E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Carlsen Klartext
Kuhla / Kuhla-Freitag Carlsen Klartext: Fake News
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-646-92818-1
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sachbuch für Jugendliche: Wie man Falschmeldungen in Nachrichten, Politik und Social Media erkennt - die komplexen Zusammenhänge einfach vermittelt
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Carlsen Klartext
ISBN: 978-3-646-92818-1
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Karoline Kuhla-Freitag, geboren 1986, hat Kunstgeschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin studiert und danach die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg besucht. Sie hat unter anderem für die ZEIT, Geo Epoche, Art und den SPIEGEL geschrieben. Heute arbeitet sie fest bei der ZEIT.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort 9EINLEITUNGWas ist los in der Welt? 13KAPITEL EINSÜber den Verlust von Vertrauen und die Gefahren von Fake News 15Die Glaubwürdigkeitskrise 15Affären und Skandale überall 17 • Politische Krisen 28 • Digitalisierung 37"Lügenpresse" und andere Vorwürfe 43Die Geschichte des Begriffs "Lügenpresse" 44 • Wer sagt "Lügenpresse" und warum? 46 • Kritik am Journalismus 49 • Echokammer der sozialen Medien 57 • Verbale und körperliche Angriffe auf Journalisten 61 • "Postfaktisches" Zeitalter 62Was sind Fake News? 65Der Fall der verschwundenen Lisa 72 • Der Fall des angeblich toten Flüchtlings 74 • Der Faktor Russland 76 • Der Faktor USA 79 • Der Fall "Pizzagate" 81 • Der Fall der angeblich brennenden Kirche in Dortmund 83KAPITEL ZWEIGrundkurs Medien 86Die Presse ist frei – wer sagt das? 86Wofür brauchen wir überhaupt Journalisten? 90Was soll das heißen, die Vierte Gewalt? 92"Die Medien" – wer ist das? 94Tageszeitungen 96 • Wochenzeitungen und Magazine 98 • Der öffentlich-rechtliche und private Rundfunk 100Was bedeutet eigentlich Recherche? 102Was ist eine Nachricht wert? 106Welche Regeln gelten für Journalisten? 109Wie sieht die Realität in einer Redaktion aus? 117Wer entscheidet, was Journalisten berichten? 121Wer bezahlt Journalisten? 123Was also ist "guter Journalismus"? 126KAPITEL DREIAufklärung vs. Fake News: Wissen ist Macht 129Gibt es mehrere Wahrheiten? 130Von Wahrheit, Lüge – und Bullshit 133Informationen – eine Sache der Aufklärung 138KAPITEL VIERDer Kampf gegen Fake News 143Was die Politik tut 143Was soziale Medien tun 147Was Journalisten und Redaktionen tun 151Was Gerichte tun 154KAPITEL FÜNFWas könnt ihr von Journalisten erwarten? 155KAPITEL SECHSWas könnt ihr selbst ändern? 157Wenn ihr mehr wissen wollt 162Quellen 165
KAPITEL ZWEI
Grundkurs Medien
Journalisten wird viel vorgeworfen – und sie haben selbst einige Fehler gemacht. Es wird also Zeit, sich einmal anzusehen, welche Regeln seriöse Journalisten sich auferlegt haben, wie Redaktionen funktionieren, welche Kontrollmechanismen sie haben – und wie all dies von der Realität immer wieder herausgefordert wird. Es wird Zeit für einen Blick hinter die Kulissen.
Die Presse ist frei – wer sagt das?
»Medien sind eben nicht ein Geschäft wie jedes andere, was man zum Beispiel daran erkennen kann, dass die Produktion von Kaugummis nicht unter dem Schutz des Grundgesetzes steht«, so der berühmte Journalist Herbert Riehl-Heyse.1
Die Pressefreiheit ist im Grundgesetz verankert.2 »Verankert« sagt man dabei gerne, um deutlich zu machen, was für ein starker Fels das Grundgesetz ist. Es müssen hohe Hürden überwunden werden, um an der Verfassung etwas zu ändern. Im Grundgesetz sind die wichtigsten Werte unserer Gesellschaft festgeschrieben, wie zum Beispiel die Wahrung der Würde des Menschen, die Gleichheit jedes Menschen vor dem Gesetz, das Diskriminierungsverbot oder die Religionsfreiheit.
In Artikel 5 Grundgesetz heißt es:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.3
Wer genau liest, dem fällt auf: Es heißt, »jeder« habe das Recht, sich zu informieren und seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Das nennt man allgemein Meinungsfreiheit. Eine Folge dieser Formulierung ist, dass die Berufsbezeichnung »Journalist« nicht geschützt ist. Man muss also nicht erst eine Prüfung ablegen oder einen Antrag stellen.4 Jeder kann Journalist sein.
Viele Menschen wissen das nicht. Wer vermutet, Journalisten seien »von oben gesteuert«, nimmt wahrscheinlich auch an, sie würden ihre »Lizenz« verlieren, wenn sie nicht schreiben, was »die da oben« wollen. Aber eine derartige Lizenz gibt es nicht.
Im zweiten Satz von Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz ist von der Pressefreiheit die Rede, dieser besonderen Art der Meinungsfreiheit. Sie gilt nicht nur für geschriebene Sprache, ob online oder gedruckt, sondern auch für Fernsehen und Radio.
Im dritten Satz heißt es: »Eine Zensur findet nicht statt.« Das Wort »Zensur« kommt vom lateinischen »censere« und heißt »schätzen, begutachten, prüfen«. Im alten Rom war ein Censor jemand, der unter anderem über die Sitten der Römer wachte. Im Zusammenhang mit der Presse versteht man Zensur heutzutage als eine Prüfung von zum Beispiel staatlicher Stelle, ob eine bestimmte Information herausgegeben werden darf oder nicht. Solch eine Zensur findet in Deutschland nicht statt. Allein die Journalisten und Redaktionen entscheiden, was sie publizieren und was nicht.
In anderen Ländern gelten andere Gesetze. In manchen Ländern ist die Pressefreiheit eingeschränkt, das heißt, es werden immer wieder Berichte über ausgesuchte Themen unterbunden, einzelne Werke oder gar jeder Text von bestimmten Journalisten oder Autoren komplett verboten. Der britische Historiker Timothy Garton Ash schreibt dazu: »Die effektivste und heimtückischste Zensur, etwa im heutigen China oder im Iran, hat keine schriftlichen Regeln, sondern beruht auf willkürlichen Entscheidungen von Regierungsbeamten und Parteifunktionären, gegen die es keine Berufung gibt.«5 In diesen Staaten unterstehen die Massenmedien direkt der Regierung und dienen ihr dazu, die Willensbildung der Bevölkerung zu beeinflussen.6 Denn »[e]ine Demokratie kann ohne freie Presse nicht lange überleben und eine Diktatur nicht ohne Zensur«, fasst Ash zusammen.7 Auf der Rangliste zur Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen aus dem Jahr 2017 steht Norwegen auf Platz 1, Russland auf Platz 148, Iran auf Platz 165, China auf Platz 176 und Nordkorea auf Platz 180 – von 180. Deutschland liegt auf Platz 16.8
Der zweite Absatz von Artikel 5 Grundgesetz verdeutlicht, dass die Pressefreiheit auch Grenzen hat – nämlich in anderen Gesetzen. Journalisten dürfen zum Beispiel niemanden verleumden, also Informationen über jemanden veröffentlichen, die nicht stimmen und ihm so schaden. Wenn sie beispielsweise behaupten würden, Angela Merkel sei eine verurteilte Diebin, so wäre das eine Verleumdung, gegen die Angela Merkel vorgehen könnte. Sie könnte vor Gericht verlangen, dass diese Meldung nicht weiterverbreitet wird, und ihr könnte eine Entschädigung zugesprochen werden. Falschmeldungen können für Redaktionen also teuer werden. Es gibt aber noch weitere Kriterien, die eingrenzen, wann etwas eine Nachricht wert ist oder nicht (mehr dazu hier).
Insbesondere Urteile des Bundesverfassungsgerichts konkretisieren die Pressefreiheit. So hat es zum Beispiel entschieden, dass der Staat die Pflicht hat, zu verhindern, dass die freie Presse durch Meinungsmonopole in Gefahr gerät.9 Es dürfen sich also nicht zu viele oder zu große Verlage und Presseunternehmen zusammenschließen, sodass keine Konkurrenz mehr herrscht und damit auch keine gegenseitige Überprüfung.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der Beruf des Journalisten ist einer der wenigen, deren Bedeutung in der Verfassung festgeschrieben ist.10
Wofür brauchen wir überhaupt Journalisten?
Wie wichtig etwas ist, lässt sich ganz gut durch ein kleines Experiment erkennen: Wie wäre es, wenn es nicht da wäre?
Stellen wir uns also einmal kurz eine Welt ohne Journalisten vor. Wie sähe die aus? Keine Nachrichten im Fernsehen oder im Radio, keine Zeitungen, keine Informationen aus Redaktionen im Internet oder in einer App. Wie erfährt man jetzt aber, dass es in Manchester einen Bombenanschlag gegeben hat? Woher weiß man, ob die eigene Lieblingsfußballmannschaft ihr Spiel gewonnen hat? Wer berichtet den Wählern, was die Parteien im Bundestagswahlkampf versprechen? Und wer sagt einem, wie das Wetter morgen wird? Man müsste sich an vielen Orten der Welt gleichzeitig informieren, eigenständig Wetterexperten anrufen oder lernen, die Zeichen selbst zu deuten. Auch wenn wir in Zeiten des Internets leben, ist das etwas viel verlangt. Unmöglich kann sich jemand ganz allein über all die wichtigen Dinge, die in der Welt passieren, auf dem Laufenden halten. Darum hat die Gesellschaft die Beschaffung und Aufbereitung von Informationen an Leute abgegeben, die das professionell machen. Ähnlich wie Wähler bei einer Bundestagswahl mit ihrer Stimme politische Vertreter nach Berlin schicken.11
Die wesentlichen Aufgaben von Journalisten sind zusammengefasst: recherchieren, informieren, aufklären, kontrollieren, kritisieren, sozialisieren, bilden, kultivieren und auch unterhalten.12
Natürlich können Politiker heutzutage unter anderem über die sozialen Netzwerke direkt mit den Wählern kommunizieren. Sie wissen auch, welche Vorteile das hat, wie in einer Fernsehdokumentation deutlich wurde. Dort sagte zum Beispiel Sahra Wagenknecht (Die Linke) über den Kontakt zu den Wählern über ihren Facebook-Account: »Ich nutze es ja selbst, […] wenn ich in der Woche so um die eine Million erreiche, ist das eine mittlere Zeitung […]. Das ist schon etwas, wo ich auch froh bin, weil da filtert mich keiner, da bin ich nicht darauf angewiesen, dass mich einer etwas fragt, sondern da kann ich reinstellen, was ich für richtig halte.« Ganz ähnlich sieht das Frauke Petry (AfD), die für dieselbe Doku interviewt wurde: »Die sozialen Medien haben natürlich für uns den großen Vorteil, dass es keinen Filter zwischen uns als politischem Sender und dem Bürger oder auch der Konkurrenz als Empfänger der Botschaft gibt.«13 Man merkt: Politiker haben in den sozialen Medien ein Instrument erkannt, das es ihnen ermöglicht, Journalisten zu umgehen. Sie kommunizieren eins zu eins mit ihren Anhängern und müssen sich keinen unbequemen Fragen stellen.14 Das mag für sie sehr komfortabel sein. Im Interesse der Wählerinnen und Wähler, der Bürgerinnen und Bürger ist das auf Dauer aber nicht. Sie würden sich ja auch beim Kauf einer Waschmaschine nicht nur vom Hersteller selbst sagen lassen, warum sein Produkt das beste ist, sondern ziehen Tests und Vergleiche von unabhängiger Seite zurate. Genauso muss es im politischen Supermarkt zugehen: Um die Angebote wirklich vergleichen zu können, müssen sich die Parteien und Kandidaten den Herausforderungen der Medien stellen.
Was soll das heißen, die Vierte Gewalt?
In der Bundesrepublik Deutschland herrscht Gewaltenteilung, womit verhindert werden soll, dass Einzelne zu viel Macht erlangen. Aufgeteilt ist die Macht in unserem Grundgesetz darum in drei Gewalten: Die Gesetzgebung (Legislative), die Ausführung des Gesetzes (Exekutive) und die Rechtsprechung (Judikative).15
Sehen wir uns diese drei Gewalten auf Bundes- und Landesebene an: Gesetze verabschieden die Parlamente, die somit die Legislative sind; die Regierungen bilden jeweils die Exekutive. Die Richter und Gerichte fungieren als Judikative. Sie sind unabhängig, nur dem Gesetz verpflichtet. Beschließt der Bundestag ein Gesetz, das nicht der...