E-Book, Deutsch, 154 Seiten
Reihe: Fachratgeber Klett-Cotta
Kumbier Wie dein Inneres Team tickt (Fachratgeber Klett-Cotta)
1. Nachdruck, 2025
ISBN: 978-3-608-12434-7
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Innere Anteile verstehen – Ressourcen aktivieren – Konflikte lösen
E-Book, Deutsch, 154 Seiten
Reihe: Fachratgeber Klett-Cotta
ISBN: 978-3-608-12434-7
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dagmar Kumbier, Diplom-Psychologin und Geisteswissenschaftlerin, ist als Psychologische Psychotherapeutin in Hamburg niedergelassen. Sie war Mitarbeiterin von Friedemann Schulz von Thun an der Universität Hamburg und als Psychotherapeutin in Kliniken tätig (Schwerpunkt Traumatherapie). Heute leitet sie das Institut für Integrative Teilearbeit in Hamburg, ist Lehrtrainerin am Schulz-von-Thun-Institut und als Dozentin, Supervisorin und Lehrtherapeutin in der Aus- und Weiterbildung von Psychotherapeuten tätig. >> Das Institut für integrative Teilearbeit im Internet >> Dagmar Kumbier im Internet
Zielgruppe
Alle, die sich selbst und ihre inneren Anteile besser verstehen möchten
Autoren/Hrsg.
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Was heißt das nun für den Umgang mit dem eigenen Inneren Team? Das, was man in sich vorfindet, wirkt häufig zunächst einmal wie ein chaotischer Haufen. Was macht man, wenn alle durcheinanderreden, sodass man nur noch Chaos wahrnimmt? Was macht man, wenn jeder etwas anderes will? Oder wenn sich Anteile zu Wort melden, die man peinlich, unmoralisch oder unpassend findet, von denen man fürchtet, dass sie einen in Teufels Küche bringen können?
Gucken wir uns das Ganze mal an einem Beispiel an.
Beispiel: Soll ich meine Mutter pflegen?
»Karin überlegt, ob sie ihre Mutter bei sich aufnehmen will. Diese lebe seit dem Tod ihres Mannes alleine in Karins Elternhaus. Bislang sei das auch gut gegangen, aber allmählich werde es schwierig. Kürzlich sei die Mutter abends gestürzt und nur mit großer Mühe wieder auf die Beine gekommen. Und sie werde langsam »tüdelig«, vergesse, die Herdplatte abzustellen oder genügend Essen einzukaufen. Es sei absehbar, dass es nicht mehr lange allein gehen werde. Und die Mutter mache auch zunehmend Andeutungen (»Tante Hedwig hat es ja gut, die kann bei Anna wohnen«).
Ich schlage Karin vor, ihr Inneres Team zu der Situation zu erheben.
Die innere Dynamik herausarbeiten
Bei der Erhebung des Inneren Teams malen wir alle inneren Anteile auf, die sich zu einem bestimmten Thema zu Wort melden. Wir visualisieren also die innere Dynamik und machen uns im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild davon. Diese Methode hat Friedo Schulz von Thun entwickelt, und sie eignet sich sehr gut dazu, sich einen Überblick zu verschaffen und zu verstehen, was da los ist.
»Bei Karin meldet sich als Erstes ein Anteil, den sie »mitfühlendes Herz« nennt und der gut verstehen kann, dass die Mutter nicht in ein Altenheim will. Eine innere »Tochter« fügt hinzu, dass sie ja schließlich ihre Mutter sei. Als unmittelbare Reaktion auf diese beiden gibt eine »familiäre Grenzwächterin« zu bedenken, was es bedeuten würde, wenn die Mutter jeden Tag mit am Familientisch sitzen würde. Diese habe vollkommen andere Vorstellungen über Kindererziehung oder über einen guten Umgang mit Konflikten – und so wie die Mutter gestrickt sei, werde diese sich auch nicht zurückhalten, sondern eher das Gespräch dominieren! Die »Grenzwächterin« fürchtet, dass von der bisherigen Art des Familienlebens, an der Karin viel liegt, wenig übrig bleiben würde. Eine »startbereite Karrierefrau« fügt hinzu, dass Karin außerdem gerade die Chance habe, wieder richtig in den Beruf einzusteigen! Sie habe lange der Kinder wegen zurückgesteckt, jetzt sei endlich sie dran! Sie liebe ihren Beruf und wolle endlich wieder Raum dafür haben!
Das »Gewissen« findet diese Überlegungen egoistisch und unpassend. Es sei Aufgabe der Kinder, für die Eltern da zu sein, wenn diese alt werden, da gehe es nicht um Selbstverwirklichung, sondern schlicht um Pflicht! Und außerdem: Was würden die anderen sagen? Karin lebt in einem Umfeld, in dem es üblich und fast selbstverständlich ist, dass die Kinder im Alter für die Eltern sorgen. Und eine »Dankbare« findet das auch ganz richtig so. Ihre Mutter habe schließlich auch viel für sie getan, und jetzt sei sie eben dran!
Als wir diese Teammitglieder aufgemalt haben, überlegt Karin länger. Doch, eine Stimme gebe es noch. Sie sei ja eigentlich ein umgänglicher Mensch und sie komme gut mit Menschen klar. Aber ihrer Mutter gegenüber würde sie sich regelmäßig innerhalb kürzester Zeit in eine angespannte Schreckschraube verwandeln. Sie sei dann viel härter und aufbrausender, als sie sich sonst kenne. Und ihr Eindruck sei, dass es der Mutter ähnlich gehe. Beide würden sich aufeinander freuen, wenn es darum gehe, einen Abend oder einen Nachmittag zusammen zu verbringen – aber bei längerem Zusammensein werde es sehr schnell sehr schwierig. Wie das werden solle, wenn sie zusammenleben, das wolle sie sich gar nicht vorstellen. Karin nennt diese Stimme das »gebrannte Kind«. Dann ist sie zufrieden: Das seien jetzt alle.
Zur nächsten Sitzung kommt Karin mit einer Spätmelderin. Es habe sich noch ein »alter Groll« in ihr zu Wort gemeldet. Ganz anders als die dankbare Tochter schaue dieser keineswegs mit guten Gefühlen auf ihre Mutter. Sie habe neben den guten auch sehr schlechte Erinnerungen. Die Mutter habe sie an vielen Punkten, wo sie diese gebraucht hätte, in sehr schmerzhafter Weise hängen gelassen. Dieses Teammitglied reagiere wütend und aufgebracht auf die Vorstellung, dass Karin ihr eigenes Leben so stark einschränken solle, um nun, wo die Mutter sie brauche, zur Verfügung zu stehen.
Abbildung 1: Karins Inneres Team
Nun haben wir alle beisammen, und Karin ist erleichtert. Kein Wunder, dass sie so hin- und hergerissen ist! Kein Wunder, dass sie nachts oft wachliegt und sich nicht entscheiden kann, bei so vielen und so unterschiedlichen Gefühlen und Impulsen! So ein Chaos, und alle reden durcheinander.
Übung: Ihr Inneres Team erheben
Bevor wir mit dem Beispiel »Soll ich meine Mutter pflegen?« weitermachen, möchte ich Sie einladen, ein eigenes Inneres Team zu einem Thema zu erheben, das Sie gerade beschäftigt. So bekommen Sie ein Gefühl für die Sache und können alles, worüber wir im Laufe des Buches sprechen werden, auf Ihr eigenes Beispiel übertragen. Und wenn es gut läuft, dann werden Sie mit Ihrem Thema ein ganzes Stück weiterkommen.
Ja, ich weiß, das hält auf und die Verführung ist groß, die Übung auszulassen … Aber das wäre schade!
Wenn Sie mitmachen wollen, dann nehmen Sie sich bitte ein Blatt Papier. Wenn Sie einen Malblock zur Hand haben, gerne im DIN-A3-Format, aber normales Druckerpapier tut es auch. Malen Sie oben einen Kopf für sich selber als Chefin oder Chef ihres Inneren Teams hin und dann einen möglichst großen Brustraum dazu. Denn Sie wissen noch nicht, wie viele Teammitglieder es geben wird. Es können fünf oder auch zwanzig sein – und alles wäre »normal«.
Um welches Thema soll es gehen?
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Gibt es gerade ein Thema, das Sie beschäftigt und bei dem es sich lohnen würde, zu schauen, welche inneren Anteile es dazu in Ihnen gibt?
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Stehen Sie vor einer (kleinen oder großen) Entscheidung?
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Oder es gibt einen Menschen, mit dem Sie es aktuell schwer haben oder der Sie beschäftigt? Das kann ein wichtiger Mensch sein – ein Freund, eine Freundin oder jemand aus Ihrer Familie – oder auch jemand, der im Grunde gar keine so große Rolle in Ihrem Leben spielt, wie eine Nachbarin, ein Kollege oder Kunde oder die Mutter vom besten Freund Ihres Sohnes.
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Es kann sich auch lohnen, das Innere Team zu einer Konfliktsituation oder zu einer beruflichen Situation anzuschauen.
Wenn Sie ein Thema gefunden haben, auf das Sie Lust haben und mit dem Sie gerne ein Stück weiterkommen würden, dann notieren Sie ein Stichwort dazu oben auf Ihrem Blatt, um es während der Erhebung präsent zu halten.
Abbildung 2: Die Erhebung des Inneren Teams
Dann schauen Sie, welches Mitglied Ihres Inneren Teams, welcher innere Anteil sich als Erstes in Ihnen zu Wort meldet. Innere Anteile können sich auf ganz unterschiedliche Weise bemerkbar machen, sie sprechen gewissermaßen unterschiedliche Sprachen. Was ist der erste Gedanke, der Ihnen durch den Kopf schießt (»Der spinnt wohl, wenn er denkt, mich so behandeln zu können!«)? Welches ist das erste Gefühl, das sich meldet (zum Beispiel Wut, Angst, Trauer oder Freude)? Manchmal spüren wir auch einen Impuls (zum Beispiel weglaufen, jemandem die Meinung sagen, beschwichtigen wollen). Oder der Teil meldet sich über unseren Körper, indem auf einmal der Bauch kribbelt oder wir Kopfschmerzen bekommen. Manchmal können wir dann mit der Frage »Wenn die Kopfschmerzen sprechen könnten, was würden sie sagen?« diese Körpersprache in Worte fassen.
Wenden Sie sich diesem Anteil zu. Wie reagiert dieser auf Ihr Thema? Welchen Impuls, welches Gefühl hat er dazu? Was will er Ihnen oder auch dem Menschen, um den sich Ihr Thema dreht, sagen? Hören Sie dem Teammitglied zu und versuchen Sie, sein Anliegen und seine Gefühlslage zu verstehen, wenn möglich ohne Bewertung.
Wenn Sie eine Idee haben, wie es diesem Teammitglied geht, dann malen Sie es in den Brustraum der Figur auf Ihrem Blatt (nicht zu groß, denn Sie wissen ja nicht, wie viele noch kommen!). Malen Sie ihm auch ein Gesicht und einen Gesichtsausdruck – und lassen Sie sich dabei nicht von der Vorstellung stressen, dass Sie nicht malen können. Doch, das können Sie! Es geht hier nicht um Perfektion, sondern nur darum, dass man dem Teil grob ansieht, ob er traurig, zufrieden oder wütend ist. Dazu braucht es nur wenige Striche, die leicht zu lernen sind.
Abbildung 3: Doch, Sie können malen!
Sie werden merken: Es macht einen Unterschied, ob Sie nur ein Stichwort notieren oder ob der Anteil Sie anschauen kann. Stichworte erreichen nur Ihren Kopf, mit dem Gesicht kommt auch das Gefühl dazu. Sie bekommen so mehr Kontakt zu diesem Anteil.
Wenn Sie den Anteil aufgemalt haben, dann notieren Sie in einer Sprechblase seine Kernbotschaft. Was will dieser Teil zum Ausdruck bringen? Was ist ihm wichtig zu sagen? Geben Sie ihm dann als Letztes einen Namen. Wer ist das in Ihnen, der so fühlt und spricht? Gute Namen zu finden ist oft nicht leicht (und außerdem Übungssache). Nehmen Sie im...