Lackmann | Die Punkte nach dem Schlussstrich | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Lackmann Die Punkte nach dem Schlussstrich

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8437-1259-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1259-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ich wollte Apollo unbedingt lieben. 'Ich liebe dich.' Apollo sagte nichts. Nur ein leises, zartes Männerseufzen, das mich wie ein Soundtrack durch mein ganzes Leben begleiten würde. Plötzlich fing es in meinem Bauch an zu flattern. Keine Schmetterlinge, sondern Motten. Giftige, riesige Motten taumelten kopflos in meinem Magen. Solche, die mit ihrem Urin Löcher in Autolack brennen. Weil ich den Unterschied zwischen Motten und Schmetterlingen im Bauch nicht kannte, hielt ich diese Angst aus Versehen für die echte große Liebe. Für die Berufsfreundin Luzy sind Männer der Mittelpunkt ihrer Welt. Auch wenn es ihr gar nicht passt: Sie kann nicht alleine sein. Also, in einem Raum geht das schon, aber ohne einen Freund im Leben wird es schwierig. Bislang konnte Luzy sich immer retten. Wenn das Beziehungsende nahte, suchte sie sich rechtzeitig den Nächsten. Apollo, Peter, Jonas. Von einem zum anderen wie der Affe im Dschungel. Sie investiert all ihre Energie in den Erhalt der oft nicht einfachen Beziehungen mit Männern, die sich so flüchtig verhalten wie Edelgase. Aber plötzlich geht etwas schief, und Luzys Putzerfisch-Verhalten kann ihre Trennungsangst nicht mehr kaschieren. Sie flippt aus. Im Streit bricht sie Jonas den Arm und muss fortan 100 Meter Abstand zu ihm wahren. Mit Liebeskummer im Herzen und einem Entfernungsmesser in der Hand stellt sie fest, dass sich etwas ändern muss, denn von aufrichtiger Liebe versteht sie nichts. Mit Illustrationen von Laura Tonke 'Talentbombe im Buch explodiert.' Katja Riemann 'Kein Buch für Männer, ich liebe es.' Christian Ulmen

Laura Lackmann, geboren 1979 in Berlin, hat an der New-York-Filmakademie und der dffb Berlin Regie studiert. Sie ist als Drehbuchautorin und Regisseurin tätig. Ihr Regiedebüt absolvierte sie mit der Verfilmung des Romans 'Mängelexemplar' von Sarah Kuttner. Sie arbeitete als Co-Autorin an der Fernsehserie 'Blochin' von Matthias Glasner mit. Zurzeit arbeitet sie an ihrem nächsten Kinofilm, 'Die sachliche Romanze'.
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Auch Apollo musste auf dem Heimweg spucken.

Ich war froh darüber, denn die Nacht war ein Erfolg, und ich konnte ihm wie sonst meiner Freundin Sophie die Haare halten.

Apollos Haare waren lang und braun und ein bisschen struppig. Ich fand das ganz toll.

Nicht weil es mir aus optischen Gründen gefallen hätte, sondern weil er offensichtlich niemand hatte, der sie ihm kämmte.

Er war verwahrlost und brauchte dringend jemanden, der sich um ihn kümmerte.

Apollo wohnte im Wedding, in dem ich bisher noch nie gewesen war, denn ich kam aus dem reichen Grunewald. Der aus Verzweiflung von den uncoolen jugendlichen Einwohnern »G.WOOD« genannt wurde.

Alles außer Wilmersdorf, Charlottenburg und Zehlendorf war für uns Ausland.

Randgebiete wie Kreuzberg waren endlos weit weg, vor allem weil man nur einen einzigen Bus zur Verfügung hatte, um in die Stadt zu kommen. Einen, der nur bis 21 Uhr fuhr. Ab da gab es so eine Art Ersatzverkehr, der am Wochenende alle zwei Stunden kam und aus einem VW-Bus mit schlechtgelauntem Fahrer bestand. Für so einen Doppelstockbusfahrer war das Downgrade auf VW-Bus sicher schlimm.

»Fahren Sie auch in den Wedding?«

»Seh ich aus wie ein Taxi?«

Eigentlich ja.

Der Grunewald war nach 21 Uhr ein unerreichbares Dorf. Dass Berlin in Ost und West geteilt war, wurde mir erst bewusst, als die Mauer fiel und meine Mutter ein kleines Stück davon an ihren Mantel pinnte. Dann kamen nach und nach immer mehr Steine ins Haus, denn meine Eltern zogen eine Wand in die Villa ein, um nicht mehr miteinander leben zu müssen. Damals war ich zehn, natürlich dachte ich, dass diese beiden Ereignisse – der Mauerfall und der darauffolgende Mauerbau bei uns zu Hause – in direktem Zusammenhang standen.

Wedding war wild. Und es wurde noch besser, denn Apollo lebte in einem Hochhaus. Kein Altbau, kein Garten. Ganz, ganz oben, in einer Zweizimmerwohnung allein mit seiner Mutter.

Die Wohnung war so klein, dass nur er ein eigenes Zimmer hatte, seine Mutter schlief im Wohnzimmer auf dem Ausklappbett. Ein Bett, das bei Bedarf aus der Schrankwand gezogen wurde, weil sonst kein Platz dafür dagewesen wäre. Ein Bett für eine einzige Person.

Ich fand es irre unheimlich bei Apollo. Und so wirklich, dass mir schwindelig wurde.

Klar, eigentlich war es ein ganz normales Jungszimmer wie bei uns im Grunewald. Es enthielt entsprechende Items wie Jack-Daniels-Flaschen, mit Cannabisblättern bedruckte Gegenstände und selbstgezeichnete Comics. Die Requisiten sollten den Raum in Richtung »erwachsener, düsterer, verwahrloster Jugendlicher« aufpeppen. Aber Apollos Zimmer war nicht gestylt, sondern echt, denn man konnte nirgends einen Fehler in der Kulisse erkennen.

Bei den Jungs aus meiner Klasse war mit Sicherheit irgendwo eine Alfpuppe auf dem Schrank versteckt, die den schönen Schein sofort zusammenbrechen ließ, wenn man sie entdeckte.

Hier war das nicht so. Apollo hatte nicht den Schreibtisch beklebt und zerkratzt, um ihn weniger teuer aussehen zu lassen, seiner war einfach oll.

Apollo holte eine Flasche Hohes C aus dem Kühlschrank, während ich mich schon mal in sein Bett legte. Bis hierher hatten wir kaum gesprochen. »Kommste mit zu mir? Ick wohn im Wedding.«

»O. k.«

Ausgezogen hab ich mich nicht. Bisher hatte ich mich für den Richtigen aufgehoben. Das machte man so, besonders wenn man so eine freizügige Mutter wie ich hatte.

Meine Mutter hatte die »Liebesfilme« zwar an den Nagel gehängt, aber sie war das Testimonial einer großen Sexshopkette geworden. Lasziv auf der Seite liegend, warb meine Mutter mit goldenen Sternchen auf den Brüsten von jeder Litfaßsäule für das Sexyland.

Mir war Geschlechtsverkehr peinlich, deswegen nahm ich vor allen Gesprächen, die sich in Richtung Aufklärung entwickelten, Reißaus.

»Aber Luzy, willst du nicht wissen, was Petting ist?« »Danke, nein!«

Keiner hatte es mir direkt ins Gesicht gesagt, aber in meinem Kopf stand, inspiriert von der Bravo Girl und mit Ausrufungszeichen markiert: Sex ist etwas ganz Besonderes! Und: Sex ist nur schön, wenn man sich liebt!

Ich hatte wenig bis keine Erfahrung. Meine bisherigen sexuellen Erlebnisse waren durch Stoff hindurch passiert. Man rieb Geschlechtsteile, die unter der Jeans erst steif und dann nass wurden. Deswegen hatte ich berechtigterweise ein bisschen Angst, dass, wenn die Stoffbarriere weg ist, der Penis von Apollo einfach automatisch in mich reinfahren würde. Hatte ein Pimmel Muskeln oder Gelenke? Möglich.

Aber Apollo – plus Schwanz – war schon eingeschlafen.

Ich betrachtete den blassen Jungen neben mir, der mein Freund werden sollte. Unter seiner Nase kringelte sich ein Haar, aus einer entzündeten Pore, das später mal ein Bart werden würde, wie ich hoffte.

Rührung packte mich, aber mehr darüber, dass ich nun endlich im Begriff war, mich selbst in einen Erwachsenen zu entwickeln.

»Ich bin Luzy«, erklärte ich Apollo feierlich. Ich nahm ihn in den Arm, hielt ihn fest, ganz fest, und beschloss, ihn nie wieder loszulassen.

Als ich morgens aufwachte, hatte er es irgendwie geschafft, sich loszumachen. Es glich demselben Zaubertrick, mit dem sich meine Mutter, als ich klein war, aus meiner Umklammerung lösen konnte, um meinem Vater auf die Couch hinterherzuziehen, ohne dass ich es mitbekam. Egal wie fest ich sie beim Einschlafen festhielt, wenn ich aufwachte, war sie aus dem Bett verschwunden.

Apollo saß an seinem Schreibtisch, zeichnete ein Pentagramm und rauchte.

»Meine Mutter macht uns Rührei.« Das war der erste richtige, nüchterne Satz, den er an mich richtete.

Stellvertretend für ein Gespräch mit ihm, sprach ich mit seiner Mutter, während er danebensaß und Ei in sich reinschaufelte.

Bini, so hieß sie, schien sich um einiges mehr für mich zu interessieren als ihr Sohn. Sie hatte einfach ein volles Tablett mit Frühstück ins Zimmer getragen und sich schnaufend zu uns ins Bett gesetzt. Mitten rein. Sie war dick und trotzdem unweiblich. Haare kurz geschnitten, ihre Augen müde.

Ihr Anblick war ein einziger Vorwurf. »Apollo, mein Sohn, sieh her, wie müde ich bin. Ich hab keine Zeit für lange Haare. Ich hab nicht das Glück wie Lizzy Lollipop, deren Muschi ihr den Vorruhestand gesichert hat, mir jeden Abend die platinblonde Mähne mit den von Frauenzeitschriften geforderten hundert Bürstenstrichen gesund und geschmeidig zu halten.« »Bini, jetzt hören Sie mal zu. Das Geld meines Mannes ist ein Fluch …« »Sei still, Mama, hier ist eine Frau, die sich die Hände wund arbeitet, um ihren Sohn durchzubringen!«

Bini steckte sich, zwischen uns sitzend, eine Zigarette an. Sie stellte Fragen, und ich erzählte von mir. Weil Apollo selber nichts wissen wollte, konnte ich ihm so trotzdem, durch das Gespräch mit seiner Mutter, Informationen zukommen lassen.

Also war ich bemüht, das zu erzählen, was Apollo meiner Meinung nach von mir begeistern müsste.

Das hatte mit meinem wirklichen Leben nicht so viel zu tun. Ich log. Aber wirkliches Lügen war es nicht. Ich stellte lediglich das echte Gefühl, das ich hatte, in eine Lebenssituation, die dazu passte. Denn mir selber kam damals alles normal vor.

So ist das mit dem, was man täglich sieht, man kennt es eben und nimmt es nicht wahr. Und fragt einen jemand, welche Farbe der Wohnzimmerteppich hat, weiß man nicht mal, ob da überhaupt jemals einer gelegen hat. Dass unter unserem pompösen Villendach alles durcheinander war, konnte man nur als Außenstehender sehen.

Zu Apollos Zeiten lebten meine Eltern längst getrennt, aber in derselben Villa, in zwei Wohnungen, allerdings ohne Verbindungstüren. Die große Doppeltür, die Speisezimmer und Wohnzimmer getrennt hatte, wurde irgendwann nach Tschernobyl und Mauerfall dichtgemacht.

Prächtig war es in dem alten Haus nie gewesen, denn als hippiesken Neureichen war es meinen Eltern nicht gegeben, das Haus seiner Beschaffenheit nach entsprechend geschmackvoll auszustatten.

Die Hälfte meines Vaters wurde »drüben« genannt, denn man war meist »hier«, das war bei meiner Mutter. Ich selber lebte »unten« im Souterrain. Nicht weil ich abgeschoben wurde, also zumindest oberflächlich nicht, sondern weil der Keller einen eigenen Eingang hatte. Auf diese Art war auch ich gerecht aufgeteilt worden, denn ich wohnte bei keinem richtig.

»Die Luzy hat ihr eigenes Reich.« Betonte meine Mutter stolz vor anderen und beschönigte meine Einsamkeit zur Unabhängigkeit.

Um Stress aus dem Weg zu gehen, hatte jeder von uns seinen eigenen Telefonanschluss mit eigener Nummer. 23 Pfennig Flatrate pro Gespräch. So war das damals.

Ich lernte früh, dass man anrief und sich anmeldete, bevor man ungefragt zu Besuch kam. So konnten meine Eltern sicher sein, dass sie sich »in meinem Reich« nicht zufällig über den Weg liefen. Alles war geregelt. »Hallo, Luzy, ist Papa da?«

»Nein.« Denn Papa war so gut wie nie da.

»O. k., ich komm gleich.«

»Drüben« bei meinem Vater war ein Atelier mit Küche und Bad. Die Leinwände standen achtlos in der Gegend herum und schachtelten die Räume in sich wie ein Labyrinth.

»Wo ist das Klo?«

»Zweimal blau, dann links bei dem grünen Quaderhahn …« Der ganz normale grüne Quaderhahn war eine Skulptur. Kurz hatte er sich daran versucht. Deswegen war auch nicht klar, ob die Schlinge, die von der Decke baumelte, auch zur Kunst dazu gehörte.

»Drüben« war es nicht wohnlich, weil mein Vater nicht leben wollte.

Meine Mutter hatte ihren Teil der...


Tonke, Laura
Laura Tonke, geboren 1975 in Berlin und dort aufgewachsen, gab mit 16 Jahren ihr Spielfilmdebüt in dem Film Ostkreuz von Michael Klier. Seitdem hat sie in über 30 Filmen mitgespielt, unter Regisseuren wie Dominik Graf, Tom Tykwer und Eoin Moore. Laura Tonke erhielt 2000 die "Goldene Kamera" als Beste Nachwuchsschauspielerin. Ihr Talent stellt sie auch als Theaterschauspielerin unter Beweis, u.a. an der Volksbühne Berlin, wo sie mit Frank Castorf zusammenarbeitet.

Lackmann, Laura
Laura Lackmann, geboren 1979 in Berlin, hat an der New-York-Filmakademie und der dffb Berlin Regie studiert. Sie ist als Drehbuchautorin und Regisseurin tätig. Ihr Regiedebüt absolvierte sie mit der Verfilmung des Romans "Mängelexemplar" von Sarah Kuttner. Sie arbeitete als Co-Autorin an der Fernsehserie „Blochin“ von Matthias Glasner mit. Zurzeit arbeitet sie an ihrem nächsten Kinofilm, „Die sachliche Romanze".

Laura Lackmann, geboren 1979 in Berlin, hat an der New-York-Filmakademie und der dffb Berlin Regie studiert. Sie ist als Drehbuchautorin und Regisseurin tätig. Ihr Regiedebut absolvierte sie mit der Verfilmung des Romans "Mängelexemplar" von Sarah Kuttner. Sie arbeitete als Koautorin an der Fernsehserie „Blochin“ von Matthias Glasner mit. Zur Zeit bereitet sie ihren nächsten Kinofilm vor, „Die sachliche Romanze".



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