E-Book, Deutsch, 228 Seiten
Klöster im aufgeklärten Staat / Monasteri nello Stato illuminato
E-Book, Deutsch, 228 Seiten
Reihe: Geschichte und Region/Storia e regione
ISBN: 978-3-7065-6281-2
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Christentum/Christliche Theologie Allgemein Christentum und Gesellschaft, Kirche und Politik
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Europäische Geschichte Europäische Regional- & Stadtgeschichte
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Christliche Kirchen, Konfessionen, Denominationen Christliche Orden und Vereinigungen, Ordensgeschichte, Mönchstum
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Kirchengeschichte
Weitere Infos & Material
INHALT
Julian Lahner/Maria Teresa Fattori
Editorial / Editoriale
Dennis Schmidt
"Geistliche bürgerliche Gelehrte". Überlegungen zu einem Sozialtypus am Beispiel Innerösterreichs
Julian Lahner
"Quas patimur multas, Te rogo, pelle Cruces!" OrdensgeistlicherWiderstand gegen die Landesherrschaft im josephinischen Tirol
Mario Taccolini
La soppressione di Monasteri e Conventi nella Lombardia del Riformismo illuminato: alcune evidenze storiografiche
Maria Pia Paoli
"Virtù civiche, buona morale e persone ecclesiastiche". Nuovi spunti sulla storia dell'educazione nella Toscana lorenese e sulle "funeste" vicende della Compagnia di Gesù
Katalin Pataki
Monastic Prisons in the Eyes of Ecclesiastical and Secular Authorities
FORUM
Giorgio Mezzalira
Alexander Langer e il suo archivio
Maurizio Cau/Anna Grillini
La mobilità dei trentini tra Otto e Novecento. La mostra Al lavoro! e il progetto Mapping Mobilities
Daniela Salvucci/Elisabeth Tauber/Dorothy L. Zinn
Von Ozeanien nach Oberbozen. Bronislaw Malinowski, der Vater der modernen Ethnographie
Siglinde Clementi
Nicht nur Artemisia Gentileschi. Das Castello del Buonconsiglio widmet der Trentiner Malerin Fede Galizia eine Einzelausstellung – Anmerkungen zu den Lebenswegen frühneuzeitlicher Künstlerinnen
Jessica Reich
"Rinchiudere, costringere, allontanare". Note a margine del workshop internazionale
REZENSIONEN
Martin Knoll/Katharina Scharf, Europäische Regionalgeschichte. Eine Einführung
(Martin Göllnitz)
Ezio Amistadi, Montanari si diventa. Storia di un popolo libero. I Trentini
(Giovanni Kezich)
Oliver Auge, Schleswig-Holstein und die Welt. Globale Bezüge einer Regionalgeschichte
(Marco Meriggi)
Gustav Pfeifer (a cura di), 1317 – Eine Stadt und ihr Recht. Meran im Mittelalter / Una città e il suo diritto. Merano nel Medioevo
(Stefano Malfatti)
Michael Prokosch, Das älteste Bürgerbuch der Stadt Linz (1658–1707). Edition und Auswertung
(Philipp Tolloi)
Jana Osterkamp, Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie. Vormärz bis 1918
(Andreas Gottsmann)
Elisabeth Malleier/Günther Pallaver/Margareth Lanzinger (Hg.), Erbgesund und kinderreich. Südtiroler Umsiedlerfamilien im "Reichsgau Sudetenland"
(Stefan Lechner)
Armin Mutschlechner (Hg.), Mühlbach bei Franzensfeste 1897–1947
(Leo Hillebrand)
Federico Tenca Montini, La Jugoslavia e la questione di Trieste, 1945–1954
(Nicola Tonietto)
Andrea Sommerauer/Hannes Schlosser, Gründerzeiten. Soziale Angebote für Jugendliche in Innsbruck 1970–1990
(Marcel Amoser)
Lene Faust, Neofaschismus in Italien. Politik, Familie, Religion in Rom. Eine Ethnographie
(Elisabeth Tauber)
Editorial
Am 23. Februar 1787 erhielt der Guardian des Haupt- und Mutterklosters der Tiroler Kapuzinerprovinz, P. Firmilian (1731–1803), vom Ober- österreichischen Landesgubernium eine existenzzerstörende Nachricht: „Lieber Geistlicher, wir haben aus erheblichen Ursachen für gut gefunden, Eurer Kloster allhier zu Innsbruck aufzuheben [...]“.1 Die Schließung des Innsbrucker Kapuzinerkonvents reiht sich ein in eine Welle von Klosteraufhebungen innerhalb der Habsburgermonarchie im ausgehenden 18. Jahrhundert. Im Zuge des sogenannten josephinischen Klostersturms fielen insgesamt zwischen 700 und 800 von rund 2000 Klöstern und Stiften innerhalb von nur fünf Jahren von 1782 bis 1787 der staatskirchlich-aufgeklärten Säkularisation zum Opfer.2 Die aufgeklärte Staatsgewalt, oder konkret: der josephinische3 Staat, hatte die Existenzberechtigung der Klöster nicht nur kritisch hinterfragt, sondern das Überleben weiblicher und männlicher Orden an einer aktiven Beteiligung in der Pfarrseelsorge, der Erteilung von Schulunterricht und den Krankenpflegedienst gebunden.4 Staatsbildung, Herrschaftsverdichtung und Bürokratisierung reduzierten die Legitimität der Orden im aufgeklärten Staat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf eine Funktionsebene: den Nutzen für das Gemeinwohl, indirekt den werdenden modernen Staat.5 Diese staatliche Unterordnung wie auch die öffentliche Wahrnehmung der Klöster wurde durch ambivalente Diskurse und Debatten über Klostergeistliche beiderlei Geschlechts in der Aufklärung massiv begünstigt; allen voran durch das polemische Schrifttum gegen Mönche und Nonnen, das noch unzureichend erforscht ist.6 Das Werk Specimen Monachologiae Methodo Linnaeana etwa, das Ignaz von Born (1742–1791) unter dem Pseudonym Joannes Physiophilus 1783 erstveröffentlichte, ist „eine scharfe Satire gegen die katholischen Mönchsorden, die sich dem Leser im Gewand einer zoologischen Abhandlung präsentiert, welche die Mönchsorden als neu entdeckte Tierarten behandelt“.7 In ebendieser Weise präsentiert der erste darin abgedruckte Kupferstich, der ebenso das Cover dieses Heftes ziert, stereotype Erkennungszeichen verschiedener Ordensmännern und frauen, die sich zur öffentlichen Zurschaustellung und Blamage der Mönche und Nonnen wie in der naturwissenschaftlichen Taxonomie des schwedischen Naturvorschers Carl von Linnés (1707–1778) fein säuberlich aufgereiht finden.8 Dass sich Ordensleute aktiv an der Aufklärung beteiligten und sogar zu Fürsprechern des Staates gegen Klöster avancierten, wird in der Forschung oftmals vergessen. Die verdienstvollen Arbeiten von Ulrich L. Lehner und Thomas Wallnig rückten diesen Umstand wieder zurück in das Interessensfeld der frühneuzeitlichen Geschichtswissenschaften.9 Lehner hat in seiner Monographie zur Katholischen Aufklärung eines deutlich herausgearbeitet: Reformfreudige und bereite katholische Autoren und Geistliche existierten sehr wohl,10 wenngleich das Monopol der Geistlichkeit im Erziehungs-, Bildungs- und Wissenschaftssektor seit der Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich zu schwinden begann, was einem bildungspolitischen Umbruch gleichkam.11 Intensiver als in jedem anderen aufgeklärten Land wurde im Aufgeklärten Absolutismus der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert ein breitgefächertes Klosterreformprogramm durchgeführt.12 Die Reformen gestalteten sich in den verschiedenen habsburgischen Regionen durchaus unterschiedlich und sie entwickelten mitunter eigene Dynamiken und Konturen, die das vorliegende Heft thematisiert und untersucht. Im Vordergrund steht die forschungsleitende Frage nach Funktion, Rolle und Reaktion von Klöstern und Stiften und von (Ex-)Mönchen und (Ex-)Nonnen im Spannungsbogen zwischen etatistischem Reformwillen der Wiener Regierung und dem Geschehen vor Ort. Der räumliche Fokus liegt auf Ungarn, Innerösterreich, Tirol, der Lombardei und dem Großherzogtum Toskana. Diese räumliche Ausdifferenzierung trägt zu einer Distanzierung von der ausschließlich aus der Zentralperspektive Wiens wertenden und auf den Wiener Staatsarchivalien beruhenden, traditionellen Kirchen- und Klostergeschichtsschreibung, die in der Vergangenheit allzu sehr dominierte,13 bei und bietet so eine wichtige Erweiterung des Forschungsfeldes. Für die Zusammenschau der Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen habsburgischen Ländern wurde eine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Zugangsweise gewählt: Ein sozialhistorischer Ansatz „ist geprägt von einer Sensibilität für die Wechselwirkung von Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung und nimmt somit religiöse Institutionen [und deren Akteur*innen] nicht nur vor dem Hintergrund ‚der Kirche‘ oder ‚des Staates‘ wahr, sondern im breiteren Kontext gesellschaftlicher Prozesse.“14 Ergänzend werden mithilfe einer wirtschaftshistorisch inspirierten Forschung religiöse Lebensgemeinschaften im Umfeld von Staatsbildung und Finanzwesen betrachtet.15 Dennis Schmidt weist in seiner akteurszentrierten Studie den Sozialtypus des „geistlich bürgerlichen Gelehrten“ in Innerösterreich (Steiermark, Kärnten und Krain) entlang der Untersuchungskategorien „Bürgerlicher“, „Geistlicher“ und „Gelehrter“ nach. Dieser Typus speiste sich meist aus (Ex-)Konventualen der intellektuellen Ordenselite, die, unfreiwillig aus dem Konvent gedrängt, ein „bürgerliches“ Leben einschlagen mussten und sich literarisch-intellektuell der (katholischen) Aufklärung verschrieben. Viele dieser (ordens-)geistlichen Bürger unterstützten die josephinischen Reformen beziehungsweise den aufgeklärten Staat durch ihre publizistische Befürwortung und lebten aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit als Lehrer und Seelsorger der Gesellschaft den josephischen Grundsatz „clerici sunt cives“ vor, weit besser als die meisten der dem Barockkatholizismus verhafteten Weltkleriker das taten. Dass reformfreundliche und -fördernde Regulare eher die Ausnahme denn die Regel bildeten, bestätigt die Studie von Julian Lahner zum ordensgeistlichen Widerstand gegen die aufgeklärte Landesherrschaft im Tirol der 1780er Jahre. Männliche und weibliche (Ex-)Ordensleute drückten mit Hilfe passiver Protestformen (Predigten, Publizistik, Gespräche im Beichtstuhl oder in Gaststätten etc.) ihre tiefsitzende Ablehnung der josephinischen Reformen aus. Der ordensgeistliche Widerstand entschleunigte das Vordringen der aufgeklärten Staatsgewalt in die Sphäre des lokalen Kirchen- und Klosterwesens. (Ex-)Nonnen sind in diesen Umwälzungsprozessen als doppelte Verliererinnen zu bezeichnen: Während Männern der Übertritt in den raren Säkularklerus offenstand und sie so vom Staat das Attribut der Nützlichkeit attestiert bekamen, blieb dieser Schritt den Frauen mangels Ordination verwehrt. Sie verloren damit nicht nur ihre Stellung im Kloster, sondern mussten darüber hinaus im aufgeklärten Staat auch mit der josephinischen Etikettierung „unnütz“ leben. Den wirtschaftlichen Strukturen der Klöster und Konvente in der Lombardei widmet sich der Beitrag von Mario Taccolini. Sie bildeten die Grundlage des regionalen Finanz-, Wohlfahrts- und Produktionssektors, büßten aber im Zuge der Säkularisierung von Männer- und Frauenklöstern im Aufgeklärten Absolutismus diese Funktion ein. Der gewählte Zugriff wertet die historische Forschungsliteratur aus, die in den vergangenen 15 Jahren die staatliche Einziehung von Vermögen kirchlicher Institutionen zu rekonstruieren versucht hat, und kann so zukünftige Forschungslinien aufzeigen. Der Autor zeichnet für die Lombardei ein Gesamtbild der wirtschaftlichen Situation und ordnet die Klosteraufhebungen zum einen in ihren chronologischen Kontext von 1760 bis 1790, dem Zeitraum der maria-theresianischen und josephinischen Reformen, zum anderen in ihren geografischen Kontext ein, Provinz für Provinz. Dadurch kann er eine Gesamtübersicht aller eingezogenen aktiven und passiven Vermögenswerten als auch der Konvertierungen der beschlagnahmten Ressourcen bieten. Die Lombardei als Untersuchungsraum ist von besonderer Relevanz, da dort erstmals in der Habsburgermonarchie anti-klerikale Reformen durchgeführt wurden. Der Beitrag von Maria Pia Paoli thematisiert Debatten rund um Bildungsreformvorschläge in der Toskana unter Großherzog Peter Leopold (1747–1792). In diesen Debatten wurden die traditionellen Erziehungskonzepte von Orden wie Jesuiten, Barnabiten, Piaristen und Somasker in ihrem Wert unterstrichen oder aber heftig kritisiert. Paoli untersucht den Zeitraum vor und nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu 1773, also eine Zeit, in der diese Debatten sich nicht nur um Erziehungsfragen entzündeten, sondern auch um die Natur der Institution, die hinter den Schulen standen, also darum, ob diese staatlich öffentlich oder privatkirchlich sein sollten? Letztlich wurde auch darüber diskutiert, ob der Bildungszugang kostenlos sein sollte oder nicht. Dem Großherzog, der aus dem Haus Habsburg-Lothringen stammte,...