E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Kugler / Neuhold / Pühringer Journal für Elementar- und Primarbildung
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-347-96234-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lernräume (in der Elementar- und Primarbildung)
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-347-96234-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Thema dieses Bandes lautet Lernräume (in der Elementar- und Primarbildung) und ist für unterschiedliche Zugänge und Schwerpunktsetzungen offen. So werden Lernräume allgemein als Metapher für die innovative Gestaltung von Lehre und Lernen thematisiert oder aus einer konkreten architekturpädagogischen Perspektive (Stichwort: 'Raum als dritter Pädagoge') beleuchtet. Vor dem Hintergrund zunehmender Digitalisierung bietet sich darüber hinaus an, nicht nur physische, sondern auch virtuelle und hybride Lernräume und Lernraumkonzepte zu beschreiben oder zu analysieren.
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Andersen und Anderssein – kann es nicht anders(s)e(i)n? Neudenken eines Märchens für das Entdecken divergenter Handlungsmöglichkeiten Ruth Schleicher, Stefan Pointner Abstract Dieser Text ist in seiner Konzeption und Machart als experimentell zu verstehen. Es handelt sich dabei um ein Gedankenexperiment, dessen Anliegen es ist, konstruktivistische Zugänge in der Auseinandersetzung mit im Kindergarten vermittelten Geschichten/Märchen zu gestalten. Grundlegende Fragen sind: Wie können Handlungsstränge einer Erzählart auch anders gelesen oder weitergedacht werden? Welche Geschichten sind innerhalb einer Geschichte noch möglich? Wie erschaffen wir uns selbst eine Erzählart/Geschichte? Kurz zusammengefasst geht es um das Entdecken divergenter Handlungsmöglichkeiten. Einleitung Es war einmal und was wäre, wenn …? – Das folgende Gedankenexperiment handelt vom Entschwimmen aus der schweigenden Furchtblase, oder konkreter ausgedrückt: Wie kann der Körper als Sprache eingesetzt werden, der eine universelle Kommunikation ermöglicht? Barrierefrei. Welche Wege können mit Kindern unterschiedlicher (Sprach-)Herkunft und Bewegungserfahrungen gegangen werden, ohne gleich die Differenz in eine normative Realität einpassen zu müssen? Wie muss ein Text sich verzweigend gestalten, dass eine Flucht aus dem engmaschigen Netz der Erwartungen denk- und sichtbar wird? Aber zuerst von Beginn an. „Es war einmal …“ 1 Die kleine Meerjungfrau (Determinanten/Fluchtpunkte) Die Geschichte geht1 bei Hans Christian Andersen2 so3 i: Die kleine Meerjungfrau4 ii lebt mit ihren fünf älteren Schwestern in einer wunderschönen5 Unterwasserweltiii, die von ihrem Vater, dem König6, regiert wird. Die Mutter ist tot7, im Hintergrund agieren die Königsmutteriv und eine Hexe. Im Alter von 15 dürfen die Meerjungfrauen8 an die Oberfläche, dort singen sie und bestaunen9 die Menschenwelt. Die kleine Meerjungfrau wird also 1510, darf nach oben v, sieht einen Prinzen, der auf einem Schiff11 vi ebenfalls seinen 15. Geburtstag feiert; ein Sturm kommt auf, das Schiff sinkt vii, der Prinz ertrinkt12 viii (beinahe). Sie rettet ihn. Um bei ihm sein zu können, geht sie einen Handel mit der Hexe ein: Sie verwandelt sich ix mithilfe eines Zaubertranks13 in einen Menschen, bekommt Beine14 x, verliert aber ihre Sprache15 xi. Wenn der Prinz eine andere heiratet16 xii, wird die kleine Meerjungfrau zu Schaum; Rückkehr und Rückverwandlung sind ausgeschlossen17. Der Prinz heiratet eine Nachbarin18, die er für seine Retterin hält. Die Schwestern organisieren19 einen Ausweg für die Meerjungfrau: Sie soll den Prinzen mit dem Meerhexenmesser xiii töten xiv, um sich rückverwandeln und nachhause xv zurückkehren zu können – macht sie aber nicht. xvi xvii Sie wird zu Schaum und dann zu Luft20, wo sie 300 Jahre die Chance erhält, Gutes zu tun, um vielleicht doch noch eine Seele21 xviii zu bekommen. Unhappy End22. 2 Das Gedankenspiel als Lernraum Anhand des Märchens „Die kleine Meerjungfrau“ haben wir mit Studierenden des Kollegs der BAfEP8 Inhalte dieser Geschichte in Bezug auf neue bewegende Möglichkeiten des Geschichtenerzählens überprüft, gestaltet und über ihre Umsetzbarkeit im Kindergarten reflektiert. Prinzipiell ging es bei diesem Gedankenspiel, das in einer bewegten Konstruktion seinen Ausgang hatte, um Dekonstruktion. Somit ging es um das Entdecken divergenter Handlungsmöglichkeiten bei Menschen im Allgemeinen (Märchen) und anhand der eigenen Biographie im Speziellen. Wir begingen das Märchen von oben bis unten, mit Aufstellung, wer sich wie stark mit dem Märchen bzw. den Handlungssträngen der Hauptfiguren identifiziert und wer sich wie stark in einer Rolle im Märchen wiederfindet. Des Weiteren haben wir mit selbst angefertigten biographischen Landkarten gearbeitet und im Gehen eruiert, wer welche Entscheidungen in Bezug auf „normal“ oder „anders“ sein in seinem/ihrem Leben bis jetzt bewusst getroffen hat. Diese Landkarten waren offen angelegt, damit neue (Entscheidungs-)Möglichkeiten immer auch illustrierbar waren und damit immer das Ich als Ausgangspunkt sicht- sowie spürbar war. Der Weg von der De- zur Neukonstruktion eines Textes – in unserem Fall des Märchens „Die kleine Meerjungfrau“ – ermöglicht, eine komplett neue Geschichte zu schreiben, um damit wieder handlungs- sowie bewegungsfähig zu werden. Jede Geschichte hat wie jede Handlung auch mehrere Möglichkeiten bzw. Perspektiven. Wohin wir gehen, entscheidet nicht nur Vorgeschriebenes (Genetik, soziale Herkunft, Hautfarbe etc.), sondern vor allem Erarbeitetes (sei es das Repertoire an Erfahrungen, Wissen, soziales Umfeld etc.). Die kleine Meerjungfrau entscheidet sich bei Andersen für die zwei Beine, die ihr eigentlich (verursacht durch den extremen Schmerz) die Bewegungsmöglichkeit nehmen, außerdem kommt der Verlust der Sprachfähigkeit (Opfern der Stimme) hinzu. So ergibt sich schon der Zusammenhang zwischen Bewegungs- und Sprachfähigkeit. Die Meerjungfrau entschwimmt ihrem Umfeld und wird somit anders, gehört dem neuen Umfeld nicht an. Ohne Ausdruck ihrer selbst kann sie sich nicht verständlich machen und bleibt in der Geschichte somit ein exotischer Teil. Was wären nun andere Entscheidungsmöglichkeiten? Wohin könnte ihr Weg noch führen? Sie kann den Prinzen nicht retten, sie kann ihn an ihrem 15. Geburtstag von der Ferne betrachten, sie kann sich von den Schwestern „retten“ lassen, sie kann den Prinzen töten, sie kann, … sie kann im Prinzip alles und darin liegt die Kraft: Sich selbst als Entscheidungsträger*in zu betrachten, erhöht die eigene Resilienzfähigkeit ungemein. 3 Das Dekonstruieren von begrenzten Lebenswegen/starren Plänen zur Erschaffung neuer Möglichkeiten Lernen durch Erfahrung: Der Schmerz ist es nicht wert, die eigene Lebensqualität oder Wertigkeit zu mindern, ganz nach dem Motto: „Mit mir nicht!“ Eine Erfahrung gesammelt zu haben, bedeutet auch zu lernen und hier auch die Abgrenzung als eine (Überlebens-)Möglichkeit zu erleben. Dekonstruktion, die im Wiederkonstruieren einer Realität ihre Form findet, ist eine Facette des Experimentierens, und experimentieren bedeutet nichts anderes als Unterschiedliches auszuprobieren und damit zu spielen! Spielen ist ein Ausdruck von Lebendigkeit, ohne das keine Vielfalt entfaltbar ist. Wenn wir uns also diesem Spiel der Möglichkeiten hingeben, dann entstehen Perspektiven und somit neue Wege. Die Summe der Möglichkeiten ergibt wieder Vielfalt. Das Ergebnis dieser Diversität ist – wie oben schon erwähnt – die Grundlage für Resilienz. In der bewegten Sprache (Körper und Stimme) finden sich diese Komponenten als Erfahrungsgrundlage. Wie kann das Eigene im Fremden erfahrbar werden, ohne dass sich dadurch jemand bedroht oder geringgeschätzt fühlt? Ein vielfältiges Miteinander also?! Ja, wir sehen in Vielfalt die Chance zur physisch-sprachlichen Identitätsbildung! Bunt gemischt und durcheinander erleben wir Diversität als Ganzheitlichkeit auf höchstem Niveau, alle lernen von- und miteinander. Amen! Was gut klingt, kann tatsächlich gelingen, indem die Geschichten und Ursprünge von Entscheidungen verstanden werden. Jede Handlung hat einen Grund und folgt einem zu diesem Moment zugrundeliegenden Bedürfnis, dazu gilt es, hinzuschauen und Verständnis aufzubauen, damit ein offener Raum der Begegnung stattfinden kann. Verschiedene Perspektiven zu erschaffen, erhöht die eigene Wahl- und somit auch Bewegungsmöglichkeit sehr. Wie begegnen wir Geschichte und wie begehen wir sie? Unser Vorschlag: Begegnung durch Bewegung, damit dieser Impuls zur Inspiration werden kann. Oder wie Studierende zu uns unlängst meinten: „Bei euch ist alles anders, aber trotzdem lernen wir etwas.“ Im Dreiklang „Gedanke, Wort und Tat“ erschaffen wir unser Leben. Nichts bleibt auf Dauer. Werte sowie Visionen können sich auf dem Weg verändern. Eine innere Forschungsreise verändert und bringt immer neues Wissen mit sich. Flexibel sein, bedeutet gleichzeitig frei sein – jeder Moment ist eine neue Gelegenheit, mich für eine Geschichte und deren Gedankenfreiräume zu entscheiden. 23 i
ii Wo findest du dich im Text wieder? „Ich bin nachdenklich, fröhlich und mutig und hebe mich von vielen meiner Verwandten ab.“ „Ich bin auch eine schüchterne Person.“ „Ich bin ein impulsiver Mensch, der oft Entscheidungen trifft, die andere manchmal nicht so gut finden.“ iii „Im Wasser, besonders nackt, herrscht Freiheit und Leichtigkeit.“ iv „Die Verbindung zu der alten Großmutter, die einem alles erzählt.“ v „Endlich bin ich erwachsen.“ „Ich bin für die...