E-Book, Deutsch, 211 Seiten
Landgraeber Danke aus und ab ans Meer
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7396-6762-1
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 211 Seiten
ISBN: 978-3-7396-6762-1
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wenn der Rausschmiss zum Glücksfall wird. Lana Vandenberg, eine gefeierte Schauspielerin, verliert von heute auf morgen ihre Arbeit bei der beliebten Serie 'Die See-Adler'. Doch ein Unglück kommt bekanntlich niemals allein. Sie muss aus ihrer Wohnung ausziehen, ihr Freund schläft mit ihrer Konkurrentin, ihre verschollene Schwester erscheint plötzlich wieder auf der Bildfläche und ihre Mutter zeigt erste Anzeichen von Demenz. Und dann trifft sie auch noch eine alte Schauspielerin, deren großen Wunsch sie einfach nicht ausschlagen kann ... Von nun an muss sie ihr Leben ganz ohne Drehbuch meistern. Die Erstausgabe des Romans ist 2015 unter dem Titel 'Ohne Drehbuch ins Glück' erschienen.
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1
Von einem Wimpernschlag zum anderen ist alles anders. Plötzlich steht mein Leben auf dem Kopf. Montagmorgen, kurz vor sieben. Ich sitze gähnend in meinem Schminkstuhl und blinzele in das grelle Licht des Spiegels. Unzählige Birnen leuchten mir in mein müdes Gesicht. Ich schließe die Augen, weil Susie, die Chefmaskenbildnerin, mir eine Feuchtigkeitscreme aufträgt. Entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten bin ich gestern Abend ausgegangen. Normalerweise mache ich so etwas nicht vor einem Drehtag. Eigentlich gehe ich nie aus. Aber gestern hat der bekannte Schauspieler Tony Schuhmann einige Leute unseres Ensembles auf einen Drink eingeladen, und da mir mein Agent immer predigt, dass ich viel mehr netzwerken sollte, bin ich mitgegangen. Das rächt sich jetzt. Nicht nur, dass ich todmüde bin, ich sehe leider auch so aus. Das ist für eine Schauspielerin nicht so gut. Gesichtsvermieter werden wir manchmal genannt. Ich muss grinsen bei dem Gedanken, dass meine Miete heute nicht so hoch ausfallen sollte. Mein Telefon brummt auf dem Tisch vor mir. Sicher will mich meine Mailbox ein weiteres Mal daran erinnern, dass Paul, mein Agent, eine Nachricht hinterlassen hat. Ich hatte noch keine Lust sie abzuhören. Die Tür geht auf und Marie Montag steckt ihren Kopf herein. Ihr brauner Bob sieht wie frisch geschnitten aus und ihre Wangen glänzen rosig. Moment mal, wieso darf sie sich schon wieder ihre Haare schneiden lassen? Oder ist sie einfach nur vorteilhaft frisiert? Sie sieht jedenfalls sehr viel besser aus, als ich mich fühle. „Guten Morgen“, kreischt sie mit ihrer schrillen Stimme in den Raum. „Roland ist noch nicht da und da dachte ich, dass du vielleicht Zeit für mich hast.“ Susie schüttelt den Kopf und Marie will sich schon zurückziehen, da scheint ihr etwas einzufallen. „Sag mal, Lana, wollen wir die zweite Szene mal durchgehen?“ Sie entert den neben mir stehenden Stuhl, wühlt in ihrer großen Umhängetasche und zaubert ein paar Textblätter hervor. „Ich habe gestern mit Beate geredet.“ Beate ist unsere derzeitige Regisseurin im Studiodreh, eine dumpfbackige Planschkuh, die absolut keine Ahnung von ihrem Job hat. „Sie möchte, dass wir den Text auch auf einer zweiten Ebene anlegen.“ Aha, so ein Wischiwaschi. Das hörte man immer wieder von diesen ambitionierten Regisseuren. Hey, wir machen hier eine Soap. Wir sagen brav unsere Texte auf, stoßen nicht an die Möbel und gehen abends um sieben nach Hause. „Ich sehe da keine zweite Ebene.“ Ich halte die Augen geschlossen, da Susie gerade zwei Pads, getränkt in Tee, über meine Augen gelegt hat. Die sollen die Schwellungen darunter lindern. „Komm, lass es uns einfach versuchen. Achim war auch ganz begeistert, als ich ihm von Beates Vorschlag erzählt habe.“ Achim ist unser Coach, ein erfolgloser Schauspieler, der sich jetzt damit über Wasser hält, uns Stars die Texte einzubläuen. Eigentlich verstehe ich mich ganz gut mit ihm, wenn ich es mir recht überlege, ist er manchmal sogar ein klitzekleines bisschen hilfreich. Marie beginnt, die erste Textzeile zu zitieren. Ich bin irritiert, das habe ich alles noch nie gehört. Ich setze mich auf, zupfe die Teepads von meinen Augen und reiße ihr den Text aus der Hand. Kurz überfliege ich die Szene. „Das ist doch nicht heute dran?“ „Doch, hast du nicht das Memo bekommen? Die haben mal wieder umgestellt. Keine Ahnung, was das Problem war.“ „Dispo!“, kreische ich und schaue Susie an. Die geht in aller Seelenruhe zu ihrem Schreibtisch und reicht mir das Verlangte. Ich lese mich panisch durch die seitenlange Disposition, in der minutiös vermerkt ist, wann und was wir heute drehen. Es ist ein Desaster. Ich bin in fast jedem Bild disponiert und es sind lauter Szenen, auf die ich mich überhaupt nicht vorbereitet habe. Meine Kopfschmerzen vom gestrigen Abend verstärken sich. Ich hätte doch nie so lange im Borchardt gesessen, wenn ich gewusst hätte, dass ich heute so viele Szenen habe. „Was meinst du, sollen wir das wirklich so sagen? Ich habe das Gefühl, der Autor versteht meine Figur nicht so ganz.“ Marie schaut mich mit ihrem gekünstelten Lächeln an. Ich kann ihre gebleachten Zähne bestaunen. „Einen wunderschönen guten Morgen, in dreißig Minuten ist Probenbeginn im Studio A, Vorwarnung für Marie, Frank und Thomas“, kommt es aus einem der Lautsprecher, die überall verteilt im Gebäude hängen. „Lana, mach jetzt die Augen zu und halte still“, sagt Susie und drückt mich mit sanfter Gewalt in den Stuhl. Panik steigt in mir auf. Wie soll ich den heutigen Tag überleben? Sicher haben die aus der Disposition mir die Änderungen absichtlich nicht zukommen lassen. Ich rechne rasch nach. Wenn Susie sich beeilt, habe ich noch eine halbe Stunde, bevor ich dran bin. Da kann ich zumindest die Szenen bis zur Mittagspause durchackern. „Was meinst du jetzt, sollen wir das so sagen, wie es hier steht? Es fühlt sich so falsch an“, jammert Marie neben mir. Die hatte ich glatt vergessen. Ich bin kurz davor, sie anzuschreien, dass mir ihre Befindlichkeiten hinsichtlich ein paar Textzeilen im Moment total am Arsch vorbeigehen. Aber das würde sie sowieso nicht begreifen. Die Tür wird aufgerissen und Roland steht außer Atem davor. „Hier bist du, Marie. Es tut mir leid, ich habe meine Bahn verpasst. Kommst du rüber?“ Marie nickt ihm zu. Sie schaut mich noch mal prüfend an, dann dreht sie sich wortlos um und verlässt türknallend den Raum. Ich schließe die Augen und überlasse mich Susies warmen, zarten Händen. „Fertig!“ Ich betrachte mich im Spiegel. So schlecht sehe ich für mein Alter doch gar nicht aus. Eigentlich sogar ganz passabel. Die Ansätze meiner Strähnen müssten mal wieder gefärbt werden. „Wann bin ich wieder zum Friseur eingeteilt?“ „Ich schau mal nach, aber warst du nicht erst vor zwei Wochen bei Paolo?“ Paolo ist der angesagte Friseur in Berlin. Unsere Produktionsfirma schickt uns Frauen alle vier bis sechs Wochen zu ihm, um unsere Frisuren in Form zu halten. Langweiligerweise bedeutet das leider auch, dass Paolo dazu angehalten ist, nichts zu verändern, sondern unsere Frisuren immer gleich aussehen zu lassen. Das ist eines der Dinge, die mich an einer täglichen Serie nerven. Seit acht Jahren habe ich blonde, schulterlange Haare mit zweifarbigen Strähnchen. Ich danke Susie für das schöne Make-up, schnappe mir meine große Umhängetasche und gehe in den Postraum. Alle Schauspieler, Regisseure und Regieassistenten haben ein eigenes Postfach. Ganz altmodisch ist das ein riesiges Regal mit lauter kleinen Fächern. Es steht in einem fensterlosen Raum, in dem auch ein Computer für uns alle bereitgestellt wird. Jedes Fach ist mit dem jeweiligen Namen beschriftet. Lana Vandenberg steht über meinem. Über diesen Weg kommen wir an neue Drehbücher, unsere Wochen-Dispositionen und alle anderen Nachrichten der Produktion. Ich nehme mir meine rosafarbene Disposition und die Drehbücher, die ich noch nicht abgeholt habe. Mein Fach quillt permanent über, da ich nicht so häufig nachschaue, ob es was Neues gibt, wie ich sollte. Mein Blick streift Maries Fach. Es ist wie immer leer. Dann laufe ich schnell in meine Garderobe. Ich habe eine eigene, die ich mit niemandem teilen muss. Die meisten anderen Schauspieler haben zu zweit eine Garderobe, aber da ich den Starstatus genieße, bin ich in der glücklichen Lage, mich ab und zu zurückziehen zu können. Der Raum ist nicht sehr groß, nur ein kleines rotes Sofa von Ikea und die übliche Garderobenstange, auf der alle Outfits für den heutigen Tag hängen. Alles ist akribisch beschriftet und wir müssen uns selbst darum kümmern, dass wir auch das richtige Kostüm zur jeweiligen Szene anziehen. Dafür habe ich jetzt aber überhaupt keine Zeit, ich muss Texte lernen. Ich sitze inmitten von bunten Blättern, als es an der Tür klopft. „Ja?“ Peter Meinert steckt seinen Kopf durch die Tür. Er ist unser Producer. Ein smarter, ewig braun gebrannter Mann. Sein lockiges blondes Haar trägt er in einer großen Welle, immer im engen Anzug, meist mit einem taubenblauen Hemd. „Morgen Lana, du hast hoffentlich die Änderungen bekommen, kannst du heute Abend mal kurz bei mir vorbeischauen?“ Ich will ihm eigentlich von meiner Irritation über die nicht bekommene, geänderte Dispo erzählen, aber er schneidet mir einfach das Wort ab. „Super, ich freu mich.“ Ich hasse ihn. Ende zwanzig, ein Großkotz, keine Ahnung vom Filmemachen. Aber ich freue mich auch auf das Gespräch. Er wird mir sicher von den Verhandlungen mit meinem Agenten erzählen. Ich bin noch sechs Wochen offiziell angestellt. Paul wollte diesmal so lange wie möglich warten, um dann richtig gut für mich nachzuverhandeln bei meiner Staffelverlängerung. „Wir beginnen jetzt mit Bild 5638, Vorwarnung für Lana und Gregor, Marie hat nach dem Bild einen Kostümwechsel“, kommt es aus dem Lautsprecher. Ich konzentriere mich wieder auf meine Texte. Beate begrüßt mich...