Ladipo | Wende | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 328 Seiten

Ladipo Wende

Roman
2. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7117-5294-9
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 328 Seiten

ISBN: 978-3-7117-5294-9
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



René Hartenstein, ein junger Ostdeutscher, sucht und findet im Westen?sein Glück: Nach dem Jurastudium folgt er seiner Freundin nach Frankfurt und beginnt eine vielversprechende Karriere in der Energieindustrie. Doch dann kommt es in Fukushima zur Kernschmelze und sein bisheriges Leben versinkt in einem Strudel unkontrollierbarer Ereignisse: Deutschland steigt aus der Atomkraft aus, sein engster Kollege bringt sich um, Hartenstein verliert den Job und trifft auf eine genauso undurchsichtige wie attraktive Frau, die alt genug ist, um seine Mutter zu sein. Sie bietet ihm einen Job bei einem Investmentfonds in London an. Hartenstein sagt zu. Es wird für beide ein großartiger, berauschender Sommer. Er badet im Erfolg und gerät zunehmend in den Bann seiner Gönnerin. Neugierig und fasziniert dringt er immer tiefer in ihre Vergangenheit ein. Als er begreift, dass diese mehr birgt als ein schillerndes Stück deutsch-deutscher Geschichte, ist es zu spät. Er stößt auf Geheimnisse der Energiewirtschaft, die noch kein Außenstehender vor ihm überlebt hat. 'Da ist alles drin, toller Spannungsbogen, treffende Personenführung und Charakterisierung, aktuelles Thema, geht ab, fast & furios.' Matthias Matussek 'Spannend und frontal gegen den Mainstream geschrieben.' Hans-Ulrich Jörges, Stern

Eva Ladipo, geboren 1974, studierte in Cambridge Politische Wissenschaften und wurde mit einer Arbeit über das russische Steuersystem promoviert. Begann als Journalistin bei der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung' und arbeitete zuletzt für die 'Financial Times'. Lebte längere Zeit in Russland und Kolumbien und wohnt jetzt mit ihrem Mann und zwei Kindern in London. 'Wende' ist ihr erster Roman.
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KAPITEL 2


Etwa zeitgleich schoss ein phantomschwarzer Audi A6 am Frankfurter Kreuz in die Einfädelspur nach Norden. René Hartenstein drängte nach links, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen. Er war ein Kollege von Martin Jäger und hatte seiner Freundin, die auf dem Beifahrersitz saß, gerade erzählt, dass er entlassen worden war. Die Scheibenwischer wetzten auf Hochtouren über die Windschutzscheibe, doch die Sicht blieb verschwommen. Hinter ihnen hupte ein Fiat. René Hartenstein grüßte über den Rückspiegel und zog mit der anderen Hand über die mittlere Spur auf die linke. »Und dann habe ich Arsch auch noch das Angebot für einen neuen Job abgelehnt.«

»Wieso denn das?« Cosima Wolf hielt die Hände über einem großformatigen Bildband gefaltet, der auf ihrem Schoß lag. Die Nachricht, dass ihr Freund seinen gut bezahlten Job verloren hatte, nahm sie bemerkenswert gelassen auf. Man war versucht, sie für unterkühlt zu halten. Ihre auffallende Erscheinung mit den weißblonden Haaren, den hellen Augen, schmalen Gelenken und langen Gliedmaßen verstärkten diesen irreführenden Eindruck. Doch Cosima Wolf war weder gefühlskalt noch überheblich. Sie war nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Sie besaß ein außerordentliches Maß an Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, in die Absichten anderer Menschen und in das, was man Schicksal nennt. In den zweieinhalb Jahren, in denen sie zusammen waren, hatte René kein einziges Mal erlebt, dass sie Angst gehabt hätte vor dem, was kam. Selbst die zugemüllte Wohnung seiner Eltern hatte sie damals betreten, ohne mit der Wimper zu zucken.

Da er nicht reagierte, und nur weiter düster auf das zerlaufende Rot der Bremslichter vor ihnen starrte, fragte sie nach: »Was denn für ein Angebot?«

»Ich weiß selbst nicht, was plötzlich in mich gefahren ist. Stolz oder so.«

»Wieso Stolz?«

»Es war nie schmeichelhaft, dass der Weigel glaubt, dass ich so werden will wie er. Aber er war nicht davon abzubringen. Er hat die Kündigung ausgesprochen und mich im nächsten Moment gefragt, ob ich mit ihm nach Prag gehen will. Er wechselt in den Vorstand des größten tschechischen Versorgers. Ich glaube, die Art, wie er dabei gegrinst hat, diese Mischung aus Wohlwollen und Überheblichkeit, hat mich gereizt, ihm eine reinzuwürgen.« Der Verkehr wurde zäher. Obwohl es keine Ausweichmöglichkeit gab, blinkte er einen silbernen Geländewagen vor ihnen mit der Lichthupe an und fuhr noch dichter auf. »Was natürlich Quatsch ist, denn der Einzige, dem ich eine reingewürgt habe, bin ich selbst. Ich hätte große Augen machen und Danke sagen sollen. Wenn sich später was Besseres ergibt, kann man immer noch absagen.«

Der BMW-Fahrer tippte sich an die Stirn, als sie an ihm vorbeizogen. René ignorierte ihn. Cosima, die seinen rücksichtslosen Fahrstil gewohnt war, sagte: »Stimmt.«

»Ja, Scheiße.«

»Und jetzt?«

»Jetzt fahren wir zu deiner Mutter, obwohl sie ihren Geburtstag lieber ohne mich feiern würde.«

Cosima schloss die Augen. »Sie mag dich.«

»Klar – ich sie auch.« René warf ihr einen schnellen Blick zu. »Dabei hat Martin Jäger gefragt, ob wir was trinken gehen wollen. Sich als Arbeitsloser volllaufen zu lassen, hätte mir heute mehr Spaß gemacht.«

Cosima klappte das Buch auf ihrem Schoß zu. »Ich meine nicht, was du heute Abend machen willst, sondern –«, sie räusperte sich, »du weißt schon, was ich meine.« Der Verkehr war mittlerweile auch auf der linken Spur zum Erliegen gekommen. Der Wagen bewegte sich nur mehr im Schritttempo durch den niederprasselnden Regen.

»Wovon ich in Zukunft leben will?«

»Ja.«

»Gute Frage.« René Hartenstein fuhr sich über den Mund. Geld verdienen musste er, denn seine Ausgaben waren beträchtlich, und sie zu drosseln schien unmöglich. Dazu war er zu großzügig. Er war der Einzige in seinem erweiterten Familienkreis, der je den Hörsaal einer Universität von innen gesehen hatte. Bislang war er auch der Einzige mit einem guten Job gewesen und stand dementsprechend in der Pflicht. Seine Eltern unterstützte er pro Monat mit tausendfünfhundert Euro. Seinem älteren Bruder half er mit den Unterhaltszahlungen für dessen Tochter und bei den Schulden, die von der Reparaturwerkstatt übrig geblieben waren. Machte noch mal gut tausend im Monat. Wenn sein mittlerer Bruder ihn anpumpte, konnte er schlecht Nein sagen. Dazu kamen die Miete, die Raten für den Wagen, die Wochenendausflüge mit Cosima. Was er als jüngster Firmenanwalt in der Rechtsabteilung von ReAG-Atom verdiente, war am Ende jeden Monats weg. Die Abfindung, die er vorhin ausgehandelt hatte, gab ihm drei Monate, um etwas Neues zu finden.

Hätte er Weigels Angebot angenommen, müsste er sich jetzt keine Sorgen mehr machen. Dann wäre es gelaufen wie bisher. Die Dinge hätten sich von allein entwickelt. Ohne dass er sich besonders ins Zeug gelegt oder großen Ehrgeiz gezeigt hätte, wäre er langsam, von Zufällen, seiner unbestreitbaren Intelligenz, seinem Gassenjungen-Charme und dem Rückenwind seiner bisherigen Erfolge begünstigt, weiter nach oben getrieben.

»Einerseits werden überall auf der Welt neue Atomkraftwerke gebaut«, betrachtete er seinen Marktwert, »da werden Leute mit Erfahrung gebraucht. Außer dem Chef sind angeblich noch zwei andere aus der Abteilung bei ausländischen Versorgern untergekommen.« Er zog die Nase hoch. »Andererseits will ich aber vielleicht gar nicht in der Branche bleiben – und dann wird’s interessant. Ich habe keine Ahnung, wie man als Atomschwein woanders ankommt.«

»Wart’s ab.« Sie lehnte den Kopf zurück und sah ihn nachdenklich von der Seite an. »Wahrscheinlich war es richtig, dass du das Angebot nicht angenommen hast. Es wäre zu bequem gewesen. So kannst du wenigstens mal überlegen, was du eigentlich machen willst.«

Er zuckte die Achseln. »Solange die Kohle stimmt, mache ich alles.«

»Ach was!«

»Doch!«

Sie musste lachen. »Aber wenn du die Wahl hättest –«

Er beschleunigte blitzschnell. Als er rechts ausgeschert war, fuhr sie fort. »Es gibt doch Dinge, mit denen du dich lieber beschäftigst, und Inhalte, die du interessanter findest als andere.«

Er dachte nach, doch ihm fiel nichts ein.

»Im Ernst?«

Er suchte im Rückspiegel nach weiteren Lücken. »Du hast schon immer gewusst, dass du mit Büchern zu tun haben willst – aber bei mir ist das anders.«

»Wovon hast du denn geträumt, als du klein warst?«

Er grinste, doch ihrem beharrlichen Blick nach zu schließen, den er von der Seite spürte, schien sie die Frage durchaus ernst zu meinen. »Hör zu«, sagte er schließlich. »Da, wo ich herkomme, arbeitet man nicht, um sich selbst zu verwirklichen, sondern um über die Runden zu kommen. Und bei der ReAG musste ich dafür weder acht Stunden am Stück am Fließband stehen noch mir einen Bruch auf dem Bau heben oder Wochenendschichten an der Kasse schieben. So gesehen war es ein Traumjob. Verstehst du?« Er warf ihr einen Blick zu, den sie stirnrunzelnd erwiderte.

»Und warum willst du dann auf keinen Fall so werden wie dein Abteilungsleiter?«

»Wie der Weigel?«

Sie nickte.

»Das hat nichts mit Inhalten zu tun«, wehrte er ab und wechselte wieder nach links.

»Sondern?«

»Mich stört nicht, was er macht, sondern nur, wie er darin aufgeht. Er arbeitet sich halb tot, weil er nicht weiß, was er sonst machen soll, hält sich für den Allergrößten, weil er Abteilungsleiter ist, und küsst den Boden unter den Füßen des Vorstands.«

»Er lebt eben für den Job.«

»Und das wird dann Selbstverwirklichung genannt.« Er schüttelte grinsend den Kopf. »Genial, wie sie das hinbekommen haben. Die totale Ausbeutung heißt jetzt Selbstverwirklichung. So tut es nicht mal weh.«

Durch den Regenschleier tauchte vor ihnen die Abfahrt nach Bad Homburg auf. René drosselte das Tempo. Sein Verhältnis zu Cosimas Mutter gestaltete sich zunehmend schwierig, und die Neuigkeit, dass er keinen Job mehr hatte, würde die Situation nicht erleichtern. Zu Beginn hatte sie ihn für eine exotische Abwechslung gehalten und auch ihn hatte die Fremdheit an ihr gereizt. Genauso neugierig wie sie ihn über die Zustände drüben, die Arbeitslosigkeit und Unterbevölkerung und die Missgriffe seiner Brüder ausgefragt hatte, war René im Schritttempo durchs Bad...


Eva Ladipo, geboren 1974, studierte in Cambridge Politische Wissenschaften und wurde mit einer Arbeit über das russische Steuersystem promoviert. Begann als Journalistin bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und arbeitete zuletzt für die "Financial Times". Lebte längere Zeit in Russland und Kolumbien und wohnt jetzt mit ihrem Mann und zwei Kindern in London. "Wende" ist ihr erster Roman.



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