Lafargue | Das Recht auf Faulheit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 122 Seiten

Lafargue Das Recht auf Faulheit

mit einem Essay von Guillaume Paoli
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-88221-176-4
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

mit einem Essay von Guillaume Paoli

E-Book, Deutsch, 122 Seiten

ISBN: 978-3-88221-176-4
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
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Manche Texte wollen nicht so sehr klare Gedanken als vielmehr eine vitale Reaktion auslösen. Es reicht, wenn sich der Leser am nächsten Morgen gegen alle Verpflichtungen dazu entscheidet, im Bett zu bleiben. Ein Klassiker dieser Gattung ist 'Das Recht auf Faulheit', eine vehemente, schwungvolle, satirische Attacke gegen die Arbeitsmoral, die an die Zeitgenossen gerichtet ist und ihre Schärfe dennoch aus zeitlosen Motiven zieht, allen voran das Bild der verkehrten Welt: Auf einmal steht alles auf dem Kopf, die heilige Faulheit wird als neuer Kult zelebriert, die Reichen und Mächtigen werden Schauspieler zur Belustigung der feiernden Massen. Doch wie ratsam es ist, im Lachen innezuhalten und den Reichtum und die unheimliche Aktualität der hinter so viel Witz verborgenen Gedanken aufzuspüren, zeigt Guillaume Paoli in seinem brillanten Essay 'Wider den Ernst des Lebens', der von einem Recht und eben nicht einem Lob der Faulheit spricht - wirklich von Faulheit und nicht von Muße. Diese Neuübersetzung versprüht auch heute noch explosive Funken.

Paul Lafargue, geb. 1842 in Santiago de Cuba, emigrierte 1851 mit seiner Familie nach Frankreich, wo er von Karl Marx, dessen Tochter Laura er später heiratete, seine politische Schulung erhielt. Nach dem Fall der Pariser Kommune ging die Familie bis 1882 ins Exil nach Spanien und England. Im selben Jahr gründete er die erste marxistische Partei Frankreichs. 1911 beging er gemeinsam mit seiner Frau Selbstmord.

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KAPITEL II
Segnungen der Arbeit
Im Jahre 1770 erschien in London eine anonyme Schrift: An essay on trade and commerce.9 Sie erregte zu ihrer Zeit ein gewisses Aufsehen. Ihr Verfasser, ein großer Menschenfreund, erboste sich darüber, dass sich der englische Manufakturpöbel »die fixe Idee in den Kopf gesetzt« hätte, »dass ihm als Engländer durch das Recht der Geburt das Privilegium zukommt, freier und unabhängiger zu sein als das Arbeitervolk in irgendeinem andren Lande von Europa. Nun, diese Idee, soweit sie auf die Tapferkeit unsrer Soldaten einwirkt, mag von einigem Nutzen sein; aber je weniger die Manufakturarbeiter davon haben, desto besser für sie selbst und den Staat. Arbeiter sollten sich nie für unabhängig von ihren Vorgesetzten halten ... Es ist außerordentlich gefährlich, Mobs in einem kommerziellen Staat, wie dem unsrigen, zu encouragieren, wo vielleicht 7 Teile von den 8 der Gesamtbevölkrung Leute mit wenig oder keinem Eigentum sind ... Die Kur wird nicht vollständig sein, bis unsre industriellen Armen sich bescheiden, 6 Tage für dieselbe Summe zu arbeiten, die sie nun in 4 Tagen verdienen.«10 In London predigte man also schon ungefähr hundert Jahre vor Guizot11 die Arbeit als einen Zügel für die edlen menschlichen Leidenschaften. »Je mehr meine Völker arbeiten, umso weniger Laster wird es geben«, schrieb Napoleon am 5. Mai 1807 aus Osterode. »Ich bin die Autorität [...], und ich wäre geneigt zu verfügen, dass man sonntags nach dem Gottesdienst die Läden wieder öffnet und die Arbeiter zu ihrer Beschäftigung zurückschickt.« Um die Faulheit auszurotten und die von ihr bewirkten stolzen und unabhängigen Gefühle zu unterdrücken, schlug der Verfasser des Essay on trade vor, die Armen in ideale Arbeitshäuser (ideal workhouses) einzusperren, die »zu Häusern des Schreckens gemacht werden müssten, in denen man 14 Stunden täglich mit Einbegriff jedoch der passenden Mahlzeiten arbeiten sollte, so dass volle 12 Arbeitsstunden übrig bleiben«.12 Zwölf Arbeitsstunden täglich, das Ideal der Philanthropen und Moralisten des 18. Jahrhunderts. Wie weit sind wir über dieses Nonplusultra hinaus! Die modernen Werkstätten sind ideale Zuchthäuser geworden, in denen man die Arbeitermassen einsperrt und nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen und Kinder zu zwölf- und vierzehnstündiger Zwangsarbeit verdammt!13 Und die Kinder der Helden der Französischen Revolution haben sich durch die Religion der Arbeit so weit herabwürdigen lassen, dass sie nach 1848 das Gesetz, das die Arbeit in den Fabriken auf zwölf Stunden täglich beschränkte, als eine revolutionäre Errungenschaft anerkannten; sie proklamierten das Recht auf Arbeit als ein revolutionäres Prinzip. Schande über das französische Proletariat!14 Nur Sklaven wären einer solchen Erniedrigung fähig gewesen. Zwanzig Jahre kapitalistischer Zivilisation müsste man aufwenden, um einem Griechen der antiken Heldenzeit eine solche Entwürdigung begreiflich zu machen! Und wenn die Leiden der Zwangsarbeit, die Qualen des Hungers zahlreicher als die Heuschrecken der Bibel über das Proletariat hereingebrochen sind, so hat dieses selbst sie heraufbeschworen. Diese Arbeit, nach der die Arbeiter im Juni 1848 mit den Waffen in der Hand verlangten, haben sie ihrer Familie aufgezwungen; sie haben ihre Frauen und Kinder den Industriebaronen ausgeliefert. Mit eigener Hand haben sie ihre häuslichen Herde zerstört, mit eigener Hand die Brüste ihrer Frauen trockengelegt. Diese unglücklichen, schwangeren oder stillenden Frauen mussten in die Bergwerke und Fabriken gehen, wo sie den Rücken krümmten und ihre Nerven zerrütteten. Mit eigener Hand haben sie das Leben und die Kraft ihrer Kinder zerstört. — Schande über die Proletarier! Wo sind jene Gevatterinnen mit frechem Mundwerk und frischer Offenherzigkeit geblieben, die die göttliche Flasche liebten und von denen unsere alten Verserzählungen und Märchen berichten? Wo sind die lustigen Weiber hin, die immer herumtrippelten, immer etwas kochten, immer sangen, immer Leben aussäten, indem sie Freude brachten und gesunde und kräftige Kinder ohne Schmerzen gebaren? ... Heute haben wir Fabrikmädchen und -frauen, verkümmerte Blumen mit blassem Teint, trübem Blut, zerrüttetem Magen und erschlafften Gliedmaßen! ... Nie haben sie ein gesundes Vergnügen kennengelernt, und sie werden nicht lustig erzählen können, wie man sie erobert hat. – Und die Kinder? Zwölf Stunden Arbeit für die Kinder. O Elend! – Aber alle Jules Simons15 von der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften, alle jesuitischen Germinys16 hätten kein den Geist der Kinder schlimmer verdummendes, ihre Triebe schlimmer verderbendes, ihren Körper schlimmer zerrüttendes Laster ersinnen können als die Arbeit in der verpesteten Atmosphäre der kapitalistischen Werkstätten. Unser Zeitalter ist, wie es heißt, das Jahrhundert der Arbeit; tatsächlich ist es das Jahrhundert des Leids, des Elends und der Verderbnis. Und doch haben die bürgerlichen Philosophen und Ökonomen, vom peinlich konfusen Auguste Comte17 bis zum lächerlich klaren Leroy-Beaulieu,18 und die bürgerlichen Schriftsteller, vom scharlatanhaften romantischen Victor Hugo19 bis zum naiv albernen Paul de Kock,20 samt und sonders ekelerregende Loblieder auf den Gott Fortschritt, den ältesten Sohn der Arbeit, angestimmt. Hört man auf sie, so meint man, das Glück müsse auf Erden herrschen, so sehr fühlt man schon seine Nähe. Sie wandten sich den vergangenen Jahrhunderten zu, durchforschten den Staub und das Elend des Feudalismus, um düstere Bilder heraufzuholen, die als Kontrast zu den Freuden der gegenwärtigen Zeiten dienen sollten. – Wie sie uns gelangweilt haben, diese Gesättigten, diese Zufriedenen, jüngst noch Teil der Dienerschaft der großen Herren, heute fett besoldete Schriftlakaien der Bourgeoisie; haben sie uns nicht gelangweilt mit dem Landmann des Schönredners La Bruyère?21 Nun, wir wollen ihnen das glänzende Bild der proletarischen Genüsse im kapitalistischen Fortschrittsjahr 1840 zeigen, wie es Dr. Villermé, einer der Ihrigen, geschildert hat. Er war Mitglied des Instituts und derselbe, der 1848 zu jenem Kreis von Gelehrten gehörte (Thiers, Cousin,22 Passy,23der Akademiker Blanqui24 waren darunter), die den Massen die Plattheiten der bürgerlichen Ökonomie und Moral beizubringen suchten. Es ist das gewerblich entwickelte Elsass, von dem Dr. Villermé spricht, das Elsass der Kestner und Dollfus, dieser Blüten der Menschenliebe und des industriellen Republikanismus. Aber bevor der Doktor das Bild des proletarischen Elends vor uns ausbreitet, wollen wir erst hören, wie ein elsässischer Fabrikant, Herr Th. Mieg von der Firma Dollfus, Mieg und Cie., die Lage des Handwerkers im alten Gewerbesystem beschreibt: »Vor fünfzig Jahren (1813, als die moderne Maschinenindustrie gerade entstand), waren in Mülhausen alle Arbeiter Kinder des Landes, sie bewohnten die Stadt und die umliegenden Dörfer und hatten fast jeder ein Häuschen und oft ein Stück Land.«25 Das war das Goldene Zeitalter des Arbeiters. Indes, damals hatte die elsässische Industrie noch nicht die Welt mit ihren Baumwollstoffen überschwemmt und ihre Dollfus’ und Koechlins noch nicht zu Millionären gemacht. Aber fünfundzwanzig Jahre später, als Villermé das Elsass besuchte, hatte der moderne Minotaurus, die kapitalistische Fabrik, bereits das Land erobert; in seiner Gier nach menschlicher Arbeit hatte er die Arbeiter aus ihrem Heim gerissen, um sie besser auszupressen und die Arbeit besser aus ihnen herauszuholen. Zu tausenden liefen die Arbeiter dem Pfeifen der Maschine nach. »Eine große Zahl«, sagt Villermé, »fünftausend von siebzehntausend, waren infolge der teuren Mieten gezwungen, sich in den Nachbardörfern einzumieten. Einige wohnten zweieinviertel Wegstunden von der Fabrik entfernt, in der sie arbeiteten. In Mülhausen, in Dornach begann die Arbeit um fünf Uhr morgens und endete um fünf Uhr abends, Sommer wie Winter [...]. Man muss sehen, wie sie jeden Morgen in die Stadt kommen und jeden Abend abmarschieren. Es gibt unter ihnen eine Menge blasser, magerer Frauen, die barfuß durch den Schmutz laufen und, wenn es regnet oder schneit, mangels eines Regenschirms ihre Schürzen oder Unterröcke über den Kopf ziehen, um Hals und Gesicht zu schützen; und eine noch erheblichere Zahl nicht minder schmutziger und abgezehrter junger Kinder, in Lumpen gehüllt, die ganz fettig sind vom Öl der Webstühle, das während der Arbeit auf sie herabtropft. Diese Kinder sind durch ihre undurchlässige Bekleidung besser vor dem Regen geschützt. Sie haben nicht einmal wie die...


Paul Lafargue, geb. 1842 in Santiago de Cuba, emigrierte 1851 mit seiner Familie nach Frankreich, wo er von Karl Marx, dessen Tochter Laura er später heiratete, seine politische Schulung erhielt. Nach dem Fall der Pariser Kommune ging die Familie bis 1882 ins Exil nach Spanien und England. Im selben Jahr gründete er die erste marxistische Partei Frankreichs. 1911 beging er gemeinsam mit seiner Frau Selbstmord.



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