Kunrath | Töchter wie wir | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Kunrath Töchter wie wir

Roman
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8437-1650-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-8437-1650-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Drei Frauen. Drei Töchter. Drei Leben.  Einen Tag vor ihrem vierzigsten Geburtstag zieht Mona ein unbefriedigendes Resümee. Nichts wollte sie lieber als eine Familie und eigene Kinder. Stattdessen blickt sie zurück auf eine gescheiterte Ehe, hat wechselnde Partner, einen Job, der sie nicht ausfüllt und ein ziemlich kompliziertes Verhältnis zu Hella, ihrer Mutter. Die wollte immer nur schön sein und keine Kinder, trotzdem hat sie welche bekommen. Am gleichen Tag beobachtet Mona in einer Drogerie die zwölfjährige Shirin bei einem Diebstahl. Spontan hilft sie ihr aus der Klemme. Irgendetwas an dem seltsamen und abweisenden Mädchen rührt sie. Vielleicht kann Shirin eine Lücke in ihrem Leben schließen?

Barbara Kunrath wurde 1960 geboren. Sie arbeitet als Geschäftsassistentin für einen Weinjournalisten. Sie hat zwei erwachsene Töchter und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Frankfurt.
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2. Kapitel


Immer noch Dezember 2016

13. Mona


Im Büro war es mollig warm, das Thermostat zeigte sechsundzwanzig Grad. Sie hatte gestern Abend vergessen, die Heizung zu drosseln, und jetzt klebte ein fetter gelber Post-it-Zettel mit einem flüchtig hingeworfenen Ausrufezeichen am Regler. Irgendwer war schon hier gewesen.

Das Telefon blinkte. Jemand hatte versucht, sie zu erreichen. Sie beugte sich vor. Es war Christians Nummer, kein gutes Zeichen. Sie hob das Kästchen mit den Ausschreibungen hoch, dorthin hatte sie die Tabellen gestern kurz vor Feierabend noch schnell geschoben, aber da waren sie nicht. Sie ließ den Blick über den Schreibtisch gleiten, schaute in der Ablage nach und untersuchte sämtliche Schreibtischschubladen. Nichts. Dafür fand sie die Angebotsliste für ein anderes Projekt, die sie schon seit zwei Wochen suchte. Sie nahm sich die frei verteilten Papierstapel auf der Fensterbank vor und schaute auf dem Boden und sogar unter dem Schreibtisch nach. Es blieb beim Nichts.

»Mist!«, murmelte sie.

»Kannst du mir einmal verraten, was das hier sein soll?« Christian betrat das Büro, die Tabellenblätter in der Hand.

»Ach, du hast sie. Gott sei Dank, ich hab schon alles abgesucht.«

»Mona, was ist das hier?«, fragte er ungehalten.

Sein Ton vertrug sich nicht gut mit ihrem schmerzenden Kopf. »Das äh, das sind die Zahlen, die du mir gegeben hast.«

»Richtig. Und die solltest du nach Kostengruppen aufteilen. Du erinnerst dich?«

»Ja, natürlich. Ich bin ja auch dabei, wie du siehst. Gelb steht für Kostengruppe 300, blau für 400 und …«

»Sag mal, spinnst du? Wir sind hier doch nicht im Kindergarten. Und mal abgesehen davon ist beinahe die Hälfte der Zahlen noch nicht einmal markiert.«

»Na ja, manche Positionen sind ja auch noch ziemlich unklar. Ich meine, welche Kostengruppe steht denn für die Module? Oder für …«

»Mona, wir sind hier nicht in der Schule, hier gibt es auch keine Nachhilfe in Sachen Kostengruppen. Das ist alles hier drin geregelt.« Er hielt ihr ein gelbes Fachbuch unter die Nase, Kostengruppen nach DIN 276 stand auf dem Deckblatt. »Dann schlag halt nach, wenn du was nicht weißt.«

»Das ist eben kein Einfamilienhaus, sondern ein Millionenprojekt. So was lässt sich nicht einfach aus dem Ärmel schütteln.«

»Ich denke, davon kann auch keine Rede mehr sein.«

Sie griff nach der Kaffeetasse und versteckte ihr sich rötendes Gesicht. »Es gibt vielleicht auch noch andere Sachen, um die ich mich kümmern muss«, murmelte sie.

Er seufzte und legte die Blätter auf ihren Schreibtisch. Dann stützte er sich mit den Händen ab und sah sie an. Er hatte die Stirn gefurcht und räusperte sich, ein schlechtes Zeichen.

»Mona, hast du dir schon einmal überlegt, ob das hier der richtige Job für dich ist? Die Probleme, die wir gerade diskutieren, sind ja nicht neu.«

Mona senkte den Blick. Er hatte recht, natürlich hatte er recht. Trotzdem. Sie war älter als er und schon lange dabei. Länger als er. Er brauchte sie also nicht zu behandeln wie ein dummes Schulkind.

Christian sah sie an und schüttelte den Kopf. Ein komischer Zischlaut kam aus seinem Mund. Es klang wie zsssss.

Vielleicht war er aber auch nur sauer, weil sie ihn nicht zu ihrer Party eingeladen hatte. In Mona regte sich Wut. Unwirsch nahm sie ihm die Blätter aus der Hand. »Immer nur Zeitdruck und immer nur Sparen sind auch keine Lösung. Ich finde, wir könnten sogar aus so einem Quadratisch-praktisch-gut-Kasten noch was rausholen, wenn wir mehr auf Naturmaterialien setzen würden.«

»So? Findest du?«

»Ja. Finde ich. Holz in Verbindung mit Sichtbeton zum Beispiel. Das würde dem Ganzen etwas von der langweiligen Atmosphäre nehmen und …«

»Holz und Sichtbeton? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wer soll das denn bezahlen?«

»Na ja, wir könnten für den Anfang auch …«

»Mona, hör auf! Die Vorgaben sind längst geklärt. Was ich brauche, sind Ergebnisse.« Er sah sie an, sein Blick war nicht freundlich. »Bis heute Abend bist du damit durch. Klar? Letztes Ultimatum!«

Letztes Ultimatum! Etwas in ihrem Kopf machte pling. Wahrscheinlich die letzte Sicherung, die gerade durchgebrannt war. »Sagtest du: Letztes Ultimatum?«

»Ich sagte: Letztes Ultimatum.«

»Weißt du was? Schieb dir deine beschissenen Kosten, deinen beschissenen Scheißzeitdruck, dein beschissenes Projekt und dein noch beschisseneres Ultimatum doch sonst wohin.« Sie griff nach ihrer Tasche und der Jacke.

Christian war blass, aber ruhig. Beides hatte nichts mit ihr zu tun, er war immer blass und ruhig. »Du kannst natürlich tun und lassen, was du willst, aber wenn du jetzt gehst, dann …«

»Was dann?«

»Dann war’s das. Dann bist du draußen.«

Sie zog ihre Jacke an und nickte ihm zu. An der Tür drehte sie sich noch einmal um.

»Schreibst du mir bitte ein Zeugnis?«

»Ich hoffe, du weißt, was du tust.«

»Natürlich«, log sie.

Am Fuß der Treppe, die zur Haustür führte, hing ein Namensschild. Es war neu und aus Ton und zeigte, jedenfalls, wenn man die nötige Phantasie dazu hatte, außer ein paar wackligen Buchstaben, die sich als FRITSCH entziffern ließen, noch drei Personen: ein Kind, eine Frau und einen Mann.

Mona klingelte. Während sie auf das obligatorische »Hallo?« wartete, legte sie sich in Gedanken zurecht, wie sie Judith erklären sollte, dass sie den Job geschmissen hatte. Im Schmeißen war sie eine Wucht: Studium, Beziehungen, Job.

Der Fußmarsch durch die halbe Stadt, bei für die Jahreszeit viel zu milden Temperaturen und dem Geruch nach Frühling, hatte ihr den Kopf durchgepustet. Ihre Wut hatte sich aufgelöst, die Realität roch nach faulen Eiern. Sie wusste selbst, wie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt aussahen. Ihre Qualifikationen hielten sich in Grenzen. Könnte sie davon leben, wenn sie morgens um sechs in einer Bäckerei Brötchen verkaufte? Oder in einer Fabrik Schrauben sortierte? Sie sah ihren Vater mit grimmigem Gesicht vom Himmel auf sie herunterblicken und den Kopf schütteln. Ja, ja, schüttel du nur den Kopf, dachte sie. Obwohl er andererseits doch auch zufrieden sein musste mit dem Ergebnis. Es bestätigte doch nur das, was er sowieso schon immer gewusst hatte.

Mona lauschte in die Stille und warf einen Blick in den Hof. Judiths Auto stand auf seinem Platz. Sie drückte den Daumen noch einmal auf die Klingel und brach sich den Fingernagel ab. »Scheiße!«

»Hallo?«

»Judith? Gott sei Dank! Machst du auf?«

Der Türöffner klang wie ein batteriebetriebener Spielzeugbohrer.

»Was ist los? Warum bist du nicht auf der Arbeit?«, hörte sie von irgendwo Judiths Stimme.

»Wo bist du?«

»Oben. Im Bad. Komm einfach rauf! Aber sei leise. Emil schläft. Bis jetzt hast du es nicht geschafft, ihn zu wecken, wäre schön, wenn es dabei bleibt.«

Heute Morgen, als sie im Büro ankam, hatte Mona an Frank gedacht und zwei Stufen auf einmal genommen. Jetzt dachte sie an Chester, die Miete und ihr Bankkonto.

Die Tür zum Bad stand auf und Judith eingeschäumt unter der Dusche.

»Hey, wie geht’s dir im Club der Vierziger?«, begrüßte sie die Freundin.

»Geht so.«

»Du siehst ehrlich gesagt auch ziemlich scheiße aus. Wie war denn die Nacht?«

»Die war okay. Aber der Morgen nicht.«

»Na ja, so ein Kater ist nicht schön, aber er vergeht.«

»Das meine ich nicht. Ich hab gekündigt«, sagte Mona und legte damit die Karten gleich auf den Tisch. Judith hörte auf, sich Shampoo in die Haare zu massieren, und starrte sie an.

»Was?«

»Es ging nicht anders.«

»Es ging nicht anders?«, echote ihre Freundin. »Sag mal, spinnst du?«

»Weil ich diesen ganzen verlogenen Mist nicht mehr ertrage.«

»Du hast sie doch nicht mehr alle!« Judith griff zur Dusche und brauste sich den Schaum vom Kopf. Sie blinzelte sich das Wasser aus den Augen. »Oder ist das ein schlechter Scherz?«

»Nein. Ich … es ging wirklich nicht anders«, sagte Mona.

»Ach, Mona.« Judith stellte das Wasser ab. »Gib mir mal das blaue Handtuch!« Sie zeigte auf das Badetuch und stieg aus der Dusche. »Kannst du’s denn rückgängig machen?«

Mona zuckte mit den Schultern und setzte sich auf den Wannenrand.

»Mona? Kannst du das rückgängig machen?«

»Ich glaub nicht«, murmelte sie.

Judith schüttelte in stummem Unverständnis den Kopf. »Mona, Mona. Weißt du überhaupt, was das heißt?«

»Der Job war einfach nix für mich.«

»Der ist seit zwölf Jahren nix für dich. Du hättest dir schon längst was anderes suchen können. Aber stattdessen moserst du nur jahrelang rum. Und dann kündigst du plötzlich aus heiterem Himmel und Hals über Kopf. Das ist doch bescheuert. Ich meine, kündigen kann man, wenn man was anderes in Aussicht hat. Oder wenn man in der Komfortsituation ist, nicht auf das Gehalt angewiesen zu sein. Oder wenn …« Sie unterbrach sich und schaute Mona ins Gesicht. »Hast du denn was anderes?«

»Nein. Aber ich hab noch Geld von meinem Vater. Und in drei Monaten bekomme ich Arbeitslosengeld. Nur falls ich bis dahin noch...


Kunrath, Barbara
Barbara Kunrath wurde 1960 geboren. Sie arbeitet als Geschäftsassistentin für einen Weinjournalisten. Sie hat zwei erwachsene Töchter und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Frankfurt.

Barbara Kunrath wurde 1960 geboren. Sie hat zwei erwachsene Töchter und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Frankfurt. Mit ihrem ersten Roman "Schwestern bleiben wir immer" gelang ihr auf Anhieb der Sprung auf die Spiegel-Bestsellerliste.



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