagen müssen. »Watt hätt der Orthopäde dann jesaat?« »Datt lääsch am Verschleiß.« Ach so. Das arthrotische Kniegelenk ist eine Folge von Verschleiß. Wer hätte das gedacht?! Genau so gut hätte der Kollege ausrichten lassen können: »Datt lääsch am Wedde.« oder »Datt kööm von de Wechseljohre.« Meine Standard-Rückfrage zu solchen Diagnosen lautet...