Lackner | Als Schnitzler mit dem Kanzler stritt | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Lackner Als Schnitzler mit dem Kanzler stritt

Eine politische Kulturgeschichte Österreichs
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8000-8065-6
Verlag: Carl Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine politische Kulturgeschichte Österreichs

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-8000-8065-6
Verlag: Carl Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kunst im Spannungsfeld zwischen Freiheit - Politik - Publikum Wie Rechtsradikale wegen Schnitzlers 'Reigen' die Wiener Kammerspiele verwüsteten - warum die Kirche wegen eines Besuchs von Josephine Baker Bußgottesdienste veranstaltete - warum Österreichs Regierung 1933 die Bücherverbrennung in Deutschland bejubelte - wie Stefan Zweig aus Österreich vertrieben wurde - welche Autoren schon früh zu den Nazis überliefen - wer das miefige Kulturklima der Nachkriegsjahre zu verantworten hatte - wie Valie Export, Hermann Nitsch, Peter Turrini und viele andere um ihr Werk kämpfen mussten. Herbert Lackner beschreibt in seinem neuen Buch das Ringen von Autor:innen, Musiker:innen und Künstler:innen um ihre Freiheit - eine politische Kulturgeschichte Österreichs. ·         Theaterskandal um Schnitzlers 'Reigen' ·         Verbot des Kinofilms 'Im Westen nichts Neues' 1931 ·         Bücherverbrennungen im Dritten Reich ·         Kampf gegen den Wiener Aktionismus ·         Proteste gegen die 'Alpensaga' ·         Wirbel um die 'Heldenplatz'-Uraufführung im Burgtheater ·         u. v. m.

Dr. Herbert Lackner, geboren in Wien, studierte Politikwissenschaft und Publizistik, war stellvertretender Chefredakteur der 'Arbeiter-Zeitung' und danach 23 Jahre lang Chefredakteur des Nachrichtenmagazins 'profil'. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Beiträge in 'profil' und 'Die Zeit'. Bereits bei Ueberreuter erschienen: 'Die Flucht der Dichter und Denker' (2017), 'Als die Nacht sich senkte' (2019), 'Rückkehr in die fremde Heimat' (2021) und 'Die Medizin und Ihre Feinde' (2022). Für 'Die Flucht der Dichter und Denker' erhielt er 2017 der Bruno-Kreisky- Preis (Sonderpreis) für das politische Buch. Herbert Lackner lebt in Wien.
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Kapitel 1


„DAS GESINDEL TOBT“


In Wien kommt es 1921 wegen Arthur Schnitzlers „Reigen“ zu antisemitischen Exzessen: Demonstranten zertrümmern die Kammerspiele und wollen Judengeschäfte in der Leopoldstadt stürmen. Der Staat stellt sich auf die Seite der Rechten.

Er hatte Ähnliches ja befürchtet, aber jetzt, da mit Stinkbomben, Stöcken und Schlagringen bewaffnete Randalierer die Kammerspiele in der Wiener Rotenturmstraße zertrümmern, ist Arthur Schnitzler (1862–1931) fassungslos. Er war selbst im Theater und ist dem Mob nur mit Mühe durch einen Hinterausgang entkommen.

Am späten Abend jenes 16. Februar 1921, an dem christlich-soziale und deutschnationale Schläger die Vorstellung seines Stücks „Der Reigen“ gestürmt haben, sitzt der 58-jährige Schnitzler immer noch aufgewühlt in seiner Villa in der Sternwartestraße im Wiener Bezirk Währing und notiert im Tagebuch das Geschehene: „Lärm, Garderobiere stürmt herein, weinend. Geschrei, Toben, Brüllen. Ein paar hundert sind eingedrungen, attackieren die Besucher, Publikum flieht, wird insultiert, das Publikum flieht auf die Bühne. Bänke und Sessel aus den Logen heruntergeworfen. Das Gesindel tobt.“

Der Sturm auf das Theater ist die fast logische Zuspitzung eines Ringens, in dem es um mehr geht als um ein freizügiges Theaterstück: Es ist das Wetterleuchten vor einem katastrophalen Unwetter, das sich mehr als ein Jahrzehnt lang zusammenbrauen wird, um sich danach umso gnadenloser zu entladen.

Geschrieben hat Schnitzler diesen „Reigen“ schon 1897. Er wollte darin die verlogene Moral der Wiener Fin-de-Siècle-Society vorführen, die Durchlässigkeit dieser dünkelhaften Klassengesellschaft aufzeigen, was das kleine „Pantscherl“ betrifft.

Als Mittdreißiger mit ständig wechselnden Liebschaften lebte Arthur Schnitzler damals mit seiner Mutter in der Frankgasse Hausnummer 12, neben dem Allgemeinen Krankenhaus am Wiener Alsergrund, und eröffnete gerade eine eigene Arztpraxis. Sein Vater, ein bekannter Kehlkopfspezialist, als dessen Assistent er in der Poliklinik gearbeitet hatte, war kurz zuvor gestorben.

Schnitzler, ein ansehnlicher junger Herr, war begabt und neben dem Arztberuf als Theaterautor durchaus erfolgreich: Sein Einakter-Zyklus „Anatol“ stand an mehreren deutschen Bühnen auf dem Programmzettel, das Schauspiel „Liebelei“ hatte 1895 gar am neuen Wiener Burgtheater am Ring Premiere.

An Wochenenden zog Schnitzler in jener Zeit um die Jahrhundertwende gern mit seinen Freunden Hugo von Hofmannsthal und Felix Salten durch den Prater, für ihn ein Stück Heimat – er wurde in der Praterstraße geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre hier. Nach einem dieser Streifzüge zwischen den Buden und Wirtshäusern des Wurstelpraters schrieb er seiner eifersüchtigen Geliebten, der berühmten Burgschauspielerin Adele Sandrock: „Haben wahnsinnig gedraht, sind nämlich im Schweizerhaus gesessen, haben Backhendln mit Gurkensalat und Salami gegessen und sind dann – bitte nicht verhöhnen – auf der Rutschbahn gefahren. Dabei ereignete sich auch nicht das geringste Stubenmädchen und alle Backen blieben ungekniffen (du bist erstaunt? Ich begreife das).“ Die ebenfalls recht lebenslustige Sandrock nannte den feschen Schnitzler in trauten Briefen oft „Oh, du süßes Menschenfleisch“.

Es waren diese großartigen Jahre, in denen ihm die Idee zum „Reigen“ kam. Die Handlung: Bei der Augartenbrücke am Donaukanal schleppt die Dirne den Soldaten ab, in der nächsten Szene treibt es der Soldat im Prater mit dem Dienstmädchen, das danach mit dem jungen Herrn auf den Diwan geht. Der junge Herr überredet die verheiratete Emma, Emma wohnt ihrem Gatten bei, der Gatte geht mit dem süßen Mädel fremd. Das süße Mädel gibt sich dem Dichter hin, der verbringt ein Wochenende mit der Schauspielerin, die Schauspielerin zieht den Grafen ins Bett, schließlich geht der Graf mit der Dirne bei der Augartenbrücke ins Hotel.

Der Reigen ist geschlossen.

Das alles spielt sich natürlich nur in Form von Dialogen ab, obwohl der Text gar nicht für eine szenische Aufführung geschrieben wurde. Schnitzler ließ auf eigene Kosten 200 Exemplare drucken, um sie bei bestimmten Anlässen als Geschenk an gute Freunde zu verteilen. An eine Veröffentlichung dachte er nicht.

Das Büchlein gefiel.

1903 bot sich der kleine „Wiener Verlag“ Schnitzler als Partner an, der sagte zu.

In Deutschland wurde das in überschaubarer Auflage gedruckte Buch sofort verboten, das trieb die Nachfrage hoch: Das Publikum erwartete sich nun besonders heiße Ware, wenngleich der „Reigen“ mit Pornografie im heutigen Wortgebrauch absolut nichts zu tun hatte. Die Aufregung stieg noch, als Schnitzlers Freund und Autorenkollege Hermann Bahr eine szenische Aufführung des „Reigen“ im Bösendorfer Saal in der Wiener Herrengasse plante. Die kaiserliche Polizei schritt umgehend ein.

Schnitzlers Verleger hatte inzwischen bereits 30.000 Exemplare der Buchversion verkauft. Im Jahr danach, 1906, brachte er mit „Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt“ tatsächlich scharfe Ware heraus – im limitierten „Privatdruck“ versteht sich, es gab nur tausend nummerierte Exemplare. Autor der schlüpfrigen Delikatesse war angeblich – Experten bezweifeln es – Schnitzlers Freund Felix Salten.

Auch Böswillige waren nun auf Arthur Schnitzler aufmerksam geworden. War das nicht der Kerl, der mit seinem „Leutnant Gustl“ den Ehrenkodex der Armee verspottet hatte? Ist das nicht jener Schnitzler, dessen Stück „Professor Bernardi“ zu Recht sofort verboten wurde: Ein jüdischer Arzt, der einer heiter Sterbenden die letzte Ölung verweigert, um ihr die Todesangst zu ersparen – jüdisches Machwerk ist so etwas! Und war nicht auch sein Verleger ein Jude?

Premieren von Schnitzler-Stücken wurden mancherorts schon seit einiger Zeit hasserfüllt kommentiert. Nach der Uraufführung von „Das weite Land“ hieß es 1911 in der katholischen Tageszeitung „Salzburger Chronik“: „Ach nein, dieser Schnitzlersche Hausherrensohn heißt ja gar nicht Hofrichter, sein Vater hat sicherlich Kohn oder Levi oder Teitelbaum geheißen und die ganze Gesellschaft des Weiten Land‘ besteht aus Wiener Salzgries- und Roßau-Juden, denen der dichtende Stammesgenosse arisch-deutsche Namen gegeben hat, um sie wenigstens für den ersten Blick der Theaterbesucher unkenntlich zu machen.“

Vielleicht war mit dem Vergehen der Monarchie auch ein neues Denken eingekehrt, hoffte Schnitzler nach dem Ende des Weltkriegs; die kaiserliche Sittlichkeitskommission gab es nun ja nicht mehr. Aber war die Macht der Zensur endgültig gebrochen? Angeregt von Regisseur Max Reinhardt überlegte er jetzt, den „Reigen“ als Dialogstück auf eine Bühne zu bringen. Aber Schnitzler hatte falsch kalkuliert – das Denken hatte sich nicht geändert und wenn, dann nicht selten zum Übleren.

Im Dezember 1918 etwa gab der Vorsitzende der christlichen Arbeiterbewegung, Leopold Kunschak (1871–1953), die Losung aus, die Schuld an der Niederlage im Krieg sei auf die Raffgier der Juden zurückzuführen. „Und die Juden wissen: Wenn das Volk dazu kommt, diese Abrechnung vorzubereiten, so wird für sie ein Urteilsspruch erwachsen, vor dem ihnen grauen muß“, donnerte Kunschak am Parteitag der Christlichsozialen. Im Wiener Gemeinderat forderte er die sofortige Abschiebung aller während der Kriegsereignisse aus den ehemaligen Kronländern zugewanderten Juden: „Man kann ruhig die Behauptung aufstellen: Die Juden sind nicht nur die Not, sondern auch die Seuche unserer Zeit.“

Später, 1945, wurde Leopold Kunschak, nun ÖVP, 74-jährig erster Nationalratspräsident der Zweiten Republik und blieb es bis zu seinem Tod acht Jahre später. Bis 2016 war ein Journalistenpreis nach ihm benannt, seither heißt die Auszeichnung „Alois-Mock-Preis“.

Die Christlichsozialen waren neben den weit kleineren deutschnationalen Parteien die Bannerträger des Antisemitismus, und Bürgermeister Karl Lueger war längst nicht der radikalste. Wer ein „Jud“ war, wollte er bekanntlich selbst bestimmen.

Noch unterschied sich dieser „christliche“ Antisemitismus, der das Judentum an der Religion festmachte, vom Rassen-Antisemitismus, wie ihn ab den 1880er-Jahren der niederösterreichische Gutsherr und Politiker Georg von Schönerer vertreten hatte. Einer von Schönerers Leitsprüchen definierte den Unterschied: „Die Religion ist einerlei/ im Blute liegt die Schweinerei.“ Auch längst zu einer anderen Religion übergetretene Juden seien deshalb immer noch Juden.

So sahen es später...


Lackner, Herbert
Dr. Herbert Lackner, geboren in Wien, studierte Politikwissenschaft und Publizistik, war stellvertretender Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“ und danach 23 Jahre lang Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „profil“. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Beiträge in „profil” und „Die Zeit“. Bereits bei Ueberreuter erschienen: „Die Flucht der Dichter und Denker“ (2017), „Als die Nacht sich senkte“ (2019), „Rückkehr in die fremde Heimat“ (2021) und „Die Medizin und Ihre Feinde“ (2022). Für „Die Flucht der Dichter und Denker“ erhielt er 2017 der Bruno-Kreisky- Preis (Sonderpreis) für das politische Buch. Herbert Lackner lebt in Wien.

Dr. Herbert Lackner, geboren in Wien, studierte Politikwissenschaft und Publizistik, war stellvertretender Chefredakteur der Arbeiter Zeitung und danach 23 Jahre lang Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Profil. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Beiträge, unter anderem im Profil und Die Zeit



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