E-Book, Deutsch, 344 Seiten
Lackerbauer Licht und Schatten - Band 1
2. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7494-8746-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Erzählung aus 100 Jahren deutscher Geschichte
E-Book, Deutsch, 344 Seiten
ISBN: 978-3-7494-8746-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die wechselhafte deutsche Geschichte von der Kaiserzeit, über die beiden Weltkriege, bis in das geteilte Deutschland durchlebt der Leser an der Seite der Schokoladenfabrikanten von Konsigny aus München. Band 1 beginnt in der Silvesternacht 1899 und begleitet die Familie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Veronika Lackerbauer wurde 1981 in Landshut geboren. Nach dem Abitur 2001 studierte sie zunächst Tourismus-Management und verbrachte einige Zeit im Ausland. 2012 wurde sie Mutter und arbeitet seither als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache und Berufliche Integration. Ihre (un)heimliche Leidenschaft gehörte aber schon immer der Schreiberei. 2014 debütierte sie mit ihrem Roman "Burgfried" im Fantasy-Verlag ohneohren, Wien. Im Folgejahr war "Burgfried" für den Deutschen Phantastik Preis nominiert. Seit 2016 veröffentlicht sie auch als Selbstverleger.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I.
Grünwald, Silvester 1899
„Champagner schwemmt mitunter so mancherlei hinunter, drum lassen weise Fürsten die Völker niemals dürsten. Stoßt an! Stoßt an! Und huldigt im Vereine dem König aller Weine!“ 1899. Das Jahr, in dem Spanien zuerst die Herrschaft über Kuba und später durch den deutsch-spanischen Vertrag auch noch einen Teil seiner Kolonien im Pazifik verlor. Das Jahr, in dem im Sing-Sing-Gefängnis von New York Martha M. Place als erste Frau durch den elektrischen Stuhl hingerichtet und Henry Bliss als erster Amerikaner in einem Autounfall getötet wurde. Aber auch das Jahr, in dem der Wirkstoff Acetylsalicylsäure im Deutschen Reich eingeführt und die Marke Aspirin von der Bayer AG eingetragen wurde, die Söhne Adam Opels mit der Produktion der ersten Opel-Automobile begannen und Kaiser Wilhelm II. den Dortmund-Ems-Kanal einweihte. Auch dieses Jahr 1899 endete, wie alle anderen zuvor, am 31. Dezember, und mit ihm das alte Jahrhundert. „Ist es schon Mitternacht, Herr Kommerzienrat?“ „Vielleicht will unser guter Herr Kommerzienrat Schokoladenfabrikant am Champagner sparen?“ Die Umstehenden lachten herzlich und der Angesprochene ließ sich nicht lange bitten. Er winkte den Hausdiener heran und ließ Champagner ausschenken. Im großen Salon der Villa im Münchner Süden brannten hunderte Kerzen und erleuchteten den hohen, stuckverzierten Saal mit ihrem in den hohen Spiegeln tausendfach reflektierten Schein. Das Herrenhaus lag in einem großzügigen Parkgelände, das dreigeschossige Haupthaus mit dem breiten Walmdach wurde zu beiden Seiten von einem sechseckigen Turm flankiert. Die Villa stammte aus dem 17. Jahrhundert und war bereits seit mehreren Generationen der Landsitz der von Konsignys. Im ländlichen Charme von Grünwald ließ es sich nach getaner Arbeit gut ausspannen – oder feiern, so wie heute, an diesem denkwürdigen Silvesterabend zum Jahrhundertwechsel. Die gesamte Industriearistokratie Münchens tanzte und feierte ausgelassen ins neue Jahrhundert. Das alte klang ruhig aus, seit mehr als dreißig Jahren war kein bayerischer Soldat mehr im Krieg gewesen. Nach dem mysteriösen Tod des Märchenkönigs Ludwig im Starnberger See waren die Bayern ihrem neuen Herrscher erst einmal skeptisch gegenüber gestanden. Doch der Prinzregent Luitpold entpuppte sich als ein Monarch, wie die Bayern ihn sich wünschten. Der legere Luitpold liebte die Jagd und die Malerei, beides typische Wittelsbacher Traditionen. Er sprach die Sprache des Volkes und gab sich volksnah und kommod. Wenn ihnen schon kein Märchenkönig vergönnt war, so war der inzwischen fast achtzigjährige Würzburger die beste Alternative. Natürlich wurde auch in der Residenz Silvester gefeiert. Nach seiner üblichen Morgenausfahrt hatte der Prinzregent die Paraden abgenommen, den Gottesdienst in der Hofkirche besucht und die Neujahrsgratulationen der übrigen deutschen Herrscher und des Kaisers entgegengenommen und erwidert. Auf die Neujahrscour waren siebenhundert Gäste geladen, darunter auch der zum Kommerzienrat erhobene Schokoladenfabrikant von Konsigny. Aus Rücksicht auf seine Gemahlin hatte er jedoch abgesagt und stattdessen ein eigenes Bankett organisiert. So kurz vor ihrer Niederkunft sollte Eleanor von Konsigny lieber in den eigenen vier Wänden bleiben. Schokoladenfabrikant Theodor von Konsigny hatte allen Grund dazu, euphorisch in die Zukunft zu blicken. Kürzlich vom Kaiser persönlich zum Kommerzienrat ernannt, war der erst sechsundzwanzigjährige Unternehmer bereits ganz oben angekommen. „Schade, dass mein Vater das nicht mehr erleben durfte“, flüsterte er seiner jungen Frau zu. Eleanor von Konsigny lächelte. „Er wäre sehr stolz auf dich.“ Ein Korsett konnte die Hochschwangere schon lang nicht mehr tragen, dennoch war die Dame des Hauses zu diesem festlichen Anlass nach der neusten Mode gekleidet. Der Kommerzienrat begrüßte seine Gäste zu dieser Abendgesellschaft nach alter Tradition im Frack. Ein plötzlicher Schmerz durchzuckte die junge Frau und sie krümmte sich reflexartig, bevor sie die Schwäche vor ihrem Mann verbergen konnte. Besorgt griff der ihr sofort unter den Arm und führte sie zu einer Sitzgelegenheit. „Fühlst du dich nicht wohl, Liebling?“ Trotz ihrer Schmerzen lächelte Eleanor tapfer. „Nichts, Theo. Es geht gleich wieder.“ Ihr an sich mädchenhafter Leib war dick geschwollen und unförmig. Obwohl sie kurz vor der Niederkunft ihres ersten Kindes stand, hatte die Hausherrin die Vorbereitungen für den großen Silvesterball zur Jahrhundertwende an niemanden delegieren wollen. Schon seit halb sechs war sie auf den Beinen. Beunruhigt ließ der werdende Vater seinen Blick über die fröhlich feiernden und tanzenden Menschen gleiten. Unter den illustren Gästen waren Franz Strauss und sein Sohn Richard, die beide gerade ein Engagement an der Hofoper hatten, der Freund des Hauses Franz von Lenbach mit seiner Gattin sowie der Verleger Albert Langen. Zwischen Letzteren war soeben ein handfester Streit entbrannt, ob man nun wirklich die Dämmerung eines neuen Jahrhunderts feierte. „Der Beginn des neuen Jahrhunderts ist der erste Januar 1901, das liegt doch auf der Hand!“, ereiferte sich Langen. „Wenn Sie ein Schock Eier kaufen, dann erwarten Sie doch auch, dass man Ihnen volle sechzig gibt und nicht nur neunundfünzig.“ Lenbach schüttelte eigensinnig den Kopf. „Sie können mir gar nichts, werter Freund. Der Kaiser höchst selbst hat das neue Jahrhundert begrüßt. Wollen Sie etwa dem Kaiser widersprechen?“ Theodor von Konsigny hastete an den beiden vorbei. Irgendwo unter den Gästen musste auch der Hausarzt der Familie, Medizinalrat Marquardt, sein. Der alte Mediziner hatte nämlich bereits Theodor selbst in die Welt geholfen. Es hätte den Fabrikanten etwas beruhigt, wenn er ihn in der unmittelbaren Nähe gewusst hätte. Statt des Arztes bahnte sich jedoch Eleanors Schwester Margaret einen Weg durch die Feiernden, direkt auf die Schwangere zu, die sich erschöpft auf einer Récamière niedergelassen hatte. „Geht es dir gut? Eleanor, Schätzchen, du siehst ganz blass aus. Ist dir unwohl?“ Eleanor lächelte. „Danke, Gretchen, es geht schon wieder. Nur ein kleines Unwohlsein.“ „Du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Du gefährdest das Kind“, schalt Margaret sie. Bestürzt sah Eleanor ihre Schwester an. „Nein, das möchte ich nicht. Vielleicht hast du recht. Ich leg mich noch einen Moment hin, bevor es Mitternacht schlägt.“ Margaret half ihrer Schwester auf die Beine und führte sie hinaus. Theodor kam schlecht vorwärts, überall sprach man ihn an, wollte ihm gratulieren und mit ihm anstoßen. Als er es dann doch irgendwann geschafft hatte, fand er endlich den Arzt. „Bitte, Sie müssen nach meiner Frau sehen. Die Schwangerschaft setzt ihr sehr zu. Sie fühlt sich unwohl und sie hat Schmerzen, auch wenn sie das vermutlich nicht zugeben wird.“ Der Medizinalrat nickte. Er kannte die junge Frau von Konsigny und begleitete ihre erste Schwangerschaft von Anfang an. „Es ist bald soweit, Herr Kommerzienrat. Da kann es schon vorkommen, dass sie eine Schwäche befällt. Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen. Das ist Ihr Abend heute! Ich sehe gleich nach ihr.“ Der Arzt fand die Schwangere im Nebenzimmer. Ihre Schwester hatte sie genötigt, die Beine hochzulegen. Eleanor sah matt und erschöpft aus. Der Arzt nahm ihre Hand und prüfte mit routinierter Geste ihren Puls. „Ganz schön hoch. Wie geht es Ihnen? Ihr Gatte sagt, es sei Ihnen übel?“ Eleanor nickte. Die Schmerzen waren zu stark, sie konnte ihnen nichts mehr vormachen. Margaret sah den Arzt erschrocken an. „Was ist es, Herr Doktor? Doch nichts Ernstes?“ Der Mediziner lächelte. „Ich denke nicht. Aber wir werden die junge Frau besser hinauf in ihr Schlafzimmer begleiten.“ „Oh Gott, so sprechen Sie doch! Was ist es?“ Vor Schreck brachte Margaret nur noch ein Flüstern hervor. Marquardt hatte Eleanor bereits hochgezogen und ihren schlaffen Arm um seinen Hals gelegt. Als wiege die Hochschwangere nicht mehr als ein Sack Zucker, hob er sie hoch und trug sie hinauf, wo er ihr Schlafzimmer wusste. Margaret beeilte sich, ihnen zu folgen. Auf der Treppe setzte sie noch einmal an: „Herr Doktor, ich bitte Sie, schonen Sie mich nicht. Was passiert mit meiner Schwester?“ „Wenn sie sich beeilt, hat sie zum Jahrhundertauftakt schon ihr Kind im Arm.“ Da endlich begriff Margaret. „Oh nein, es geht los? Aber wieso sagen Sie das denn nicht gleich? Ich lasse die Hebamme kommen. Was brauchen Sie? Wasser? Tücher?“ Margaret war die Treppe schon wieder halb hinunter gehastet. Unten stieß sie mit einem Hausmädchen zusammen. „Trine! Schnell, lauf. Hol die Hebamme! Setz heißes Wasser auf....