E-Book, Deutsch, 157 Seiten
Lamprecht / Hammel / Hürzeler Wie der Bär zum Tanzen kam
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-497-60963-5
Verlag: Ernst Reinhardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
120 Geschichten für einen gesunden Körper
E-Book, Deutsch, 157 Seiten
ISBN: 978-3-497-60963-5
Verlag: Ernst Reinhardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ob Zahnschmerzen, Allergien, Rückenprobleme oder Essstörungen: Körperliche Beschwerden sind oft lästig, manchmal auch kaum auszuhalten und beängstigend. Wie sehr uns ein Leiden beeinträchtigt und wie gut eine Therapie wirkt, lässt sich durch die eigenen Gedanken und Erwartungen beeinflussen. Dieses Buch versammelt therapeutische Geschichten, die Aufmerksamkeit und Gedanken in eine neue Richtung lenken. Dadurch unterstützen sie Heilprozesse des Körpers. Märchen, Alltagsanekdoten mit ungewöhnlichen Pointen, Entspannungsanleitungen und Imaginationen lassen die LeserInnen und HörerInnen wie in einer Trance positive Veränderungen erkennen und erleben. So können quälende Leiden gemildert und Symptome abgeschwächt werden.
Autoren/Hrsg.
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Geschichten als Heilmittel? Das ist nun schon so lange her und könnte doch auch gerade gestern geschehen sein. Eines Abends, kurz vor Geschäftsschluss, betrat eine Frau, sichtlich leidend, eine Apotheke und verlangte nach einem Medikament. Die benötigte Mixtur war verschreibungspflichtig, und die Frau hatte kein Rezept dafür. Der Apotheker durfte ihr das Mittel nicht geben. Er überlegte: Der Weg zum nächsten Arzt war weit. Am selben Tag würde sie das nötige Rezept nicht mehr bekommen, und bis zum nächsten Tag würde sich ihr Zustand wahrscheinlich verschlechtern. Was sollte er tun? „Einen Augenblick!“, sagte der Apotheker und ging in sein Labor. Er mischte destilliertes Wasser mit einigen Aromen und etwas Farbstoff, füllte die Mischung in ein kleines Fläschchen ab und schrieb ein paar lateinische Worte darauf. Das Fläschchen überreichte er der Dame mit den Worten, diese Mischung sei besonders stark und müsse genau nach seiner Vorschrift eingenommen werden, drei Mal täglich vor den Mahlzeiten. Eine Woche später betrat die Frau wieder die Apotheke und bedankte sich bei dem Apotheker. Sie sei von ihrem Leiden dank seines hervorragenden Mittels vollständig geheilt. Der Apotheker Émile Coué, von dem hier die Rede ist, hatte in Nancy die damals neue Technik der Hypnose erlernt. Schon bald begriff er, dass kein Pendel, kein Magnet und kein hypnotischer Blick notwendig waren, damit Suggestionen ihre Wirkung entfalteten. Ein Ritual mit einem zauberhaften Augenblick, in den hinein die Suggestion gesprochen wird, war durchaus nützlich, aber es brauchte dafür keine speziell zu erlernende hypnotische Technik. Die gegebenen Suggestionen werden umgesetzt, wenn sie so vermittelt werden, dass sie mit Sinn und Bedeutung gefüllt erscheinen, sodass der Hörer sie für sich als relevant und plausibel empfindet. Nützlich ist es, wenn dieser Augenblick frei von Skepsis ist. Die Hypnotiseure versuchten dies zu erreichen, indem sie ihre Worte in einem schlafähnlichen Zustand gaben, in dem der Patient zur Kritik nicht fähig war. Die kritischen Stimmen des Patienten, die als stillschweigende Gegensuggestionen die heilenden Worte des Hypnotiseurs zu zerreden drohten, können jedoch auch auf vielfältige andere Weise umgangen werden. Coué hatte die Möglichkeit entdeckt, Heilung durch die Gabe eines Placebos zu stimulieren. Eine weitere Möglichkeit, um Suggestionen mit einer gefühlten Plausibilität zu versehen und kritische Einwände zu unterbinden, besteht darin, suggestive Mitteilungen in das Gewand einer Geschichte zu kleiden. Gute Geschichten werden üblicherweise nicht kritisch diskutiert. Auf einen Witz, eine Anekdote oder eine Fabel wird kaum jemand antworten: „Das geht doch gar nicht …“ Vielmehr erlaubt man ihrer Wirkung, sich still im Inneren zu entfalten – wie die Wirkung eines Medikaments. Ein Placebo ist ein Heilmittel ohne Wirksubstanz. Wenn nun gar kein Wirkstoff in dem Mittel enthalten ist, was wirkt denn dann am Placebo? Der Wirkstoff ist die Geschichte, mit der es verabreicht wird, und das vermeintliche Mittel ist lediglich Teil eines Rituals, das der Geschichte Bedeutung verleiht. Das wirkstofflose Mittel sorgt dafür, dass die Geschichte nicht als Bericht aus einer fremden Realität, sondern als Teil der physischen Wirklichkeit des Patienten erlebt wird. Geschichten sind Placebos. Als solche sind sie Heilmittel, … ? … wenn sie mit der subjektiv als echt erlebten Wirklichkeit des Hörers verflochten werden, ? … wenn sie so erzählt werden, dass sie für den Hörer mit Sinn und Bedeutung erfüllt sind, ? … wenn sie eine Hoffnung, eine Such- oder Erwartungshaltung in ihm stimulieren und ? … wenn sie auf ein Anliegen, eine Frage oder ein Bedürfnis des Hörers Bezug nehmen. Wahrhaftig aber sollte niemand die Wirkung von Placebos unterschätzen, denn auch unsere gebräuchlichen Medikamente wirken zu einem großen Teil durch den Placeboeffekt. Bevor Émile Coué die Wirkung von Placebos entdeckte, untersuchte er systematisch die Wirksamkeit von Suggestionen im Alltag. Als Apotheker bemerkte er, dass die Wirksamkeit jedes Medikaments, das er verabreichte, davon abhing, was er den Patienten dazu sagte. Erklärte er, das verabreichte Mittel sei ausgezeichnet und werde schnell wirken, so wurden die Patienten deutlich schneller gesund, als wenn er nichts dazu sagte. Geschichten sind Heilmittel. In der hypnotherapeutischen Arbeit werden sie verwendet, um die unbewussten Bereiche des psychischen und körperlichen Informationsaustauschs zu veranlassen, Menschen zu heilen. Wenn wir mit dem Unbewussten sprechen möchten, mit der Tiefen dimension von Körper und Psyche, ist es gut, wenn wir in seiner Muttersprache mit ihm kommunizieren, das heißt, in der Sprache der Träume. Wer Haustiere hat und sie beim Schlafen beobachtet, weiß, dass auch Tiere Träume haben. Während sie schlafen, können wir an ihren Bewegungen und Lautäußerungen erkennen, dass sie gerade jagen oder kämpfen, sich bedroht fühlen oder fliehen. Die menschliche Sprache hat es möglich gemacht, Träume mitzuteilen, sodass andere unsere Träume teilen. Das geschieht vornehmlich in der Form von Geschichten. Geschichten sind gelenkte Träume. In einer Geschichte teilen wir aber nicht nur Wissen und Lebenserfahrung, sondern auch die Emotionen und Körperreaktionen, die zu der Geschichte gehören. Körpersymptome, die sich aus chronischen und akuten Belastungen heraus entwickelt haben, können aufgelöst werden, wenn wir sie von der Lebensgeschichte, aus der heraus sie entstanden sind, unterscheiden und trennen oder dieser Geschichte eine neue Deutung geben. Diese neue Deutung kann durch einen plausiblen Kommentar gegeben werden, etwa durch die Aufforderung ans Gehirn, das Symptom nicht mehr zu zeigen, wenn sich das Auslöseereignis nicht genauso wiederholt. Sie kann auch in der Sprache der Träume angeboten werden, etwa in der Form einer Metapher, Fabel oder Anekdote. Möchten Sie gern eine Einschätzung gewinnen, wie viele Erkrankungen aus einer Traumatisierung oder anderweitigen existentiellen Belastung entstehen? Sie können das im Selbstexperiment herausfinden. Machen Sie eine Tabelle mit drei Spalten. Schreiben Sie in eine erste Spalte alle Körpersymptome oder Erkrankungen, deren Anfang Sie ungefähr datieren können, in die zweite Spalte den Anfangszeitpunkt. Sie können auch Zeiten der Symptomverschlimmerung oder des Wiederauftretens früherer Symptome mit in die Liste aufnehmen. Wenn Sie denken, das Symptom war „schon immer“ da, schreiben Sie „0 J.“ und verstehen Sie darunter das Embryonalalter, die Geburt und das erste Lebensjahr. Beim Eintrag „0 J.“ überlegen Sie außerdem, ob ein Elternteil (und vielleicht Großelternteil) das Symptom bereits hatte und seit wann. In die dritte Spalte schreiben Sie, welches Ereignis im Umfeld von Lebensbedrohung, Tod, Verlust und Unwillkommensein zu dieser Zeit oder kurz zuvor stattfand, wenn es ein solches gab. Wenn Sie unter Heuschnupfen leiden, überlegen Sie, was zur Jahreszeit dieser Pollen im ersten Jahr des Auftretens oder im Vorjahr stattfand. Dort, wo Sie an eine bestimmte Zeit (nach dem Kleinkindalter) kaum Erinnerungen haben, schreiben Sie: „Lieber vergessen?“ Dort, wo ein Ereignis nur mittelgradig belastend war, aber klare Parallelen zu einem früheren schwer belastenden Ereignis hat, schreiben Sie „Rückverweis auf das Alter von (RAV) …“ Ich vermute: Wahrscheinlich gibt es zu sehr vielen Symptomen in der linken Spalte einen relevanten Eintrag in der rechten. Nun besteht unser Gehirn und Nervensystem nicht aus zwei Netzwerken, einem körperlichen und einem psychischen, sondern aus einem einzigen. Die Unterscheidung von Körper und Psyche entstammt nicht der Biologie, sondern unserer Sprache und Kultur. Die Lebensphilosophie, die unserer Sprache zugrunde liegt, verweist auf die platonische Trennung von Körper und Seele. Sprachen und Kulturen, die ihre Lebensphilosophie aus anderen Quellen beziehen, machen es leichter zu verstehen, dass es nur einen Menschen gibt, der sein eigener Körper ist. Die Selbstregulation unseres Körpers durch Träume endet nicht bei dem, was wir „psychisch“ nennen, bloß weil Platon vor zweieinhalb Jahrtausenden beschlossen hat, der Mensch sei ein Lebewesen, dessen unsterbliche „Psyche“ (griechisch für „Seele“) in einem sterblichen „Soma“ („Leib“) gefangen gehalten werde. Da es ein Mensch ist, den wir lediglich, wenn wir von „Körper“ und „Psyche“ reden, durch zwei unterschiedliche Brillen betrachten, wirken die Geschichten gleichermaßen, egal, ob wir gerade die Körper-Brille oder Seelen-Brille aufgesetzt haben, um das, was wir erleben, zu beschreiben. So wirken therapeutische Geschichten bei Belastungen, die wir als „rein körperlich“ und „nicht psychisch“ beschreiben würden, ebenfalls sehr gut. Nasenbluten kann gestoppt werden, wenn wir uns einen Wasserhahn für das Blut vorstellen und mit der Hand eine Bewegung machen, als ob wir ihn schließen und uns das Körpergefühl und Geräusch dabei vorstellen. Die Wundheilung nach einer Operation kann beschleunigt werden, wenn wir uns einen Film vorstellen, der uns mit einem Blick durch ein Mikroskop im Zeitraffer zeigt, wie die Zellen zusammenwachsen. Die Schmerzen nach einer Verbrühung können reduziert werden, indem wir uns vorstellen, die Haut sei ein Kind, das wir liebevoll in den Armen wiegen und dem wir zur Beruhigung ein Lied singen. ...